Staatsrettung oder Bankenrettung
Worum geht es bei der Zypern-Propaganda?

Von Walter Schumacher

04-2013

trend
onlinezeitung

Ziemlich unvermittelt und hochdramatisch [1] haben die öffentlichen Medien berichtet, dass die Europäische Zentralbank letzte Woche Zypern beauftragt hat, innerhalb von fünf Tagen einen Eigenanteil von 5,8 Milliarden Euro aufzutreiben, um danach einen zehn Milliarden Dollar schweren Bailout von der Europäischen Union zu erhalten. Andernfalls werde die Zentralbank die bankrotten zypriotischen Banken nicht länger stützen und der Regierung drohe der Staatsbankrott.

Bankenrettung aus Sicht von Kapitalisten

Aus Sicht der zypriotischen Banken und deren Kreditgeber wird das erklärlich: Sie haben bis März 2013 zwischen 12 bis 17 Milliarden Euros verzockt. Dieses Geld ist jedoch weder „verbrannt“ noch „verschwunden“, sondern es ist aus den Taschen der zypriotischen Banken/Kreditgeber in das Eigentum anderer Kapitalisten gewandert; sei es in Form von Zinsen oder als Fehlspekulationen, bei denen die zypriotischen Banken verloren, die anderen aber gewonnen haben.

Der Verlust von so vielen Euros schmerzt Kapitalisten und sie würden den Verlust gerne ersetzt bekommen. Da bietet sich die bekannte EU-Methode „Rettet die Banken“ an. Die Rettung geschieht durch entsprechende Kreditzahlungen mit frischem Geld - und schon haben die Kapitalisten ihre Konten wieder aufgefüllt.

Danach geht alles weiter wie vorher, aber mit einem Unterschied: Die Bürger Europas (hier Zyperns) bürgen für diesen Kredit und müssen - sobald er faul geworden ist - dafür bares Geld aus dem Steueraufkommen bezahlen. Dadurch entsteht eine Verschuldung Zyperns, die über Jahrzehnte nicht beendet sein wird.

Man könnte nun weiter analysieren, was mit den Zinszahlungen bei der Abzahlung dieser Verschuldung geschieht. Man könnte zeigen, dass genau diejenigen Kapitalisten, für deren Entschuldung die Schulden entstanden sind, die Zinsen für diese Schulden selber abkassieren. Aber an dieser Stelle geht es um die einfachere Frage:

Was soll eigentlich in Zypern gerettet werden? Worum geht es?

Die Propaganda-Orgie

Wir werden überschüttet mit Artikeln zum Thema „Zypern soll gerettet werden“ und deshalb müssen die Banken von Zypern gerettet werden.

Hallo? Welcher Zusammenhang besteht eigentlich zwischen einer Rettung Zyperns vor Zahlungsunfähigkeit und der Insolvenz von zypriotischen Banken?

Um das Ganze zu verstehen sind einige Fragen zu klären.

Geht es um Arbeitsplätze?

Ist es denkbar, dass die Banken Zyperns deshalb gerettet werden müssen, weil andernfalls, bei einer Pleite von Banken, die dortigen ARBEITSPLÄTZE verloren gehen, Menschen arbeitslos werden, Steuern entfallen würden - und deshalb Zypern gefährdet wäre? Die Antwort: ziemlich sicher nicht. Solche Kosten sind eher gering. (siehe Artikel „Bankenrettung oder Bankenbankrott?“, [2])

Der eigentliche Zweck der Transferleistungen ist, dass das Geld, welches an Zypern überwiesen wird, zum größten Teil SOFORT an die Bänker weitergeleitet wird. Ein geringer Restteil wird natürlich auch für staatlich nützliche Aufgaben verwendet werden. Die insgesamt entstandenen Schuldenverpflichtungen werden aber zu realen, ECHTEN Schulden für die zypriotische Bevölkerung.

Sind die zypriotischen Banken insolvent?

In den Medien wird das nicht mit konkreten Zahlen belegt. Wir können es vermuten oder aufgrund von politischen Annahmen unterstellen. Aber was wirklich los ist, können wir derzeit nicht mit Zahlen nachprüfen.

