Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Unterwegs in Fascho-Land an der Côte d’Azur
Die extreme Rechte vor den Bezirksparlamentswahlen

04-2015

trend
onlinezeitung

Hinweis
Stand: 21. März 15.
Der Artikel wurde vor den jüngst in ganz Frankreich stattgefundenen Bezirksparlamentswahlen verfasst und gibt den Zustand der Debatten VOR ihrer Abhaltung wieder. Zu ihrem Ausgang vgl. Bezirksparlamentswahlen in Frankreich/ red. trend

Die Beobachter/innen und die Meinungsforscher/innen sind sich in diesem Punkt weitgehend einig: Der rechtsextreme Front National (FN) droht bei den französischen Bezirksparlamentswahlen, die an den kommenden beiden Sonntagen (22. und 29. März 15) auf dem ganzen Staatsgebiet stattfinden, hohe Stimmergebnisse einzufahren. Umfragen sagen ihm zwischen 29 und 33 Prozent der WählerInnenstimmen voraus, allerdings im Kontext einer ebenfalls hohen Wahlenthaltung. Dass die Partei auch Bezirksregierungen übernehmen könnte, gilt als schwierig – da in den einzelnen Wahlkreisen das Mehrheitswahlrecht gilt, erschwert dies die Bedingungen für den FN, da er über keine Verbündeten für die Stichwahl verfügt -, aber nicht ausgeschlossen. Besonders für die südostfranzösischen Bezirke Var (Toulon) und Vaucluse (Avignon), aber auch für das Département Aisne in der Picardie werden künftige rechtsextreme Bezirksverwaltungen zumindest für möglich erachtet. (Nachträgliche Anmerkung: In der Wirklichkeit bzw. Praxis schrammte der FN an einem dergestaltigen Erfolg vorbei. Vgl. dazu Bezirksparlamentswahlen in Frankreich)

In den genannten Bezirken verfügt die extreme Rechte bereits, seit dem vergangenen Jahr, über jeweils eine oder mehrere von ihr geführte Rathausregierungen. Im Bezirk Var zum Beispiel regiert der Front Natjonal seit der letzten Rathauswahl vom März 2014 nunmehr drei Kommunen. Grund genug für uns, um uns dort umzusehen.

Fréjus ist mit 53.000 Einwohner/inne/n die zweitgrößte der vom FN verwalteten Städte – nach Béziers, das westlich von Montpellier liegt -, Le Luc dagegen mit rund 9.800 Einwohner/inne/n die kleinste. Cogolin ist mit gut 11.000 Menschen nur wenig größer. Vom sozio-ökonomischen Profil her bestehen Unterschiede zwischen den drei Kommunen. Fréjus und Cogolin liegen beide an der Côte d’Azur. Fréjus ist zwar überschuldet, bildet dennoch einen wichtigen wirtschaftlichen Anziehungspunkt, dank der verschiedenen Aktivitäten rund um den Tourismus. In der Urlaubs-Hochsaison wächst die durchschnittliche Bewohnerzahl der Stadt, den Hochsommer über, auf 86.000. Aber trotzdem weist Fréjus ein relativ geringes Durchschnittseinkommen auf – die zuletzt verfügbaren Zahlen aus dem Jahr 2010 betrugen gut 22.000 Euro pro Jahr für die ständigen Einwohner/inne/n, das sind knappe 1.500 Euro weniger als im frankreichweiten Schnitt. Denn die Arbeitslosenrate ist mit über 13 Prozent relativ hoch. Und neben dem reichen und schicken Stadtzentrum rund um den Yachthafen weist Fréjus auch insgesamt drei Arbeiter- und Unterklassenbezirke auf.

Cogolin hingegen liegt zwar am berühmten Golf von Saint-Tropez, ist jedoch die einzige nicht von Oberklassen geprägte, sondern von Unter- und Mittelklassen bewohnte Stadt in der Ecke (Einkommensdurchschnitt 21.000 Euro). Die Arbeitslosenquote beträgt rund 16 Prozent. Die Kleinstadt Le Luc liegt im küstenfernen Hinterland und ist mit 18.000 Euro Durchschnittseinkommen als relativ arm zu bezeichnen, auch wenn einige reiche Rentner hier ihre Wohnsitze haben.

