Tokyo Elektronic Power, kurz Tepco,
Betreiber von 10 Atomkraftwerken in Fukushima 1 und 2 soll vor
der Pleite stehen. Der Ruf nach Verstaatlichung wurde jedoch
schon vorher laut. So schreibt beispielsweise die Frankfurter
Rundschau vom 30. März:
„In Japan mehren sich die Rufe, den
Stromversorger Tokyo Elektronic Power (Tepco) zu
verstaatlichen, um die Atommeiler von Fukushima schneller
unter Kontrolle zu bringen und dem Konzern unter die Arme zu
greifen.“
Hört sich das alles nicht an wie dazumal
beim Höhepunkt der „Finanzkrise“? „Unter Kontrolle bringen“
indem man „Konzernen unter die Arme greift“??
Auch die „Finanzkrise“ drückte
gesellschaftlichen „Kontrollverlust“ aus. Die „Kernschmelze“
bestand in rapidem Wertverlust von Wertpapieren,
„Panikverkäufen“. Es bedurfte der Kontrolle durch
Verstaatlichung und Finanzspritzen für Not leidende Banken.
Sollte und soll der Finanzmarkt durch
Vergabe von Krediten Geld im Überfluss bereit stellen, so die
AKWs Energie. Handelt es sich im ersten Fall um Tauschwert, den
es durch „Kernspaltung“ (grenzenlos kreativ konstruierte,
verkäufliche Wertpapiere, die selbst Schulden in Kapital
umdichten) beliebig zu vermehren gilt, so handelt es sich bei
Strom aus der Kernspaltung von Atomen um einen Gebrauchswert
(Energie), den es beliebig zu vermehren gilt. Das Versprechen
der Atomlobby lautete:
Wenn die fossilen Energiequellen
ausgebeutet sind, dann steht durch AKWs jede Menge Strom zur
Verfügung, billig und umweltfreundlich.
Beides, grenzenlos zur Verfügung stehende
Finanzen wie grenzenlos zur Verfügung stehende Energie sind von
grundlegender Bedeutung für eine Produktionsweise, die nur dann
funktioniert, wenn sie beständig wächst, wie eine
Krebsgeschwulst. Ein offenbar krankes und menschenfeindliches
Funktionsprinzip, das weder Rücksicht nehmen kann auf die Natur
des Menschen (man denke an die „grenzenlose“ Entwicklung von
Nacht- und Schichtarbeit etc.), noch auf die natürlichen
Grundlagen seiner Existenz. Für den Bestand der kapitalistischen
Produktionsweise gleichermaßen „systemrelevant“ ist sowohl die
Finanzindustrie wie die Atomindustrie:
Ohne kreditvermittelt-“grenzenlose“
Geldvermehrung keine die Produktion erweiternde Investition und
Reproduktion und ohne „grenzenlose“ Bereitstellung von Energie
kein „grenzenloser Fortschritt“ in der Arbeitsproduktivität.
Jeder Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch technischen
Fortschritt verlangt den Einsatz nicht menschlicher Energie. Wo
die Verdrängung menschlicher Arbeitskraft zum Prinzip wird, um
den Profit in Gestalt des relativen Mehrwerts zu steigern, da
tritt an die Stelle des Heißhungers nach menschlicher
Arbeitskraft der Heißhunger nach Energie.
Die Abschaltung aller AKWs würde der
Maßlosigkeit der Kapitalverwertung von der Gebrauchswertseite
her zunächst Schranken setzen, ganz so wie eine rigorose
allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden.
(Menschliche Arbeitskraft ist und bleibt der entscheidende
Gebrauchswert des Kapitals!) Es wäre eine Reform, die notwendig
ist, aber keine „heile Welt“ schafft. Sie würde die
Widersprüche, in denen sich das Kapital bewegt, verschärfen …
was manchen Anti-AKWlern nicht klar sein dürfte! In der
„bedingungslosen“ Forderung nach Abschaltung der AKWs lauert,
wie in jeder konsequenten vorgetragenen Forderung nach sozialer
Reform, die die Freiheit des Kapitals zur Ausbeutung von Mensch
und Natur beschränkt, die Systemfrage!
