Am Abend des 21. April 1945
flatterte vom Turm der Marzahner Dorfkirche die erste rote Fahne
in Berlin. Soldaten der 5. Stoßarmee unter Generaloberst N. E.
Bersarin hatten sie gehißt, nachdem sie den Ortsteil nach
schweren Kämpfen gestürmt hatten.
Zur selben Stunde standen
nördlich davon Truppen der 3. Stoßarmee unter Generaloberst W.
I. Kusnezow in den Vororten Buch, Karow, Blankenfelde und
Malchow. Gleichzeitig gingen die Verbände der 8. Gardearmee
unter General W. I.Tschuikow auf Petershagen und Fredersdorf vor
und erreichten die Stadtgrenze bei Mahlsdorf und Schöneiche.
Der Krieg kehrte in die Stadt
zurück, von der er seinen Ausgang genommen hatte....
.....Beauftragte
des Nationalkomitees »Freies Deutschland«, die mit dem
Fallschirm hinter den deutschen Linien abgesprungen waren,
erhielten die Aufgabe, in der Reichshauptstadt wichtige
militärische Objekte zu erkunden und Kontakte zur deutschen
Widerstandsbewegung herzustellen. Eine Gruppe, darunter der
Sozialdemokrat Heinz Nawrot, geriet am 11. April 1945 in
Lichtenberg in eine SS-Kontrolle und wurde in einem Feuergefecht
am Weißenseer Weg völlig aufgerieben. Paul Lampe und Heinz
Müller, Ende Februar 1945 mit einer Einsatzgruppe des
Nationalkomitees »Freies Deutschland« illegal nach Berlin
gekommen, organisierten im Stadtbezirk Friedrichshain die
bewaffnete Kampfgruppe Osthafen, der rund 50 kommunistische und
sozialdemokratische Genossen sowie parteilose Antifaschisten
angehörten. Von ihrem Stützpunkt in der Stralauer Allee 26 aus
unternahmen die Mitglieder dieser Kampfgruppe mutige Aktionen.
Sie entwaffneten fanatische Nazis, überredeten deutsche Soldaten
und Flakhelfer dazu, die Waffen niederzulegen, sie sprengten
faschistische Munitionslager und verhinderten im letzten
Augenblick die Zerstörung der großen Lebensmittelmagazine am
Osthafen. Bei einer solchen Aktion ließen die Antifaschisten
Fritz Fieber und Paul Schiller am 23. April 1945 ihr Leben.
Biesdorf eilte eine Gruppe
Kommunisten und Sozialdemokraten den Rotarmisten entgegen und
rettete den Ortsteil vor der Zerstörung. In Bohnsdorf wies
Walter Müller, vor 1933 im Arbeiter-Samariter-Bund tätig, den
Sowjettruppen den Weg. In Tegel ging der Kommunist Kurt Behr den
Befreiern entgegen. In Köpenick-Nord empfingen am 23. April
KPD-Genossen die sowjetischen Einheiten mit weißen und roten
Fahnen. In Weißensee stand die Kommunistin Else Jahn als Lotse
auf dem ersten Panzer vom Typ T-34, der sich seinen Weg durch
den Stadtbezirk bahnte; sie wurde von einer SS-Kugel getötet.
In
Rahnsdorf verhinderte der Arzt Dr. Stössel durch sein beherztes
Eingreifen, daß ein mit Frauen, Kindern und Kranken
vollbesetzter Bunker unter Beschüß genommen wurde. In
Friedrichshagen ging eine Krankenschwester den sowjetischen
Panzern mit einer weißen Fahne entgegen. In den
Luftschutzkellern sprachen Kommunisten und andere Antifaschisten
den durch die Goebbels-Propaganda verängstigten Menschen Mut
zu, als die Rote Armee ihre Wohnviertel befreite.
In der Nacht vom 1. zum 2. Mai
unternahmen die Faschisten beiderseits der Schönhauser Allee
einen verzweifelten Ausbruchversuch. Eine Gruppe mit Panzern
war bereits zwischen S-Bahnhof und Berliner Straße in schweren
Kämpfen aufgerieben worden. Da erschien ein sowjetischer
Offizier in einem Luftschutzkeller der Stolpischen Straße und
fragte, ob jemand bereit wäre, als Parlamentär zu den Faschisten
zu gehen, damit weiteres Blutvergießen verhindert werde. Ohne
zu zögern, meldete sich der Kommunist Otto Lempke; mit drei
weiteren Männern erreichte er, daß andere ausbrechende Gruppen
die Waffen streckten. Durch Mut und Beherztheit gelang es
vielerorts, Wohnviertel und Ortsteile kampflos zu übergeben und
Menschenleben zu retten.
Besondere Verdienste erwarben
sich Berliner Antifaschisten, die unter Einsatz ihres Lebens
sinnlose Vernichtungsakte fanatischer Nazis verhinderten. In
Kaulsdorf und Johannisthal bewahrten Arbeiter die dortigen
Wasserwerke vor der Sprengung durch die SS. An der Langen Brücke
in Köpenick durchschnitt der Antifaschist Karl Henkner die
Zündschnüre für die Sprengladungen; Gleiches gelang dem
Kommunisten Zoeusch im Spreetunnel von Friedrichshagen. In
vielen Betrieben harrten klassenbewußte Arbeiter während der
Kampfhandlungen aus; sie dämmten Brände ein, verhinderten oft in
letzter Minute faschistische Zerstörungsakte und bereiteten die
Arbeitsaufnahme vor. Oft wurden sie dabei von sowjetischen
Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern in Rüstungsbetrieben
unterstützt, die seit langem mit deutschen Widerstandsgruppen
zusammenarbeiteten.
Dramatisch verlief die Rettung
des Kraftwerkes Klingenberg. Einer antifaschistischen
Widerstandsgruppe im Betrieb gelang es, Verbindung zu
sowjetischen Aufklärern herzustellen und sie davon zu
unterrichten, daß die SS die Sprengung der Anlagen plante. Der
Kommandeur der 230. Schützendivision, Oberst D. I. Schischkow,
erhielt den Befehl, das Kraftwerk nach Möglichkeit sofort
unbeschädigt einzunehmen. Erbitterter Widerstand der Faschisten
mußte überwunden werden, bevor eine Sturmtruppe zu den
Turbinenräumen und zur Schaltzentrale vordringen konnte.
Gemeinsam mit deutschen Arbeitern, die ihnen den Weg wiesen,
zertrennten die Rotarmisten die Sprengkabel in letzter Minute.
Berlins größtes Kraftwerk war gerettet!
Im Luftschutzkeller der
Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität in der
Hannoverschen Straße hatten Prof. Dr. Johannes Dobberstein und
andere Mitarbeiter Zuflucht gesucht; sie veranlaßten deutsche
Soldaten, die hier kämpfen sollten, zur Kapitulation, nahmen
Verbindung zur vorrückenden Sowjetarmee auf und retteten damit
Menschenleben und wissenschaftliches Material.
Editorische
Hinweise
Text und
Bildmaterial wurden übernommen aus: Gerhard Keiderling Berlin
1945-1986, Geschichte der Hauptstadt der DDR, Berlin 1987, S. 7
und 22-24