Côte d’Ivoire: Definitive Zuspitzung des Bürgerkriegs

von Bernard Schmid

04/11

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Der Machtkampf in der Côte d’Ivoire zwischen den Vertretern zweier unterschiedlicher Flügel der Oligarchie – Nochpräsident Laurent Gbagbo und seinem Herausforderer Alassane Ouattara, früher u.a. Vizedirektor des Internationalen Währungsfonds (IWF) und Leiter der Afrika-Abteilung dieser internationalen Finanzinstitution - tritt in seine mutmaßlich letzte Phase ein. Nachdem die Anhänger Alassane Outtaras, die seit Anfang der Woche den gesamten Süden des Landes militärisch „aufrollten“, am Donnerstag die administrative Hauptstadt Yamoussoukro (im Zentrum des Landes) erobert hatten, drangen sie am Freitag Abend in die Wirtschaftsmetropole Abidjan im Süden ein. Dort könnte es nun, falls Nochpräsident Laurent Gbagbo sich nicht doch zu einem erzwungenen „freiwilligen“ Abgang entscheidet, zum massivsten Blutvergießen kommen. Überrascht letztendlich das Blitztempo, mit dem die militärisch strukturierten Truppen von „Gegenpräsident“ Alassane Ouattara (den vor allem die westlichen Staaten nach dem umstrittenen Wahlausgang vom 30. November 11 als angeblichen Wahlgewinner anerkannt hatte) die Machtfrage innerhalb von acht Tagen in weiten Landesteilen für sich entscheiden konnten. In den Spalten der konservativen französischen Tageszeitung ,Le Figaro’ nimmt am Freitag (o1. April; Online-Ausgabe) der „Experte“ Antoine Glaser – der Leiter eines teuren Informationsdienstes zu Afrika namens ,La lettre du Continent’, in welchem zum Teil unmittelbar von den französischen Nachrichtendiensten stammende Erkenntnisse für einen geldwerten Preis verbraten werden -, zum Thema Stellung. Er erklärt dort, die neuen Truppen Ouattaras seien durch die Regionalmächte Burkina-Faso und Nigeria aufgerüstet worden. Ferner seien die unter dem Namen FRCI am 17. März 11 frisch gegründeten Streitkräfte des Alassane Ouattara „wahrscheinlich“ von französischen und US-amerikanischen Militärberatern begleitet. „Wahrscheinlich“ dürfte dabei wohl noch ein Euphemismus sein, und es dürfte sich trotz des Datums mitnichten um einen Aprilscherz handeln....

Abidjan vor acht Tagen: Es handelte sich um eine seltsame Mischung aus religiöser Extase, politischen Heilsbeschwörungen, Nationalismus und echtem oder vorgetäuschtem Antikolonialismus. „Sarkozy, die Elfenbeinküste wird Deine Endstation werden!“ steht auf einem Transparent zu lesen. Auf anderen Schildern wird „Die Côte d’Ivoire den Ivorern“ gefordert oder auch „Hände weg von Laurent Gbagbo“. Auf der Place de la République in Abidjan, der Wirtschaftsmetropole dieses ökonomisch mit Abstand stärksten Landes Westafrikas, hatten sich am Samstag, den 26. März 11 die Anhänger Gbagbos versammelt. Die gesamte französischsprachige internationale Presse war dabei, während dort der Ex-Kolonialmacht Frankreich vorgeworfen wurde, hinter den aktuellen bürgerkriegsähnlichen Zuständen in der Côte d’Ivoire zu stecken, weil Laurent Gbagbo ihren Pläne im Wege stehen.

Der nach wie vor faktisch amtierende Präsident des westafrikanischen Landes hat laut Auffassung einer Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft bei der Präsidentschaftswahl vom November 2010 Jahres gegenüber seinem Herausforderer Alassane Ouattara verloren hat. Bei dem Urnengang dürfte in Wirklichkeit auf beiden Seiten mächtig manipuliert worden sein, und da bewaffnete Milizen mit unterschiedlichen Sympathien – für Ouattara im Norden, für Gbagbo im Süden und im Westen des Staatsgebiets – schon vor den Wahlen unterschiedliche Landesteile kontrollierten, waren die Voraussetzungen für eine geheime, faire und transparente Abstimmung mit Sicherheit nicht gegeben.