Nur wenige der zufällig getroffenen Einwohner/innen bekennen sich offen und spontan dazu, für den Front National zu stimmen. Etwa in diesem Café im Zentrum von Fréjus. Niemand der anwesenden Gäste sagt offen, für den amtierenden rechtsextremen Bürgermeister, den erst 27jährigen David Rachline, votiert zu haben. Bis auf Barbara, die von sich sagt, dass sie beim letzten Mal für ihn stimmte – es aber nicht wieder tun würde, weil das Rathaus ein Sozialzentrum geschlossen habe, das im Stadtteil Villeneuve. Nachdem sie vor Jahren aufgrund familiärer Probleme mit ihren Kindern auf der Straße gesessen habe, sei man ihr dort zu Hilfe gekommen, und das werde sie nicht vergessen. Rachline hat es zum 31. Dezember 14 hin dicht gemacht, im Namen von „Sparzwängen“. Aber auch mit den Worten, aufgrund der Stellungnahmen seiner Direktorin sei es „kein Sozial-, sondern ein sozialistisches Zentrum.“

Ansonsten herrscht an den Tischen der Tenor vor, man müsse dem Front National im Rathaus „eine Chance geben, sich zu beweisen. Schlechter als die anderen Parteien werden sie es schon nicht machen.“ Just am vergangenen Donnerstag, den 12. März 15 erschien dazu passend eine Umfrage des Instituts IFOP, die zum Schluss kommt, 73 Prozent der EinwohnerInnen der seit einem Jahr FN-regierten Städte seien mit der Amtsführung ihrer Rathäuser „zufrieden“. Als erste positive Eigenschaft wird von den Befragten dabei „Autorität“ genannt (82 Prozent). Aber 72 Prozent stimmten auch der Aussage zu, öffentliche Gelder würden „gut verwaltet“. Im Unterschied zu sonstigen Kommunen in Frankreich, wo die Zustimmungsrate zum letzten Punkt durchschnittlich 59 Prozent betrage.

Zufrieden?

Jacqueline, frisch pensionierte Lehrerin aus Cogolin – ihr Name wurde aus Sicherheitsgründen redaktionell geändert –, ist seit Monaten gegen den FN aktiv. Nach der Wahl im März 2014 hatten Jugendliche mit Migrationshintergrund in der sonst ruhigen Stadt zuerst wütend reagiert, und am Abend des Wahlsonntags versucht, Autos umzuwerfen. Jacqueline und andere Erwachsene sprachen sie an, schlugen ihnen vor, ihre Energien lieber politisch zu kanalisieren, und treffen sich seitdem regelmäßig mit den jungen Leuten. Drei Flugblätter erschienen so bereits.

Diese Zahlen wundern sie nicht. „Zwar höre ich in meiner Stadt selten jemanden sagen, er finde die Rathauspolitik der Rechten gut. Aber ich höre genau so kaum jemanden sich beklagen, und das wiegt schwerer.“ Den FN lobe man auch nicht unbedingt für das, was er konkret in den Rathäusern durchführe, sondern man wähle ihn eher als Ausdruck von Ressentiments und um „Dampf abzulassen“, gegen die Anderen – gegen die „Systemparteien“, oder auch gegen die Ausländer. Diese Dimension sei viel wichtiger, als dass sich die WählerInnen wirklich einzelne Verbesserungen vom FN erwarteten.

Die Aussage, dass die Finanzmittel in guten Händen seien, widerspiegele vor allem die angekündigten Ausgabenrückgänge und Einsparungen an. Aber die tun doch in ihren Folgen auch weh? „Die Mehrzahl der Leute“, meint Jacqueline, „meinen, das treffe sie ja nicht, sondern die Wohnbezirke an der Peripherie. Und damit Gegenden mit hohem Ausländeranteil. Viele sagen sich: Wenn es auf deren Kosten geht, dürfen ruhig schmerzhafte Einschnitte erfolgen.“

Dabei würde das Sparmesser unter anderem bei den Schulen angesetzt, wo fast alle rechtsextrem regierten Rathäuser bei Kantinenspeisung oder Schüler/innen/transport die Gebühren erhöht oder Kinder und Jugendliche ausgeschlossen hätten. In Cogolin wurde etwa die bisher kostenlose Austeilung von Wörterbüchern für den Sprachunterricht eingestellt, und die Familien müssen diese nun selbst kaufen. In anderen FN-regierten Kommunen seien Schulbusse verteuert oder städtische Angebote für Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe gestrichen worden. In einem Fall habe dies zu Protesten geführt, in Beaucaire. Dort kam es Ende Januar und Anfang Februar 15 zu Demonstrationen im alten Stadtzentrum, nachdem das Sozialzentrum Maison du vivre ensemble am 28. Januar 15 mangels Finanzierung dicht machen musste. Bislang hatten dort rund 100 Kinder schulische Nachhilfe erhalten. Die Reaktion des FN-Bürgermeisters Julien Sanchez: „Wenn diese Schüler Schwierigkeiten haben, weil sie kein Französisch sprechen, dann ist das nicht unser Problem, wir haben nicht dafür zu zahlen!“

