Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Wahl für Parlamentssitz in Beauvais
Front National nahe an Fünfzig-Prozent-Hürde

04-2013

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48,6 Prozent für die Kandidatin des rechtsextremen Front National und 51,4 Prozent für ihren konservativen Gegenkandidaten, der nur knapp gewinnt. Ein Traum für Rechte aller Schattierungen, ein Alptraum für andere politische Kräfte. So sahen am Sonntag, den 24. März 13 die Ergebnisse der Stichwahl im zweiten Wahlkreis des Bezirks Oise – rund 30 Kilometer nördlich von Paris – aus.

Der dortige Parlamentssitz musste neu besetzt werden, nachdem die Wahl des Abgeordneten Jean-François Mancel bei der letzten allgemeinen Parlamentswahl vom Juni 2012 gerichtlich annulliert worden waren. Aufgrund eines diffamierenden Flugblatts gegen Mancels sozialdemokratische Gegenkandidatin Sylvie Houssin war diese Wahl angefochten worden. Deswegen kam  es an zwei aufeinander folgenden Sonntagen (dem 17. März und dem 24. März d.J.) zu einer Nachwahl in dem relativ weiträumigen Stimmbezirk, zu dem 175 Kommunen gehören - die wichtigste davon ist die Stadt Beauvais.

Rückblick

Bei der allgemeinen Parlamentswahl im Juni 2012 hatte der Konservativ-Wirtschaftsliberale Mancel den Wahlkreis gewonnen, doch nur um 63 einzelne Stimmen vor seiner sozialdemokratischen Herausfordererin Sylvie Houssain gelegen. Damals konnten sich drei Bewerber für die Stichwahl qualifizieren: Mancel für die UMP, Houssain für die Sozialdemokratie und Florence Italiani für den rechtsextremen Front National (FN). Diese drei erhielten in der Stichwahl respektive 38,97 %, 38,84 % sowie 22,18 %.

Heute bietet sich jedoch ein anderes Bild. Nach dem ersten Wahlgang vom 17. März dieses Jahres musste die örtliche Sozialdemokratie aus dem Rennen ausscheiden. Ihre Kandidatin Sylvie Houssain verfehlte den Einzug in den zweiten Wahlgang, auch aufgrund der geringen Wahlbeteiligung; für die Teilnahme an der Stichwahl benötigt ein-e Kandidat-in die Stimmen von 12,5 % der in die Wählerlisten eingetragenen Stimmberechtigten (nicht der real abgegeben Voten). Je niedriger die Wahlbeteiligung ausfällt, desto höher liegt entsprechend diese Hürde.

Am 17. März d.J. erhielt Mancel nunmehr im ersten Durchgang 40,61 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die rechtsextreme Kandidatin Italiani erzielte 26,58 %, und die sozialdemokratische Bewerberin ihrerseits 21,37 %. Aufgrund der ausgesprochen niedrigen Wahlbeteiligung (32,79 %) reichte es für Letztere jedoch nicht zum Einzug in die Stichwahl. Sicherlich bezahlte Sylvie Houssain auch die Quittung für den sozialen Unmut in einem Teil der Gesellschaft, bezüglich der Regierungspolitik ihrer Parteifreunde auf nationaler Ebene. Die Sozialdemokratie rief daraufhin, im Namen der „republikanischen Front“ (d.h. eines Stimmbündnisses zur Verhinderung eines rechtsextremen Wahlsiegs), zur Stimmabgabe für Jean-François Wahl in der Stichwahl auf.

Kontext

Das Département Oise stellt seit langem eine konservativ-reaktionäre Ecke mit hohem FN-Anteil da, u.a. aufgrund der relativ starken Präsenz früherer Soldaten im Algerienkrieg oder früherer europäischer Algeriensiedler vor der Unabhängigkeit des Landes von 1962. Der aktuelle Wahlerfolg der FN-Kandidatin Florence Italiani hat jedoch beträchtliche Ausmaße erreicht.

