trend spezial: Berichte aus Kosova redigiert von Max Brym

"Wir wollen und müssen mit den Serben in Kosova reden"
Interview mit Driton Çaushi

von Max Brym

04/2016

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Driton Çaushi Ist stellvertretender Vorsitzender der „Bewegung für Selbstbestimmung“ VV in Kosova. Am 20.April gab Driton Çaushi dem Herausgeber von Kosova-Aktuell Max Brym ein Interview, in Prishtina zur Lage in Kosova. Das Gespräch fand im Büro von VV statt. Driton Çaushi ist Dr. der Veterinärmedizin und studierte in Berlin. Sein Vater war ein angesehener Professor in Kosova und wurde in den neunziger Jahren von serbischen Paramilitärs ermordet.

Max Brym: Herr Çaushi wie würden sie den politischen Charakter sowie die programmatische Zielsetzung der „Bewegung für Selbstbestimmung“ VV beschreiben. 

Driton Çaushi:- Wir definieren uns als linke politische Kraft und orientieren uns an den Werten sozialdemokratischer Politik. 

Max Brym: Was heißt das eigentlich, orientieren sie sich etwa an den durch aus gegebenen neoliberalen Praktiken von New Labour ? 

Driton Çaushi: Nein wir beziehen uns auf die klassischen sozialdemokratischen Werte aus dem vergangenen Jahrhundert. Auf die klassischen Werte und Prinzipien der Arbeiterbewegung. 

Max Brym: Was heißt das bitte konkret?

Driton Çaushi: Wir lehnen den brutalen Privatisierungsprozess in Kosovo entschieden ab. Das Dogma, dass die Privatisierung alles richten wird ist grundsätzlich falsch. In Kosova verloren rund 77.000 Arbeiter und Arbeiterinnen durch diesen Prozess ihre Arbeitsplätze. Die korrupte politische Kaste in Kosova verscheuerte rentabel Betriebe an bestimmte Investoren zum Billigpreis. In diesem Rahmen bereicherten sie sich selbst. Die regierende Kaste legt keinerlei Wert auf soziale Rechte und soziale Standards. Der gegebene Privatisierungsprozess zerstörte weitgehend die Ökonomie des Landes. Viele Menschen leben in Not und Verzweiflung Das Elend nimmt immer krassere Formen an. Dagegen haben wir eine grundsätzliche politische Alternative entwickelt . Wir wollen vor allem den Rohstoffreichtum des Landes im gesellschaftlichen Eigentum behalten und eine eigene Produktion entwickeln. Die Menschen benötigen soziale Sicherheit, sowie eine Perspektive. Dem entgegen steht eine selbst bezogene politische Kaste, welche nur ihre individuellen Interessen berücksichtigt. Sie setzt den uns aufgezwungenen neoliberalen Privatisierungsprozess brutal um.

Max Brym: Gibt es Widerstand gegen die Vernichtung von Arbeitsplätzen, sowie gegen die meist nicht gezahlten Abfindungen durch die entlassenen Arbeiter? Laut Gesetz gehören doch 25 % der Betriebsvermögen den Arbeitern.

Driton Çaushi: Wo es Unterdrückung und Ausbeutung gibt, gibt es selbstverständlich auch Widerstand. Vor dem Parlament kampierten zum Beispiel entlassene Arbeiter aus einer privatisierten Fabrik in Ferizaj . Die entlassenen Arbeiter protestierten mehr als zwei Jahre in einem Zelt vor dem Parlament. Der Protest wurde schlicht ignoriert, nur hin und wieder kurz vor bestimmten Wahlen gab es leere Versprechungen durch die regierenden Politiker. Immer wieder kommt es in ganz Kosova zu verschiedensten Protestaktionen gegen den Abbau von Arbeitsplätzen, gegen Preissteigerungen und für soziale Rechte. Wir geben diesen Protesten eine politische Stimme und sind der Meinung, dass die Probleme der breiten Massen nur gelöst werden können wenn die vorhandene Regierung gestürzt wird. Es geht darum den neoliberalen Privatisierungsprozess zu beenden. Gegenwärtig werden die Arbeiter in der vor Jahren privatisierten Fabrik „Ferronikel“ in Drenas, kaum oder nur unregelmäßig bezahlt. Die Privateigentümer behaupten einfach dies sei so wegen des gesunkenen Nickelpreises auf dem Weltmarkt Letzteres wird einfach erklärt und die Arbeiter erhalten nur noch bedingt Lohn. 

Max Brym: Wie gedenken Sie die Probleme mit Serbien anzugehen? Wie stehen Sie zu den Verhandlungen mit Serbien? Welches Verhältnis haben Sie zu den in Kosova lebenden Serben? In der westlichen Presse wird ihre Organisation meist als nationalistisch darstellt. Vertreten Sie eine nationalistische Partei? 

Driton Çaushi: Wir haben nichts gegen Serben, Roma Türken und andere Nationalitäten in Kosova. Ganz im Gegenteil, wir sind der Meinung dass wir gemeinsam leben und in absoluter Gleichberechtigung zusammenleben müssen. Aus diesem Grund wollen wir auch vor allen Dingen mit den Serben in Kosova sprechen. Dass ist allerdings etwas völlig anderes als die negativen Verhandlungen mit der serbischen Regierung, welche die Regierung Kosovas führt. Dabei werden inakzeptable Abkommen unterzeichnet. Das letzte Abkommen „ Zajdnica“ teilt Kosova endgültig auf ethnischer Basis. Knapp 25 % des Landes werden serbischen Parallelstrukturen unterstellt, welche direkt unter dem Befehl Belgrads stehen . Die ethnische Teilung Kosovas schafft ein zweites Bosnien auf dem Balkan. Dadurch wird auch jegliche wirtschaftliche Entwicklung unterbunden, sowie der nationale Konflikt am Leben gehalten. Wir wollen diesen Konflikt beseitigen und den hier lebenden Serben in Kosova auf der Basis der Gleichheit eine Perspektive anbieten . Wer uns Nationalismus unterstellt hat von der realen Situation im Kosova keine Ahnung. Bei keinem unserer Proteste, gegen das neue Abkommen mit Serbien findet man Parolen gegen die in Kosova lebenden Serben oder Roma. Wir wollen nur ein zweites Bosnien auf dem Balkan verhindern. Dies ist ein demokratisch legitimiertes Verhalten, mit dem Ziel den nationalen Konflikt zu beenden und für alle eine soziale und ökonomische Perspektive anzubieten. 

Max Brym: Sie stehen in grundsätzlicher Opposition zur gegenwärtigen Regierung. Was werfen sie der kosovarischen Regierung außer Nepotismus und Kollaboration mit der serbischen Machthabern noch vor?

Driton Çaushi: Die Regierung hat sämtliche Organe des Staates usurpiert. Es gibt keinerlei unabhängige Justiz, die Polizei setzt massiv Gewalt gegen Demonstranten und politisch oppositionelle Menschen ein. Immer mehr Menschen laufen Gefahr den gegenwärtigen Verhaftungswellen zum Opfer zu fallen oder gar abgeschoben zu werden. Die gegenwärtige Regelung versucht ein totalitäres Regime mit faschistoiden Zügen zu installieren. Damit werden sie allerdings keinen Erfolg haben. Die Bereitschaft zum Widerstand ist nach wie vor sehr groß . Auch die Spaltungsversuche der oppositionelle Bewegung, durch die Regierung und ihre parteieigenen Geheimdiensten werden letztendlich scheitern.

Max Brym: Vielen Dank für das Gespräch Herr Çaushi.