„Wir
sind im Krieg, und Europa ist im Krieg!“ So
lautete die erste Reaktion des französischen
Premierministers, des sehr weit rechtsstehenden
Sozialdemokraten Manuel Valls, am Dienstag (den 22.
März d.J.) auf die mörderischen Attentate von Brüssel.
Zum wiederholten Male äußerte
der Politiker, der seit April 2014 an der Spitze der
französischen Regierung steht, sich auf martialische
Weise, die den Unterschied zwischen dem Terroranschlag
einer kriminellen Gruppe und einem zwischenstaatlichen
Krieg nivelliert.
Etwas
zurückhaltender und feierlicher blieb dieses Mal sein
Vorgesetzter, Staatspräsident François Hollande (er
hatte aber ansonsten auch bereits von „Krieg“ im
Zusammenhang mit den Attentaten auf französischem Boden
gesprochen). Er sprach von „feigen und
furchtbaren Attentaten“, erklärte seine
„Solidarität und Freundschaft mit dem belgischen Volk
und den belgischen Behörden“ und fügte hinzu:
„Belgien wurde getroffen, doch Europa war im Visier,
und die gesamte Welt ist betroffen.“
Auf
stärker humoristische Weise wurde das Thema von vielen
Zeichnerinnen und Karikaturisten verarbeitet. In der
französischen Regionalzeitung La Montagne
aus Clermont-Ferrand zeigte eine Karikatur etwa die
beiden Comicfiguren Obelix und Tintin – deutsch in „Tim
und Struppi“ -, die sich umarmen, um darauf
anzuspielen, sowohl Frankreich (verkörpert durch
Belgien) als auch Belgien (Tintin/Tim) seien in
jüngster Zeit von Attentaten getroffen worden.
Ebenfalls von Paris aus meldete sich der dort im Exil
lebende algerische Karikaturist Ali Dilem. Er zeichnete
ein Mann mit einem Schild „Ich bin Brüssel“, angelehnt
an Je suis Charlie vom Januar 2015. Eine
Menge von Schildträgern mit Aufschriften wie „Ich bin
Mali“, „Ich bin Ankara“ oder „Ich bin Beirut“ schaut
ihn an, und der Mann mit dem Brüssel-Schild fragt
zaghaft: „Könnt Ihr mir ein bisschen Platz machen?“
Wie zu erwarten, wurde
der Schrecken über die neuen Anschläge mit über 25
Toten aber auch alsbald politisch ausgenutzt. Der
französische Minister für parlamentarische
Angelegenheiten, Jean-Marie Le Guen, forderte etwa die
beiden Kammern des Parlaments – Nationalversammlung und
Senat – dazu auf, sich nun endlich zu einigen und die
heftig umstrittene Ausbürgerungsregel zu verabschieden,
um sie in die Verfassung aufzunehmen zu können. Diese
geplante Bestimmung, die bislang noch durch
Uneinigkeiten zwischen der sozialdemokratisch
dominierten Nationalversammlung und dem konservativ
beherrschten Senat verhindert wird – bei
Verfassungsänderungen müssen beide Parlamentskammern
einen im Wortlaut identischen Text annehmen -, wird als
eine der Lehren aus den Pariser Attentaten vom November
15 verkauft.
Dabei
geht (ging) es darum, verurteilten terroristischen
Straftätern im Falle des Senats oder den Urhebern von
„Verbrechen oder Vergehen gegen fundamentale Interessen
der Nation“; laut der sehr viel vageren und weiter
gefasste Version der Nationalversammlung, die
französische Staatsbürgerschaft entziehen zu können. In
den Augen des Senats soll es nur Doppelstaatsangehörige
treffen können. Die, in sich zerstrittene,
sozialdemokratische Mehrheit der Nationalversammlung
versuchte, auf die Kritik zu antworten, derzufolge eine
solche Regelung diskriminatorisch wirken würde. Ihr
Textentwurf ermöglicht deswegen sogar die Ausbürgerung
für alle Betroffenen, egal ob mit oder ohne zweite
Staatsbürgerschaft, was angeblich weniger
diskriminiernd ausfällt, aber das Problem der
potenziell staatenlos Werdenden aufwirft. Die
Vorstellung, man müsse bestimmte
Straftätergruppen „aus der nationalen Gemeinschaft
auschließen“
können, wurde zuvor seit Jahrzehnten durch die extreme
Rechte erhoben, und im Juli 2010 griff der damalige
konservative Staatspräsident Nicolas Sarkozy dasselbe
Anliegen erstmals offensiv auf. Sozialdemokraten
zeigten dafür erstmals seit November 2015 ein offenes
Ohr.
