Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Neue Arbeitsrechts-„Reform“
Mobilisierung in einer kritischen Phase

Teil 14 – Stand vom 13. April 2016

04/2016

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Nach rückläufigen Teilnehmer/innen/zahlen an der samstäglichen Demonstration vom 09. April (gegenüber dem 31. März) gerät die Mobilisierung in eine kritische Phase, wo es gilt, den Druck aufrecht zu erhalten. Die Platzbesetzerbewegung unterhält die Flamme, gerät jedoch selbst unter politischen und polizeilichen Druck, dem sie bislang standhält. Nächste Demonstrationen mit gewerkschaftlicher Unterstützung erst am 28. April. Polizeiprovokationen häufen sich


Gut, dass man solche (Leute zu) Feinde(n) hat. In einer Presseaussendung vom 12. April 16 lässt sich der rechtsextreme frühere Europaparlaments-Abgeordnete Bernard Antony, ein Mann vom nationalkatholischen Flügel des französischen Neofaschismus, über die derzeitig Platzbesetzerbewegung aus. Darin wirft er nur so mit hübschen Begriffen um sich, es ist die Rede vom „anarcho-yuppie-linksradikalen Agitprop“ und einer „steinzeit-achtundsechzigerischen Fauna“ (sic). Doch wie gut, dass solche Leute sich derart feindselig äußern, gerne auch mit Schaum vor dem Mund. Käme Lob von dieser Seite – man hätte definitiv und absolut etwas falsch gemacht.

Aber die derzeitige soziale Protestbewegung und die Platzbesetzungen unter dem Motto der Nuit debout (ungefähr „Wache Nacht“ – die in vielen deutschen Zeitungen benutzte wortwörtliche Übersetzung „Nacht im Stehen“ ist falsch, da die Leute überwiegend im Sitzen teilnehmen!) weisen auch andere Gegner und Feinde auf. Nehmen wir einen freundlichen Herrn mit Namen Jean-Christophe Cambadélis, seines Zeichens Parteivorsitzender der französischen Sozialdemokratie. Laut eigenen Angaben will er in den ersten Apriltagen, unter einem Hut versteckt (respektive einer Schildmütze oder Kappe), auch selbst auf der besetzten place de la République in Paris vorbeigeschaut haben. Anfänglich machte er sogar Anstalten, sich über eine „Repolitisierung“ der gesellschaftlichen Debatte – durch die Platzbesetzungen – zu freuen. Inzwischen hat er jedoch den Abpfiff erteilt: Jetzt ist aber Schluss mit lustig! Am Montag, den 11. April erklärte Cambadélis etwa, es brauche „CRS debout“ (wache oder stehende Bereitschaftspolizisten), um „einen Rahmen zu bewahren“. Ansonsten hatte er bereits am vorigen Freitag, den 08. April verkündet, nun müsse man „sehen, wie diese aktivistische Linke sich in die Atmosphäre der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen einfügt“ (Erstere finden Ende April und Anfang Mai 2017, Letztere dann im Juni 2017 statt). (Zitate nach ,L’Humanité’ vom 12. April 16)

Zuvor hatte der frühere konservative Premierminister, und jetzige Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur des rechten Bürgerblocks (neben Alain Juppé, Nicolas Sarkozy und Anderen) sowie erklärte Putin-Bewunderer, François Fillon öffentlich erklärt, er sei „schockiert“. Und zwar darüber, dass „in Zeiten des Ausnahmezustands“ – er gilt nach jetzigem Stand in Frankreich bis zum 26. Mai 2016, könnte jedoch dann verlängert werden – eine solche Platzbesetzung überhaupt stattfinden dürfe. (Vgl. http://www.lemonde.fr/ )

Am Sonntag, den 10. April erklärte zudem der sozialdemokratische Bürgermeister des (an die place de la République auf der Südseite angrenzenden) 11. Pariser Bezirks, François Vauglin: „Man muss jetzt anfangen, sich Gedanken über eine Räumung des Platzes zu machen.“ Er erzürnte sich ferner über Reibereien mit der Polizei, die in der Nacht vom Samstag zum Sonntag in der Nähe der Métro-Station Voltaire – im elften Bezirk, also „seinem“ – stattfanden. Am späten Samstag Abend war eine Gruppe von wenigen Hundert Menschen von der place de la République aufgebrochen, um das dort liegende Privatdomizil von Premierminister Manuel Valls aufzusuchen (der Politiker war zu dem Zeitpunkt nicht dort, sondern weilte auf Staatsbesuch in Algerien). Die Aktion war eher harmlos; sie blieb jedoch insofern umstritten, als andere Teilnehmende der Platzbesetzerbewegung der Auffassung waren, man solle eher am Amtssitz eines solches Politikers demonstrieren denn dort, wo er in seiner Freizeit quasi als Privatmann wohnt. Andere, ebenfalls mehrere Hundert Teilnehmer/innen brachen zur selben Zeit in die Gegenrichtung auf, nämlich nach Norden in Richtung Métro-Station Stalingrad, wo seit Wochen Migranten unter freiem Himmel campieren und immer wieder nächstens durch die Polizei vertrieben werden.

