Betrieb & Gewerkschaft
[Mall of Shame] Missstände ohne Konsequenzen?
Offener Brief an die Berliner Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD)

von "Freie ArbeiterInnen Union Berlin" /  26.3.2015

04-2015

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Sehr geehrte Frau Kolat,

zugegeben, offene Briefe sind ein zahnloses Mittel, um RepräsentantInnen der Berliner Landesregierung zu verantwortlichem Handeln zu bewegen. Zumal wenn es um die Rechte von migrantischen ArbeiterInnen geht, die augenscheinlich keine Priorität unter den Interessen des Senats genießen.

Gewiss, auch Sie mögen den Fall der rumänischen Bauarbeiter rund um die Mall of Berlin, dessenwegen wir uns an Sie wenden, „sehr aufmerksam“ verfolgen, wie uns Ihre Pressestelle ausrichten ließ. Sie mögen auch eine „schnelle Prüfung“ der Vorgänge gefordert haben, die, wie Sie es nennen, „eine Schande für unsere Stadt“ seien. Doch die Konsequenzen, die Sie daraus ziehen – der Entschluss, so lange nichts zu bewerten, bis die strafrechtlich relevanten Vorwürfe rechtskräftig geklärt sind –, zeugt nicht nur von sozialer Teilnahmslosigkeit, sondern auch von politischer Ignoranz.

Alle Beteiligten sind sich bewusst, dass es rechtliche Institutionen gibt, die hier heranzuziehen sind. Diese wurden auch von den betroffenen Arbeitern und ihrer Gewerkschaft angerufen. Doch wir haben die Senatsverwaltung für Arbeit nicht etwa adressiert, weil sie in diesem Rechtsfall intervenieren solle, sondern aufgrund ihrer politischen Verantwortung für die Rahmenbedingungen, die diese „Schande“ kultiviert haben.

Der bestürzende Fall der rumänischen Arbeiter ist exemplarisch, ein Symptom, aber nicht die Ursache des Problems. Dieses ist arbeitspolitischer Natur und fällt somit in den Verantwortungsbereich der Arbeitssenatorin.

Wenn wir von einer Schande reden, dann reden wir nicht nur von einer handvoll Arbeiter, die hier monatelang, fern der Heimat, ohne ihre Familien ausharren müssen, um endlich ihren kümmerlichen Lohn zu erhalten. Ein Lohn, der ihnen zusteht für die harte Arbeit an einem Protzbau, dessen Nutznießer sich nicht für das Schicksal derer interessieren, die ihr Wohl begründen.

Wir reden auch von denen, die abgespeist wurden, mit jämmerlichen Teilbeträgen, und gedemütigt nach Hause zurückgekehrt sind. Und wir reden auch von denen, die sich in ähnlichen Situationen befanden oder befinden, deren Fälle auch andernorts bekannt wurden – oder nicht, weil sich viele nicht zu helfen wissen und Unrecht stillschweigend hinnehmen.

Die Systematik der Ausbeutung migrantischer ArbeiterInnen zeichnet sich gerade dadurch aus, dass Arbeitskräfte schonungsloser ausgenutzt werden können, bis dahin, dass sie ohnmächtig sind – und ihre Fälle niemals öffentlich oder rechtlich erfasst werden. Dies gründet in arbeitspolitischen Bedingungen, unter denen sich arbeitsrechtliche Standards unterlaufen und Arbeitskräfte in eine größere Abhängigkeit bringen lassen.

Es ist richtig, dass es für Betroffene den juristischen Weg gibt, um zu ihrem Recht zu gelangen. Doch niemand Sachkundiges kann allen Ernstes behaupten, dass dies ein probates Instrument sei, um annähernd als Korrektiv für praktiziertes Unrecht in diesem Bereich zu dienen. Die besonderen Bedingungen migrantischer ArbeiterInnen verstellen jenen Weg weitestgehend.

Wer von ihnen kann es bewältigen, hier monatelang mittellos auszuharren, rechtliche Verfahren einzuleiten und möglicherweise durch verschiedene Instanzen zu gehen? Allein diese Hürde sorgt dafür, dass die Bauunternehmer mit ihren dubiosen Praktiken davon kommen. Da nützt auch eine DGB-Beratungsstelle, deren Arbeit Ihre Pressestelle so lobt, relativ wenig.

