Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Die Zemmour-Affäre
Ultraprominenter konservativer Journalist streitet für Diskriminierungsfreiheit – und für ein Bündnis der Bürgerlichen mit dem Front National.

04/10

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Wie weit darf freie Meinungsäußerung gehen, wie weit Satire? Und was fällt darunter? Diese Fragen treiben derzeit Frankreich und seine Medien um. Die Freiheit der Meinungsäußerung wird von der einen Seite her allenthalben bemüht, um durchaus sehr unterschiedlich zu bewertende Sprüche im politischen Diskurs abzuhandeln. Willkommener Anlass für manche Stimmen, um das schon seit längerem bekannte Lied von der „Diktatur der Politischen Korrektheit“, der antirassistischen „Meinungspolizei“ und den „Tugendwächtern im öffentlichen Diskurs“ anzustimmen.

Anderswo bemüht sich man darum, Unterschiede - je nach Standpunkt - etwa zwischen dem „Rassenhetzer“ einerseits und dem „Ministerbeleidiger“ andererseits, oder aber dem „nur die Wahrheit aussprechenden Journalisten“ auf dem einen und dem „linken Ideologen“ auf dem anderen Ufer zu unterstreichen. Es ist nicht einfach, auf den ersten Blick zu erfassen, wer unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit welche politische Diskursstrategie verfolgt. Auf den zweiten Blick hingegen werden die Dinge schnell eindeutiger.

Den ersten Konfliktgegenstand lieferte Eric Zemmour, einer der wohl bekanntesten Journalisten in Frankreich, der zwar aus der Printpresse (Le Quotidien de Paris, Le Figaro) kommt, doch in den letzten zwei bis drei Jahren auf den Fernsehbildschirmen fast unvermeidbar geworden ist - im öffentlich-rechtlichen Sender ,France 2’ ebenso wie beim Privatsender RTL. Als Talkshow-Dauergast an jedem Samstag Abend, der die wechselnden Gäste provozieren soll, oder als politischer Kommentator im Frühstücksfernsehen auf RTL wurde „Z wie Zemmour“ - wie er sich unter Anlehnung an Zorro in jüngster Zeit nennen lässt - zur Quasi-Institution.

Zemmour ist ein französischer Nationalist von der EU-kritischen bis -feindlichen Sorte, der sich in bonapartistischer Tradition sieht, wie er in seinem Anfang März 2010 publizierten Buch ‚Mélancolie française’ – das in den ersten Wochen zu den Top Ten der Beststeller-Liste zählte - ausführlich darlegt. Darin schildert er den Aufstieg und - aktuell von ihm diagnostizierten - Niedergang des französischen Nationalstaats als den eines „neuen Römischen Imperiums“ (FUSSNOTE 1). Nun ja: Frankreich hat seine in der Aura vergangener historischer „Gröe“ schwelgenden Bonapartisten – wie Deutschland seine Preuenspinner hat, zu denen sich ja inzwischen auch ex-linke Verrückte gesellen (vgl. http://juergenelsaesser.wordpress.com )...

Frankreichs historisches Schicksal sei es, so führte Zemmour es in der ersten Aprilwoche 2010 bei einem seiner Fernsehauftritte aus, eine „beherrschende Stellung“ in einem geographischen Raum von Köln und dem Rheinland über Paris bis nach Norditalien einzunehmen. Ganz in diesem Sinne sprach Zemmour sich in derselben Woche für eine Spaltung Belgiens, das als Staat längst nur noch eine künstliche Realität sei, und eine Annäherung von dessen französischsprachiger Südhälfte (Wallonien) an Frankreich aus - ein Auftritt, der in Brüssel zu Zeitungsberichten Anlass gab. (Vgl. u.a. http://www.telemoustique.be - Eine solche Idee betreffend Wallonien, unter dem Namen ,Rattachisme’ - von rattachement, ungefähr: Anschluss - spukte mal kurzzeitig in den neunziger Jahren in bürgerlich-nationalistischen Kreisen in Frankreich herum. Nicht so sehr bei den Neofaschisten, denn die interessieren sich vor allem an für ihr Bündnis mit dem ,Vlaams Belang’ im flämischen Teil Belgiens, welch letzterer freilich seinerseits ebenfalls eine Spaltung Belgiens herbei wünscht.)

Zemmour, der unter anderem Feminismus und Gewerkschaften hasst, interpretiert die aktuelle Situation Frankreichs gerne durch die Schablone historischer Konstellationen, gerne aus der Zeit der Monarchie oder der Napoleon-Ära. Und während er etwa den seit vergangener Woche laufenden Eisenbahner-Streik bei der französischen Bahngesellschaft als „archaisches“ Phänomen längst vergangener Zeiten einstufte, stört er sich sonst nicht daran, anachronistische (d.h. nicht in die aktuelle historische Periode passende) Interpretationsraster aus der Geschichte zu benutzen. So erklärte er Anfang April 10, die französischen Protestanten hätten im 16. Jahrhundert einen eigenen Staat im Staat bilden wollen und seien durch die Monarchie deswegen niedergeschlagen worden. Heute drohe dasselbe mit den Moslems im - von hohem Einwandererteil und Armut geprägten - Pariser Trabantenstadtbezirk Seine-Saint-Denis. Aus diesem Grund drohe längerfristig „ein Bürgerkrieg“ und „Blutvergießen“, wie Zemmour unter Anlehnung an das Schicksal der Hugenotten ausführte. (FUSSNOTE 2)

