Das Tarifergebnis für die Beschäftigten
bei Bund und Kommunen vom 31. März 2012 ist kein Ergebnis „mit
viel Licht, aber auch Schatten”, wie Frank Bsirske uns
weismachen möchte, sondern ein Ausverkauf auf ganzer Linie:
Keines der angestrebten Ziele wurde erreicht! Schlimmer noch:
Ohne Not wurde ein tariflich erkämpfter Urlaubstag geopfert.
Noch in den Tarifverhandlungen wurde von der ver.di-Spitze
verbreitet, dass es dies Mal anders laufen werde. Keine
Schlichtung, Aufholen der Lohnverluste der letzten Jahre,
Verbesserungen für Auszubildende und Geringverdiener. Das drückte
die Forderung aus: 6,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 200
Euro, bei 12 Monaten Laufzeit. 100 Euro für die Auszubildenden
mit anschließend unbefristeter Übernahme.
1. Laufzeit
Es wurde klar festgehalten, dass diese 12 Monate betragen
sollte. Jetzt wurde die Laufzeit auf 24 Monate verlängert und
dafür benutzt durch Aufsummierung von mickrigen Prozenten den
Abschluss auf 6,5% hochzurechnen. Zum vierten Mal wurde die
Chance verspielt mit den KollegInnen der Länder gemeinsam in die
Tarifauseinandersetzung zu gehen.
2. Prozentzahl
6,5 Prozent bedeutet nicht, im ersten Jahr 3,73 Prozent und im
zweiten Jahr 2,216 Prozent. Zwar liegt dieses Ergebnis im ersten
Jahr über der Inflationsrate von 2011, gleicht aber bei weitem
nicht den Reallohnverlust der letzten Jahre aus. Erinnert sei
nur an die Splittung aus dem Jahr 2011 mit 0,6 Prozent und 0,5
Prozent, das auf`s Jahr 0,8 Prozent betrug (und nicht 1,1
Prozent).
2,216 Prozent für das zweite Jahr bedeutet wieder
Reallohnverlust, und es ist noch nicht abzusehen, wie die
Entwicklung 2012/13 sein wird – sie verheißt jedoch nichts
gutes. Die steigenden Benzinpreise verheißen jedenfalls nichts
gutes.
Das Aufsummieren bringt ebenso rein gar nichts: Dieser Logik
folgend hätte auch ein Tarifabschluss von 15,75 Prozent,
aufgeteilt in verschiedene Abstufungen über 60 Monate
ausgehandelt und als Erfolg verkauft werden können. Ebenso ist
völlig umstritten, was für eine Lohnerhöhung
jetzt real bei den KollegInnen ankommen wird. Verschiedene
Berechnungsmethoden kursieren. Ein Grund mehr, warum sich das
Netzwerk für klare Festgelderhöhungen einsetzt. Die sind für
jeden einfach nachprüfbar.
3. Soziale Komponente
Zentraler Bezugspunkt der aktuellen Tarifrunde waren die
mindestens 200 Euro. Das hätte für die unteren Einkommensgruppen
angesichts der explodierenden Lebenshaltungskosten den
dringenden Nachholeffekt bewirkt und den immer größer werdenden
Abstand zu den oberen Lohngruppen verringert. Doch hier wurden
die KollegInnen mit geringem Einkommen gänzlich im Stich
gelassen. Für 130.000 KollegInnen heißt es weiterhin:
Aufstocken mit Hartz IV. Allein die „kategorische
Weigerung der Arbeitgeber“ in diesem Punkt hätte für die ver.di-
Verhandlungsführer ausreichend sein müssen, die Gespräche für
gescheitert zu erklären. Es wurde ja nicht einmal der Versuch
unternommen, soziale Komponente und prozentualer Zuwachs zu
kombinieren.
Laut Tabelle TVÖD VKA ab 1. März 2012 macht die
Lohnerhöhung für die Gruppen 1 – 9/3 +10/1
zwischen 50,71 und 96,52 Euro aus, erst darüber beträgt das
Lohnplus zwischen 100,58 und 192,81. Selbst bei der 2-jährigen
Laufzeit haben die Lohngruppen bis 9/4, bzw.10/3 die 200
Euro-Marke nicht erreicht ( Diff. Tabelle-Summe TsöD wp 30. März
2012).
4 a. Auszubildende Gehalt
Bitter muss es für die jungen KollegInnen sein, die mit viel
Elan, Phantasie und Kampfeswillen in die Verhandlungen gezogen
sind und nun für die ersten 17 Monate mit 50 Euro monatlich
abgespeist werden. Hier wird, wie allgemeingesellschaftlich
längst Realität, bei und an der (Aus-) Bildung gespart. Obwohl
sie mit den gleichen Lebenshaltungskosten konfrontiert sind,
wird ihnen die zweite Tariferhöhungsstufe wegkompensiert, sie
haben also 5 Nullmonate – von März bis Juli 2013. Ab der dritten
Tariferhöhungsstufe im August 2013 gibt es für 7 Monate noch 40
Euro hinzu. Rechnet man das nun auf das volle Tarifjahr um, so
bleiben im Durchschnitt lediglich 24 Euro monatlich.