Infolge von Reibereien mit der Polizei in der Nähe der place de la République kündigte die für „Innere Sicherheit“ zuständige Pariser stellvertretende Bürgermeisterin, Colombre Brossel, am Sonntag zunächst eine Strafanzeige gegen die Platzbesetzerbewegung an. Binnen kürzester Zeit distanzierte die regierende Bürgermeisterin Anne Hidalgo sich jedoch von dieser Ankündigung ihrer sozialdemokratischen Parteifreundin und verkündete, nein, es werde keine Strafanzeige geben. Es existierten schlussendlich auch keine größeren Sachbeschädigungen. (Vgl. dazu die AFP-Meldung, die am Sonntag Abend zunächst die Strafanzeige ankündigte und innerhalb von zwei Stunden umgeschrieben werden musste – ihr Titel steht noch immer im Widerspruch zum Textinhalt: http://www.lefigaro.fr/ )

Es ist hauptsächlich die Weiterexistenz der Platzbesetzerbewegung, die seit dem 31. März dieses Jahres nicht abreißt, die die Flamme des Sozialprotests derzeit unterhält. Denn die größeren Gewerkschaftsverbände, sofern sie (im Gegensatz zur CFDT..) die Proteste gegen das geplante „Arbeitsgesetz“ unterstützen, rufen erst am Donnerstag, den 28. April wieder zu einem Protesttag auf, also fast drei Wochen nach dem letzten vom Samstag, den 09. April. (Die Parlamentsdebatte zu dem umkämpften Gesetzentwurf beginnt nun am 03. Mai dieses Jahres.) Die erhebliche Distanz zwischen beiden Terminen würde ansonsten verhindern, dass eine – über einen brav zu absolvierenden Latschdemo-Termin hinaus reichenden – Dynamik zustande kommt.

Die beteiligten Gewerkschaftsverbände hatten den letzten „Aktionstag“ auf einen Samstag gelegt, im Glauben, dass die Teilnahme an den Demonstrationen dadurch verbreitert werden könne – denn viele abhängig Beschäftigte können es sich „unter der Woche“ (jedenfalls ohne breit befolgten Streik-Aufruf in ihrer Branche) nicht erlauben, einfach einen Tag von der Arbeit abwesend zu bleiben. Die Ergebnisse entsprechen jedoch nicht den Absichten. Die Teilnehmer/innen/zahl war, jenseits der braven Erfolgsmeldungen seitens der betreffenden Gewerkschaften, welche auch von manchen deutschen linken Medien gerne „sieges“besoffen übernommen wurden, rückläufig. – In diesem Zusammenhang übrigens eine große, wirklich wichtige Bitte an deutsche linke Berichterstatter/innen, Medien und Aktive: Hört endlich auf mit besoffenen Erfolgsmeldungen, die in diesem Ausmaß keinerlei Realitätsgrundlage besitzen! Hört auf, Revolutionstouristen zu spielen, und wenn doch, behaltet gefälligst den Bezug zur Wirklichkeit! Nein, wir befinden uns in Frankreich zum jetzigen Zeitpunkt keineswegs im „Generalstreik“, wie mancherorts (völlig fälschlich) zu lesen ist! Nein, es waren am Samstag, den 09. April nicht „100.000 Menschen“ auf der besetzten place de la République in Paris, wie in einer linken Tageszeitung zu lesen war! – So viele Menschen passen auch nie und nimmer auf den verkehrsberuhigten Teil des Platzes, und der Verkehr drumherum wurde zu keinem Zeitpunkt eingestellt. „100.000“ war die Zahl der Gewerkschaftsführungen über die Gesamt-Teilnehmerzahl an der nachmittäglichen Demonstration, die Realität liegt eher bei 40.000 oder vielleicht 50.000, und diese Menschen waren bestimmt nicht alle die Nacht über als Platzbesetzer/innen unterwegs.

Da beißt die Maus nun wirklich keinen Faden ab: Alle Enzelmeldungen aus kleineren Städten belegten, dass an diesem 09. April – am vergangenen Sonnabend – teilweise ein Drittel, mitunter auch zwei Drittel WENIGER Teilnahme zu verzeichnen war als beim letzten Demonstrationstag am Donnerstag, den 31. März d.J. In Alençon beispielsweise waren es sogar nur 250 Demonstrierende am 09. April, gegenüber 1.200 am letzten Märztag (reale Zahlen). Man muss erst einmal die Wirklichkeit nüchtern zur Kenntnis nehmen, um zu analysieren, wo unsere derzeitigen strategischen Stärken & Schwächen liegen. Sicherlich, die Tatsache, dass in Teilen Frankreichs (aber noch nicht etwa in Toulouse, wo die Teilnahme am Samstag ebenfalls zurückging) Schulferien begonnen haben, ist auch mit ursächlich für die rückläufigen Teilnehmerzahlen geworden. Ebenso wie die miesen Wetterbedingungen – nur waren diese am 31. März noch erheblich schlimmer. Und, natürlich, das Fehlen einer über den Sonntag hinausweisenden Kampfperspektive, bis zum weit nach hinten gelegten nächsten „Aktionstag“ am 28. April, motivierte nicht unbedingt zur Teilnahme.