Ansonsten hat Eric Zemmour noch ein weiteres ideologisches (Haupt-)Hobby: Es besteht darin, zu beklagen, dass – durch Feminismus und Überwindung tradierter Männer- und Frauen-Rollen – eine Verwirrung in der Aufteilung der Geschlechter eingetreten sei. Deshalb auch seien die männlichen Abstammungsfranzosen heutzutage benachteiligt, da die Französinnen oder Europäerinnen sich – auf der Suche nach echter, urtümlicher Männlichkeit – an die jedenfalls in dieser Hinsicht relativ unverdorbenen Afrikaner oder Araber („unsere früheren Domestiken“) hielten. (Vgl. dazu u.a. folgende Analyse: http://lafranceetlhommeafricain.blogs.nouvelobs.com) Anfang April dieses Jahres sprach Zemmour sich ferner für „die Konterrevolution der Jungs/Knaben gegen die obligatorische gemischtgeschlechtliche Beziehung“ aus. (Ja, doch, das war ernst gemeint! Vgl. dazu: http://www.rtl.fr) Nein, nein, der Mann hat selbstverständlich überhaupt keine Komplexe – hey, Leute, wie kommt Ihr nur darauf...?

Diskriminierung ist das Leben“ überhaupt

Am o6. März dieses Jahres war er gleich doppelt präsent, am Vormittag im Fernsehsender ‚France O’, der sich vor allem an Karibik- und „Überseefranzosen“ richtet, und am Abend in einer der Talkshows, die er ständig beglückt; beide Sendungen waren vorher aufgezeichnet worden. Eric Zemmour ist ein Vielredner, dessen Äußerungen normalerweise, wie so vieles im Fernsehen, an den Leuten vorbeirauschen. Dieses Mal gerieten sie aber nicht so schnell in Vergessenheit, sondern riefen eine Welle der Empörung hervor. Am Vormittag auf ‚France O’ äußerte Zemmour sich zum Thema Diskriminierung - einem seiner Lieblingsthemen in letzter Zeit, denn er ist der Auffassung, Diskriminierungsbekämpfung sei Unfug und belästige nur die Unternehmen. An jenem 6. März erklärte er dazu: „Diskriminierung ist das Leben, man wählt eben aus.“ Er führte dies nicht näher im Detail aus. Aber der Sinn, der hinter seinen Auslassungen steckt, kommt jener Begründung nahe, die Jean-Marie Le Pen in den neunziger Jahren bekannt machte: Wenn jemand heirate und sich für einen Partner - und damit gegen zahllose andere mögliche Partner - entscheide, dann könne sich auch niemand wegen Diskriminierung beschweren. Und was „das Leben“ und die familiären Beziehungen ausmache, so erklärte Le Pen damals, sei auch auf die Gesellschaft im Großen übertragbar.

Am Abend dann fielen jene berühmt gewordenen Aussprüche, mit denen Zemmour das ‚ethnic profiling’ bei Polizeikontrollen zur normalsten Sache der Welt erklärte: „Franzosen migrantischer Herkunft werden einfach mehr kontrolliert, weil ein Großteil der Rauschgifthändler Araber oder Schwarze sind.“ Seine Erklärung war die Antwort auf den Theaterregisseur Bernard Murat, der ihm zuvor erwidert hatte: „Wenn Dich die Polizei 17 mal am Tag kontrollieren würde, würde sich das auch auf Deinen Charakter auswirken.“ Die beiden Männer duzen sich, da sie vor langer Zeit einmal zusammen die Schulbank drückten, sind jedoch in gesellschaftlichen Dingen alles andere als einverstanden.

Ab dem darauffolgenden Montag standen dann die Telefone bei den verschiedenen Antirassismusvereinigungen nicht mehr still. Drei unterschiedliche Antirassismusverbände - der MRAP, SOS Racisme und die LICRA - kündigten jeweils Strafanzeigen gegen Eric Zemmour an. Die eher bürgerlich-liberale LICRA (Internationale Liga gegen Rassismus und Antisemitismus), die einem Teil der jüdischen Gemeinde nahe steht und eher in der politischen Mitte bzw. auf der moderaten Rechten angesiedelt ist – ihr langjähriger Vorsitzender Patrick Gaubert war u.a. Berater des konservativen Innenministers Charles Pasqua und Europaparlamentarier der UMP ab 1999 – zog ihre Strafanzeige jedoch inzwischen zurück. Sie tat dies infolge eines „Entschuldigungsbriefs“, den Eric Zemmour Ende März 10 an sie richtete. Statt sich zu entschuldigen, hat der Journalist sich darin freilich eher zu rechtfertigen versucht. So führt er in dem Schreiben explizit aus, Diskriminierungsbekämpfung sei ein „gefährliches Konzept“, das zu „Denunzierung“ und zu „Verantwortungslosigkeit“ im Erwerbsleben führe. Die LICRA hat ihm Anfang April 10 ein inhaltlich deutliches Erwiderungsschreiben als Offenen Brief geschickt.

