Geschichte der linken Betriebsintervention
Jan Ole Arps: Frühschicht

rezensiert von Peter Nowak

04/11

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Was haben der Rüsselsheimer Opel-Betriebsrat Klaus Franz und der IG-Metallvorsitzende Berthold Huber gemeinsam? Beide haben als linke Aktivisten in den 70ern Jahren mit der Fabrikarbeit begonnen, um die Revolution voranzutreiben. Der Marsch durch die Institution DGB hat zwar nicht die Revolution, aber den zumindest den beiden ansehnliche Rentenansprüche beschert. Wie Franz und Huber sind in den 70er Jahren Tausende linke Aktivist_Innen aus politischen Gründen in die Betriebe gegangen und nicht alle haben als DGB-Funktionäre geendet. In den vielen Berichten über die 68er Bewegung blieb diese Betriebsarbeit oft ausgespart. Jetzt hat der Berliner Politikwissenschaftler Jan Ole Arps im Verlag Assoziation A ein gut lesbares, informatives Buch über dieses vergessene Kapitel linker Geschichte herausgeben. Angenehm ist, dass Arps die Aktivitäten nicht denunziert oder als Spinnerei abtut, wie es heute oft üblich ist.

Vielmehr erklärt der Autor, wie es zu dem Interesse an der Fabrik kam. Die Studierendenbewegung war schon 1968 an ihre Grenzen gestoßen, der SDS als größte Organisation war auf Grund von Flügelkämpfen gelähmt und löste sich bald auf. Arps macht deutlich, dass es nicht nur maoistisch orientierte Studierende sondern auch Anhänger der sogenannten undogmatischen Linken, später auch Spontis genannt, Betriebsarbeit machten. Arps hat mit ehemaligen Aktivist_Innen beider Richtungen gesprochen und arbeitet die Unterschiede heraus.

„Ich hatte vorher eine lange Matte und Bart und als ich dann zu Ford ging, da hatte ich die Haare ganz kurz“, erinnert sich der Ex-Maoist Reiner Schmidt an den Beginn seiner Fabrikintervention. Die verschiedenen maoistischen Gruppen hatten die Devise ausgegeben, dass die Neuarbeiter ihre subkulturelle Phase hinter sich sollen. Die Undogmatischen propagierten den umgekehrten Weg. „Es ging nicht um Anpassung ans Arbeiterdasein, sondern die Bewahrung rebellischer Subjektivität … trotz der Arbeit bei Opel“, schreibt Arps. Sie wohnten weiter mit anderen Genoss_Innen in Wohngemeinsamkeiten und nutzten die linke Szene, um sich von der Fabrikarbeit zu erholen. Die Revolution konnten beide Strömungen in der Fabrik nicht ausrufen. Aber die Intervention hatte zumindest für die Spontis vorher nicht erwartete Folgen. Viele vor allem der jungen Arbeiter_Innen begeisterten sich für deren Lebensstil. „Sie entflohen der Enge des elterlichen Zuhauses und der Monotonie der Fabrik, zogen in eine der vielen Szenewohnungen und begannen zu jobben und schalteten sich in die aufkommenden Hausbesetzungen in Frankfurt ein.“ Während die Spontis bald Abschied von der Fabrik nahmen und sich in Stadtteil- oder Jobberinitiativen einbrachten, wurden aus manchen Ex-Maoisten linke Gewerkschaftsaktivist_Innen. Das war aber nur möglich, wenn sie die Agitationsanleitungen ihrer Parteien ignorierten und an den konkreten Problemen im Betrieb ansetzten. „Die Konkurrenz der Linken untereinander wirkte befremdlich, ebenso die ständige Wiederholung, dass wir Arbeiter dieses oder jenes nicht gefallen lassen sollen“, erinnert sich E-Maoistin Ingrid Köster an die erste Zeit ihrer Betriebsintervention.

Jenseits von Spontis und Maoisten

Das Buch ist auch eine Fundgruppe für die jüngere linke Geschichte. Wer kennt schon noch die kurze Geschichte des Zusammenhangs Proletarische Front (PL), die ihre Intervention in die Arbeitswelt weder in der Art und Weise der Spontis noch der Maoist_Innen begründete, sondern sich an der italienischen Potere Operaio orientierte und die reflektiere, dass die Machtfrage nicht in den Fabriken gelöst wird? Am Abend des 9. Mai 1975 wurde bei einem Schusswechsel in Köln zwei Menschen getötet, unter Anderem Werner Sauber und der Arzt Karl-Heinz Roth schwer verletzt. „Vieles deutet daraufhin, dass in jener Nacht in Köln Versuche, eine Fabrikguerilla nach dem Vorbild der frühen Roten Brigaden auch in der Bundesrepublik Deutschland aufzubauen, ihr Ende gefunden haben könnte“, schreibt Arps sehr vorsichtig. Jedenfalls war es das Ende der PL, eines Ansatzes jenseits der Spontis und des Maoismus. Es ist den Autor hoch anzurechnen, dass er ihn dem Vergessen entrissen hat.

Auch die Geschichte des Fordstreiks in Köln von 1973, bei dem verschiedene linke Gruppen mit mäßigen Erfolg versuchten, die rassistische Mobilisierung der deutschen Arbeiter_Innen, viele von ihnen DGB-Mitglieder, zu bekämpfen, ist noch immer sehr aktuell. Denn angesichts der sogenannten Arbeitnehmerfreizügigkeit reagieren auch heute viele Gewerkschaftsmitglieder eher mit Abgrenzungsversuchen als mit der einzig richtigen Forderungen: Die Lohnabhängigen überall zu organisieren, egal aus welchen Land sie kommen. Das ist allerdings nicht der einzige Punkt, wo einen das Buch sehr aktuell vorkommt.

Und heute?

Arps zeigt in den letzten Kapiteln, wie die Computerisierung den Beschäftigten auch manchen Freiraum genommen hat, den sie sich in den großen Fabriken oft erkämpft hatten. „Mit der Computerisierung könnte der Meister oder der Akkordfachmann nun im Büro ohne Wissen des Arbeiters die Daten abrufen. Wie viel Stück hat er in der ersten Stunde gemacht? Wann stand die Maschine still?“ zitierte Arps den Betriebsrat Willi Hoss. Heute sind viele Beschäftigten gezwungen prekäre Arbeiten zu verrichten und sitzen vereinzelt zu Hause. Selbstorganisation und Organisierung statt linke Fabrikintervention lauten die aktuellen Fragestellungen. Dabei ist zu fragen, ob eine linke Intervention in die Arbeitsgesellschaft nicht in einer Zeit einfacher sein müssten, in der die Lohnarbeit oft nicht mehr hinter dicken Fabrikmauern sondern am Laptop im Cafe, der eigenen Wohnungen, im Park verrichtet wird. Jedenfalls ist es heute oft nicht mehr nötig, dass Linke mit Zeitungen vor dem Fabriktor stehen müssen, um die Arbeiter_Innen zu überzeugen, sie muss sich oft nur selber organisieren. Das wäre vielleicht heute der wichtigste Beitrag einer linken Intervention am Arbeitsplatz.

 
 

Jan Ole Arps
Frühschicht

Linke Fabrikintervention in den 70er Jahren

Assoziation A
Berlin-Hamburg 2011| 238 Seiten |
16.00 Euro, , ISBN 978-3-935936-83-5