In Paris war der Rückgang hingegen nicht so stark. Und es könnte mit daran gelegen haben, dass die Platzbesetzerbewegung hier besonders sichtbar ist. Auch in anderen Städten finden nächtliche Platzbesetzungen statt, in bis jetzt fünfzig Städten an bislang mindestens einem Abend. Aber nur in Paris bleibt ein zentraler Platz seit dem 31. März dauerhaft und ohne Unterbrechung – abgesehen von kurz anhaltenden Räumungen im Morgengrauen - besetzt, und dies mit (oft) mehreren Tausend Menschen, die daran beteiligt sind.

Die Polizei sprach für Paris von 22.000 Teilnehmenden am 09. April, gegenüber (ihr zufolge) „26.000 bis 28.000“ am 31. März. Die realen Zahlen liegen in Wirklichkeit höher, aber gleichzeitig unterhalb derer der Gewerkschaften, welche offiziell von 100.000 Demonstrierenden in der Hauptstadt sprachen.- Auf ganz Frankreich bezogen, sprach die Polizei in Bezug auf den vergangenen Samstag von „120.000“ Demonstrierenden. (Vgl. bspw. http://www.i24news.tv) Die Realität liegt wohl knapp doppelt so hoch.

Im Zusammenhang mit den Demonstrationen vom 09. April kam es im Nachhinein zu einer Polemik (wie es sie vergleichbar auch bei der Bewegung gegen den „Ersteinstellungsvertrag“ CPE im März 2006 gegeben hatte, damals beschwerte sich der seinerzeitige CGT-Gewerkschafter Bernard Thibault darüber lautstark): Zivilpolizisten traten mit Gewerkschafts- oder auch anarcho-syndikalistischen Aufklebern bedeckt in Erscheinung, was die betreffenden Organisationen zum energischen Protest veranlasste, da es ihre Mitglieder potenziell gefährdet. (VgL. http://www.cnt-f.org/ ) Am Samstag Nachmittag, 09. April war es auf der place de la Nation – dem Ankunftsort der Demonstration – zu länger anhaltenden Scharmützeln gekommen. Diese hängen sowohl mit der provokativen Strategie der Polizei als auch mit jener der Autonomen (die Reibereien mit der Polizei sowie Angriffe auf Geldautomaten von Banken sowie auf Werbe-Schautafeln für eine revolutionäre Großtat halten) zusammen. Insgesamt kam es, laut Angaben des französischen Innenministeriums, am Samstag zu 26 Festnahmen.

Die Polizei spart seitdem nicht mit Provokationen. Am Montag Abend strich sie auf der Pariser place de la République quasi permanent um den Platz. Eine halbe Stunde lang schaltete sie die Lautsprecheranlage ab, dann wurde diese jedoch wieder in Betrieb genommen. Kurz darauf belästigten die eingesetzten Polizisten die Menschen in der „Kantine“ – der Essensausgabestelle -, um danach einen Riesenpott mit Suppe in aller Öffentlichkeit in die Gosse zu kippen. (Siehe eine Abbildung unter: https://www.facebook.com/ ) Am Montag früh gegen 05.30 Uhr war der Platz bereits polizeilich geräumt worden (vgl. http://www.lefigaro.fr/ ), die Wirkung hielt allerdings nicht lange vor (vgl. http://nanterrereseau.blogspot.fr/) Allem Anschein nach sucht die Polizei durch Provokationen nach einer Gelegenheit, die Situation zum Eskalieren zu bringen und die Platzbesetzung endlich los zu werden; oder, falls dies nicht gelingt, jedenfalls den Aufbau und die Anwesenheit von festeren Bauten (Lautsprecheranlage, Kantine, Infozelte..) zu unterbinden. Leichtere Aufbauten, wie die tragbaren Buchläden auf Tapeziertischen – es gibt inzwischen einen anarchistischen und einen trotzkistischen auf der place de la République –, wird sie nicht verhindern können.

Am Freitag ist, am Spätnachmittag, ein größerer Mobilisierungstermin mit Sans papiers – illegalisierten Einwanderern – geplant, vgl. nebenstehende Abbbildung. Am heutigen Abend (Mittwoch) tagen die Aktionskomitees im Pariser Gewerkschaftshaus. Über alle weitere Entwicklungen werden wir unsere Leser/innen selbstverständlich zeitnahe im Bilde halten.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.