Die beiden anderen antirassistischen NGOs hingegen steckten, auch in juristischer Hinsicht, nicht zurück. Am 29. Juni wird nun vor Gericht über die Strafanträge von SOS Racisme entschieden werden. Der MRAP (Bewegung gegen Rassismus und für Völkerfreundschaft) seinerseits hat ferner am o2. April 10 – dem Karfreitag, in Frankreich kein gesetzlicher Feiertag - zusammen mit dem Verband schwarzer Franzosen CRAN demonstriert. Vor einem Fernsehstudio, in dem eine Talkshow mit Eric Zemmour aufgezeichnet wurde, forderten die beiden Verbände Sanktionen der Sendeanstalten gegen Zemmour. Ihre Kundgebung stand unter dem Motto: „Meinungsfreiheit ja, Hetze nein.“

Sarkozys Umgebung interveniert: Rettungsoperation „Z“

Bei der konservativen Tageszeitung ‚Le Figaro’ drohte Zemmour zur selben Zeit die Kündigung, wie ihr Chefredakteur Etienne Mougeotte öffentlich ankündigte. In Wirklichkeit steckte dahinter jedoch noch etwas Anderes als der Unmut über Zemmours umstrittene Sprüche: Mougeotte, der eine wirtschaftsliberale und pro-EU-orientierte Rechte vertritt - während Zemmour für eine bonapartistische und von vergangener nationaler Größe träumende Linie steht, die schon immer auch zum Traditionsbestand der bürgerlichen Rechte in Frankreich zählte -, konnte Zemmour aufgrund dieser ideologischen Differenz schon seit längerem nicht ausstehen. Noch bevor das Kündigungsgespräch stattfand, wurde es jedoch durch die Redaktion annulliert. Gewöhnlich gut unterrichtete Quellen sehen dafür zwei Ursachen. Zum Einen geben viele Beobachter an, eine größere Anzahl von Lesern hätten protestiert und mit einer Kündigung ihres Abonnements gedroht. Die meist gut informierte rechtsextreme Wochenzeitung ‚Minute’ behauptet ferner (in ihrer Ausgabe vom 31. März 10, die mit „Z wie Zemmour“ auf ihrer Titelseite aufmacht), Berater von Nicolas Sarkozy hätten bei Mougeotte mit den Worten interveniert: „Bist Du verrückt?“ Zemmour vertritt demnach in den Augen Präsident Sarkozys eine Komponente der französischen konservativen Rechten, die es nicht zu verlieren gelte. - Der ‚Figaro’ als Flaggschiff der bürgerlichen Rechten spielt heute für dieses Lager in Frankreich eine Rolle, welche die linke Tageszeitung ‚L’Humanité’ zu einer Zeit ausübte, als sie noch „Zentralorgan des Zentralkomitees der Französischen Kommunistischen Partei“ hieß - diese Worte in ihrem Titel, und die entsprechende Funktion gleich mit, wurden dort freilich vor gut 15 Jahren abgeschafft. ‚Le Figaro’ bleibt hingegen Zentralorgan...

Eine Lanze für die Meinungsfreiheit?

Unterdessen war ein weiterer Stein des Anstoßes ins Rollen gekommen. Am 22. März, 10 also unmittelbar nach den französischen Regionalparlamentswahlen (deren Stichwahl am 21. Mäz stattfand), hatte der bekannte linke Kommentator Stéphane Guillon wieder einmal zugeschlagen. Der ätzende Satiriker kommentierte dabei besonders den erneuten Aufstieg der extremen Rechten, nachdem der Front National in den Stichwahlen in zwölf Regionen durchschnittlich fast 18 Prozent der Stimmen eingesammelt hatte. Er präsentierte Eric Besson, den Minister für Einwanderung und nationale Identität - so lautet sein Titel -, als „besten Agenten Jean-Marie Le Pens in der Regierung“. Unter anderem, weil er im vergangenen Winter vier Monate lang die so genannte „Debatte über die nationale Identität“ hatte führen lassen - die regelmäßig eine Bühne bot, auf der nationaler oder „kultureller“ Überlegenheitsdünkel sich freien Ausdruck verschafften. Viele Beobachter/innen erblicken einen Zusammenhang zwischen dieser Beobachtung und dem Wiederaufstieg der extremen Rechten.

Guillon fügte scherzhafte Bemerkungen über den Werdegang des - in breiten Kreisen so bezeichneten - „Verräters“ Besson hinzu. Selbiger war erst vor knapp drei Jahren mitten im Wahlkampf von der Sozialdemokratie zu den Konservativen übergelaufen, nachdem er zuvor noch die Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal beraten hatte, und hat deswegen als „Monsieur Verräter“ oft eine schlechte Presse. Im Rahmen seiner satirischen Ausführungen über Bessons politisches Leben wies Guillon auf „seine Wieselaugen und sein fliehendes Kinn“ hin. Ein Skandal!, riefen daraufhin viele bürgerliche Politiker aus. Im Namen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt ,Radio France’ sprach ihr erst im vergangenen Jahr angetretener Direktor Jean-Luc Hees dem Minister in der Öffentlichkeit seine „Entschuldigung“ aus. Dies brachte wiederum Satiriker wie den bekannten Humoristen Guy Bedos, der sich über das Pardon des Direktors erbost zeigte, auf die Palme.

