Eine Reihe von Diskussionen
mit Leuten, die gemeinhin keine sich als revolutionär
verstehende linke Papier- oder Internetpresse lesen, haben
mich veranlasst, mir Gedanken darüber zu machen, wie gerade
solche Leute für eine Position in dieser Angelegenheit
gewonnen werden könnten, die sich deutlich von der der
Mainstream-Medien unterscheidet.
Fast alle von uns, die sich mit der Ukraine und weitgehend
auch dem heutigen Russland erst seit der aktuellen Krise, also
seit ca. einem Jahr, beschäftigen, müssen zugeben, dass wir,
auch wenn wir uns noch so viel Mühe geben und Dieses und Jenes
lesen, alleine wegen der im Allgemeinen bestehenden
Unfähigkeit, Russisch oder Ukrainisch zu verstehen, und wegen
der großen Unwahrscheinlichkeit, wenn überhaupt dann jemals
für längere Zeit in dem einen oder anderen Land gelebt zu
haben, nur eine oberflächliche Kenntnis des Problems haben
können. Damit ähneln wir dem Gros der westlichen Journalisten,
jedenfalls soweit man aus ihren Artikeln schließen kann. Wir
sind im Einzelnen kaum in der Lage, konkrete Fakten etwa über
das Kräfteverhältnis innerhalb der Volksrepubliken von
Novorossia (Donbass etc.), die militärische Lage, die Stimmung
in unterschiedlichen Regionen der Rest-Ukraine etc. etc.
verlässlich zu beurteilen. Auch was wir über Russland, die
Herrschaft Putins etc. „wissen“, sollte nur mit großer
Vorsicht verkündet werden. Das gilt auch, wenn man durchaus
Fakten an der Hand hat, die westlich-imperialistische
Propaganda seriös zurückzuweisen. Generelle Kenntnis von i.A.
aus dem Marxismus in Verbindung mit historischen Erfahrungen
gewonnenen sozialen Gesetzmäßigkeiten ist auch sehr nützlich.
Sollte es nun in der Tat so sein, dass 1. In Putins Russland
ein antiliberales oder besser freiheitsfeinliches autoritäres
bürgerliches Oligarchen-Regime herrscht, dass 2. nicht nur in
der Rest-Ukraine pathologische ukrainische Chauvinisten in der
Tradition des exterminatorischen Rassisten Stepan Bandera im
taktischen Bündnis mit Teilen der ukrainischen
Kompradorbourgeoisie herrschen, sondern auch in Novorossia
russische Rechtsextremisten an führender Stelle mitmischen (es
wäre in der Tat verwunderlich, wenn das Gros der dortigen
bewaffneten Kräfte sich aus „Gutmenschen“ rekrutieren würde,
deren Parole „Schwerter zu Pflugscharen“ lautet), dann wäre
meine Antwort an die eingangs erwähnten Diskussionspartner
(Radikaldemokraten, linke Sozialdemokraten udgl.) diese:
Das “freiheitsfeindliche autoritäre bürgerliche
Oligarchen-Regime“ in Russland zu beseitigen, ist in erster
Linie Aufgabe der russischen („russisch“ im Sinne der
Staatsbürgerschaft der RF, nicht der ethnischen Zugehörigkeit)
Arbeiterklasse, die die einzige Klasse im Land ist, die ein
objektives Interesse an einer Alternative hat, die besser sein
könnte als das aktuelle Regime. Die Ukraine aber ist, da
unsere Herrschenden hier unmittelbar intervenieren, sie in die
EU und die NATO strebt und unsere “Schutzmacht“ USA sie im
Interesse der Niederhaltung der perspektivisch konkurrierenen
RF in die NATO bringen möchten, die – ob wir wollen oder nicht
– einen großen Teil unserer Lebensverhältnisse mitbestimmen,
in viel unmittelbarer Weise „unser“ Problem. Die
oppositionelle Bewegung in Novorossia strebt nicht in EU und
NATO. Ihrer inneren Verhältnisse sind deshalb nur sekundär
unser Problem (sieht man einmal von den Anforderungen eines
allgemeinen heute eher unspezifischem „Internationalismus“
ab). Hingegen haben wir ein unmittelbares Interesse daran,
dass in Zukunft die Angelenheiten des EU-Europas nicht
zusätzlich zu polnischen und baltischen antirussischen
Nationalisten auch noch durch ukrainische Vabanquespieler und
offene Faschisten innerhalb und außerhalb des „Rechten
Sektors“ mitbestimmt werden. Das ist keine Frage der
sozialistischen Revolution, sondern eine der Verteidigung der
stets von unseren Herrschenden bedrohten Reste bürgerlichen
Demokratie und Aufklärung. Die sozialistische Revolution hier
oder sonst wo wird nicht real auf der Tagesordnung stehen,
wenn diejenigen, die sie anstreben, nicht einmal in der Lage
sind, die bürgerliche Demokratie zu verteidigen. Der Sturz des
Kiewer Regimes oder zumindest seine Isolierung vom Resteuropa
ist dafür unverzichtbar.
Editorischer Hinweis
Wir erhielten
den Kommentar vom Autor für diese Ausgabe.
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