Alles nur Identität in Zeiten der Prekarität?
Feministin kritisiert, dass sich die dekonstruktiven Gender Studies von der Analyse der Produktionsverhältnisse fernhalten

von Anne Seeck

04/11

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Am 6. April hatten die Internationalen Kommunisten wieder zu ihrem Roten Abend eingeladen. 70 BesucherInnen drängten zu dem Thema ”Queer, flexibel, erfolgreich. Haben dekonstruktive Ansätze den Feminismus entwaffnet?” ins Zielona Gora. Sie wollten Tove Soiland, Historikerin und feministische Theoretikerin aus der Schweiz, hören.

Zwischen dem Feminismus und den dekonstruktiven Gender Studies gibt es einen Konflikt. Soiland betonte gleich am Anfang: ”Wir müssen davon wegkommen, den Ausschlußdiskurs zu führen”, sie wolle die Polarisierung nicht weiter verschärfen.

Es sei heute politisch unkorrekt, von Feminismus zu sprechen, das würde z.B. andere Kategorien ausschließen. Die Gender-Theorie kommt von den cultural studies, wobei bei deren Übersiedlung von England in die USA die Kopplung der Kulturkämpfe mit den ökonomischen Verhältnissen verloren ging. Vermischt mit dem französischen Poststrukturalismus seien die ökonomischen Verhältnisse auf Sinn- und Sprachverhältnisse zurückzuführen. In der Sozialwissenschaft folgte ein Legitimationsdruck, nur noch mit bestimmten Kategorien zu arbeiten. So gab es Kritik an der Kategorie Klasse. Auch das Subjekt des Feminismus- die Frau- stand in der Kritik. Die Sprache schreibe Geschlechter als Identitäten fest, also müssen wir sie dekonstruieren, so die Theorie. Sämtliche gesellschaftliche Kategorien erscheinen als Identitäten.

Die Kämpfe um kulturelle Lebensweisen hätten zur Aufsplitterung geführt, betonte Soiland. Es sei wichtig zu begreifen, warum es diese Ausdifferenzierung gerade jetzt gibt. Die normative Zweigeschlechtlichkeit würde in einer Zeit kritisiert, in der sie an Bedeutung verliert, so Soiland. Sie könne nicht begreifen, warum bei den dekonstruktiven Gender Studies die ”heterosexuelle Matrix” dominiere. Soiland nimmt eher eine ”Dethematisierung von Geschlecht” wahr. Von Seiten der staatlichen Institutionen soll das Geschlecht keine Rolle mehr spielen. Alle sollen gleichgestellt werden. Es gibt zwar noch Diskriminierungen, aber wir müssten die Verschiebungen, den Wandel seit Ende der 1980er Jahre wahrnehmen.

”Über die Verkopplung der offiziellen Geschlechterpolitik und der Theorie müssen wir reden”, so Soiland, ”über die Anschlußfähigkeit der Gender- und Queer-Theorie an die neoliberale Geschlechterpolitik”. Wir seien gegenwärtig in der Phase der Zuspitzung des Neoliberalismus, in der sich die Hierarchien zwischen den Geschlechtern weiter verschärfen werden. Dieses würde aber nicht mehr über die tradierten Geschlechtsnormen geschehen, sondern über ökonomische Zwänge. ”Ökonomische Zwänge könne man nicht dekonstruieren”, so Soiland.

Es müsse thematisiert werden, wie die Frauen in den ökonomischen Produktionsverhältnissen positioniert sind. Als Beispiel nannte sie die Care-Ökonomie, ein wachsender Bereich der Hausarbeit, der in schlecht bezahlte Arbeit umgewandelt wird, das seien z.B. Erzieherinnen und Krankenschwestern.

Die Linke müßte darüber nachdenken, mit welchen Kategorien sie arbeitet. Wir müssten beginnen, uns zu verständigen, was wir heute mit Ideologiekritik meinen. Schließlich appellierte Soiland an die Linke: ”In der gesamten Linken müssen wir darüber sprechen, warum es so schwierig ist, sich in einem Kollektiv zu artikulieren...Wir müssen uns befragen, warum es dem feministischen Subjekt so schwer fällt, sich in einem Kollektiv zusammenzufügen.”
Wie es um den Feminismus bestellt ist, zeigte sich dann schnell in der Diskussion. Obwohl mehrheitlich Frauen anwesend waren, redeten fast nur Männer. Eine Teilnehmerin sagte, die Krise des Marxismus solle nicht auch noch der queer-feministischen Theorie angelastet werden. Ein Mann meinte, die Care-Arbeit sei eben simpel, deshalb auch schlecht bezahlt, das regle Angebot und Nachfrage. Als ein anderer Mann dann verkündete: ”Seid froh, dass es noch Sexismus gibt. Das zeigt, dass die Person noch eine Bedeutung hat.”, war es einigen Frauen doch zu viel.

Zum Schluß blieb ToVe Soiland noch die Feststellung, dass sich die Menschen in Zeiten, da sie von der Prekarität bedroht sind, mit ihrer eigenen Identität befassen. Es sei wohl ein Trost, dass wir die Identität noch selbst zusammensetzen können, wenn wir gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse nichts mehr tun könnten.
 

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir  von der Autorin. Erstveröffentlicht wurde in der Jungen Welt am 8.4.2011

Tove Soilands Thesen wurden veröffentlicht unter: http://www.akweb.de/ak_s/ak558/27.htm Dort erschien auch eine Kritik: http://www.akweb.de/ak_s/ak559/49.htm