....Während die
Schlacht noch tobte, begannen sowjetische Offiziere in den
schon befreiten Gebieten von Berlin wieder normale
Lebensbedingungen für die Bevölkerung zu schaffen. Grundlage
dafür war der Befehl Nr. 5 des Kriegsrates der 1. Belorussischen
Front vom 23. April 1945, der die Bildung von
Militärkommandanturen unmittelbar nach dem Durchzug der
Kampftruppen vorsah. Den Kommandanten oblag es zunächst, die
Sicherheit der Sowjettruppen im frontnahen Gebiet zu
gewährleisten und versprengte faschistische Truppen und Banden
des sogenannten Werwolfs unschädlich zu machen. Gleichzeitig
kümmerten sie sich um die elementaren Lebensinteressen der
Bevölkerung in ihrem Bereich. Herumliegende Munition mußte
eingesammelt, Brände mußten gelöscht werden. Es galt, eine
erste medizinische Fürsorge zu organisieren, Lebensmittel für
die nächsten fünf Tage auszugeben und die Obdachlosen
unterzubringen. Die Militärkommandanten nahmen umgehend
Verbindung zur Bevölkerung auf. Ein sowjetischer Offizier
erläuterte später gegenüber einem britischen Journalisten: »Wenn
wir auf einen Mann stießen, der den Faschismus schon in Spanien
bekämpft hat oder der wegen seiner Standhaftigkeit gegenüber
dem Nationalsozialismus jahrelang Gefangenschaft erdulden mußte,
dann sahen wir in ihm einen Menschen, der uns helfen würde, die
Reste der Naziherrschaft auszurotten.«(9)
Zumeist
stellten sich deutsche Antifaschisten - aus der Illegalität
heraustretende Kommunisten und Sozialdemokraten sowie andere
aufrechte Hitlergegner - sofort den Kommandanten zur Verfügung.
Ihr erster Auftrag lautete, aus den aufbaubereiten Kräften einen
Bürgermeister und Mitglieder für neue Orts- und
Bezirksverwaltungen vorzuschlagen. So wurde am 22. April in
Wilhelmshagen der Kommunist Jakob Weber zum Ortsbürgermeister
ernannt. Einen Tag später setzte der Militärkommandant den
Kommunisten Erwin Hübenthal als Ortsbürgermeister von
Friedrichsfelde ein. In Weißensee forderte der Kommandant
Oberstleutnant Jakowlew eine Gruppe Antifaschisten auf: »Holen
Sie alles zusammen. Kommunisten, Sozialisten, Doktoren,
Professoren.«(10) Er benannte am 25. April den Kommunisten
Jakob Kaszewski zum ersten Bezirksbürgermeister von Weißensee.

Am gleichen Tag
meldete sich in Johannisthal eine Gruppe von KPD-Genossen in der
Kommandantur, die Georg Neumann zum Ortsbürgermeister berief. So
geschah es überall: in Müggelheim, Rauchfangswerder, Bohnsdorf
und anderen Randgebieten ebenso wie in dichtbesiedelten
Bezirken, die bereits befreit waren. In Steglitz wurde der
Kommunist Fritz Starke mit der Bildung einer Bezirksverwaltung
beauftragt, in Spandau der Sozialdemokrat Dr. Münch. In
Stadtbezirken mit einem geringeren Anteil von Arbeitern an der
Wohnbevölkerung beteiligten sich
viele bürgerliche Hitlergegner an den ersten Schritten zum
Wiederaufbau. Uber die Bildung der Bezirksverwaltung Wilmersdorf
am 1. Mai liegt folgender Bericht vor:
»Es war eine denkwürdige
Sitzung. Es galt, sterbende Mensehen zu retten, Brände zu
löschen, Krankenhäuser mit Lebensmitteln zu versorgen. Nachdem
in formlosester Weise einige Aufgaben verteilt worden waren,
begab sich dieses Gremium zum sowjetischen Kommandanten, der
sein Quartier in einem Wohnhaus der Berliner Straße
aufgeschlagen hatte. Auch diese Vorstellung bei dem
sowjetischen Major wird den Beteiligten unvergeßlich bleiben.
Fast alle waren von der Herzlichkeit der Begrüßung überrascht.