4 b. Auszubildende Übernahme
Was ver.di als „unbefristete Übernahme“ bejubelt, relativieren
sie selbst im Nachsatz. Denn die folgenden Zusätze und
Einschränkungen bedeuten, dass die Übernahmeregelung
völlig unverbindlich ist.
5. Urlaubsregelung
Als Skandal muss das Vorgehen in der Frage des Urlaubsanspruchs
gesehen werden. Der Urlaub war in einer Gehaltsrunde nicht Thema
der Verhandlungen. Erst Tage zuvor wurde vom
Bundesarbeitsgericht (BAG) festgestellt, dass die Aufsplittung
des Urlaubsanspruchs im Manteltarifvertrag ( 26, 29, 30 Tage)
nach Alter nicht zulässig sei, sondern das alle Beschäftigten,
egal welchen Alters Anspruch auf 30 Tage haben.
In seinem Flugblatt vom 26. März 2012 hat das Stuttgarter
Netzwerk schon darauf hingewiesen, dass Urlaub nicht als
Kompensation genommen werden dürfe, zu Mal es sowieso nur eine
Gehaltsrunde sei. Doch dazu ist es gekommen. Nun sollen die
Auszubildenden 27 Tage Urlaubsanspruch haben, die Beschäftigten
bis 55 (!) Jahre 29 Tage und danach 30 Tage.
Die Begründung dafür lautet: „Niederschriftserklärung zu § 26
Abs. 1: Die Tarifvertragsparteien sind bei der Neuregelung
übereinstimmend (sic !) davon ausgegangen, dass für
Beschäftigte, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, ein
entsprechend höherer Erholungsbedarf besteht. Deshalb ist für
diese Beschäftigten ein zusätzlicher Urlaubstag gerechtfertigt.“
Es stellt sich doch unweigerlich die Frage, warum
das bisher schon ab 40 war, und jetzt falsch gewesen ist.
Es verhöhnt geradezu alle Beschäftigten, die seit Jahren mit
enorm gesteigerter Arbeitsverdichtung konfrontiert sind,
bei gleichzeitiger Wochenarbeitszeiterhöhung auf
39 bis 41 Stunden. Es entwürdigt die Beschäftigten, die sich im
Pflegebereich und Bereichen mit schwerer körperlicher Arbeit
ihren Rücken kaputt heben. Es lässt gänzlich außer Acht, dass es
in den letzten Jahren einen dramatischen Anstieg psychischer
Erkrankungen, wie das Burn-out-Syndrom gab und gibt.
Behauptet nun die Verhandlungsführung in ihrem „Extra – 5“, man
kann das auch, entsprechend der nummerierten Auflistung als
minus 5 lesen: „Die Arbeitgeber haben diese Frage in der
Tarifrunde auf die Tagesordnung gesetzt und ohne Neuregelung ein
Tarifergebnis ausgeschlossen. Sie drohten sogar mit Kündigung
der Urlaubsvorschriften.“ So fragen wir uns, warum ver.di
eingeknickt ist und nicht Streik auf die Tagesordnung gesetzt
hat.
Stimmt mit Nein bei der Mitgliederbefragung
Wie zu erfahren war (Junge Welt 2. April 2012), hat die
Tarifkommission den ausgehandelten Kompromiss zunächst
abgelehnt. Darauf hin hat Bsirske einzelne Delegationen in
separaten Gesprächen so lange bearbeitet, bis die zweite
Abstimmung eine knappe Mehrheit für den Abschluss ergab.
Wir forderten in der Vergangenheit und fordern für die Zukunft:
Keine geheimen und abgeschlossenen, sondern transparente und für
die Mitglieder jeder Zeit nachverfolgbare Verhandlungen.
Es darf nicht sein, dass man drei Tage nur Gerüchte
hört und in Unwissenheit gehalten wird. Transparenz drückt sich
in soweit aus, dass nach jedem Verhandlungsteilschritt
informiert wird und dass vor einer Abstimmung die Möglichkeit
der Rückmeldung der Mitlieder an die (einzelnen)
Tarifdelegationen besteht. Im Zeitalter der elektronischen
Kommunikation sollte das keine unüberwindbare Hürde sein.