Und selbst wenn die Betroffenen, wie es die exemplarischen Bauarbeiter aus Rumänien ausnahmsweise tun, diesen Weg beschreiten und schließlich gar Recht bekommen … wer kompensiert all die Anstrengungen, die sie auf sich nahmen, um dorthin zu gelangen?

Für die verantworlichen Unternehmer mag die Geschichte eine lästige Unannehmlichkeit sein, eine leidige Episode, an deren Ende man einen Bruchteil seines Vermögens einbüßen musste. Für die betroffenen Arbeiter ist es eine Geschichte existentieller Entbehrungen, prekarisiert am Arbeitsmarkt, mittel-  und obdachlos.

Nicht zu vergessen der Einsatz anderer, die sie unterstützen, gerichtlich begleiten, Unterkunft und Nahrung organisieren. Und obendrein werden eben diese UnterstützerInnen noch mit Rechtsstreitigkeiten belegt, um sie in ihrem Handeln zu behindern.

Wir fragen uns daher, wie die Senatsverwaltung für Arbeit dazu steht,

  • dass migrantische ArbeiterInnen Unmenschliches ertragen müssen, nur um zu ihrem verbürgten Recht zu gelangen, während die Verantwortlichen darauf vertrauen können, dass ein Schirm von Barrieren weitestgehend davor schützt;
  • dass Bauunternehmer offensichtlich Schwarzarbeit im großen Stil betreiben können und wenig zu befürchten haben, während die betroffenen Arbeiter regelrechtes Freiwild für die Behörden sind;
  • dass deutsche Unternehmer genug Spielräume haben, sich in (quasi-)kriminellen Machenschaften zu ergehen, während MigrantInnen jeglicher Handlungsspielraum genommen wird, da jedes Delikt mit harten Konsequenzen verbunden ist;
  • dass Unternehmern ein Instrumentarium zur Verfügung steht, um unterstützende Gewerkschaften auf einfachste Weise (z.B. einstweilige Verfügungen) mundtot zu machen, so dass eine schnellere Lösung für die Betroffenen verhindert wird?

All das sind Implikationen von aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen, die unter anderem in den Verantwortungsbereich der Arbeitspolitik fallen.

Sicherlich mag man an dieser Stelle auch auf Bundesgesetze verweisen, die sich dem Verantwortungsbereich einer Arbeitssenatorin entziehen, etwa den politischen und arbeitsrechtlichen Status von MigrantInnen oder unternehmerische Freiheiten betreffend. Doch auch dies eingeklammert fragt man sich:

  • Weshalb es eigentlich Landesgesetze zulassen, dass fragwürdige Investoren und Generalübernehmer in Berlin bauen dürfen? Unternehmer, die offensichtlich nicht gewährleisten können, dass die von ihnen oder ihren Subkontraktoren beschäftigten ArbeiterInnen ordentlich behandelt und entlohnt werden.
  • Und weshalb es für Investoren und Generalübernehmer so leicht ist, sich der Verantwortung zu entziehen, die sie laut Arbeitsministerium auch für Missstände bei ihren Subkontraktoren haben? Indem sie Arbeit an dubiose Briefkastenfirmen delegieren, die unbehelligt bestehende Standards übergehen können. Immerhin wälzt das System der Subkontrakte die Verantwortung auf die ArbeiterInnen ab, die sich durch ein Geflecht von angeblich nicht verantwortlichen Firmen klagen müssen.
  • Oder weshalb migrantische ArbeiterInnen, die sich in so einer Lage befinden, keine Unterstützung seitens des Senats erhalten, um ihre Anrechte überhaupt klären zu lassen? Schließlich sind es die von ihm zu verantwortenden Rahmenbestimmungen, die Situationen ermöglichen, in denen sie derart ausgeliefert sind.

Sofern wir die Idee der repräsentativen Demokratie richtig verstanden haben, dann ist es nicht nur Aufgabe der Politik zu verwalten, sondern auch zu gestalten. Und dies bedeutet in erster Linie, Probleme und Ungerechtigkeiten in den gesellschaftlichen Abläufen zu erfassen und durch gesetzliche Maßnahmen zu korrigieren.

Wenn nun aber eine Arbeitssenatorin, der man zutrauen sollte, ein solches Problem erfassen zu können, sich nicht zuständig fühlt, den offensichtlichen Misstand in (arbeits)-politische Konsequenzen zu übersetzen, dann stellt sich die Frage: Was ist eigentlich ihr Job?  

Quelle: https://berlin.fau.org/news/mall-of-shame-missstaende-ohne-konsequenzen