Symbolpolitik…

Aber wie viel Macht haben die rechtsextrem regierten Rathäuser wirklich, abgesehen von kommunal finanzierten Leistungen wie dem Unterhalt von Stadtteilzentren? „Nicht wirklich viel Macht“, meint der CGT-Gewerkschafter Jean in Cogolin, „aber zunächst einmal kann die extreme Rechte in ihren Rathäusern Symbolpolitik betreiben und dadurch Marksteine setzen.“ In seiner Stadt plant die Kommunalregierung etwa, einen Parkplatz umzubenennen, um ihm den Namen place Maurice Barrès zu geben. Barrès war ein 1923 verstorbener Schriftsteller und antisemitischer Nationalist. Aufgrund von Protesten und Artikeln in der Lokalpresse erfolgte die seit Herbst geplante Umbenennung in Cogolin allerdings bislang nicht.

Anders als die am vergangenen Samstag, den 14. März 15 in Béziers. Dort wurde die „Straße des 19. März 1962“ tatsächlich umbenannt, während Hunderte von Menschen dafür und Hunderte dagegen demonstrierten - in rue Hélie Denoix de Saint-Marc. Der alte Name bezog sich auf das Datum, an dem der Waffenstillstand im Algerienkrieg in Kraft trat. Der neue ehrt einen rechten Militär und Kolonialkriegen, der im April 1961 am gescheiterten Rechtsputsch von Generälen gegen den Präsidenten Charles de Gaulle teilnahm – die Putschisten warfen ihm „Verrat“ aufgrund seiner Bereitschaft zum Rückzug aus Algerien vor.

und Personalentscheidungen

Auch bei der Personalpolitik verfügen die Kommunalregierungen über Entscheidungsspielräume. In Cogolin nutzte der rechtsextreme Bürgermeister Marc-Etienne Lansade diese etwa, um im Oktober letzten Jahres einen neuen „Kommunikationsdirektor“ für die Kommune zu ernennen. Seine Wahl fiel auf einen jungen Mann, der beim Inlandsgeheimdienst eine Akte wegen „Hooligan- und rechtsradikalen Umtrieben“ hatte. Es handelte sich um Julien Langella, einen Aktivisten der außerparlamentarischen neofaschistischen Aktivistentruppe Bloc identitaire – das ist die Nachfolgeorganisation der 2002 gesetzlich verbotenen, gewalttätigen Gruppierung Unité Radicale. Auf Kritik reagierte Lansade zunächst, indem er der Presse erklärte: „Das ist gar kein Problem, er ist ein sehr netter Junge!“ Inzwischen allerdings, so Jacqueline, hat Langella keine Funktion mehr im Rathaus, ohne dass man genau wüsste, warum der Bürgermeister sie ihm entzogen hat.

Lansade traf aber auch noch andere, mindestens ebenso umstrittene Personalentscheidungen. Etwa, indem er die Kommunalpolizei dem stellvertretenden Bürgermeister Eric Masson unterstellte. Jener arbeitete früher als Kommunalpolizei in Cannes, wurde jedoch im Juli 2014 unehrenhaft aus dem öffentlichen Dienst entlassen: Anlässlich von Konflikten hatte er herumgeschrien, Kollegen belästigt, und eine schwangere Mitarbeiterin wurde wegen seiner Anfälle in die Klinik eingeliefert. Dazu läuft auch ein Strafverfahren. Aber Lansade eckte auch an, indem er Jean-Marc Smadja zum neuen „Sonderberater für Stadtplanung“ ernannte. Jener soll sich insbesondere um die Überbauung eines 13 Hektar großen städtischen Grundstücks kümmern.

Diese Wahl kam nicht bei allen gut an. Denn Smadja war von 2002 bis 2008 Direktor einer städtischen Baugesellschaft im Pariser Vorort Levallois-Perret, unter dem dortigen Bürgermeister Patrick Balkany. Der Konservative Balkany und seine Amtsführung sind seit Jahr und Tag zum personifizierten Symbol für Korruption und mafiaähnliche Amtsführung geworden. Seit Oktober 2014 läuft ein Strafverfahren gegen Balkany wegen Korruption und Geldwäsche; just am Mittwoch dieser Woche (den 18. März 15) stimmt das Parlament über die Aufhebung seiner Abgeordnetenimmunität ab. Cogolins Bürgermeister Lansade wohnte selbst bis kurz vor seiner Wahl in Levallois-Perret. In „seiner“ Kommune an der Côte d’Azur soll Smadja sich nun um den Neubau von Luxushotels und –wohnungen kümmern und Geld in die Rathauskassen spülen. Bürgermeister Lansade, anscheinend vom Größenwahn gepackt, will bis 2020 die Einwohnerzahl um 60 Prozent erhöhen und eine geldkräftige Klientel anziehen. Bei einer öffentlichen Veranstaltung im November 14 tönte Lansade dazu: „Ich werde von monsterhafter Gefräßigkeit sein!“ Einige Einwohner/innen erhoffen sich nun, dies werde gut für die Kommune und ihre Finanzen sein; andere befürchten, die Sache werde eher der Bereicherung einer kleinen Personengruppe dienen.

