Betrieb & Gewerkschaft
Frankreich, Rechtsextreme, „soziale“ Aktivitäten im Bereich Betrieb & Gewerkschaft
Aus Anlass der Debatte um rechtsextreme Betriebsratskandidaturen in Deutschland

Ein Bericht von Bernard Schmid

04/2018

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Im Zusammenhang mit derzeit laufenden Kandidatur von mehreren rechtsextremen Betriebsratslisten in Deutschland wird derzeit – neben Österreich, wo die postnazistische FPÖ seit 1998 über eigene „Gewerkschafts“strukturen verfügt – auch das Beispiel Frankreich diskutiert. Zu Recht.

Denn in Frankreich verfügte die neofaschistische Partei Front National (FN) tatsächlich von 1995 bis 1998 über eigene „Gewerkschafts“strukturen, und ging damit zeitlich vergleichbaren Aktivitäten der FPÖ in Österreich und – viel später – der AfD und/oder dem bräunlichen Pack rund um das COMPACT-Magazin zeitlich erheblich voraus.

Es handelte sich um fünf Einzelgewerkschaften. Die ersten, die gegründet wurden, waren „merkwürdigerweise“ alle im staatlichen Repressionsapparat angesiedelt: Es handelte sich um den FN police (FN Polizei) sowie den im Februar 1996 gegründeten FN pénitentaire (FN Strafvollzug), der Gefängniswärter organisieren sollte. Es folgten dann im zweiten Anlauf noch „Gewerkschafts“gründungen im Sektor der öffentlichen Transportbetriebe, vor allem bei den Pariser sowie Lyoner Nahverkehrsbetrieben (FN RATP sowie FN TCL). Letztere betrieben vor allem zu „SIcherheits“fragen Propaganda und agitierten zum Thema der „gefährlichen Vorortlinien“, die die Banlieues befahren, was Busfahrer/innen ihnen zufolge verweigerten. Jedoch hat man von einem ebenfalls angekündigten FN Poste beim französischen Postunternehmen (La Poste) konkret nie viel vernommen.

Die Präsenz dieser rechtsextremen Pseudogewerkschaften wurde mit einer gewerkschaftspolitischen, aber auch juristischen Gegenoffensive der tatsächlichen Gewerkschaften konfrontiert. Im Jahr 1996 verschärfte die damalige bürgerlich-konservative Regierung überdies mit der Loi Perben (nach dem damaligen Minister Dominique Perben benannt) die Regeln, nach denen Gewerkschaften in den öffentlichen Diensten als „repräsentativ“ – dies entspricht im deutschen Recht ungefähr dem Kriterium „tariffähig“ – anerkannt werden können. Den Hauptjob im Kampf gegen die rechtsextremen Pseudogewerkschaften erledigten jedoch die Gewerkschaftsverbände mit ihren Gegenaktivitäten.

In ihrer Folge verbot die Sozialkammer am Obersten Gerichtshof (Chambre sociale de la Cour de cassation) am 10. April 1998 es den betreffenden Organisationen in einem Grundsatzurteil, sich als Gewerkschaften zu bezeichnen. Auf die Gewerkschaftseigenschaft konnten sie sich diesem Urteil zufolge nicht berufen, da diese durch das Arbeitsgesetzbuch (in damaliger Fassung: im Artikel L.411-1 du Code du travail, heute: Artikel L.2131-1) definiert war: Es handelte sich demnach um eine Struktur, deren „ausschließliche Aufgabe“ in der „Untersuchung und Verteidigung der materiellen und moralischen, individuellen und moralischen Interessen“ der abhängig Beschäftigten/Lohnabhängigen besteht, wobei die Definition dieser Beschäftigten ziemlich weit gefasst wird.

Dies war dem Grundsatzurteil zufolge für die „Pseudo“gewerkschaften des FN nicht gegeben, da sie (a.) unmittelbar und auf zentraler Ebene von einer politischen Partei abhängig waren – das Urteil kritisierte nicht, dass eine Gewerkschaft einer Partei nahe stünde (wie einstmals die CGT der französischen KP), wohl aber strukturell von ihr abhängig sei. Vor allem jedoch, weil (b.) die préférence nationale oder der „Inländervorrang“ in den Statuten dieser Pseudogewerkschaften festgeschrieben war. Damit aber gaben diese Strukturen sich zum Programm, strukturell zwischen „Franzosen“ und „Ausländern“ zu diskriminieren, also eben nicht die Interessen aller abhängig Beschäftigten zu vertreten.

