Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Der Front National
"Entdiabolisiert" und doch schnell wieder rückfällig

04/2017

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Die „Entdiabolisierung“ (dédiabolisation), die seit 2011 von Marine Le Pen für ihre Partei – den Front National (FN) ausgerufene Strategie, ist ein schweres Geschäft. Vordergründig besteht sie darin, die rechtsextreme Partei von ihren faschistischen und nazistischen „Schlacken“ zu befreien und demokratisch-angepasst zu erscheinen. Auch wenn es sich in Wirklichkeit eher um eine reine PR-Strategie handelt, zeigte sie doch ihre Wirkungen. Beginnend mit dem Jungnazi Alexandre Gabriac, den im März 2011 mitten in den Bezirksparlamentswahlen (zu denen er kandidierte) ein Parteiausschluss ereilte, weil er mit Hitlergruß posiert hatte und sich dabei für seine Facebookseite ablichten ließ, wurden einige Gestalten aus der Partei gedrängt. Gabriac ist heute in leitenden Funktionen bei dem winzigen, doch höchst gewaltbereiten Parti nationaliste français (PNF) aktiv.

Mitte März dieses Jahres erwischte es nun den südfranzösischen Regionalparlamentarier Benoît Loeuillet. In einer Sendung des Privatfernsehsenders C8 hörte man den in Nizza ansässigen Buchhändler am Abend des 15. März 2017 mit einem Journalistenteam diskutieren. Das Gespräch, das in seinem Buchladen La Librairie du Paillon stattfand - dort vertreibt der Mann unter anderem auch Titel von Adolf Hitler und von Robert Faurisson, dem Pionier der zeitgenössischen Holocaustleugner in Frankreich -, wurde mit verstecker Kamera aufgezeichnet. Und darin redet Loeuillet sich um Kopf und Kragen: „Ich weiß nicht so genau, was ich zu der These der Geschichtsrevisionisten denken soll. Das ist kompliziert. Gut, nach allem denke ich, dass es nicht so viele Tote gegeben hat: Es hat nicht sechs Millionen gegeben."

Noch am 15. März 17 tagsüber – also kurz vor Ausstrahlung der Sendung - erklärte die FN-Spitze, Loeuillet sei von seiner Parteimitgliedschaft „suspendiert“. Inhaltlich hatte Louillet allerdings nur in zum Teil wortidentischer Form wiederholt, was der Gründer und langjährige Vorsitzende der Partei zwischen 1972 und 2011 - Jean-Marie Le Pen - am 13. September 1987 zu bester Sendezeit im Fernsehen verkündet hatte. Dies hatte die Partei allerdings von vormaligen konservativen Alliierten isoliert und zum Abbruch vormaliger Bündnisversuche beigetragen.

Die heute amtierende Parteiführung vertritt deswegen den Standpunkt, man müsse aus der Isolierung heraustreten und könne sich quasi alles erlauben, nur eben nicht an den Punkt der Judenverfolgung und Judenvernichtung im 20. Jahrhundert rühren. Louis Aliot, Vizevorsitzender der Partei und Lebensgefährte von Marine Le Pen, prägte vor den Kommunalwahlen von 2014 den Satz: „Unsere Diabolisierung (Verteufelung) hängt einzig und allein an der Verdächtigung des Antisemitismus. Es liegt nicht an Themen wie Islam, Immigration - da sind die anderen Parteien mittlerweile schlimmer als wir (sic!). Der einzige Sperriegel ist dieser Verdacht des Antisemitismus."

Allerdings: Die Köpfe, die dem alten ideologischen Gebräu inklusive Antisemitismus „treu" geblieben sind, werden nur notdürftig versteckt. Die wichtigste Figur dabei ist Frédéric Chatillon, dessen Name zwar nicht in den offiziellen Führungsstrukturen der Partei auftaucht, jedoch mit seinem Security-Unternehmen als häufiger Vertragspartner des FN auftritt und eine Schlüsselrolle bei der teilweise illegalen Finanzierung der Partei vor den Wahlen von 2012 spielte, weswegen seit 2015 ein Strafverfahren gegen ihn läuft. Chatillon, der nebenbei als Lobbyist für das syrische Regime von Bascher Al-Assad tätig ist, gehört auch zum persönlichen Umfeld von Marine Le Pen. Dies wurde 2003 kurzzeitig ins Licht der Öffentlichkeit gerückt: Polizisten waren nächtlich in Chatillons Wohnung eingetreten, um eine Party wegen Ruhestörung zu beenden, und waren dabei durch eine angetrunkene Marine Le Pen angepöbelt worden.

Und dann kam jüngst nun der Knüller: Wie die Wochenzeitung Le Canard enchaîné am 22. März 17 enthüllt hat, ist Chatillon seit Anfang November 2016 formal als bezahlter Beschäftigter für den Präsidentschaftswahlkampf Marine Le Pens angestellt worden. Dies konterkariert die immer wieder betonten Versuche zur „Entdiabolisierung“, weil gerade Chatillon – um im Bilde zu bleiben – besonders diabolisch wirkt.

Zugleich ist nicht ernsthaft mit einer Minderung der Wahlchancen Marine Le Pens zu rechnen. Ihr werden derzeit laut Umfragen 25 bis 27 Prozent für den ersten Durchgang und rund 40 Prozent für die Stichwahl bei der französischen Präsidentschaftswahl von Ende April und Anfang Mai dieses Jahres vorausgesagt. Allerdings sind einige Protagonisten der französischen Politik – vom noch amtierenden Staatsoberhaupt François Hollande bis zum konservativen Regionalpräsidenten in Marseille, Christian Estrosi – erklärtermaßen der Auffassung, dass Marine Le Pen und ihr zu erwartender Stimmenanteil durch diese Umfrageinstitute „unterschätzt“ würden.