Bislang schien es aber, als werde das stark ideologisch
geprägte Vorhaben schlussendlich an der Uneinigkeit
zwischen beiden Kammern scheitern. Minister Le Guen
möchte nun die Gunst der Stunde nutzen, um doch noch zu
ihrer Verabschiedung zu kommen. Ähnlich äußerte
sich auch der (rechte) Vorsitzende der
sozialdemokratischen Parlamentsfraktion, Bruno Le Roux;
er beklagte sich auf Twitter darüber, dass die Haltung
der Konservativen im Senat die geplante
Verfassungsänderung zu Notstands- und
Ausbürgerregelungen „blockiere“. Prompt fing er auf
Twitter einen Streit mit einem – tendenziell kritischen
– sozialdemokratischen Abgeordneten an, welcher
kommentierte hatt, Le Roux solle jetzt keine Maulaffen
feilhaben („Schweig’ lieber“) und die
Sache politisch instrumentalisieren. Tatsächlich
„blockiert“ sei in Wirklichkeit er selbst (der
fragliche Abgeordnete), nämlich am Bahnhof in Brüssel,
wo er die Attentate mitbekam und nun nicht mehr so
schnll wegkomme. // ANMERKUNG zur AKTUALISIERUNG: Am
späten Vormittag des Mittwoch, den 30. März d.J. hat
Präsident François Hollande die ursprünglich geplante
Verfassungsänderung nun anlässlich eines TV-Auftritts
definitiv beerdigt. Es wird also keine
Ausbürgerungsregelung im geplanten Sinne geben.
Jedenfalls keine erweiterte Ausbürgerungsregelung;
unter juristisch eng gesteckten Bedingungen ist ein
Entzug der Staatsbürgerschaft ja bereits heute für
verurteilte „Terrorstraftäter“ in den ersten zehn
Jahren nach ihrer Einbürgerung möglich, dies betrifft
real durchschnittlich circa zwei Personen pro Jahr. Die
am 16. November 2015 durch Staatspräsident Hollande –
der ein Ansinnen seines konservativen Herausforderers
Nicolas Sarkozy vom 15. November 15 aufgriff –
vorgeschlagene Regelung hätte jedoch erheblich weiter
ausgreifen sollen. //
Ferner erhöhte die
französische Regierung die Zahl der ständig
patroullierenden Polizisten und Gendarmen am Dienstag
Mittag (22.03.2015) um 1.600. Seit den Attentaten vom
November 2015 sind aber neben Polizei und Gendarmerie
zusätzlich auch 7.000 Soldaten im inneren Einsatz.
Auf
der Ebene der strafrechtlichen Ermittlung erhofft die
französische Regierung sich für die kommenden Monate
Aufklärung über die Hintergründe der blutigen Attentate
in Paris. Die Festnahme des zehnten und letzten
überlebenden Teilnehmers an den Pariser Anschlägen,
Salah Abdeslam, am Freitag Abend (18. März 16) ) in
Brüssel soll ihren Erwartungen zufolge die Ermittlungen
voranbringen. Abdeslam kooperiert bislang bei den
Vernehmungen mit der belgischen Justiz, erklärte
jedoch, er werde seine Auslieferung nach Frankreich
ablehnen. Letztere wird
bereits seit Freitag durch die französische Exekutive
gefordert. Nachdem Abdeslam seinen Widerspruch
einlegte, muss nun ein Gericht in den kommenden drei
Monaten darüber entscheiden. // ANMERKUNG zur
AKTUALISIERUNG: Salah Abdeslam akzeptiert, wie
mittlerweile verlautet, seine Auslieferung an
Frankreich inzwischen von selbst. //
In
Paris wird in den letzten Wochen zunehmend Kritik von
überlebenden Opfern und Angehörige von Ermordeten bei
den Pariser Attentaten laut. Sie sparen nicht mit
Vorwürfen sowohl an die Regierung als auch am
parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den
Anschlägen. Einige von ihnen wurden am 15. Februar in
den Räumen der Nationalversammlung angehört, anderen
vor wenigen Tagen von Präsident Hollande empfangen.
Kritik
üben sie an der Unterschätzung konkreter Risiken durch
Jihadisten in der Vergangenheit, aber auch wegen der
derzeitigen, ideologisch unterfütterten Schaupolitik
der Regierung. „Warum höre ich ständig von
Ausbürgerungsplänen reden, wenn ich das Radio
einschalte?“ fragte Grégory Reibenberg, der
Chef eines der Restaurants, die im November beschossen
wurden, bei seinem Empfang im Parlament. Ihm und
anderen zufolge ist dies wenig hilfreich, konkrete
statt ideologischer Maßnahmen
und bessere psychologische Hilfe für die Opfer wären
ihnen lieber. Georges Salines, dessen Tochter zu den
Opfern zählt, empörte sich wiederum über einen
Ausspruch von Premierminister Manuel Valls. Der
„Macher“-Politiker hatte über – ihm zufolge -
„soziologische Erklärungen“ der Hintergründe
beteiligter Terroristen Hohn & Spott ausgeschüttet und
hinzugefügt: „Erklären bedeutet bereits ein
Stückweit Entschuldigen“. Dem steht die
Sichtweise mehrerer Opfer und Angehöriger entgegen: „Ich
bin der Letzte, der denjenigen entschuldigen würde, der
meine Tochter tötete“, erwiderte Salines. Aber
die Ursachen dafür, warum apokalyptisch orientierte
Jihad-Sekten überhaupt rekrutieren können, seien
durchaus von Interesse.
Editorische Hinweise
Den Artikel
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe. Eine
gekürzte Fassung davon erschien in der Tageszeitung
,Neues Deutschland’ am 23.03.2016. Anbei fügte der
Autor einige aktualisierende Anmerkungen hinzu,
Stand: 1. April 16. Die wichtigste Neuerung: Die in
Frankreich geplante Verfassungsänderung zur
Ausbürgerungsmöglichkeit für „Terroristen“ ist nun
gescheitert!
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