Vermutlich ist das Hauptproblem, dass die zyprischen Banken in großem Stil in griechische Staatsanleihen investiert haben, um schnellen Profit zu machen. Aber wegen der teilweisen Schuldenabschreibungen, die die BesitzerInnen griechischer Anleihen hinnehmen mussten, führte dies zu einem massiven Liquiditätsproblem und die kleine Volkswirtschaft Zyperns war nicht in der Lage, für eine Rekapitalisierung der Banken zu sorgen.

Die zypriotische Banken sind private kapitalistische Unternehmen, keine Staatsbetriebe. Sie müssten deshalb der normalen kapitalistischen Logik genügen: wer insolvent wird, muss auch bankrott gehen, mit allen Konsequenzen für deren Besitzer und Kreditgeber.

Ist der zyprische Staat pleite?

Eine ähnliche Wissenslücke besteht bei den Zahlen über die staatliche zypriotische Zahlungssituation. An diese Zahlen kommt ein Normalbürger nicht heran. Auf Grund dieses mangelhaften Wissens getraut sich offenbar niemand, den geplanten „Stützungsmaßnahmen“ zu widersprechen. Viele warten eher ab. Erst wenn bezahlt ist, spätestens aber in ein, zwei Jahren, wenn alles vorbei ist und die Schuldenfalle längst zugeschnappt ist, dann werden die Zahlen offengelegt. Dann werden wir erfahren, dass der Kredit aus Staatssicht eigentlich unnötig war! Aber JETZT, in der aktuellen Situation, sind die meisten Kritiker wie gelähmt!

Aus zwei Gründen sind Darlehen der EZB an Zypern denkbar:

  • Staatsanleihen (bzw. deren Zinszahlungen) Zyperns sind fällig und Zypern hat weder Geld dafür noch kann es neues auf den Kreditmärkten aufnehmen.

  • Die Banken des Landes sind (aus welchen Gründen auch immer) überschuldet und sollen mit frischem Geld versorgt werden, weil sie andernfalls Insolvenz anmelden, d.h. bankrott gehen müssten.

In Zypern ist der zweite Fall eingetreten. Aber gilt das auch für den ersten Fall?

Die Erpressung

Offenbar will die EU unbedingt, dass Zyperns Banken vom zyprischen Staat Geld bekommen sollen. Weil Zypern möglicherweise da nicht so recht pariert, wird seitens der EU Druck ausgeübt. Mit anderen Worten: „Euer Staat wird insolvent, wenn ihr jetzt nicht ganz schnell ganz viel Schulden macht. Einen Teil davon dürft ihr für eure eigenen (staatlichen) Miesen verwenden, aber den Löwenanteil reicht ihr umgehend weiter an die Bankster!“. Intern ist allen klar, dass dieses Geld umgehend in privaten Kanälen verschwinden wird.

Die Konsequenz dieser Erpressung: Der Staat Zyperns (und damit dessen Bevölkerung) hat ab dem Moment Schulden in gigantischer Höhe: einen Anteil des geliehenen Geldes zum Erhalt des Staatshaushaltes PLUS dem großen Anteil Geld, der in die Bankensumpf gewandert ist und dort dauerhaft verloren sein wird.

Zur Verdeutlichung:

Es geht hier um einen Gesamtkredit von 17 Milliarden Euro für eine Bevölkerung von weniger als eine Millionen Einwohner (etwa wie Köln). Das sind ab dann Schulden von 17.000 € pro Kopf!

Eine Besonderheit DIESER Bankenrettung

Bei der zypriotischen Banken sollen erstmals auch Einleger mit insgesamt 5,8 Milliarden Euro an den Kosten der Bankenrettung beteiligt werden. (Zum Thema Kleinanleger unter 20.000 € folgt weiter unten noch eine Anmerkung.) Man kann vermuten, dass das Ausdruck eines Widerspruchs zwischen westlichen und russischen Kapitalisten ist, weil in Zypern der Anteil russischer Anleger besonders hoch ist. Einerseits werden westliche Kapitalisten ungern ihren russischen Konkurrenten ökonomische Rettung zugestehen; außerdem sind da aber sicher auch noch alte Reflexe aus den Zeiten des Kalten Krieges gegen die UDSSR.

Warum überhaupt die Banken retten?

Es bleibt jedoch die Frage im Raum, warum Zypern überhaupt 17 Mrd. Euro bekommen soll. Rund 11 Mrd. Euro davon sind einzig und allein für die Rekapitalisierung des überdimensionierten und zutiefst maroden Bankensystems der Insel vorgesehen. Man will also Banken, die zusammen rund 500 Mio. Euro wert sind, für das zweiundzwanzigfache ihres Wertes „retten“.