Inländerbevorzugung“, Rassismus & Diskriminierung

Delikat wird das Ausloten der Spielräume rechter Kommunalregierungen, wenn es um die Anwendung dessen geht, was das programmatische Kernstück des Front National ausmacht: die préférence nationale oder „Inländerbevorzugung“, also den Wunsch nach einer systematischen Diskriminierung gegenüber Menschen ohne französischen Pass. Eine solche Politik explizit durchzuführen, verstieße gegen geltende Gesetze, Verfassung und EU-Recht gleichermaßen. Dies hinderte die Vizebürgermeisterin von Cogolin, Régine Rinaudo, nicht daran, im Winter 2014/15 in der Kommunalzeitung Cogolin Terre-mer ganz offen zu schreiben: „Wie wir es während des Wahlkampfs ankündigten, werden wir eine Sozialpolitik einführen, die sich an der Bevorzugung von Inländern und vor allem von Cogolinois orientiert. Besonders bei der Vergabe von Sozialwohnungen, für welche wir zahlreiche Anträge haben.“ Lässt sich nachweisen, dass etwa Menschen mit ausländischem Pass dabei gezielt benachteiligt werden, dann liegt allerdings ein klarer Gesetzesverstoß vor.

An das geltende Gesetz erinnert werden musste das Rathaus bereits in einer anderen Angelegenheit. Im vergangenen Herbst weigerte die rechtsextreme Kommunalregierung sich monatelang standhaft, einen Eheschluss für ein junges französisch-marokkanisches Paar zu vollziehen: Die junge Frau wolle sich doch nur ein Aufenthaltsrecht erschleichen, wurde unverhohlen behauptet. Dafür gibt es in Frankreich eine rechtliche Handhabe, aber nur eine einzige: Beim Vorliegen eines Verdachts auf eine „Scheinehe“ kann ein/e Bürgermeister/in die zuständige Staatsanwaltschaft einschalten. Kommt diese zum Schluss, dass die Ehe nur vorgetäuscht sei, kann sie die Hochzeit aussetzen – sonst sind alle Institutionen dazu verpflichten, die Heirat zu registrieren, weil das Recht auf Ehe zu den unveräußerlichen Grundrechten zählt. In dem Falle kam die Staatsanwaltschaft zum Schluss, es liege kein Anhaltspunkt auf Gesetzeswidrigkeit vor. Das Rathaus musste die Ehe schließen. Doch es legte nach und griff das Paar in aller Öffentlichkeit an. In der letzten Ausgabe der Kommunalzeitung (vom Januar/Februar 15) wird dem Staatsanwalt vorgeworfen, er habe das Rathaus zur Komplizenschaft bei einer Scheinehe verpflichtet. Und die Kommune werde Strafanzeige erstatten, wegen angeblicher Beleidigung, weil es zu unfreundlichen Wortwechseln zwischen den Standesbeamten und dem jungen Paar gekommen war.

Wie man sich denken kann, sind auch Versuche, Moscheen oder muslimische Gebetshäuser zu errichten, in den FN-regierten Kommunen schwierige Unterfangen. In Fréjus beschloss das Rathaus am 17. November 14, den bereits im Gang befindlichen Bau einer Moschee – die durch den Vorgänger des Bürgermeisters genehmigt worden war – amtlich zu stoppen. Doch ein Gericht hob den neuen Beschluss am 19. Dezember 14 auf und zwang das Rathaus, den Weiterbau zuzulassen. Dabei blieb es bislang, auch wenn ein Teil der rechten Basis tobt und sich im Internet wutentbannt darüber auslässt.

Anders lief es im FN-regierten Rathaus von Mantes-la-Jolie, eine Autostunde westlich von Paris. Dort verhinderte die Kommune den bereits unter der alten Rathausführung genehmigten Aufkauf eines Geländes durch die moslemische Gemeinde. Diese klagte, und der Rechtsstreit ist anhängig. Wie das Wochenmagazin L’Obs im Februar 2015 herausfand, hat die Kommunalregierung sich aber bereits auf eine Verurteilung eingestellt: Sie plante schon vor Monaten 500.000 Euro in ihr kommunales Budget ein, für eine Schadensersatzzahlung in diesem Rechtsstreit. Den geplanten Bau eines Gebetsraums für die Muslime will sie weiterhin verhindern – aber die örtlichen Steuerzahler/innen dafür finanziell aufkommen lassen.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.