Diese rechtsextremen „Gewerkschafts“strukturen verschwanden dadurch von der Bildfläche. Der FN police versuchte sich noch eine Weile zu handeln, indem er sich in einen Verein unter dem allgemeinen Namen Amis de la police („Freunde der Polizei“) umwandelte. Er verschwand jedoch alsbald in der Bedeutungslosigkeit. Einen Hauptgrund dafür bildete sicherlich auch die Spaltung des Parteiapparats anlässlich des Streits zwischen Jean-Marie Le Pen und der vormaligen „Nummer Zwei“ des Front National, Bruno Mégret, welcher mit dem Hinauswurfs der Mégret-Anhänger im Dezember 1998 und Januar 1999 endete. Dadurch verlor die Partei die meisten aktiven Anleiter ihrer bisherigen „Sozial“politik.

Bis zu diesem Zeitpunkt verfügte die extreme Rechte bei ihrer „national-sozialen“ Offensive noch über weitere Instrumente.

  • So traten bei den Wahlen zu den Mietervertretungen im sozialen Wohnungsbau Frankreichs (élections des représentants des locataires HLM), welche vom 15. Mai bis zum 15. Juni 1996 in Teilen des Staatsgebiets stattfanden, eigene rechtsextreme Listen unter dem Namen FN Locataires (ungefähr „Mieter-FN“) an. Diese agitierten vor allem gegen „Problemfamilien“ in den Sozialbausiedlungen und forderten ihren Ausschluss aus dem Mietverhältnis. Solche Listen traten zu rund vierzig (von insgesamt 600 existierenden) Mieterparlamenten/Mietervertretungen an, und dabei gezielt in solchen, in deren Einzugsbereich die rechtsextreme Partei sich zuvor hatte verankern können. (Vgl. dazu auch ausführlich: http://www.liberation.fr ) Im Juni 1996 konnten die FN-Listen dabei 14 von insgesamt 50, zu dem Zeitpunkt zu vergebenden Sitzen holen. Diesbezüglich analysierte die auflagenstärkste konservative Tageszeitung, Le Figaro, am 04. Juli 1996 in sachlichem Tonfall, doch mit erkennbarer Befriedigung, hier werde eine Rechtskraft in Bereichen aktiv, in welche die konservativ-wirtschafsliberale Rechte sonst nicht hineinkomme: „Man müsse – so der Chef des FN – die Aktionsfelder, die Hebel- und Mobilisierungsstrategien benutzen, welche die klassische Rechte (bislang) der Linken überlassen habe.“

  • Zu den frankreichweiten Arbeitsgerichtwahlen (élections prud’homales) vom 10. Dezember 1997 – damals wurden die aus Laienrichter/inne/n bestehenden Arbeitsgerichte noch durch die Basis gewählt, seit einem Gesetz aus dem Jahr 2015 werden ihre Mitglieder hingegen durch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ernannt – traten rechtsextreme Listen unter der Bezeichnung CFNT oder cFNt (für confédération française nationale du travail, ungefähr „Nationaler französischer Arbeiterverband“) an. Bemerkenswerter Weise handelte es sich um die einzige Organisation, die Listen unter dem selben Namen sowohl auf „Arbeitnehmer“- als auch auf „Arbeitgeber“-Seite aufstellte. Insgesamt errangen diese Listen rund zwanzig Sitze, von rund 8.000, die im ganzen Land zu besetzen war. Allerdings wurden ihnen sämtliche Mandate im Nachhinein, infolge von Wahlanfechtungen, durch die für Wahlverfahren zuständigen Zivilgerichte wieder aberkannt. Unter anderem, weil ein und dieselbe Liste eben nicht für die Vertretung sowohl von „Arbeitnehmer“- als auch von „Arbeitgeber“-Interessen zuständig sein könne.