Das Kapital ist in jeder Hinsicht maßlos:
seine erweiterte Reproduktion verlangt nicht nur die grenzenlose
Vermehrung des Tauschwerts, sondern auch die des
Gebrauchswertes.
Indem das kapitalistische Privateigentum
das Privatinteresse nach Bereicherung entfesselt, beschwört es
soziale Katastrophen herauf, sei es unter dem Druck „normaler“
ökonomischer Rationalisierung, sei es als Folge seiner
ökonomischen Krise.
Indem das kapitalistische Privateigentum
nicht nur vorhandene Naturkräfte nutzt, sondern neue
„Naturkräfte“ schafft (Kernspaltung des Atoms, analog zur
„kreativen“ Vervielfältigung von Tauschwert durch die
Finanzindustrie), um sein grenzenloses Bedürfnis nach Energie zu
befriedigen, beschwört es die ökologische Katastrophe herauf
bzw. spitzt sie zu.
Letztere hat genau so ihre Ursache in der
kapitalistischen Produktionsweise, wie erstere. Der Unterschied
besteht lediglich darin, dass die menschlichen Charaktermasken
des Kapitals (private und institutionelle Anleger, Manager) von
der ökologischen Katastrophe letztlich genau so betroffen sind,
die die Lohnabhängigen. Hier gibt es keine sozialen Gewinner und
Verlierer … alle gehen gemeinsam drauf, wenn die Welt durch
Plutonium verseucht wird.
Unter dem Eindruck der aufkommenden
Forderung nach Verstaatlichung von Tepco müssten die Verfechter
der freien Marktwirtschaft jetzt eigentlich wieder auf den Plan
treten und vor zu starker staatlicher Einmischung, gar
sozialistischen Experimenten, warnen. (Vielleicht bringen die
Wahnsinnigen auch das noch!) Die private Initiative des Marktes
soll es richten und wenn Tepco die Kosten davon laufen, dann
soll der Konzern doch Pleite gehen. Das wär doch was: Der
Konzern Pleite, Einstellung aller Arbeiten an den Reaktoren …
und man hinterläßt nur wieder eine weitere Industrieruine!??
Oder??? Mit welcher Konsequenz? ….
Vorerst jedoch herrscht an der Front der
Ritter vom „gesunden“ Marktverstand Ruhe. Vielleicht erahnen sie
die ganze besonders geartete „Systemrelevanz“ der
Energieversorgung mittels Atomstrom?
Wenn im Zusammenhang mit dem Atom-Desaster
in Japan jetzt wieder der Ruf nach Verstaatlichung laut wird,
dann zeigt das erneut das Eingeständnis des Versagens des
kapitalistischen Privateigentums. Die Logik des Ablaufs ist die
gleiche wie bei der „Finanzkrise“: die Gesellschaft soll
einspringen und Kosten tragen, wo Privateigentum und Markt
versagen.
Da den Herrschaften aber gesellschaftliche
Kontrolle und Einflussnahme – und sei es über ihren Staat - an
und für sich als „kommunistisches“ Grundübel schlechthin
erscheint, dient ihnen diese „Kontrolle“ durch den Staat nur als
Mittel, um Konzernen unter die Arme zu greifen, damit sie
möglichst bald wieder auf die Beine kommen, um ihr Geschäft, das
vor allem einigen wenigen Betuchten nutzt, fortzusetzen.
Für seine Entwicklung aus
nicht-kapitalistischen Verhältnissen brauchte und braucht das
kapitalistische Privateigentum den Staat: für seine Durchsetzung
und für die Realisierung von Großprojekten der Infrastruktur. In
dem Maße jedoch, wie das Kapital sich entwickelt, ein
Bankensystem und Kreditwesen nach seinem Bilde und Bedarf
erzeugt, versucht es staatliche Einflussnahme auf Sankt Markt,
die „freien Produzenten“, zu reduzieren und auszuschalten. Es
nimmt die staatliche Einflussnahme erst wieder hin, wenn es gilt
Verlust zu vermeiden bzw. der Allgemeinheit von Steuerzahlern
aufzuhalsen.
Es wird wirklich Zeit, nicht nur die
AKWs sondern auch das Kapital „abzuschalten“!!
Editorische Hinweise
Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen
Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.