Nun wird für Juni, wenn die jährliche Programmliste der Sendeanstalt neu erstellt wird, vielfach erwartet, dass Guillon „fliegt“. Besonders delikat ist, dass seit wenigen Monaten Philippe Val als Programmdirektor amtiert. Er ist der frühere Chefredakteur der einst antiautoritären und heute eher linksliberalen Satirezeitung ‚Charlie Hebdo’, die in Sachen Angriffe auf Minister wie Eric Besson nicht unbedingt als zartbesaitet gilt. Aber als früherer Chef einer Zeitung mit einstmaligem Anarcho-Ruf muss Val sich in seiner neuen Position gerade als „vernünftig“, moderat und loyal zeigen. Daher wird mit Spannung erwartet, welches Schicksal Stéphane Guillon blühen wird. Zumal der Satiriker sich schon bei früheren Gelegenheiten engagiert gezeigt hatte. Mit politischen Angriffen auf Präsident Nicolas Sarkozy sparte er nicht. Und Einwanderungsminister Besson hätte zu Jahresanfang beinahe Strafanzeige gegen ihn erstattet. Damals hatte Guillon dessen Ausspruch, als Eric Besson von „grauen Ehen“ - bei denen der „einheimische“ durch den ausländischen Partner über seine Gefühle getäuscht wird, um an Aufenthaltspapiere zu kommen -, unter Hinweis auf die Liaison des Ministers mit einer 22jährigen Tunesierin sarkastisch kommentiert: „Eric, wenn es in Deinem Alter weder an Deinem Äußeren noch an Deiner Manneskraft liegen kann, dann solltest Du Dir Fragen stellen, nicht wahr?“

Viele Beobachter steckten nun in ihren Stellungnahmen beide Affären munter in einen Topf. Kulturminister Frédéric Mitterrand nutzte die Gelegenheit, um allen beiden - Eric Zemmour und Stéphane Guillon - verbal einen überzubraten und die „Geschmacklosigkeit“ und Grenzüberschreitung aller beider zu monieren. Umgekehrt meldete sich alsbald der Club jener zu Wort, die schon immer die Diktatur der „Politischen Korrektheit“ über dem Land liegen sehen und sich bitter darüber beschweren.

Das linksnationalistische Wochenmagazin ,Marianne’ – das sich wie üblich für schwer antikonformistisch hält, wenn es den übelsten Quark verbreitet – stufte Eric Zemmour zur selben Zeit als Opfer einer Quasi-Hexenjagd ein. Und sein Chefredakteur Jean-François Kahn ritt einmal mehr sein Steckenpferd: den Einsatz für die „Nonkonformisten“ und „Verfemten“.

Als assoziierter Blogger, der seinen Meinungsblog auf der Webpage von ‚Marianne’ unterhält, meldete sich der Pariser Oberstaatsanwalt Philippe Bilger zu Wort. Auch er brach der Meinungsäußerungsfreiheit, der in Frankreich so schrecklich mitgespielt werden, eine Lanze. Zunächst in beiden Affären. Am Osterwochenende präzisierte er allerdings, Stéphane Guillon sei für ihn „ein Ideologe“, mithin unbelehrbar - spitzte seine Stellungnahme nunmehr also einseitig zu.

Oberstaatsanwalt Bilger ist dabei keineswegs ein unbeschriebenes Blatt. Und er ist auch nicht „nur“ als Jurist, und recht nicht als unvoreingenommener Betrachter, unterwegs. Der Mann ist vielmehr ein knallharter politischer Aktivist, der in den letzten Monaten bei wichtigen Auseinandersetzungen systematisch für die jeweils reaktionärste Position Partei ergriffen hatte. Anfang dieses Jahres - nachdem 13jährige Schülerinnen infolge einer Pausenhofstreiterei in Handschellen von zu Hause abgeführt worden ware, und die französische Praxis des Polizeigewahrsams in Kritik geriet – hatte Bilger etwa Letztere in der Öffentlichkeit vehement verteidigt. Und als im Februar 10 die Regierungspartei UMP einen sozialdemokratischen Kandidaten in der Pariser Banlieue, Ali Soumaré, systematisch und aus offenkundig rassistischen Motiven angriff, meldete der hauptstädtische Oberstaatsanwalt sich wieder zu Wort, um das Verhalten der UMP als „legitim und korrekt“ zu verteidigen. Angehörige der Regierungspartei hatten Soumaré erst, unter offenkundiger Anspielung auf seine schwarze Hautfarbe, als „Reservefußballspieler“ verhöhnt und dann als „hartgesottenen kriminellen Wiederholungstäter“ bezeichnet. Es lag jedoch eine Namensverwechslung vor, und Ali Soumarés Vorstrafregister war leer. (Und selbst wäre es anders gewesen, so wäre das Verhalten der UMP gesetzeswidrig gewesen.) Philippe Bilger vertrat jedoch lautstark die Auffassung, die Regierungspartei habe Recht mit ihrem Verhalten, denn die Öffentlichkeit habe „ein legitimes Interesse daran, über die Vorstrafen von Kandidaten Bescheid zu wissen“.

