Heraus zum 1. Mai 2014

Autonomer 1. Mai in Oldenburg

von "OL"

04-2014

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onlinezeitung

Auch dieses Jahr gibt es in Oldenburg wieder eine autonome 1. Mai-​Demo mit anschließendem Straßenfest beim Alhambra. Beginn ist um 13 Uhr in der Kaiserstraße/Hbf. Hier nun der Aufruf: Arbeit | Geißel der Menschheit | Verflucht seist du bis ans Ende aller Tage | Du, die du uns Elend bringst und Not | Uns zu Krüppeln machst und zu Idioten *nichts gegen Krüppel und Idioten, das ist nur symbolisch gemeint* | Uns schlechte Laune schaffst und unnütz Zwietracht säst | Uns den Tag raubst und die Nacht | Verflucht seist du | Verflucht | In Ewigkeit | Amen

… ja, okay, beten wird`s wohl nicht bringen, auch nicht mit diesem wunderschönen Psalm von Michael Stein, einem poetischen Feind des Lohnarbeitszwangs.

Also mal wieder am 1. Mai auf die Straße, für ein Leben ohne Ausbeutung und Unterdrückung und für die Abschaffung des Kapitalismus; gemeinsam mit Millionen anderen, die ihr Leben nun wirklich nicht als das Paradies auf Erden wahrnehmen; überall auf der Welt und natürlich auch hier in der norddeutschen Tiefebene. Seit 1890 geht das nun schon so, ursprünglich als Unterstützung für den durch den vom Haymarket Riot geprägten Kampf der „Federation of Organized Trades and Labor Unions of the United States and Canada“ für eine Arbeitszeitverkürzung – und leider sieht es gerade nicht danach aus, als ob wir in naher Zukunft am 1. Mai ausschließlich flauschigen Sommerfreuden nachkommen könnten. Durch zig Krisen und hunderte Kriege ist der Kapitalismus heute fester im Sattel, als es sich die Leute der „Zweiten Internationale“ bei der Ausrufung des „Kampftages der Arbeiterklasse“ in ihren schlimmsten Alpträumen vorstellen konnten.
Und während in vielen Teilen der Welt zwar keine Revolutionen, aber immerhin ausgewachsene soziale Revolten an der Tagesordnung sind, ist in Deutschland noch nicht einmal ein rebellisches Lüftchen wahrzunehmen. Klar, Deutschland ist aktuell der Krisengewinnler, seit über 100 Jahren imperialistische Großmacht und daher im Gegensatz zu anderen Staaten bereit und fähig um des lieben „sozialen Friedens“ Willen zumindest ein Mindestmaß an Existenzsicherung, Gesundheitsversorgung und Bildung zu garantieren. Und so bekommen die Leute die Gewalt des Marktes weit weniger zu spüren als anderswo. Doch auch hier wird für die Meisten die Kohle knapper, das Leben teurer und der Job stressiger. Während wir also den Gürtel immer enger schnallen müssen, kriegen einige ihn kaum noch zu. So läuft`s halt in der Klassengesellschaft. Ob das vernünftig, gerecht oder sonst was ist, braucht nicht mehr gefragt zu werden.
Denn heutzutage kommt als Antwort auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ nicht mehr „Revolution“, „Solidarität“ oder „42“ in Betracht, sondern nur noch „Sozial ist was Arbeit schafft“. Das erübrigt dann eigentlich auch jede Frage. Zum Beispiel die danach, warum der Gewinn nicht unter den Leuten aufgeteilt wird, die irgendwas herstellen, sondern in der Tasche des Chefs landet. Warum uns im Supermarkt hunderte verschiedene Joghurts dargeboten werden, während in anderen Teilen der Welt die Leute kaum etwas zu Fressen haben. Warum Leute malochen gehen müssen, nur weil sie billiger sind als eine Geschirrspül-​ oder