Demokratie, soziale Reproduktion und Prekarisierung
Bericht von zwei "Roten Abenden" und ein Veranstaltungshinweis

von Anne Seeck

04/12

trend
onlinezeitung

Zwei interessante Vorträge und Diskussionen gab es bei den letzten Roten Abenden der Internationalen Kommunisten.

Am Mittwoch, d. 1.2. 2012 referierte Thomas Wagner über Bürgerbeteiligung. Direkte Demokratie spielt inzwischen auch in rechten Kontexten eine große Rolle. Selbst Angela Merkel wolle in einen Dialog über die Zukunft Deutschlands eintreten. Die Demokratisierung der Demokratie gehöre zum Standardrepertoire von Teilen der Herrschenden. Sie fordern eine Zurückdrängung der Parteienmacht. Im Kern geht es aber um eine plebiszitäre Absicherung der Elitenherrschaft. Es geht um die Vergrößerung des Einflußes jener Kräfte, die ohnehin schon mehr zu sagen haben. Es geht darum, den Einfluß der abhängig Beschäftigten zurückzudrängen. Die vielfach gepriesenen Beteiligungsformen stellen eine Hürde für Angehörige benachteiligter Schichten dar. Vorschläge sind z.B, Stimmen anders zu gewichten, das Mehrheitswahlrecht einzuführen. Direktdemokratie wird dann zu einem demokratisch legitimierten Autoritarismus. (z.B. Ausschaffungsinitiative in der Schweiz) Der Bereich der Ökonomie bleibt natürlich von der Demokratisierung ausgeschlossen.

Thomas Wagner schreibt: "Zwischen bürgerlichen Intellektuellen und neurechten Ideologen haben sich bemerkenswerte Übereinstimmungen in Fragen der politischen Zielsetzung und der richtigen Strategie herausgebildet. Durch die Umdeutung und Vereinnahmung des Demokratiebegriffs soll das politische System aus den Angeln gehoben werden. „Direkte Demokratie durch bindende und verpflichtende Volksabstimmungen auf allen politischen Ebenen kann den Bürger als Souverän wieder in den Mittelpunkt rücken. Unmittelbare Volkswahl könnte den Bundespräsidenten dem Parteien-Hickhack entziehen und als überparteiliche Institution stärken“, umriss die Junge Freiheit das gemeinsame Politikprojekt."

Hier ein Artikel von Thomas Wagner "Demokratie als Mogelpackung": http://www.freitag.de/politik/0926-demokratie-partizipation-wahlrecht und das im August 2011 erschienene Buch: http://www.papyrossa.de/sites_buchtitel/wagner_demokratie.htm

Am Mittwoch, d.7.3.2012 refererierte Gaberielle Winker über die Krise der sozialen Reproduktion. Man dürfe nicht nur von der Lohnarbeit sprechen. Die Gesellschaft vernachlässige ihre eigene soziale Reproduktion. Die Krisenursachen seien eng mit den veränderten Geschlechterverhältnissen verbunden. Notwendig sei eine Weiterentwicklung der Kritik der politischen Ökonomie unter Einbeziehung von Reproduktionsarbeit. Neben den Klassenverhältnissen gebe es Geschlechter-, Rassen- und Körperverhältnisse. So gebe es Hierarchien bei den Körperverhätnissen: jung, alt, gesund, krank, attraktiv, nicht attraktiv etc.

Die Reproduktionsarbeit seien Tätigkeiten, die nicht warenförmig seien, sondern am Gebrauchswert orientiert sind. Das sind Ernährung, Erziehung, Bildung, die Reproduktion der eigenen Arbeitsfähigkeit und die Versorgung unterstützungsbedürftiger Menschen. Es werden 96 Mrd. Stunden Reproduktionsarbeit geleistet, bei der Lohnarbeit sind es 56 Mrd.

Im Fordismus gab es ein ausgeprägtes Ernährermodell mit einem Familienlohn für den Mann, die Reproduktionsarbeit der Frau. Tarifverträge und Ehegattensplitting. Das war ein teures Modell. Inzwischen haben sich die Kapitalverwertungsbedingungen verschlechtert. Es entstanden prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Die Berufstätigkeit von Frauen ist zunehmend erforderlich und erwünscht. Es gab Reallohnsenkungen, der Familienlohn wurde abgebaut. Es gibt eine steigende Frauenerwerbstätigkeit. Die Lohnarbeit wurde intensiviert. Der Sozialstaat dereguliert. Die Reproduktionsaufgaben für sich selbst und andere nehmen zu. Die Ideologie ist ein neoliberales Konzept der Eigenverantwortung.

Die Krise sozialer Reproduktion im Neoliberalismus bedeute Zeitnot und Existenzangst, ein Balanceakt zwischen Verkauf und Sicherung der Arbeitskraft. Der Traum von Frauenemanzipation wurde in den Dienst der kapitalistischen Akkumulationsmaschine gestellt. Gleichzeitig ist keine Zeit mehr da für die Reproduktionsarbeit, die für das individuelle Leben und die Kapitalakkumulation grundlegend ist. Wie sollen z.B. Alleinerziehende die Anforderungen der Arbeitswelt erfüllen, bei gleichzeitiger Reproduktionsarbeit.

Care Work ist die Gesamtheit der familiären Sorgearbeit sowie Erziehungs- und Betreuungstätigkeiten in Institutionen wie Kindergärten, Schulen, Altersheimen.

Familienpolitik ist Wirtschaftspolitik! Mittel sind ein erhöhtes Elterngeld nur für Leistungsfähige, die KITA- Vorgaben, Betreuungspläne, die Unterhaltsreform, niedriges Pflegegeld, Akzeptanz von Schwarzarbeit im Haushalt.

Wir müssten heute von den notwendigen Grundbedürfnissen aus denken. Wir brauchen Zeit für die Reproduktionsarbeit: Sorge für sich selbst, Kindererziehung, Betreuung unterstützungsbedürftiger Erwachsener. Wir brauchen Zeit für Gemeinwohlarbeit und politisches Engagement. Wir brauchen Muße bei gleichzeitiger sozialer Absicherung. Die Existenzgrundlagen müssen gesichert sein.

Ein Artikel von Gabrielle Winker "Soziale Reproduktion in der Krise – Care Revolution als Perspektive"

Veranstaltungshinweis:

Der nächste Rote Abend am 4. April 2012 wird sich im Vorfeld des 1. Mai mit aktuellen Kämpfen in Berlin befassen. Ein Mitstreiter der Stadtteilinitiative Schillerkiez wird über Stadtteilkämpfe in Berlin berichtet. Joachim Maiworm vom Solidaritätskomitee Angelika- Maria Konietzko wird die prekären Arbeitsbedingungen im Pflegesektor und den "Fall" von Angelika beleuchten. Ein Mitstreiter von FelS wird die Ergebnisse der Befragungen am Jobcenter Neukölln vorstellen. Die Veranstaltung beginnt um 20 Uhr und findet im Zielona Gora, Grünberger Str.73 in Friedrichshain statt.

Editorische Hinweise

Wir erielten den Artikel von der Autorin.