Auch nachdem der Fraktionsvorsitzende der konservativen Regierungspartei UMP im Senat („Oberhaus“ des Parlaments), Gérard Longuet, im März 10 den sozialdemokratischen Politiker Malik Boutih als ungeeignet für das Amt eines Vorsitzenden der Antidiskrimierungsbehörde HALDE erklärt hatte – mit den Worten, Boutih entstamme nicht „dem traditionellen französischen Körper“ (corps traditionnel français), hatte Oberstaatsanwalt Bilger dies wiederum in der Öffentlichkeit verteidigt. Und zwar mit den Worten, Longuet habe „doch nur darauf hingewiesen, dass Boutih nicht Partei und Richter zugleich sein kann“: Als „potenzielles Opfer von Diskriminierung“, aufgrund seiner Herkunft, sei er nämlich in Diskriminierungs-Angelegenheiten befangen. (Vgl. http://www.marianne2.fr/) Was ja so nur viel bedeuten kann wie: Eine objektive Sicht in Sachen Diskriminierung kann nur haben, wer potenziell von ihr profitiert – und nicht, wer von ihr benachteiligt wird...

Kurz: Oberstaatsanwalt Philippe Bilger ist, mit Verlaub, nichts anders als ein unverhüllter rechter Kotzbrocken. Ein Aktivist in Sachen reaktionärer Politik. Die Berufung – durch ihn und Seinesgleichen – auf die angeblich unterdrückte „Meinungsfreiheit“ entpuppt sich damit als das instrumentelle, taktische Argument, das sie jedenfalls in seinem Munde ausschlielich darstellt.

Auf Rassisten antworten Antisemiten

Es fehlte noch eine letzte Runde, um die Debatte vollends irre werden zu lassen. Nun hatte nur noch gefehlt, dass sich die extreme Rechte zu Wort meldete und auf die „kommunitäre Dimension“, auf die jeweilige Herkunft oder Abstammung der an den Diskussion Beteiligten hinweise. Es sollte auch so kommen.

Eric Zemmour ist ein Franzose nordafrikanisch-jüdischer Abstammung. Das Verhältnis der extremen Rechten - der er historisch nicht zugehört, die ihn jedoch zur Zeit in ihrer Mehrheit vehement verteidigt - zu ihm ist gespalten. Einzelne Webseiten des FN sowie eine Presseerklärung der rechtsextremen Splitterpartei MNR (früher die Partei Bruno Mégrets, jetzt unter Annick Martin) riefen zu einer, von Rechtskatholiken veranstalteten, Solidaritätskundgebung für Zemmour vor dem Redaktionsgebäude des ,Figaro’ am Abend des 25. März mit auf. (FUSSNOTE 3)

Auch Eric Zemmour selbst hatte – aus seiner Sicht, als Angehöriger des konservativen Lagers – wiederholt ein ausgesprochen offenes Ohr auch in Richtung extreme Rechte. So spottete er Anfang Juli 2009, als Marine Le Pen in einer Rathauswahl in Hénin-Beaumont mit 48 % der Stimmen in der Stichwahl nur knapp unterlag, in einem Artikel über die Urheber jenes „Meinungsterrors“, der die unentschiedenen Wähler schlussendlich doch noch von der Wahl der Liste der Le Pen-Tochter abgehalten habe. (Vgl. http://www.lefigaro.fr ; der Artikel wurde auf mehreren rechtsextremen Webseiten wie ,Nations presse info’ und ‚F de Souche’ übernommen. ) Und im ,Figaro-Magazine’ – Wochenendbeilage des ,Figaro’, Ausgabe vom 17./18. April 10 – führt Zemmour nun aus, unter der künftigen Führung durch Marine Le Pen ändere sich der FN: Nunmehr müsse die Regierungsrechte Präsident Sarkozys „entweder diese Kleine-Leute-Wählerschaft der Rechten (die für den FN stimmt) zurück gewinnen“, oder „sich die Bündnisfrage gegenüber dem FN neu stellen“. Vgl. http://www.lefigaro.fr/ - Zuvor hatte Eric Zemmour, in einer Sendung von Ende März d.J., bereits „die Lehren der italienischen Rechten“ (infolge ihres Abschneidens bei den Regionalparlamentswahlen in Italien) ans Herz zu legen versucht. Also beispielsweise ihre, von ihm ausdücklich positiv gewürdigte, Erfahrung des Bündnisses mit der rassistischen Regionalpartei Lega Nord - vgl. http://www.rtl.fr/

Doch Zemmours Herkunft lässt das Orientierungspendel innerhalb der extremen Rechten in unterschiedlichen Richtungen ausschlagen.