Nachdem der Kommandant seiner Freude Ausdruck gegeben hatte,
Vertreter eines antifaschistischen Deutschlands vor sich zu
sehen, entwickelte er ein Programm des Wiederaufbaus in
Wilmersdorf, daß den Anwesenden angesichts der rauchenden
Trümmer draußen ganz schwindlig wurde. Allen wurde dabei klar:
Hier sprach ein Freund zu Freunden, der Vertreter einer Macht,
die mit allen Kräften am Aufbau eines demokratischen
Deutschlands zu helfen gewillt war. Diese Besprechung fand
statt, während zwei Kilometer weiter am Fehr-belliner Platz noch
geschossen wurde.«(11)
Die
wichtigste Aufgabe, die sowjetische Kommandanten und deutsche
Antifaschisten gemeinsam anpackten, war die Verteilung der
Lebensmittel, die die Rote Armee anlieferte. Auf Befehl des
Kriegsrates der 1. Belorussischen Front vom 23. April standen
als erstes 6 000 Tonnen Mehl, 1 250 Tonnen Fleisch, 75 Tonnen
Schweinespeck, 12000 Tonnen Kartoffeln, 550 Tonnen Salz, 500
Tonnen Zucker und 65 Tonnen Kaffee aus Armeebeständen zur
Verfügung. Diese Mengen erhöhten sich in den Folgetagen.
Gemeinsam mit aufbauwilligen Kräften kümmerten sich die neuen
Bürgermeistereien um eine gerechte und schnelle Verteilung der
Lebensmittel. Bäckereien begannen wieder zu arbeiten, Geschäfte
wurden eröffnet. Der Ortsbürgermeister von Wilhelmshagen, Jakob
Weber, berichtete: »Wir haben von Anfang an täglich pro
Hausausweis 300 g Brot ausgegeben, für das die Rote Armee das
Mehl lieferte. Wenige Tage später hat die Rote Armee auf Lkw
fünf Tonnen Brot und regelmäßig Mehl geliefert. Vom zweiten Tag
der Anwesenheit der Roten Armee, also ab 24725. April, hat sie
an alle Kinder der Gemeinde ein Mittagessen ausgegeben. Das hat
natürlich große Befriedigung hervorgerufen und auch Auftrieb
gegeben.«(12)
Berichte gleichen Inhalts liegen auch aus anderen Berliner
Stadtbezirken und Ortsteilen vor.

Vielerorts ergriffen die
Antifaschisten selbst die Initiative, um die Versorgung der
Bevölkerung zu sichern und Plünderungen zu unterbinden. So
berichtete Karl Ohlew, damals kommissarischer Bürgermeister in
Kaulsdorf-Nord:
»Zu der Zeit, als bei uns schon
die Rote Armee war, tobten im Stadtinnern noch Kämpfe. Es gab
keine Lebensmittelkarten und
wurden eingefangen und im Auftrag des Bürgermeisters von dem
Schlächtermeister Grahlke in der Schlächterei von Adelhoch,
Giesestraße, geschlachtet.
Wir fertigten
Lebensmittelkarten aus alten Postkarten an, auf die wir Fleisch
ausgaben.
Schlecht sah es
mit Brot und Kartoffeln aus. Teile der völlig verzweifelten, oft
keinen Ausweg sehenden Bevölkerung plünderten die
Kartoffelmieten auf den Rieselfeldern. Hier mußte unsere
freiwillige antifaschistische Polizeigruppe eingreifen. Sie
schützte die Mieten und sicherte damit eine gleichmäßige
Verteilung der geringen Bestände an die Bevölkerung.
Die Mehlvorräte
des Bäckermeisters Schnabel beschlagnahmte die Rote Armee, um
sie vor der Plünderung zu schützen, und übergab sie der
Bürgermeisterei zur Herstellung von Brot.
So versuchten wir, die Not zu lindern. Auch die durchziehenden
Kolonnen der Roten Armee gaben den Einwohnern Brot.«(13)
Anmerkungen:
9) Zit. nach:
Gordon Schaffer: Ein Engländer bereist die russische Zone,
Berlin 1948, S.21.
10) »Es begann in der Großen Seestraße«. In: BZ am Abend, 17.
Mai 1965.
11) »Erste Schritte der Freiheit in Wilmersdorf«. In: Berliner
Zeitung, 1. Mai 1955.
12) Bezirksleitung Berlin der SED, Bezirksparteiarchiv (im
folgenden: BPA), Sammlung Erinnerungsberichte.
13) Die letzten Tage des Krieges. Die ersten Tage des Friedens.
40.Jahrestag des Sieges über den Hitlerfaschismus und der
Befreiung des deutschen Volkes. Hrsg.: Bezirksvorstand Berlin
der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, Beriin
o.J. (1985), S. 41/42.
Editorische
Hinweise
Text und
Bildmaterial wurden übernommen aus: Gerhard Keiderling Berlin
1945-1986, Geschichte der Hauptstadt der DDR, Berlin 1987, S.
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