Die extreme Rechte profitiert zweifellos erheblich von der tiefen Krise der französischen Konservativen. Letzteren wird es – trotz einiger Versuche von Parteigrößen - nunmehr definitiv nicht mehr gelingen, ihren notorisch korrupten und in mehrere Ermittlungsverfahren verstrickten Präsidentschaftskandidaten François Fillon abzuservieren. Denn der Anmeldeschluss für Bewerber/innen zur Präsidentschaftswahl ist am Freitag, den 17. März verstrichen.

Auch in Teilen der französischen Eliten macht man sich nun darüber Gedanken, was denn los wäre, wenn... In französischen Diplomatenkreisen werden einige Stimmen laut, die verkünden, sie würden unter einer FN-geführten Regierung „Frankreich nicht länger dienen wollen“. Der amtierende französische Botschafter in Japan etwa machte Anfang März d.J. seine Entscheidung öffentlich, in seinem solchen Fall den Dienst zu quittieren.

In sozialer und wirtschaftspolitischer Hinsicht hat der FN in erster Linie Protektionismus zu bieten, aus dem die sozialen Versprechen unmittelbar abgeleitet werden; eine dreiprozentige Sondersteuer auf alle Importprodukte soll sich angeblich in einer „Lohnprämie“ für Geringverdienende, die mit 80 Euro monatlich beziffert wird, niederschlagen. Die französischen Rüstungsausgaben sollen der Partei zufolge sofort auf zwei, bis zum Ende der regulären Amtszeit des nächsten französischen Staatsoberhaupts (die von Mai 2017 bis 2022 läuft) gar auf stattliche drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts angehoben werden. Dieses Ziel soll zudem im französischen Verfassungstext festgeschrieben werden.

Was die Europäische Union betrifft, so proklamierte Marine Le Pen am 23. Februar 17, es gelte „ihr ein Ende zu setzen“. Auf diese Weise hat sie ihren Diskurs erneut radikalisiert, seitdem der FN bei einem Strategieseminar im Februar 2016 das zuvor explizit formulierte Ziel eines Austritts aus der Euro-Währung zu relativieren schien. Es war innerparteilich in Frage gestellt worden, weil sich herausstellte, dass die umworbenen potenziellen Wechselwähler, die zwischen Konservativen und FN stehen, eher gegen diese Forderung eingestellt sind. Aber auch, dass um ihre Ersparnisse befürchtende Rentner/innen und Kleinunternehmer/innen in der eigenen Wählerschaft die Aufgabe des Euro eher befürchten als erhoffen.

Darin liegt auch eines der Motive, warum Teile des französischen Kapitals seinerseits nach wie vor Bedenken dagegen geltend machen, dass der FN in die Nähe einer so genannten Regierungsverantwortung rücken könnte. Der aktuelle Chef des stärksten Arbeitvergeberverbands MEDEF, Pierre Gattaz, setzte allerdings einer Praxis seiner Vorgängerin in den Jahren 2005 bis 2013, Laurence Parisot, ein Ende: Unter ihr kam es nicht in Frage, dass die Unternehmerverbände mit dem FN reden. Gattaz hingegen entschied, neben anderen Präsidentschaftsanwärtern auch Marine Le Pen offiziell beim MEDEF zuzuhören.

Diese Anhörung fand nun am Dienstag, den 28. März 17, neben derer der Kandidaten Emmanuel Macron und François Fillon. Zwar fand jene von Marine Le Pen in eher angespannter Atmosphäre statt, weil viele der anwesenden Kapitalvertreter ihr entweder mangelnde wirtschaftspolitische Kompetenz attestierten – da Marine Le Pen ihre politisch-ideologischen Ausführungen zu Protektionismus etc. kaum mit konkreten Zahlen untermauern mochte – oder ihre Pläne zum Euro-Austritt als unverantwortlich betrachteten. Dennoch ist in ihren Augen wichtig, dass das Ereignis überhaupt stattgefunden hat.

In einem Beitrag beim Webportal Orange Finance vom Montag, den 20. März 17 kamen unterdessen mehrere unterschiedliche Stimmen aus dem Arbeitgeberlager zu Wort, was die Aussichten auf eine hypothetische Regierung mit FN-Beteiligung betrifft. Mehrere der Befragten machen sich Gedanken über die negativen Auswirkungen einer „wirtschaftlichen Blockade“ im Falle einer solchen Konstellation. Hingegen erklärt etwa die Kleinunternehmerin Alexandra Frantz: „Ich wüsste nicht, was schlimmer kommen sollte als heute, in Sachen Staatsbürokratie und Abgaben.“ Generell zeigen sich die exportorientierten multinationalen Firmen kritischer gegenüber Marine Le Pen und ihrem Programm als so genannte mittelständische Unternehmen.

Wie die linksliberale Zeitung Le Monde in ihrer Wirtschaftsbeilage vom 21. März 2017 schreibt, führten unterdessen vor allem anglo-amerikanische Banken und Investmentfonds in den vergangenen Monaten bereits Gespräche mit dem FN, um dessen Absichten zu sondieren. Die nordamerikanische Fondsgesellschaft BlackRock und die britische Agentur CheckRisk bestätigten etwa entsprechende Meldungen, während Barclays oder die schweizerische Bank UBS Informationen der Wirtschafts-Nachrichtenagentur Bloomberg dazu nicht kommentieren mochten.

Editorischer Hinweis

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.