  •  Ein Zirkel unter dem Namen CNTS (Cercle national des travailleurs syndiqués, ungefähr „Nationaler Zirkel der gewerkschaftlich organisierten Werktätigen“) betrieb in den Jahren 1996 und 1997 eine, allerdings de facto eng begrenzte, Wühlarbeit in bestehenden Gewerkschaften. Auf Lehrgängen wurde den Teilnehmer/inne/n beigebracht, wie man sich „chamäleonhaft“ in einem mehrheitlich feindlich gesonnenen Umfeld, also etwa innerhalb einer etablierten Gewerkschaft verhalte, wie man dort auftrete und seine Argumente zur inhaltlichen Beeinflussung der „Linie“ anbringe. Im Mittelpunkt stand dabei das Bemühen, die wirtschaftliche „Globalisierung“ als Quell und Ausgangspunkt der Gesamtheit aller sozialen Problem darzustellen. Über diese Tätigkeit berichtete die auf Wirtschaftsthemen spezialisierte Fachzeitschrift L’Expansion in einem ausführlichen Artikel vom 06. März 1997. Er stand unter der Überschrift „Der Front National beim Ansturm auf die Unternehmen“ - und ähnelt verblüffend denen, mit denen nun in der deutschen bürgerlichen Presse, aber auch in der französischen Wirtschaftszeitung Les Echos vom 02. März 2018 die rechtsextreme Betriebsarbeit in Deutschland entdeckt werden.

Heute fehlt es dem französischen FN jedoch an einer echten Gewerkschaftspolitik; er denunziert vor allem die „globalistisch orientierten und deswegen dem System verhafteten etablierten Gewerkschaften“, ohne über eigene Alternativstrukturen zu verfügen.

Mitunter versuchen Vertreter/innen des FN jedoch bei gewerkschaftlich inspirierten Demonstrationen Präsenz zu zeigen. Eine Abspaltung vom Front National, die Kleinpartei Les Patriotes, die im Februar 2018 ihren ersten Kongress abhielt, kündigte etwa für den Donnerstag, 22. März 18 ihre Präsenz bei den geplanten Gewerkschaftsdemonstrationen am Aktionstag der öffentlichen Dienste und der Eisenbahner/innen an. In der vorausgegangenen Woche versuchte sie dies bereits bei Renter/innen-Protestdemonstrationen ( vgl. dazu : https://twitter.com/LesPatriotes64/). Es blieb jedoch an jenem 22. März d.J. bei einer vor allem für ein paar Fotokameras bestimmten, rund einstündigen Präsenz von Les Patriotes-Chef Florian Philippot auf dem Trottoir am Straßenrand, in ständiger Nähe und unter dem potenziellen Schutz der dort anwesenden Polizei. ( Vgl. http://www.lefigaro.fr/p und im Bild : https://pbs.twimg.com/)

Die CGT hatte zuvor explizit erklärt, die extreme Rechte sei bei Sozialprotestdemonstrationen „nicht willkommen“ ( vgl. http://www.cgt.fr/Ni-nulle-part-ailleurs.html und auch http://www.lefigaro.fr) Eine Woche zuvor wurde der derzeit im Parlament sitzende FN-Abgeordnete Sébastien Chenu – vormals Mitglied der bürgerlich-konservativen UMP – am 15. März d.J. bei einer Demonstration von rund 300 Metallarbeitern in Nordfrankreich durch CGT-Angehörige unsanft hinauskomplimentiert. ( Vgl. http://www.lefigaro.fr/ )

Die Hauptrolle der extremen Rechten bei der derzeitigen Sozialprotestbewegung besteht jedoch darin, dass neofaschistischen Aktivistengrüppchen – wie insbesondere der GUD ( Groupe Union Défense ) und Untergruppen der „identitären Bewegung“ – Teilnehmer/innen des Studierendenprotests körperlich attackieren. Wie geschehen in Montpellier am 22. März, im nordfranzösischen Lille am 26. März sowie im ostfranzösischen Strasbourg am 28. März dieses Jahres. In Montpellier wurden deswegen (wg. Teilnahme an einem solchen Angriff) immerhin ein Dekan der juristischen Fakultät – er musste deswegen zurücktreten – sowie ein Hochschullehrer in Polizeigewahrsam genommen, unter Anklage gestellt sowie vom Dienst suspendiert… Vgl. dazu neben stehenden ausführlicher Artikel. Eine frankreichweite Studierendendemonstration soll nun genau deswegen, in Antwort darauf, am 14. April in Montpellier stattfinden. ( Vgl. http://www.lefigaro.fr/ )

Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Bericht vom Autor für diese Ausgabe.