Ein seit längerem gespaltenes und „beaufsichtigtes“ Land

Seitdem hat die Lage sich Woche für Woche verschärft. Die Vereinten Nationen rechnen derzeit mit der Flucht von bis zu einer Million Menschen aus dem Land, das nach Worten des französischen UN-Botschafters Gérard Araud – aber nicht allein seiner Auffassung nach – „am Rande des Bürgerkriegs“ steht.

Die Côte d’Ivoire war bereits zwischen 2002 und 2007 Schauplatz eines blutigen Bürgerkrieges gewesen. In dessen Verlauf vollzog Frankreich mit Hilfe seiner Einsatztruppe Force Licorne (Einhorn-Kraft), die parallel zu seiner Teilnahme an einer UN-Blauhelmtruppe dort stationiert ist, eine faktische Teilung zwischen der Nord- und der Südhälfte des Landes auf der Höhe von Bouaké. Der Norden wurde daraufhin durch die in Forces Nouvelles (FN, Neue Kräfte) umgetauften Rebellen, die im September 2002 die Macht militärisch hatten erobern wollen, kontrolliert. Diese FN haben seitdem ihre eigenen Warlords, die sich hemmungslos bereicherten und ihre Beute im Nachbarland Burkina-Faso investierten, hervorgebracht. Im Süden herrscht Laurent Gbagbo beinahe unangefochten. Sein politischer Einfluss ist immer dann auf dem Zenith, wenn er in Ansätzen eine Massenmobilisierung inszenieren kann, bei der sich begründete und unbegründete Vorwürfe gegen die neokoloniale Politik Frankreichs, Ethnonationalismus gegen die Leute aus dem Norden und – oft evangelikal-christlich geprägtes – religiöses Eiferertum mischen.

So auch am Wochenende des 26./27. März 11. Der Afrikakorrespondent von Le Monde, Jean-Philippe Rémy, zitiert etwa einen Mann namens Loulou Yoro, der sich überzeugte zeigte, Frankreich wolle nur „an das Erdöl der Côte d’Ivoire“, eine Argumentation, die seit dem Iraq-Krieg in vieler Herren Ländern Furore macht. Im Unterschied zu mehreren Ländern des Mittleren Osten allerdings besitzt die Côte d’Ivoire keinen Erdölreichtum. Zwar findet seit dem vergangenen Jahrzehnt eine schwäche Ölförderung vor den Küsten des Landes im Atlantik – circa 60.000 Barrel pro Tag – statt, doch trägt dieser Rohstoff nur auf unwesentliche Weise zum Bruttosozialprodukt des Landes bei. Dessen Löwenanteil machen agrarische Monokulturen, insbesondere der Anbau von Export von Kakao, mit einigem Abstand gefolgt von Kaffee und Tropenfrüchten, aus.

Das Gbagbo-Lager: Religion & Schattierungen des Nationalismus

„Betet Gbagbo an!“ forderten gar die tollkühnsten Teilnehmer an der samstäglichen Kundgebungen, während andere den „Gott der Armeen“ um „einen totalen Sieg für die Elfenbeinküste“ bitten wollten. Wie häufig in der Region, mischen sich dabei monotheistische Einflüsse – christliche im Süden, muslimische im Norden der Côte d’Ivoire – mit polytheistischen Traditionen und magischen Vorstellungen. Charles Blé Goudé war dabei der Held dieser Kundgebung. Der 39jährige, der als „Jugendminister“ amtiert, seine Zeit jedoch eher als nationalistischer Agitator auf Versammlungen verbringt – und vor 15 Jahren noch „Studentenführer“ bei den damaligen, eher sozial motivierten Studierenden- und Jugendunruhen war – forderte vergangene Woche „die ivorische Jugend“ auf, sich massenhaft in der Armee zu engagieren. 5.000 sollen in den vergangenen Tagen seinem Ruf gefolgt sein.

