Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Anlass für eine Medienkampagne
Im Durchschnitt der Wahlergebnisse aus den Unternehmen für den Zeitraum 2012/13 bis 2017 fällt die CGT erstmals hinter die CFDT zurück.

04/2017

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Darauf hatten sie nur gewartet: die Kapitalvertreter, viele Presseorgane und Medien sowie die etablierte Politik. Mit viel Getöse wird es nun auf vielen Kanälen kundgetan: Hurra, hurra, die CGT fiel hinter die CFDT zurück. Tröt!, posaun, nun setzt sich endlich das vernünftige-und-den-Realitäten-angepasste Gewerkschaftertum gegen das unvernünftige, noch dem Klassenkampfdenken des 19. Jahrhunderts verhaftete usw., kurz: gegen das grässlich-hässlich-rotlackierte Gewerkschaftswesen durch...

Ja, es stimmt (und es ist leider kein Aprilscherz, denn die Zahlen wurden noch im Laufe des 31. März bekannt gegeben): Wie Ende vergangener Woche publik wurde, ergeben die Ergebnisse für die Personalvertretungswahlen in den französischen Unternehmen für den Zeitraum 2012 bis 2016 ein etwas verändertes Bild im Vergleich zum vorausgehenden Zeitraum Ende 2008 -> Ende 2012.

Alle vier Jahren werden die landesweiten Durchschnittsergebnisse berechnet und bekannt gegeben. Dies ist ein Ausfluss des Gesetzes vom 20. August 2008, das die représentativité (ungefähr: Tariffähigkeit) französischer Gewerkschaften grundlegend neu geregelt hat. Seit jenem Datum gilt u.a. die Regel, dass eine Gewerkschaft in einem französischen Betrieb oder Unternehmen einen Stimmenanteil von mindestens 10,0 Prozent wiegen muss, um als „tariffähig“ mit am Verhandlungstisch – auf der jeweiligen Ebene – teilnehmen zu können. Auf Branchenebene beträgt der entsprechende Wert mindestens 8 Prozent. Zuvor (vor dem Gesetz vom 20. August 08) hatte gegolten, dass es genügend, einem seinerseits „tariffähigen“ Dachverband angegliedert zu sein, um automatisch selbst als „tariffähig“ im Unternehmen zu gelten – was sich vor allem gelb angehauchte Dachverbände und ihre Mitgliedsgewerkschaften zu nutze machen konnte. Das Gesetz von 2008 wurde unter der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys verabschiedet. Es kam vor allem den Interessen der beiden stärksten Dachverbände CGT und CFDT entgegen – diese beiden bildeten deswegen damals vorübergehend eine Art „Achse“, die infolge massiver strategischer Differenzen vor allem um ein durch die CFDT unterstütztes Gesetz von 2013 (Loi de sécurisation de l’emploi), stärker noch anlässlich des Streits um das „Arbeitsgesetz“ von 2016 wieder zerbrach. Das Gesetz, das erstmals den Stimmenanteil in den Unternehmen und Branchen als Kriterium zur Bemessung der „Tariffähigkeit“ einführte, diente seinerzeit vor allem der Einbindung der CGT, die dann auch anlässlich der Konflikte um die Krisenpolitik Sarkozys in den Jahren 2008/09 doch sehr weitgehend „stillhielt“.

Alle vier Jahren im Vorfrühjahr wird nun also das Ergebnis für die vorausgehenden vier Jahre bekannt gegeben, berechnet im Landesdurchschnitt (bezogen nur auf den privaten Wirtschaftssektor, d.h. ohne staatliche Betriebe wie die Bahngesellschaft SNCF und ohne den öffentlichen Dienst).

Zwischen den Ergebnissen von Anfang 2013 und denen von Anfang 2017 ergibt sich keine Veränderung, was die landesweite „Tariffähigkeit“ (représentativité) der bereits bislang anerkannten Dachverbände betrifft. Es bleibt bei fünf, auf zentraler Ebene verhandlungsfähigen Dachverbänden. Die Wahlergebnisse lauten im Einzelnen:

  • CGT (historisch ältester Dachverband, 1895 gegründet, mit wechselhafter Geschichte; von 1945 bis in die 1990er Jahre der französischen KP nahe stehend, heute von strategischen Debatten tief durchzogen): jetzt landesweit 24,85 Prozent gegenüber damaligen 26,77 Prozent im Jahr 2013; mit einiger Wahrscheinlichkeit bezahlt die CGT dadurch u.a. ihren chaotisch verlaufenden Führungsstreit in den Jahren 2014/2015, rund um den Lebensstil ihres damaligen und inzwischen geschassten Generalsekretärs Thierry Lepaon (die „Büro- und Villen-Affäre“);