Sortiermaschine. Warum die Leute, die den Tee, Plastik-​Tinnef oder die Jeans herstellen, mit Cent-​Beträgen abgespeist werden, während wir richtig Schotter dafür hinlegen müssen. Warum man immer länger arbeiten soll, während Millionen ohne Job unter den Schikanen des Arbeitsamtes leiden. Warum es vernünftig sein soll, auf Teile des Lohns zu verzichten, um damit die Kolleg*innen aus einer anderen Firma oder einem anderen Land auszustechen. Warum Leute im Asylverfahren keine Arbeitserlaubnis bekommen und daher in Schwarzarbeitsjobs ohne jegliche Absicherung der Willkür ihrer Bosse ausgeliefert sind. Warum Leute aus Rumänien oder Ungarn in den Südoldenburgischen Schlachtfabriken für Hungerlöhne schuften und dann auch noch mal locker 300 Euro für einen ranzigen Pennplatz abdrücken müssen. Warum eine Kindergärtnerin mal gerade ein Drittel von dem Lohn eines Gymnasiallehrers kriegt oder eine Putzfrau nur einen Fitzel von dem eines Herzchirurgen. Warum Leute, die sich als Zeitarbeiter*innen verkaufen müssen, trotz 40-​Stunden-​Woche nicht mit der wenigen Kohle überleben können. Warum die reichsten 85 Menschen denselben Reichtum besitzen wie die ärmere Hälfte der Erdbevölkerung zusammen. Warum mit genügend Knete das „Bedürfnis“ nach den neuen Nike Air`s, dem Galaxy S5 oder der 222`er S-​Klasse befriedigt werden kann, während ohne Geld selbst das Bedürfnis nach Trinkwasser oder einem Dach über dem Kopf unerfüllt bleibt. Warum deutsche Bauarbeiter*innen mehr mit ihrem sogenannten „Tarifpartner“ gemein haben sollen, als mit Maurer*ìnnen, Dachdecker*innen oder Betonbauer*innen aus Polen, Uganda oder Schweden… – um nur mal einige der Fragen zu nennen, die sich doch zu fragen lohnen.
Und die wirkliche Antwort ist eigentlich auch ganz einfach: Der Kapitalismus, oder mit Marx gesagt die „alte Scheiße”, hat mit Gerechtigkeit und Vernunft so viel zu tun wie Bayern München mit der Abstiegszone. „Konsum“, „Profit“, „Akkumulation“: die Mantras des Marktes; die klingen nicht nur menschenfeindlich, die sind es auch. „Die Maschinerie des Kapitalismus wird mit dem Blut der Arbeiter geölt“, konstatierte einst der Springfielder AKW-​Techniker Homer Simpson. Recht hat er. Ebenfalls ins Schwarze traf schon gut 100 Jahre zuvor der Songwriter Heinrich Eildermann mit seinem Evergreen „Dem Morgenrot entgegen“: „Die Arbeit kann uns lehren | sie lehrte uns die Kraft | den Reichtum zu vermehren | der unsre Armut schafft“.
Klar, die Welt kann nun mal nicht perfekt sein und da ist ein gewisses Maß an Arbeit leider immer nötig. Aber nur mal angenommen, wir alle einigen uns darauf was gesellschaftlich nötig ist, nutzen die besten Technologien und teilen die übrigbleibende Arbeit zwischen uns auf, dann ist eine 3,5 Stunden-​Woche nicht mehr allzu unrealistisch. Kombiniert mit dem Prinzip „Alle nach ihren Fähigkeiten, alle nach ihren Bedürfnissen“ sähe das Ganze dann doch schon ziemlich rosig aus. Also los geht`s, Faust aus der Tasche und – nur so als Anfang – am 1. Mai auf die Straße. Für eine Gesellschaft, in der Herkunft, Geschlecht und sexuelle Orientierung keine Rolle mehr spielen, in der es kein Oben und Unten mehr gibt, in der alle ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und Zugang zu Bildung haben. Mit so wenig Arbeit wie nötig und so viel Luxus wie möglich.

Quelle: Indymedia | 30.4.2014