Einerseits ist diese Abstammung für einen Gutteil der extremen Rechten, vor allem ihre kolonial geprägten Fraktionen, eine positive Referenz: Im durch Frankreich kolonisierten Nordafrika war den einheimischen Juden Algeriens im Jahr 1870, im Gegensatz zur Mehrheitsbevölkerung aus moslemischen Arabern und Berbern, die französische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Dies beruhte neben anderen Faktoren auf dem Versuch, die altansässigen Einwohner des Landes zu spalten. Neben den Christen wurden die Juden als Teil der Elite in der Kolonialgesellschaft betrachtet, beide sollten gegen die - vor der Unabhängigkeit von 1962 besonders unterdrückte - moslemische Bevölkerungsmehrheit zusammen stehen. Im Sinne des postkolonialen Gedächtnisses auf der Rechten sind nordafrikanische Juden deshalb eine besonders mit dem Empire, dem früheren Kolonialreich verbundene Bevölkerungsgruppe. (Die kolonialnostalgischen Teile der extremen Rechten in Frankreich sind, vor diesem Hintergrund, auch im Allgemeinen philosemitisch und ausgesprochen pro-israelisch: Juden und Israelis sind in ihrer Augen zuvörderst historische „Waffenbrüder“, gegen die Araber.)

Anders als die vorwiegend kolonial-abendländischen Fraktionen rücken andere, etwa „nationalrevolutionäre“ Strömungen innerhalb der extremen Rechten hingegen vor allem den Antisemitismus in den Vordergrund. Zu ihnen zählt der „rot-braune“ Intellektuelle und Schriftsteller Alain Soral. Er nahm in den letzten Jahren ein komplexes Verhältnis gegenüber Eric Zemmour ein. Als der Journalist Ende 2008 im Fernsehen von der „Existenz von Rassen“ - er präzisierte damals: einer „weißen“ und einer „schwarzen“ menschlichen Rasse - gesprochen hatte, begrüßte Soral dies lautstark, ähnlich wie die gesamte extreme Rechte, die Eric Zemmour damals ihre Unterstützung erklärte. Allerdings präzisierte Soral damals, im Unterschied zu anderen ihrer Protagonisten, auch: „Zemmour zählt zu einer Bevölkerungsgruppe, die sich gut beschützt und die es sich deswegen leisten kann, so etwas zu sagen. Ich bin also froh, wenn er die (Anm.: ideologische) Arbeit an unserer Stelle verrichtet/erledigt.“ Vgl. http://www.youtube.com/watch?v=4bZZHvDXmE8 oder http://www.dailymotion.com/video/x7oue2_lextreme-droite-parle-de-zemmour_news

Inzwischen haben die Soralianer (Soral-Anhänger) ferner vor kurzem ein zwanzigminütiges Video ins Internet gestellt, auf dem versucht wird nachzuweisen, dass – im Hinblick auf die so genannt non-konformistischen Äuerungen – „Eric Zemmour die Kopie, und Alain Soral das Original“ sei. (Vgl. Video auf Agoravox.tv, datiert vom 16. April 10, unter der Überschrift ,De l’utilité d’Eric Zemmour à la télévision’.)

Bei den jüngsten öffentlichen Diskussionen hingegen setzte Soral, der sich mitunter - den Antisemitismus in den Vordergrund und den Rassismus gegen Migranten hintan rückend - auch an den Rändern der Einwanderungsbevölkerung um Einfluss bemüht, auf eine andere Karte. Sein Kumpan, der schwarze französische Antisemit Dieudonné M’bala M’bala, hatte auf Eric Zemmours Auslassungen über die „ethnische“ Dimension von Kriminalität - Zemmour sah sie bei Schwarzen und Arabern angelegt - bereits reagiert, indem er einem Fernsehjournalisten die Replik zu Protokoll gab: „Die großen Straftäter sind eher Juden, wie etwa (der US-Milliardenbetrüger) Bernard Madoff“, unter Hinweis auf Finanzdelikte; vgl. http://www.rmc.fr/

Anfang April 2010, während die Zemmour-Affäre einmal mehr hochkochte, wurde zeitgleich bekannt, dass der Sicherheitsmann eines Geschäfts in der Pariser Vorstadt Bobigny infolge eines ausgearteten Streits mit cholerischen Kunden getötet und seine Leiche im nahe gelegenen Kanal aufgefunden worden war. Ein Verbrechen wie viele andere auch. Die Besonderheit: Der Ermordete war marokkanischer Abstammung, und die fünf durch die Polizei festgenommenen Täter waren junge Juden - wegen kleinerer Gewaltdelikte bekannte Rowdys. Der Totschlag hatte keine politische Dimension. Manche allerdings projizierten eine solche politische Dimension darauf; auch in der örtlichen moslemischen Gemeinde sprachen einige Sprecher wahlweise von einem „rassistischen“ oder einem „zionistischen“ Mord, bevor sie sich in der Mehrzahl der Fälle schnell korrigierten und dies zurücknahmen.