  • CFDT (1964 durch die Säkularisierung der vormals christlichen Arbeiterbewegung und Abnabelung der Mehrheit vom christlichen Gewerkschaftsverband entstanden; in den 1970er Jahren erkennbar links geprägt, merklicher Rechtsruck seit den 1980ern, heute an der Spitze rechtssozialdemokratisch und pro-neoliberal): jetzt 26,37 Prozent, gegenüber 2013 noch 26,0 Prozent der Stimmen;

  • FO (drittstärkster Dachverband, 1947/48 im Kalten Krieg als Abspaltung von der „kommunistisch dominierten“ CGT entstanden; politisch schillernd, von sozialdemokratisch und in Teilbereichen sektierisch-trotzkistisch geprägt bis ausgesprochen rechts, dabei politisch-inhaltlich hochgradig untransparent): jetzt 15,59 Prozent, gegenüber beim vorigen Mal 15,94 %, d.h. weitgehend stabil;

  • CFTC (christlicher Gewerkschaftsdachverband, oder was davon infolge der Spaltung von 1964 übrig blieb): jetzt 9,49 Prozent, gegenüber 9,3 Prozent im Jahr 2013;

  • CFE-CGC (1944 gegründet, Verband der höheren und leitenden Angestellten, gut zur Hälfte der bürgerlichen Rechten nahe stehend): 10,67 Prozent, gegenüber im Jahr 2013 noch 9,43 %, also mit Zuwachs, u.a. auch aufgrund von Gewerkschaftsfusionen oder –zusammenschlüssen.

Neu ist dabei vor allem, dass die CGT – ja, es ist ein Faktum, und kein sonderlich begrüßenswertes – dabei ihren ersten Platz zugunsten der CFDT eingebüßt. (Vgl. zu den Zahlen bspw. https://www.challenges.fr/ )

Diese Gesamtbilanz deutete sich bereits im vorigen Jahr an; CGT-Generalsekretär Philippe Martinez ließ es schon vor einem Jahr die Journalist/inn/en der auf Gewerkschaften oder Arbeitsrecht spezialisierten Presse wissen. Aus diesem Grunde auch behauptete etwa der Gewerkschaftsspezialist der linksliberalen Pariser Abendzeitung Le Monde, Michel Noblecourt – er agiert weitgehend als Sprachrohr der CFDT-Führung, und vorige Woche wurde die CFDt anlässlich der Bekanntgabe dieser Ergebnisse prompt mit einem x-ten Interview ihres Generalsekretärs Laurent Berger in den Spalten von Le Monde belohnt – im Frühjahr 2016 wiederholt, die CGT mache vor allem deswegen gegen das damals umkämpfte „Arbeitsgesetz“ mobil. Also, um dadurch aufzufallen und um dadurch ihr Zurückfallen hinter die CFDT aufzuhalten. Inhaltliche Gründe wurden auf diese Weise durch den genannten Journalisten, jedenfalls in einigen Artikeln, mal eben locker ins Hintertreffen geschoben.

Es bleibt festzuhalten:

1) Die CGT hatte noch höchst gewichtige andere Gründe, sich dem „Arbeitsgesetz“ zu widersetzen, und wurde dabei ihrerseits durch ihre Basis mächtig unter Druck gesetzt;

2) Die nun bekannt gewordenen Wahlergebnisse stellen keineswegs die Quittung für die Positionierung u.a. der CGT gegen das „Arbeitsgesetz“ im Jahr 2016 dar, denn das Gros der nun in das Gesamtkalkül einbezogenen Wahlergebnisse stammt aus dem Zeitraum davor, und nicht nach dem Konflikt;

3) Und bei den landesweit einheitlich durchgeführten Wahlen in den Kleinstunternehmen (unter 20 Lohnabhängigen) vom Dezember 2016, welche also jüngeren Datums sind, behauptete die CGT ihren ersten Platz. Und zwar mit 25,12 Prozent der Stimmen (minus 4,4 % gegenüber 2012), deutlich vor der CFDT mit dort 15,49 Prozent -> vgl.: http://www.lemonde.fr/. (Auch wenn der zentrale CGT-Apparat sich damals seinerseits nicht mit Ruhm bekleckert hatte, da versucht worden war, die Listen einer korsischen und einer baskischen Gewerkschaft auf dem Gerichtweg als „mit der Einheit der Republik unvereinbar“ für ungültig erklären zu lassen.)

Vgl. zur Kritik an der nun dominierenden Berichterstattung zum Thema „CGT erledigt, es lebe die CFDT...“, einen Beitrag aus (eher „orthodox kommunistischen“) Kreisen der CGT: http://www.agoravox.fr

Editorischer Hinweis

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.