1. Es wird
gebaut
Die letzte Bundesregierung berechnete einen Bedarf
von 350.000 neuen Wohnungen, die pro Jahr gebaut
werden müssten. Zwar wurde diese Zielmarke nicht
erreicht, sondern bleib in den vergangenen Jahren
immer unter 300.00 neugebauten Wohnungen, dennoch
belegen die Zahlen, was auch im bloßen Augenschein
so wirkt: Es wird gebaut. Rein optisch ist es
einfach, die Neubauten zu identifizieren, folgen
sie doch alle einer ähnlichen Architektur, eine
meist schlichte Kastenform, mal mit schmalen
Fenstern an der Frontseite, dafür Panoramafenster
nach hinten, ganz so, als wolle man sich nach außen
abgrenzen und nach innen öffnen, mal mit dem
Panoramafenster vorn, welches den Vorbeilaufenden
einen Blick auf das Innere erlaubt. Wer's hat,
mag's zeigen.
Ob es sich bei diesem modernen Auswürfen
menschlichen Gestaltungswillen um schöne Gebäude
handelt, sei einmal dahingestellt und für's erste
in die Sphäre des Geschmacks verbannt. Was sich
jedoch ganz objektiv feststellen lässt, sind zwei
Bedingungen, welche beim Neubau
berücksichtigt werden. Auf der einen Seite
müssen die Wohnungen bestimmte staatliche
Anforderungen erfüllen, wie etwa Anforderungen der
Energieeffizienz, wie auch diverse bauliche
Sicherheitsbestimmungen, was die Kosten natürlich
nach oben treibt, auf der anderen Seite möchten
diejenigen die Bauen, so günstig bauen, wie es
geht, das bedeutet, Materialien müssen billig
eingekauft, sowie die Bauzeit soweit es geht nach
unten gedrückt werden. Es wird sich im allgemeinen
an den untersten Baukosten orientiert, um das
geforderte Mindestmaß an staatlichen
Baubestimmungen zu erfüllen. Herauskommen eben jene
Kästen, die bundesweit aus den Boden schießen und
die alles in allem Billigbauten bleiben.
2. Es wird nicht für alle gebaut
Trotz der emsigen Bautätigkeit kann, gerade in den
Ballunsgzentren, der Bedarf an neuem Wohnraum nicht
gedeckt werden. Und überall da, wo der Bedarf
größer ist als das Angebot, steigt der Preis.
Allein aus diesem Umstand ergibt sich, dass gerade
in attraktiven Wohngegenden, wo auch entsprechend
gerne gebaut wird, Menschen,
die sich höhere Mieten leisten können, bevorzugt
werden gegenüber Leuten, die auf günstige Mieten
angewiesen sind. Und noch ein weiterer Faktor kommt
hinzu: Neugebauter Wohnraum will rentabel vermietet
werden, sonst macht er für alle, die damit Geld
verdienen wollen, und das sind die meisten derer,
die in der Baubranche tätig sind, keinen Sinn. Doch
ergibt sich aus den Baubestimmungen, den für
interessante Lage steigenden Grundtsückspreisen und
den daraus resultierenden Mindestbaukosten gar
kein brauchbares Konzept, welches es sinnvoll
erscheinen lässt, Wohnungen mit niedrigem
Mietpreis zu bauen. Beispielsweise in Frankfurt am
Main folgte aus diesem Umstand, dass sich
neugebaute Wohnungen in den zentralen Lagen nicht
mehr für einen Quadratmeterpreis unter 11 ,-€
sinnvoll vermieten ließen. Für die Baufirmen ist
das kein Problem, weil es einen weiterhin
fortlaufenden Umzugstrend in die Ballungszentren
gibt und weil sich eine notgedrungen wachsende
Bereitschaft zeigt, immer größere Teile seines
Einkommens für attraktiven Wohnraum auszugeben.
Dass in dieser Situation auch die Preise für alten
Wohnraum steigen, kann kaum überraschen. Sie bauen,
so lange es Menschen gibt, die bereit sind zu
zahlen. Sie bauen jedoch nicht für alle, sondern
vor allem für die Wohlhabenden. Dass mit Harz4 oder
einem geringen Einkommen der Einzug in eine
Neubauwohnung nicht mehr machbar ist, ist mehr als
augenscheinlich.
3.
Es wird umgebaut
Gerade in populären Städten wird der Zuzug und
Umzug für arme Menschen immer schwieriger und
dieser Prozess wird durch den derzeit laufenden
Neubau nur noch verstärkt: Neugebauter Wohnraum ist
zu teuer für arme Menschen und bestehende Wohnraum
wird zu teuer, oder ist bereits zu teuer geworden.