Ein gefundenes Fressen jedoch für einen kalkulierenden antisemitischen Intellektuellen wie Alain Soral. Dieser zog eine Verbindung zur Zemmour-Affäre, und auf dem Blog seiner volksgemeinschaftlich ausgerichteten Gruppe ‚Egalité & Réconciliation’ (Gleichheit und Aussöhnung) wurde am 1. April ein Eintrag unter dem Titel: „Mord in Bobigny: Der Zemmour-Effekt“ publiziert. In dem Artikel wurden vor allem Videos aus den Fernsehnachrichten übernommen, die subtile ideologische Botschaft schien jedoch zu lauten: Nun meinen die Juden in Frankreich, ihnen sei alles erlaubt. Überhaupt nicht subtil, sondern in brutaler Klarheit verbreitete diese Botschaft jedenfalls unterdessen die von einem pathologisch-besessenen Antisemitismus geprägte Webseite ,Anti-protocoles’, die ihren Namen unter Anspielung auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ trägt und durch die beiden als leicht verrückt zu bezeichenden Individuen Hervé Ryssen und Boris Le Lay betrieben wird. Auf ihr steht ein Eintrag vom o3. April unter dem Titel: „Bobigny: Die Juden töten in aller Ungestraftheit.“

In der breiten Öffentlichkeit kam diese Botschaft, die eher in marginalisierten Kreisen verbreitet wurde, so sicherlich nicht an. Aber sowohl bei der Kundgebung gegen die rassistischen Äußerungen Eric Zemmours am Abend des o2. April als auch bei der Pariser Trauerkundgebung für den totgeschlagenen Wachmann - Saïd Bourarach - am Montag, o5. April fiel eine kleinere Gruppe von sehr energischen Frauen migrantischer Herkunft auf, die eine gerade Verbindungslinie zwischen beiden Affären zogen und ungehemmt antisemitische Botschaft verbreiteten. Eine unter diesen (arabischstämmigen) Frauen trug ferner eine Broschüre von Hervé Ryssen, eines als pathologisch einzustufenden antisemitischen Hetzers, bei sich. Auch Dieudonné tauchte am Rande der Kundgebung am o5. April kurzzeitig auf. (FUSSNOTE 4)

Fazit

Es wäre also an der Zeit, sämtliche dieser überbordenden Debatten über „ethnische“ Zugehörigkeit und soziale Phänomene im Zusammenhang mit „Abstammung“ so schnell wie möglich herunterzukochen, bevor noch Schlimmeres passiert.

 

1 FUSSNOTE 1 : Und hier eine kleine, wunderschön schwülstige Kostprobe, aus den ersten Seiten dieses Buchs ,Mélancolie française’:

« Frankreich liegt nicht in Europa ; es ist Europa. Frankreich vereinigt alle äuerlichen, geologischen, botanischen, klimatischen Eigenschaften Europas. Es ist, wie vor über einem Jahrhundert der Geograph Vidal de la Blache schrieb, das einzige Land, das gleichzeitig im Norden und im Süden, im Westen und im Osten liegt. (....) Zu viel Talente, zu viel Reichtümer, zu viele Ressourcen. Zu viel Wahlmöglichkeiten. Zu viele Männer, Ideen, Raffinessen. Dies war vielleicht letztendlich das Unglück Frankreichs. England hatte nur das Meer; Deutschland hatte nur den Kontinent/das Festland. Wir sind das einzige Land Europas, das gleichzeitig kontinental und maritim (ALTERNATIV : das gleichzeitig eine Land- und eine Seemacht) ist.  (....) Frankreich liegt nicht in Europa; es ist Europa. Was lange Zeit seine Stärke ausmachte, ist nunmehr seine Schwäche. Sein Schicksal war es, das kontinentale Europa/Festlandeuropa zu sammeln; die (vermeintlich/ironisch:) leuchtende Zukunft, die man ihm nun bietet, ist es, ein Texas oder Kalifornien der Vereinigten Staaten von Europa abzugeben. Die Anhänger der heutigen Europaidee zitieren, in ihrem Sinne ausgelegt, das berühmte und flammende Plädoyer von Victor Hugo … (Anm.: für ein vereinigtes Europa). Sie vergessen nur, zu sagen, dass das Europa von Victor Hugo zur Hauptstadt Paris hat; dass die Sprache dieses Europas nur Französisch sein kann, diese Sprache, die er so liebt und mit Talent handhabt; es ist das Pendant in Poesie und Roman zum französisch beherrschten Europa unter dem Stiefel Napoléons. Im Geiste des Kaisers (Anm.: Napoléon) sollte Paris das neue Rom sein. (....)Die Gleichsetzung unseres Landes mit dem Römischen Reich erscheint unseren Zeitgenossen unangemessen, ja lächerlich. (....)  Dennoch trug die französische ,Grande Nation' Jahrhundert lang den Anspruch/die Ambition, Europa die ,Pax Romana' zu geben. Ihren Erben wollen es nicht mehr wissen. Sie ignorieren es oder schämen sich dafür. (ANMERKUNG : Deswegen der Titel, Zemmours ,Melancholie'....) Frankreich wäre (/ist) diese stets bedrohte Synthese, diese immer wieder zerstörte Einheit, diese Frucht des politischen Willens, die unverhoffte Begegnung aus Geographie und Politik, diese Nostalgie des Empire, von Einheit und Gröe. (....)“