Zwischen den beiden Wahlgängen stieg die Wahlbeteiligung um rund drei Prozentpunkte an, auf nunmehr 37,5 Prozent. Dabei konnte Italiani, die in der Stichwahl insgesamt 13.190 Stimmen erhielt, zwischen den beiden Durchgängen rund 3.000 Stimmen hinzugewinnen und ihren prozentualen Anteil erheblich steigern. Ihre Stimmengewinne kamen aus unterschiedlichen politischen Lagern. Eine erste Analyse von Joël Gombin, Doktorand der Politikwissenschaft in der Regionalhauptstadt Amiens, spricht davon, rund 3.500 Nichtwähler aus dem ersten Wahlgang hätten an der Stichwahl teilgenommen und dabei für die FN-Kandidatin votiert. Aber auch rund 2.500 Wähler der sozialdemokratischen Kandidatin im ersten Wahlgang – 43 Prozent ihrer Wählerschaft, folgt man Gombin – und rund 2.000 Wähler Jean-François Mancels im ersten Durchgang wechselten demnach zugunsten der FN-Bewerberin die Seiten.

Möglicherweise hat die Nachricht vom Freitag, den 22. März 13 über die Einleitung eines Strafverfahrens wegen aktiver Korruption gegen Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy (den Mancel unterstützt hatte) diesen Umschwung in Teilen der konservativen Wählerschaft bewirkt oder zumindest begünstigt. Ein Untersuchungsrichter in Bordeaux sah es als erwiesen an, dass Sarkozy sich illegal von der Multimilliardärin Liliane Bettencourt finanzieren ließ, was in der politischen Landschaft einschlug wie eine Bombe. (Seitdem hat der Untersuchungsrichter mit Namen Gentil offene Morddrohungen erhalten, welche zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Anti-Terror-Justiz führten.)

Ein alter (nicht guter) Bekannter

Jean-François Mancel wiederum ist ein alter Bekannter, jedoch von der unguten Art. Von der Sorte „Schwarz-Braun-Zone“. Am 07. März 1998 erschien ein Interview mit ihm in der rechtslastigen Wirtschaftszeitschrift ,Valeurs Actuelles’. Darin erklärte der vormalige Generalsekretär der neogaullistischen Partei RPR, der nach der Wahlniederlage im Juni 97 seinen Hut nehmen musste, seine Bereitschaft zu einem Bündnis mit dem Front National in seinem Département. Mancel fügte vielsagend hinzu: „Andere, die es nicht auszusprechen wagen, werden hinzukommen. Es kommt ein Moment, wo man die Wahrheit sagen muss.“ Dazu formulierte die Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ vom 08./09. März 1998: „Auf dem Spiel steht die Formierung des Lagers der Anhänger, innerhalb der parlamentarischen Rechten, von Abkommen mit der extremen Rechten.“

Jean-François Mancel verhält sich heute zu diesem Thema diskret. Aber andere Protagonisten seines politischen Lagers arbeiten daran, Kanäle zur extremen Rechten zu eröffnen. Etwa jene konservative Parlamentarier, die in der dritten Märzwoche d.J. der 23jährigen Abgeordneten des FN im französischen Parlament, Marion Maréchal-Le Pen, applaudierten, als diese Innenminister Manuel Valls zu den Roma befragte.

Ansonsten

Parteichefin Marine Le Pen hält sich unterdessen „am anderen Ende der Welt“ auf, und zwar quasi buchstäblich: In der dritten und vierten Märzwoche 2013 bereiste sie zunächst Neukaledonien im Westpazifik, und einige Tage später Französisch-Polynesien. Beide Inselgruppen stehen in naher Zukunft vor einer Entscheidung über die Unabhängigkeit von der Noch-Kolonialmacht. In beiden Fällen rief Marine Le Pen dazu auf, die Stimmen der Gegner/innen einer solchen Unabhängigkeit zu bündeln und für den Verbleib bei Frankreich zu mobilisieren.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.