Das ist Irrsinn pur! Sollte dieser Irrsinn Wirklichkeit werden, würde sich die Staatsschuldenquote Zyperns zudem mit einem Schlag von 90% auf 160% erhöhen – ein Wert, der in der absehbar kommenden Rezession viel zu hoch ist. Zypern [würde] die Einleger seiner Banken retten und dafür einen fast sicheren kommenden Staatsbankrott [provozieren]. (Zitat aus [3])

Die 6,75% Beteiligung: taktischer Fehler oder Ablenkungstrick?

Auf dem Höhepunkt der o.g. Propaganda-Orgie kam der Vorschlag mit einer 6,75% Beteiligung der Kleinsparer mit unter 20.000 € Geldanlage an der Bankenrettung. Reflexartig stürzten sich alle Linken auf diesen Teil des Skandals. Leider wurde dadurch aber die EIGENTLICHE Sauerei, nämlich „Die Bankenrettung“ übersehen. Die moralische Entrüstung hat bei den meisten das Denken ausgeschaltet und das wirkliche Problem zur Nebensächlichkeit gemacht.

Eine ähnlich große Entrüstung hätte man sich schon bei ALLEN bisherigen Bankenrettungsaktionen gewünscht, die schließlich allesamt von den kleinen Leuten in Europa bezahlt werden!

Jedenfalls hatte dieser 6,75%-Vorschlag ein doppeltes Ergebnis:

  • Kleinsparer lassen sich nicht widerspruchslos „rasieren“

  • aber die Aufmerksamkeit lies sich erfolgreich von der unsinnigen Verknüpfung „Rettung der zypriotischen Banken“ & „Rettung von Zypern“ weglenken.

Versagen der bürgerlichen Presse als vierte Gewalt

Könnte man zu den aufgeführten Fragen reale Zahlen in der bürgerlichen Presse lesen, dann wäre vielleicht nachvollziehbar, was da los ist und was richtig und falsch ist. Auffällig aber ist, dass es KEINE Zahlen (für uns) gibt.

Für Profis gibt es vielleicht schon heute konkrete Zahlen und in einem Jahr werden auch wir mehr wissen. Aber zur heutigen Bewertung dessen, was da geschieht, fehlen die Zahlen!

Die Vermutung bleibt: Hier wird verschwiegen und pauschalisiert, um Angst zu erzeugen und Denken zu verhindern. Nachfragen diesbezüglich sowohl in der Linkspartei, als auch über persönliche Kontakte zu bürgerlichen Wissenschaftlern an Uni/TH/TU waren diesbezüglich erfolglos. Allgemein kommt die verunsicherte Aussage: “Wir wissen auch nicht so recht.“

Die bürgerlichen Medien haben hier als vierte Gewalt in der Demokratie versagt! Sie sind Teil des Einschüchterungssystem geworden, statt entweder selber ordentlich zu recherchieren oder zumindest bei den Herrschenden intensiv nachzufragen und wenigstens DAS dann zu veröffentlichen.

Abschließend sei die Empfehlung, sich nicht für dumm verkaufen zu lassen. Unsere Gegner verdrehen die Worte. Wenn sie „Rettung“ sagen meinen sie eigentlich unsere Schädigung. Es geht um ihre eigene Rettung, nämlich die der Kapitalbesitzer & Bankster, aber nicht um die Rettung der Bevölkerung.

Tatsächlich ist mit „Rettung“ das Gegenteil gemeint: WENN der Rettungs-Kredit gegeben und akzeptiert wird, DANN sitzt die Bevölkerung dauerhaft im Schuldenturm!

Die bessere Alternative für Zypern lautet: Macht es wie Island ! [4]

Anmerkungen

[1] 6/2012 hatte Zypern lediglich einen Kapitalbedarf von 4-5 Mrd. Euro gemeldet.
http://www.n-tv.de/wirtschaft/Hilferuf-Zyperns-bald-erwartet-article6579871.html

[2] siehe http://www.sozialistische-kooperation.de/soko_BankenBankrott_ws_270812.pdf

[3] siehe http://www.nachdenkseiten.de/?p=16631#more-16631

[4] siehe http://www.nachdenkseiten.de/?p=13760

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe. Walter Schumacher engagiert sich in der Sozialistischen Kooperation.