trend spezial: Berichte aus Kosova redigiert von Max Brym

Prishtina- Nach den Studentenprotesten ist vor den Studentenprotesten
von Korrespondent Prishtina

04-2014

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Vom 28. Januar bis 9. Februar 2014 gab es radikale Studentenproteste in Prishtina.Der Aufruf “Studenten aller Fakultäten vereinigt euch!” hat zwei Wochen zu enormen Studentenprotesten in Prishtina geführt. Es hat mit einer kleinen Anzahl von rund hundert Studierenden angefangen doch dann wurden es tausende (Studierende, Gewerkschafter, Arbeiter,  Arbeitslose, Zivile-Organisationen und einfache Bürger) die tagtäglich protestieren.

Anfänglich wurde der Rücktritt des Rektors der öffentlichen Universität Prishtina, Ibrahim Gashi, verlangt. Ex-Vizeaussenminister in der Thaci Regierung dann Rektor. Gashi soll seinen Doktortitel durch Veröffentlichung seiner “wissenschaftlichen” Arbeit in einem nicht existierenden Magazin erlangt haben. Nach nur nach einigen Tagen der Proteste und nachdem sich die Masse der protestierenden Menschen sich schnell vergrößerte wurden immer mehr und radikalere Forderungen gestellt.

Soziales Elend, Armut und die Regierung Thaci werden hart angegriffen: “Rektor Gashi ist schon gefallen, aber er steht dort nur noch als Stütze für die Regierung Thaci und das von ihr aufgebaute System, welches nur Armut und Unterdrückung produziert!” hieß es in einer Rede während der Proteste.

Die Polizei ging einige Male brutal gegen die Studentenproteste vor. Doch am 8 Februar hat die Polizei ihr wahres Gesicht gezeigt. Schon vor beginn des Protestes dieses Tages, sind einige der Organisatoren der Proteste förmlich von der Polizei entführt worden. Am Morgen wurden die Aktivisten Zgjim Hyseni und Frasher Krasniqi, im Zentrum Prishtinas vor dem “Hotel Grand” von einer Gruppe von Männern zusammengeschlagen und dann in ein Privatauto hineingezerrt. Erst als sie sich in der Polizeistation Nummer 2 in Prishtina befanden wurde ihnen mittgeteilt, dass sie verhaftet worden seien. Gleichzeitig wurde in einem anderen Stadtviertel der Studierende Nol Nushi, in ähnlicher Art entführt. Die Polizei kündigte an, dass sie eine Liste von 9 Studierenden aufgestellt hat gegen welche ein Haftbefehl besteht . Andere Organisatoren wie Durim Jasharaj und Astrit Dehari, tauchten kurzzeitig in Illegalität unter, um um 12:00 Uhr in der ersten Reihe der Proteste wieder aufzutauchen.

Als tausende von Menschen vor dem Rektorat ankamen hatte die Polizei die Strasse gesperrt. Protestorganisatoren haben von der Polizei verlangt sich zurückzuziehen und den Protest in dem Rektorat zu erlauben. Die Polizei antwortete mit Pfefferspray und Knüppel. Doch die Protestierenden sammelten sich immer wieder vor der Polizeiblockade. Und wahrend der Aktivist Durim Jasharaj, eine Rede hielt wurde er schnell und gut organisiert von Polizisten gepackt und hinter die Polizeiblockaden geschleppt. Dies irritierte die Studenten welche mit Steinen, roter Farbe Toilettenpapier die Polizisten bewarfen. Die Polizei antwortete mit Gewalt. 39 Demonstranten wurden verhaftet. Über hundert (laut Organisatoren verletzt). Am 9. Februar gab die Regierung Thaci nach. Der Direktor der Universität und einige andere Personen traten zurück. Dieser Schachzug stand in unmittelbarem Zusammenhang mit den Ereignissen in Bosnien. Die Regierung hatte schlicht Angst, dass die Proteste auf das gesamte Land übergreifen und sich radikalisieren.