Neubau ist also nicht nur Neubau, sondern auch
Umbau, und zwar bezogen auf die Sozialstruktur
ganzer Viertel und Städte. Arme Menschen werden aus
den Ballungszentren quasi herausgebaut. Vorher mag
noch das eintreten, was von Analyst_innen
„Lock-In-Effekt" genannt wird. Das bedeutet, dass
jemand noch eine Mietwohnung hat, die sich aufgrund
eines alten Vertrages bezahlen lässt, dass aber
bereits im Umfeld die Mieten für Neuvermietungen so
weit nach oben gegangen sind, dass ein Umzug nicht
mehr finanzierbar, die Mieterin also in ihrer
Wohnung „eingeschlossen" ist. Doch ist das nur eine
Phase. Sie wird beendet durch die Möglichkeit der
Vermieter, die Miete an den Mietspiegel anzupassen,
was auf kurz oder lang dazu führen wird, dass der
Mensch, der in einer noch günstigen Wohnung wohnt,
sich seine Miete ebenfalls nicht mehr leisten kann,
wie auch, dass wenn der Mensch wegzieht, aus
welchem Grund auch immer, dieser Moment genutzt
werden kann, die Miete deutlich anzuheben. Auch
die sogenannte Mietpreisbremse der letzten
Bundesregierung lässt hierfür etliche Möglichkeiten
offen. Neubau und Sanierung sind immer auch
sozialer Umbau.
4.
... und du bist raus
Diese Prozesse sind
vermutlich für viele, die sich mit dem Wohnen
selbst schon beschäftigt haben, weil sie es mussten
oder einfach aus Interesse, nicht neu. Doch auch
wenn der Prozess nicht neu ist, so ist doch neu,
was sich als gesellschaftliches Verhältnis konkret
daraus entwickelt. Dieses war und ist zwar
absehbar, doch ist es ein Unterschied, ob etwas
absehbar und somit erst einmal abstrakt bleibt,
oder ob es sich konkret auswirkt und die
gesellschaftliche Wirklichkeit verändert. Die
Folgen des sozialen Umbaus der Städte werden nach
und nach ebenso greifbar, wie sie durch die
Kastenneubauten sichtbar werden. Zum einen steigt
die Wohnungs- und Obdachlosigkeit und zwar rasant:
So waren 201 6 circa 860.000 Menschen ohne Wohnung,
was seit 2014 mehr als eine Verdopplung bedeutet,
für 201 8 wird geschätzt, dass mittlerweile 1,2
Millionen Menschen keine eigene Bleibe mehr haben.
Betroffen sind dabei in zunehmenden Maße auch ganze
Familien, die ihre Wohnung verlieren und dann zu
Verwandten, Bekannten oder auf die Straße ziehen.
Eine andere Auswirkung ist es, dass Städte und
Kommunen nach neuen Möglichkeiten suchen, wo
Menschen ohne Wohnung untergebracht werden können.
Ideengebend hat sich hier die Unterbringung nach
Deutschland geflüchteter Menschen gezeigt, die im
Laufe der „Flüchtlingskrise" 2016 mehr und mehr in
Containerdörfern untergebracht wurden. So entschied
sich die Stadt Bonn im Herbst 2016 einen freien
Wohncontainer für ein Ehepaar zu nutzen, welches in
der gesamten Stadt keinen Wohnraum mehr fand,
nachdem sie ihre alte Wohnung aufgrund steigender
Miete hatten verlassen müssen. In Lüneburg nutzte
die Stadt freiwerdende Container, um dort günstige
Student_innenwohnungen einzurichten.
5. Was kommen kann
Auch bezüglich des Wohnens lässt sich die Zukunft
nicht voraussagen. Gerade bezüglich des
Immobilienhandels wird immer wieder von einer
möglichen Blase gesprochen. Falls eine solche
Blase platzen würde, sind die Folgen nicht
absehbar. Dass sich die Situation armer und
verarmender Menschen dadurch verbessert, scheint
zunächst jedoch wenig wahrscheinlich. Zu vermuten
ist, dass der Kampf gegen die Armut als Kampf gegen
die Armen eher befeuert werden würde. Denn dass es
Armut gibt und das diese eher zu- als abnimmt, ist
im gesellschaftlichen Bewusstsein angekommen (auch
wenn es immer wieder Stimmen gibt, die das
Gegenteil behaupten), führt jedoch zu nichts
Gutem. Vielmehr scheint in der Gesellschaft das
Interesse, die Hässlichkeit des Lebens, und dazu
gehört eben auch die Armut, nach dem Motto aus den
Augen aus dem Sinn, aus bestimmten Teilen der
Gesellschaft hinauszudrängen und diese Teile mit
hochgerüsteter Technik zu verteidigen. Was
heutzutage noch als Gated Community relativ kleine
Bereiche abschottet, deutet sich perspektivisch für
ganze Stadtteile oder sogar Städte an, in welchen
die Reichen und Schönen in einer smarten Luxuswelt
leben, immer in der Angst vor dem sozialen und
wirtschaftlichen Abstieg, welcher sich dann in der
Verbannung in den Bereich jenseits des Gates
äußert. Dass es für den Aufenthalt in den
Bereichen des Wohlstands nicht nur einer
ökonomischen Basis, sondern auch eines
wohlgeformten sozialen Verhaltens bedarf, zu denen
neuerdings auch das Verleihen, Teilen und
Verschenken gehört, wie auch ein stetiges Bemühen
und Kontrollieren freundlicher Umgangsformen, ist
in den Hip-Vierteln der Großstädte zu beobachten.