Ethnisierte Hochburgen innerhalb der Metropole

Nicht auf Magie, sondern auf brutaler Gewalt beruht derzeit das Vorrücken beider Streitparteien in verschiedenen Landesteilen. Innerhalb der im Süden des Landes gelegenen Wirtschaftsmetropole Abidjan war in der zweiten Märzhälfte 2011 zunächst das Gbagbo-Lager in der Offensive. Im Laufe der (vor)letzten Märzwoche wurden Hunderttausende Menschen aus der Großstadt vertrieben, auch wenn es bislang kaum überfüllte Flüchtlingslager gibt, da die Mehrzahl der Betroffenen zu ihren Familien auf die Dörfer flüchtete. Innerhalb der Fünf-Millionen-Stadt besitzen beide politischen Konfliktparteien ihre jeweiligen Hochburgen: für das Gbagbo-Lager ist es das Armenviertel Yopougon mit rund einer Million Einwohner/inne/n. Die Ouattara-Anhänger dagegen kontrollieren einen riesigen Stadtteil mit über anderthalb Millionen Einwohnern am Nordrand von Abidjan, Abobo. Die jeweilige politische Basis ist dabei weitgehend je nach „ethnischer“ Zugehörigkeit strukturiert.

Die Regierung unter Laurent Gbagbo, die nach wie vor die Süd- und Südwestteile des Landes kontrolliert, versuchte in den letzten anderthalb Wochen, durch massive Vertreibungen aus den zwischen dem Stadtzentrum und Abobo gelegenen Wohnvierteln eine Pufferzone zu schaffen. In Abobo selbst trauen sich die Soldaten der Gbagbo-loyalen „Verteidigungs- und Sicherheitskräfte“ (FDS) oder Polizisten kaum noch hinein, weil sie seit Wochen ihres Lebens nicht mehr sicher wären. Darauf reagierten sie zunächst durch den Einsatz von schweren Waffen im Stadtgebiet, indem sie Abobo mit Panzern und Artilleriefahrzeugen durchqueren und wild um sich schießen. Am 8. März 11 wurde zudem mit schwerer Munition auf Teilnehmerinnen einer Frauendemonstration für Alassane Ouattara geschossen, wobei wahrscheinlich acht Teilnehmerinnen starben. An der Beerdigung nahmen zahlreiche Frauen teil, es kam zu weiterem Schusswaffeneinsatz. Vorläufig scheint die Regierung es jedoch aufgegeben zu haben, zu versuchen, über Abobo unmittelbare Kontrolle zu erlangen. Dort werden inzwischen tatsächliche oder vermeintliche „Informanten“ des Regimes einfach gelyncht, während anderswo im Stadtgebiet von Abidjan „Ausländer“ - unter ihnen Leute aus Burkina-Faso, Mali oder dem Landesnorden – mehrfach lebendig verbrannt wurden.

Auch andernorts wird gekämpft. Bei Telefonaten mit Einwohnern der administrativen Hauptstadt des Landes, Yamoussoukro, waren Mitte März dieses Jahres massive Schusswechsel live am Telefonhörer mit zu verfolgen. Unterdessen sind die Ouattara unterstützenden „Republikanischen Kräfte der Côte d’Ivoire“ (FRCI) – in denen die früheren Rebellen des vorigen Jahrzehnts, die FN, seit dem 17. März dieses Jahres zusammen mit abtrünnigen Militärs von Laurent Gbagbo aufgegangen sind – seit dem Montag, 28. März 22 im gesamten Süden der Côte d’Ivoire (von Südwesten und Südosten her) äußerst massiv in die Offensive gegangen.

Im Laufe der Woche eroberten sie zunächst fünf größere Provinzstädte, wobei die Gefolgsleute von Alassane Ouattara dabei am Dienstag, den 29. März in der westivorischen Stadt Duékoué rund 800 Menschen (besonders wohl aufgrund „falscher“ ethnischer Zugehörigkeit und des Verdachts, Gbagbo-loyal zu sein) massakrierten. Auch die FRCI, und nicht allein das Lager des Präsidenten Gbagbo, begingen in den letzten Tagen also eine Reihe von Gräueltaten. Ihre Offensive rief liberianische Söldner und Milizen, die vor gut zehn Jahren im blutigen Bürgerkrieg Liberias kämpften, auf den Plan. Letztere werden durch die örtliche Bevölkerung besonders gefürchtet. Über 200.000 Menschen flohen inzwischen über die Grenze nach Liberia, in diesem Falle ging der Terror eindeutig von den Ouattara-treuen Kräften aus.