2 FUSSNOTE 2 : Vgl. die rechtsextreme Webseite ,Rebelles.info’, wo Eric Zemmours Artikelin schöner Regelmäigkeit mit dem ausdrücklichen Vermerk „mit Genehmigung des Autors“ übernommen werden – Eintrag vom o5. April, Überschrift: ,Cela finira mal, cela finira dans le sang’. Die an der Stelle zitierte Webseite ist eine rechtsradikale Homepage, deren Autoren und Verantwortliche zwischen dem rechten Flügel der Konservativen und dem militanten, vor allem anti-moslemisch ausgerichteten ,Bloc identitaire’ angesiedelt sind. Militarismus und Hass auf Einwanderer aus der so genannten „Dritten Welt“ und vor allem moslemischer Konfession wird propagiert, Antisemitismus wird hingegen abgelehnt. Die Redaktion nahm laut eigenem Bekunden – und Ankündigung auf ihrer Webpage - am 17./18. Oktober 2009 an der ,Convention identitaire’, einer europaweiten Tagung der militant-faschistischen „identitären“ Bewegung, in Orange teil. Ihre ideologische Linie steht in einer Tradition mit der pro-kolonialistischen Terrorbewegung OAS zu Anfang der sechziger Jahre sowie der wenige Jahre später aktiven, militaristischen und antikommunistischen Studentenbewegung ,Occident’. Hingegen bestehen ideologische Unterschiede zu den antisemitischen Flügeln innerhalb der extremen Rechten.

3 Anlässlich dieser Kungebung traf ich auf einen Reporter der Boulevardzeitung ,Le Parisien’, der die Leute befragte – verzweifelt nach jemandem suchend, der ihm antworten würde, dass er (oder sie) gegen die Auffassungen Eric Zemmours, aber für dessen freie Meinungsäuerung sei. Dies, weil es den Veranstaltern angeblich nur darum ging, die von Knebelung bedrohte Meinungsfreiheit zu verteidigen. Laut eigenem Bekunden hatte der Reporter niemanden gefunden, der ihm diese Auskunft gegeben hätte: Alle von ihm befragten Anwesenden seien vielmehr aus inhaltlichem Einverständnis mit Eric Zemmour dort, nicht allein aufgrund der „Bedrohung für die Meinungsfreiheit“. Zu der Kundgebung waren 100 bis 150 Personen gekommen; freilich fiel sie vielleicht auch deswegen nicht so gro aus, wie es eventuell möglich gewesen wäre, weil die Redaktion des ,Figaro’ ihre Kündigungsdrohung gegen Zemmour zu dem Zeitpunkt bereits zurückgezogen hatte. Eric Zemmour trat kurzzeitig zu der Demonstration heraus und grüte die Teilnehmer. Laut Auskunft von Sprechern der Demonstranten vor den Kameras waren Mitglieder „von (der rechtskatholischen Kleinpartei) MPF, (dem postgaullistischen, bürgerlich-dissidenten Club) ,Debout la République’ und vom Front (National)“ anwesend. An Partei- oder Vereinsymbolen waren freilich nur jene der Kleingruppierung ,Debout la République’ von Nicolas Dupont-Aignan offen sichtbar.

4 FUSSNOTE 4 : Am Samstag, den 1o. April fand in Paris eine weitere Demo vor allem aus den moslemischen Gemeinden im nördlichen Pariser Umland statt, um „Wahrheit und Gerechtigkeit“ für den ermordeten Saïd Bourarach zu fordern, vgl. http://www.dailymotion.com/ Neben legitimer Wut und Zorn über den Mord sind dort auch wiederum problematische Phänomene zu sehen - von islamistischen Slogans, vor allem im Interview eines jungen Mannes, bis hin zur kommunitaristischen Opferkonkurrenz im Sinne von: „Unser Toter, Saïd Bourarach - und ihr Toter, Ilan Halimi“. Der junge Jude Ilan Halimi war im Februar 2006 durch eine Bande grausam ermordet worden, die Geld hatte erbeuten wollen und glaubte, es „bei Juden“ finden zu können, vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd0306/t290306.html sowie http://jungle-world.com/artikel/2009/19/34443.html .- Die Tat hatte damals ein erhebliches Medienecho ausgelöst. Im Sinne einer „Opferkonkurrenz“ zwischen Bevölkerungsgruppen messen nun wiederum manche Muslime die Medienberichterstattung im Mordfall Saïd Bourarach an jener im Mordfall Ilan Halimi. Um zum Schluss zu kommen: „Unser Toter findet nicht so viel Aufmerksamkeit wie ihrer.“ Die Suche nach der Wahrheit, nach den wirklichen Tatmotiven und Ursachen/Hintergründen der jeweiligen Tat droht durch eine solche „kommunitäre“, d.h. partikularinteressen-bezogene Aufladung freilich auf der Stecke zu bleiben...

Editorische Anmerkungen

Wir  erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.