Die Kontrolle des Verhaltens bekommt dabei
Auftrieb durch die moderne Technik, welche durch
Kameraüberwachung das Verhalten als sozial adäquat
oder verdächtig bewertet.
Ein Aufstieg aus einem zukünftigen Armutsviertel in
eines der smarten, hippen und schönen Viertel
dürfte mit fortschreitender Zeit beim Ausbleiben
gesellschaftlicher Großumbrüche immer
unwahrscheinlicher werden. Welchen Weg es zum
Aufstieg gibt, scheint die Gesellschaft schon
jetzt vorzubereiten: Den Weg, durch
Selbsterniedrigung zum Amüsement der anderen
beizutragen. Die Verdichtung des Umstandes sozialen
Aufstiegt durch Selbstpreisgabe für die
Unterhaltung anderer zu erwirken, zeigen jetzt
schon die zahlreichen Fernsehformate an, in welchen
hoffnungslose Gestalten allerlei Erniedrigungen
über sich ergehen lassen, und die auf schauerliche
Weise an die Arenaspiele der Antike erinnern. Dass
ein gesellschaftliches Erahnen einer solchen
Zukunft vorhanden ist, zeigt sich nicht zuletzt in
der Popularität moderner Dystopien, in denen die
Motive vom isolierten Ultrawohlstands gegenüber
weiten Teilen des Elends auftauchen.
6. Synergien
Die Wohnsituation ist kein isoliertes Phänomen,
auch wenn sie hier weitestgehend als solches
betrachtet wurde. Vielmehr ist es so, dass sich die
hier geschilderten Prozesse durch anderweitige
Entwicklungen bedingen. Der Wunsch, das Elend aus
dem eigenen Wohn- und Lebensumfeld herauszubauen,
kann nur zustande kommen, wenn es überhaupt Elend
gibt, und steigt in dem Maße, wie das Elend. Eine
umfassende Analyse kann hier nicht geleistet
werden, doch sei kurz angedeutet, in welchem Maße
die Isolation der Wohlständigen in schönen Gegenden
durch andere Entwicklungen befeuert wird: Wir haben
auf der einen Seite eine stetig wachsende
Weltbevölkerung, die wohl bald die 8 Milliarden
Marke nehmen wird. Wir haben des Weiteren eine
immer mehr Ressourcen verschlingende Weltordnung,
die zu einer Verwüstung (Im Wort- und im
übertragenen Sinne) der Welt führt, und einer
schwindeden Möglichkeit, die Erde zu bewohnen. Der
Klimawandel trägt ebenfalls massiv dazu bei, dass
sich die Weltkarte neu gestaltet: Perspektivisch
ist mit noch größeren „Fluchtbewegungen" zu rechnen
als bisher. Daneben besitzen immer weniger Menschen
immer mehr des weltweiten Wohlstandes. Unter diesen
Bedingungen ist es moralisch gesehen kaum
Vertretbar, sein Leben im Wohlstand weiterzuführen
als wäre nichts. Sich vom Elend zu isolieren hat
für diejenigen, die davon profitieren, damit auch
noch eine psychologische Motivation.
7. Für die Praxis
Einmal mehr stellt sich die Frage, ob es eine
sinnvolle Praxis geben kann, sich mit diesem
Themengebiet zu beschäftigen, wie es in etwa in den
Stadt für Alle oder
Zwangsräumung-Verhindern-Kampagnen stattfindet.
Diese Frage kann hier nicht beantwortet werden,
doch war es zumindest nicht anliegen dieses Textes,
auf eine solche Kampagne hinzuarbeiten. In einem
Teilbereich der problematischen Gesamtlage einen
relevanten Fortschritt zu erzielen, scheint
schlichtweg die Zeit zu fehlen, mal ganz von der
Frage abgesehen, ob ein solches Stemmen gegen die
gesellschaftliche Transformation überhaupt gelingen
kann.
Sicher ist: Die Wohnsituation und der Umbau der
Städte ist nur ein Teil des Niedergangs der
bisherigen Gesellschaftsordnung, und zwar in einem
Sinne, wie wir ihn uns nicht wünschen. Die Synergie
der Zerfallserscheinungen ist kaum fassbar.
Demgegenüber scheint es vielmehr wichtig, zu
begreifen, dass ein gutes Ende nicht in Sicht ist.
Nur die Revolution kann uns noch retten.
Quelle: Autonomes Blättchen #32, Seite 50-52
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