Die Vorraussetzungen in dieser Tarifrunde waren günstig zumal es
die Perspektive gab mit den Kolleginnen von Telekom und Metall
gemeinsam zu streiken. Mehr als 300.000 KollegInnen beteiligten
sich an der zweiten Warnstreikwelle. In vielen Bereichen war die
Beteiligung sehr groß bis nahezu 100 Prozent. Darauf hätte man
aufbauen können. Druckpotenzial war also mehr als vorhanden. In
Ostdeutschland wäre es schwieriger gewesen, heißt es aus
ver.di-Kreisen. Doch wie soll man denn eine Gewerkschaft
aufbauen, wenn man nicht kämpft? In Berlin haben die KollegInnen
bei Charite und CFM gezeigt, dass auch mit niedrigen
Organisationsgrad erfolgreiche Kämpfe möglich sind, neue
Mitglieder für die Gewerkschaft gewonnen werden können.
Aber von der ver.di-Spitze wurden die Warnstreiks nicht als
Ausgangspunkt eigener Stärke begriffen, um darauf aufbauend die
mehr als berechtigten Forderungen in einem Erzwingungsstreik
durchzusetzen, sondern es wurde mal wieder ein Ausverkauf
betrieben. Daher lehnen wir das vorläufige Verhandlungsergebnis
ab und fordern alle KollegInnen auf, dies in der
Mitgliederbefragung ebenfalls zu tun.
Die ver.di-Spitze droht nun mit einem Zurück auf Null, und damit
dass die Arbeitgeber eine harte Linie fahren werden. Die Antwort
kann nur sein, dass wir dann auch eine harte Linie fahren
müssen. Mal sehen was passiert wenn nicht nur die Kitas
geschlossen sind sondern auch am Frankfurter und anderen
Flughäfen nichts mehr geht. Die Kampfbereitschaft ist da. Der
Unmut über den Abschluss ist auch ein Beweis dafür. Mit
Betriebsversammlungen und Diskussionen könnte rasch ein
effektiver Erzwingungsstreik vorbereitet werden, der die
Arbeitgeber in die Knie zwingen würde.
Radikalen Kurswechsel durchsetzen
Gerade aufgrund der sich verschärfenden Staatschulden- und
kapitalistischen Krise brauchen wir dringender denn je
kämpferische und demokratische Gewerkschaften. Wenn wir nicht
die volle Kampfkraft der Gewerkschaften in die Waagschale
werfen, werden Unternehmer und Regierungen ihre Politik der
Umverteilung von unten nach oben radikal fortsetzen. Wir
brauchen konsequent geführte Tarifkämpfe, Streiks in einzelnen
Branchen, brachenübergreifende gemeinsame Streiks, Massen- und
Generalstreiks.
ver.di braucht innergewerkschaftliche Opposition
Die Tarifrunde bei Bund und Kommunen hat gezeigt, dass der
ver.di-Vorstand eher die Interessen der Arbeitgeber vertritt als
die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder. Anstatt die
Wahlen in NRW und die Bundestagswahl im nächsten
Jahr als Vorteil für einen erfolgreichen Tarifkampf zu nutzen,
nehmen Bsirske und Co. Rücksicht auf Regierungen und etablierte
Parteien. Mit dem Tarifabschluss sorgen sie dafür, dass die
nächsten Milliarden wieder bei den Banken landen und nicht bei
den Beschäftigten. Oder anders ausgedrückt: Bsirske ist die
Sanierung der Finanzen von Banken und Staat wichtiger als die
Behebung der Finanzkrise der Erzieherinnen, Müllwerker, und
KrankenpflegerInnen. Diese staatstragende Haltung der
ver.di-Führung können wir uns nicht länger leisten. Wir müssen
einen radikalen Kurswechsel von unten durchsetzen. Die Politik
der Gewerkschaften muss von der Basis bestimmt werden und nicht
von abgehobenen Apparatschiks. Wir brauchen Funktionäre, die die
Interessen der Basis vertreten und nicht mehr verdienen als
einen Durchschnittslohn. Die Mitglieder der
Bundestarifkommission und alle anderen Funktionäre müssen
jederzeit rechenschaftspflichtig und abwählbar sein. Um das zu
erreichen, müssen wir eine schlagkräftige
innergewerkschaftliche Opposition aufbauen. Wir fordern alle kämpferischen
Kolleginnen und Kollegen, ver.di-Mitglieder und Nicht-Mitglieder
auf, mit uns dafür zu kämpfen. Nehmt Kontakt mit uns auf. Lasst
Euch in unseren Verteiler aufnehmen. Kommt zum nächsten
bundesweiten Netzwerktreffen.
Editorische Hinweise
Wir erhielten die Stellungnahme am
5.4.2012 mit folgendem Begleitschreiben:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend die Stellungnahme des Netzwerkes für eine
kämpferische und demokratische Ver.di
zum Tarifergebnis im öffentlichen Dienst. In
der Anlage auch als layoutetes Flugblatt zum weiterleiten,
ausdrucken, aushängen und verteilen.
Mit solidarischen Grüßen
Michael Begoll
i.A. des Sprecherrates
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