Die Forderungen der Studenten

Anfangs gab es ein Bündnis zwischen drei Studentenorganisationen. Die erste Organisation war der“ Club der Studenten „ der Universität. Die zweite Organisation war eine so genannte“ Unabhängige Studentenvereinigung“ . Die dritte Organisation war die SKV ( Studieren Kritisieren Verändern -Bewegung für die Gleichheit ). Diese Organisation steht der „Bewegung für Selbstbestimmung“ nahe. Dennoch ist die SKV ein unabhängiger radikaler Studentenverband. Die Propaganda der SKV versuchte die Proteste weiter zu treiben. Im Bündnis konnte man sich nur auf den Rücktritt des Direktors einigen, sowie auf die Forderung, dass die Universität von unfähigen Parteipolitikern gesäubert wird. Des weiteren wurde eine Universität gefordert in der wirklich mit entsprechenden Lehrmaterial unterrichtet wird. Die SKV ging jedoch in ihren Forderungen weiter. Diese radikale Studenten- Organisation stellte das gesamte Bildungssystem infrage. Besonders wurden die sozialen Probleme der Studenten und Studentinnen angesprochen. In Prishtina besuchen jeden Tag knapp 50.000 Jugendliche die öffentlichen Bildungseinrichtungen und die Universität. Rund 25.000 Jugendliche meist Angehörige von privilegierten Familien werden an privaten Universitäten unterrichtet. An der öffentlichen Universität müssen die Studenten und Studentinnen Studiengebühren in der Höhe von 75 € pro Semester bezahlen. Selbstverständlich fordert die SKV eine Streichung der Studiengebühren. Geradezu katastrophal ist die Wohnsituation der Studenten und Studentinnen im öffentlichen Studentinnenwohnheim. Auf 16 m² leben drei Studenten oder Studentinnen. Jeder von ihnen zahlt für diese menschenunwürdige Unterkunft 40 € pro Monat. Wer in den zweifelhaften Genuss des Essens in der Mensa kommen will, zahlt zusätzlich 30 € im Monat. Die SKV fordert größeren und kostenlosen Wohnraum für die Studierenden. In der Tat, in Deutschland ist es rechtlich verboten für einen Schäferhund nur 16 m² zur Verfügung zu stellen. Die Masse des Lehrmaterials muss von den Studierenden selbst bezahlt werden. Dabei fallen besonders Fotokopierkosten ins Gewicht. Die Fotokopierkosten lassen sich mit den Preisen in Deutschland vergleichen. Zusätzlich gibt es an der Universität viel zu wenig wissenschaftliche Bücher, insbesondere internationale Fachliteratur fehlt. Es gibt an der Universität zwar Texte von Marx und Lenin zu lesen aber schon die Übersetzung von Freud und Horkheimer ist sehr problematisch. Im philosophischen Bereich fehlen Bücher von Slavjo Zizek , im Bereich der Psychologie zum Beispiel Bücher von Lacan. Grundsätzlich fordert die SKV eine kostenlose, wissenschaftlich fundierte und demokratische Universität. Dies alles findet an der öffentlichen Universität nicht statt. Stattdessen gibt es eine umfassende Postenschacherei bei der Besetzung von universitären Posten. Ohne das richtige Parteibuch zu haben ist es für viele Wissenschaftler und Professoren oft unmöglich in wichtige Positionen zu gelangen. Gleichzeitig sind die Mandatsträger der Universität relativ selten an ihren Arbeitsplätzen. Sehr oft fallen Termine für die Studenten und Studentinnen einfach aus. Es werden Witze erzählt wonach fast alle Professoren“ Multitalente „sind. Viele dieser Herrschaften arbeiten einen Tag in der öffentlichen Universität, am nächsten Tag an einer privaten Universität und am dritten Tag sind sie Parlamentsabgeordnete. Bildung wird an der öffentlichen Universität nur bedingt vermittelt. Die SKV fordert grundsätzlich: „Schluss mit diesem System“. Die Proteste der Studenten und Studentinnen treffen sich oft mit den sozialen Protesten der Arbeiter und Arbeiterinnen in Kosova. Kosova ist das jüngste Land in Europa, knapp die Hälfte der Bevölkerung ist unter 25 Jahren. Die Jugendarbeitslosigkeit wird auf 90 % geschätzt. Die offizielle Arbeitslosenzahl liegt bei 48 %. Ein gut verdienender Arbeiter hat 290 € pro Monat. Es gibt im Land keinerlei Arbeitslosenversicherung und Krankenversicherung. Die Preise für viele Produkte sind mit den Preisen in Deutschland vergleichbar.Besonders schwer empfinden diese Lage die Studierenden. In der Geschichte war in Kosova öfter der Protest der Studenten und Studentinnen der ausschlaggebende Faktor um allgemeine Proteste gegen Ausbeutung, und soziale Not auszulösen. Die Studentenproteste in Prishtina konnten nur vorläufig beendet werden. Unter der Asche glimmt weiter die Wut und die SKV hat seit den stattgefundenen Protesten ziemlichen Masseneinfluss erlangt.