Französisch kolonisiertes Guyana
Spektakuläre Aktionen fanden vergangene Woche statt, darunter die Besetzung des Weltraumbahnhofs in Kourou

von Bernard Schmid

04/2017

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Auch in die TV-Debatte der Präsidentschaftskandidat/inn/en vom 04. April spielte die soziale Bewegung im „Überseegebiet“ herein; die radikale Linke konnte sogar vor einem Millionenpublikum vom zeitgenössischen Kolonialismus sprechen. Bislang kam kein Abkommen zustande; das Regierungsangebot (eine Milliarde für Justiz-, Schul- und Gesundheitswesen) wird als absolut unzureichend gewertet

Spektakulär ging es in der zu Ende gegangenen Woche (03. bis 09. April 17) in „Französisch-Guyana“, der französischen Quasi-Kolonie an der Karibikküste im nordöstlichen Südamerika, zu. Am Dienstag, den 04. April wurde der Weltraumbahnhof für die französische, bzw. europäisch koordinierte, Rakete „Ariane“ in Kourou von Protestierenden eingenommen. Bis zum folgenden Tag blieb das Raumfahrtzentrum von „Delegierten“ der Demonstrant/inn/en und der Protestbewegung besetzt. Letztere kämpft seit bald zwei Wochen mittels eines Generalstreiks für eine Verbesserung der Lage in dem „Überseegebiet“ (TOM / Territoire d’outre-Mer – so die von der „Metropole“ her denkende, offizielle Sprechweise). (Vgl. https://nanterrereseau.blogspot.fr )

Eine ihrer Parolen dazu lautete: „Keine Schule – kein Abheben (Raketenstart). Keine Gesundheitsversorgung – keine Rakete.“ (Vgl. http://www.lemonde.fr/ ) Es wurde auch darauf hingewiesen, dass in nur geringer Entfernung von dem Hochtechnologiezentrum Einwohner/innen über kein elektrisches Licht verfügen. (Vgl. https://nanterrereseau.blogspot.fr )

Unterdessen platzten der Generalstreik und die Mobilisierung der vielfach diskriminierten und ökonomisch „abgehängten“, aus geostrategischen Gründen jedoch bei Frankreich gehaltenen „Übersee“bevölkerung auch in die große TV-Debatte der elf französischen Präsidentschaftskandidat/inn/en am Dienstag Abend, 04. April. Bis dahin hatte eher die extreme Recht sich in der „Metropole“ (d.h. im europäischen Frankreich) lautstark zu Wort gemeldet, eine eher heuchlerische Solidarität mit „unseren Landsleuten“ proklamiert und die Problematik als eine Frage der „Kohäsion des französischen Staatsgebiets in allen seinen Bestandteilen“ dargestellt. Bis heute bleibt insbesondere Marine Le Pen zu dieser Frage lautstark vernehmbar. (Vgl. hier beim „Übersee“-TV-Sender: http://la1ere.francetvinfo.fr ) Bei der Megashow im Fernsehsender BFM TV, also der vierstündigen Kandidat/inn/en-Debatte, die in der Nacht zum Mittwoch um ein Uhr früh endete, ging Le Pen jedoch damit schnell unter. Die beiden Kandidat/inn/en der revolutionären Linken, die eher dogmatische Trotzkistin Nathalie Arthaud (LO, „Arbeiterkampf“) und der undogmatisch-radikale Kandidat Philippe Poutou (NPA, „Neue Antikapitalistische Partei“) bezogen sich explizit positiv auf die laufenden Kämpfe. Auch der Linkssozialdemokrat und Linksnationalist Jean-Luc Mélenchon („La France insoumise“, etwa: „Das nicht unterworfene Frankreich“) erwähnte diese in positivem Sinne. Beim Abschlussstatement kurz vor ein Uhr morgens, zu dem jede/r Kandidat/in rund zwei Minuten zur Verfügung hatte, widmete Poutou dann fast die Hälfte seiner Zeit dem Kampf in „Französisch-Guyana“.

Er holte zur Kritik aus und sprach sogar explizit vom aktuellen „Kolonialismus“, benutzte also einen Begriff, welcher bis dahin in der Debatte in der „Metropole“ absolut tabu zu sein schien.

In den französischen „Überseegebieten“ vor allem in der Karibik ist er jedoch – inhaltlich zu Recht – in progressiven politischen Kreisen völlig gebräuchlich, vgl. dazu den Gewerkschafter Elie Domota in Guadeloupe (Sprecher einer kämpferischen sozialen Bewegung währen des 44 Tage dauernden Generalstreiks auf der Insel im Januar/Februar/März 2009); vgl. hier: http://danactu-resistance.over-blog.com und noch klarer hier: http://www.bastamag.net/

Auch in der „Metropole“ finden nun erste Solidaritätsaktionen zu den Kämpfen in „Französisch-Guyana“ statt, etwa am frühen Abend des Dienstag, 04. April auf der Pariser place de la République und erneut am Samstag Nachmittag (08. April) in Paris.

Von Seiten der französischen Gewerkschaftsverbände CGT, FSU und Solidaires gibt es inzwischen einen Aufruf zur Solidarität, vgl. : http://canempechepasnicolas.over-blog.com/

Verhandlungen über die Forderungen der sozialen Protestbewegung waren am vorigen Freitag, den 31. März 17 wieder in die Gänge gekommen (vgl. http://www.lefigaro.fr ), nachdem die (selbst von der Insel La Réunion im Indischen Ozean stammende) französische „Übersee“ministerin Ericka Bareigts in einer denkwürdigen „Balkonszene“ in Cayenne eine „Entschuldigung an das guyanische Volk“ ausgesprochen hatte. (Vgl. http://actu.orange.fr und zum Fortgang der Ereignisse: http://www.nordnet.fr)

Die Pariser Regierung hat zwischenzeitlich einen Gesamtposten von einer Milliarde Euro für die Erfüllung der dringlichsten Bedürfnisse im maroden Justiz-, Krankenhaus- und Bildungswesen auf den Tisch gelegt. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-eco) Dieser Vorschlag wurde jedoch durch die soziale Protestbewegung am Sonntag, den 02. April abgelehnt, welche ihrerseits die dringendsten Bedürfnisse auf 2,5 Milliarden Euro beziffert. (Vgl. http://www.francetvinfo.fr] ) Das, behauptet wiederum der französische Premierminister Bernard Cazeneuve, sei jedoch „unrealistisch“. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/)

Bis zur Stunde ist kein Abkommen in Sicht (vgl. http://www.lemonde.fr). Die Protestbewegung hat unterdessen eine „Verschärfung“ ihrer Gangart angekündigt; vgl. http://la1ere.francetvinfo.fr/

Fortsetzung folgt...

Editorischer Hinweis

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.