Und die Großmächte?

Die so genannten internationale Gemeinschaft plant derzeit kein offenes, etwa militärisches Eingreifen in der Cöte d’Ivoire - auch wenn Frankreich sich politisch zu profilieren versucht, indem es zusammen mit Nigeria, dem Hauptrivalen der Côte d’Ivoire, eine UN-Resolution gegen das Regime einbrachte. Darin wird unter anderem gefordert, den Einsatz von Artilleriewaffen im Stadtgebiet zu „verbieten“, was zwar prinzipiell eine vernünftige Forderung, aber derzeit schwer durchzusetzen ist – und als Vorschlag bei den UN letztlich nur der Profilierung Frankreichs diente.

Allerdings ist die „Staatengemeinschaft“ an der Zuspitzung des Konflikts insofern entscheidend beteiligt, als die führenden Großmächte – die, besonders im Falle Frankreichs und der USA, Alassane Ouattara als früheren Vizedirektor des IWF und darüber hinaus persönlichen Freund Sarkozys unterstützen – an dessen Strategie mitwirken, das Regime Gbagbos wirtschaftlich zu erdrosseln. Daran arbeitet auch die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (französisch CEDEAO, englisch ECOWAS) mit, die Konten des ivorischen Staates einfror. Ouattara, der seit November 11 in Abidjan im Luxushotel ‚Hôtel du Golfe’ verschanzt bleibt, forderte zudem alle Wirtschaftspartner der Côte d’Ivoire dazu auf, dem Plan keine Kakaoexporte abzukaufen. Zahlreiche Ladungen des Agro-Rohstoffs bleiben deswegen im Hafen von Abidjan ungelöscht, da viele einheimische Unternehmen sie ebenso wie etwa französische Firmen derzeit ruhen lassen. Die Regierung versuchte darauf zu reagieren, indem sie ankündigte, den Kakao-Export in staatliche Hand zu nehmen und die auf Halde liegenden Ladungen zu beschlagnahmen. Die US-Administration reagierte umgehend und bezeichnete dies als „Diebstahl“. Allerdings war die Kakaowirtschaft des Landes bis 1999/2000 weitgehend unter staatlicher Kontrolle gewesen, und deren Zerschlagung war ein absolut entscheidender Krisenfaktor, der das Land zu Anfang des letzten Jahrzehnts in den Bürgerkrieg taumeln ließ.

Die Gegenspieler Gbagbos hoffen, dass die wachsende Unfähigkeit seiner Regierung, etwa Staatsbediensteten noch ihre Löhne auszuzahlen, es früher oder später abwürgen wird. Diese Strategie des Erdrosselns lässt aber die Spannungen im Land, parallel zur ökonomisch motivierten Hoffnungslosigkeit vieler Haushalte, anwachsen. Wesentlich schlimmer noch ist unterdessen, dass etwa faktische Blockademaßnahmen Frankreichs und anderer EU-Länder – die als Druck gegen Gbagbo gerechtfertigt werden – dazu führt, dass derzeit etwa keine Medikamente in die Côte d’Ivoire durchkommen. Die Schiffe mit entsprechender Ladungen werden vor der Küste etwa von französischen Schiffen abgefangen und in Richtung Dakar (Hauptstadt des Senegal) umgeleitet.

Leidtragend ist bei alledem besonders die Bevölkerung, die zwischen den beiden Blöcken der oligarischen Führungsschicht des Landes gefangen ist. Zwar können beide Lager jeweils „ethnisch“ legitimierte Sympathien mobilisieren. Bevor die Côte d’Ivoire seit 2000 mehrere Male ethnonationalistischen Polarisierungen ausgeliefert wurde, war jede zweite geschlossene Ehe eine „Mischheirat“ zwischen so genannten ethnischen Gruppen. Der Machtkampf instrumentalisiert zwar ganze Bevölkerungsgruppen, kommt aber nicht aus der Mitte der Gesellschaft.
 

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.