Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Zwei Berichte vom Front National-Parteitag

04/2018

trend
onlinezeitung

Angekündigte Namensänderung
und sonst nicht viel Neues?


Unerwartet deutlicher Brückenschlag zur nordamerikanischen Rechten

Die angekündigte Überraschung war keine, sondern bot lediglich den Aufguss des Uralten als vermeintlich neue Kommunikationsstrategie. Dagegen fand im Laufe des Wochenendes vom 10. und 11. März 18 eine andere Überraschung statt, als Frankreichs Neofaschisten in der nördlichen Regionalmetropole Lille tagten. Aber der Reihe nach.

Angekündigt war, dass an diesem Sonntag, den 11. März 18 ein neuer Parteiname für den bisherigen Front National (FN) aus dem Hut gezaubert werden solle, während dieser sich zum sechzehnten Parteitag in seiner bislang 45jährigen Geschichte traf.

Seit ihrer Niederlage bei der französischen Präsidentschaftswahl am 07. Mai 2017, die deutlicher als erwartet ausfiel, vor allem jedoch seit der Totalpleite ihrer Kandidatin Marine Le Pen in der TV-Debatte mit Widersacher Emmanuel Macron vier Tage zuvor (vgl. https://www.heise.de/) – die seit Monaten in allen, wirklich sämtlichen Gesprächen enttäuschter Wähler/innen ihres politischen Lagers Erwähnung findet – ist die rechtsextreme Partei auf der Orientierungssuche. Auf irgendeine Weise muss doch die Kluft zu kitten sein, die eine sich im historischen Aufwind glaubende Partei mit ihren, im Mai errungenen, knapp 34 Prozent noch von den fünfzig Prozent trägt? Ein Namenswechsel könnte den Drive bringen, glaubte man in den letzten Monaten in der Parteiführung. Hinzu kommen ein paar, derzeit eher kosmetische Änderungen an den Strukturen, von denen unten noch die Rede sein wird.

Marine Le Pen, die am Sonntag (11.03.18) in Lille zur Parteichefin wiedergewählt wurde – Kunststück, sie war die einzige Kandidatin für das Amt und hatte zuvor potenzielle Gegenbewerber weggebissen -, hatte es im Vorfeld spannend gemacht. Erst in ihrer Rede zum Abschluss des Parteikongresses am Sonntag Nachmittag wollte sie die Katze aus dem Sack lassen: Wie soll das, in die Jahr gekommene, Kind denn nun künftig heißen? Sicherheitshalber kündigte sie war an, die Parteimitglieder (offiziell 51.000, auch vor Jahreswechsel in übertriebenen Eigenangaben auch mal von 80. oder 90.000 die Rede war) dürften über die Umbenennung in einer Urabstimmung mitreden, jedoch bitte erst nach dem Parteitag. Dies soll ab dem Montag, 12. März d.J nun rund sechs Wochen in Anspruch nehmen. Hätte diese, im Umfeld des Parteitags heikelste Frage schon vor dem Kongress auf dem Tisch gelegen, hätte es möglicherweise die unschöne Situation einer Blockade gegeben. Nicht wenige Mitglieder meinen, dass früher irgendwie alles besser lief beim Front National, und hätten sich deswegen einer Umbenennung verweigern können.

Namensänderung programmiert

Zwar stimmt es, dass die Mitglieder – neben einigen Satzungsfragen - zur grundsätzlichen Problematik eines Namenswechsel eines Namenswechsels vor dem Kongress mit „Ja“ oder „Nein“ stimmen durften. Heraus kam laut parteioffiziellen Zahlen eine knappe Mehrheit von 52 Prozent. (Vgl. https://www.ouest-france.fr/ ) Eine externe Kontrolle der Auszählung fand jedoch nicht statt. Altvorsitzender Jean-Marie Le Pen - er wird in Kürze 90 Jahre alt -, der am Wochenende endgültig seinen „Ehrenvorsitz“ verlor, weil dieser kurzerhand abgeschafft war, um sich Ärger mit dem robusten Alten vom Hals zu schaffen, behauptet hingegen öffentlich das Gegenteil: Eine knappe Mehrheit habe abgelehnt. (Vgl. http://www.europe1.fr/) Vor allem jedoch wurde nur die Frage nach dem grundsätzlichen „Ob“ gestellt – darf man sich die Frage einer Namensänderung nun aufwerfen oder nicht -, jedoch bis zum Abschluss des Parteitags kein konkreter Namensvorschlag benannt.

Dieser liegt nun auf dem Tisch. Er könnte dazu geeignet sein, tatsächlich auch die Nostalgiker zufrieden zu stellen, die meinen, früher im Allgemeinen und unter der Anführung Jean-Marie Le Pens im Besonderen sei irgendwie alles besser gelaufen. Rassemblement national (Nationale Sammlung) soll die Bezeichnung der Partei künftig nun lauten. So hieß jedoch bereits vor nunmehr 32 Jahren die Liste, die der damals von Jean-Marie Le Pen angeleitete FN im März 1986 zu den französischen Parlamentswahlen antreten ließ – seiner insgesamt erfolgreichsten Wahl, denn damals galt das Verhältniswahlrecht, und die Partei erhielt 35 Sitze und (zum einzigen Mal in ihrer Geschichte) Fraktionsstärke. Die damalige Namenswechsel widerspiegelte die Tatsache, dass es dem FN im Winter 1985/86 gelungen war, den neofaschistischen historischen Kern der im Oktober 1972 gegründeten Partei um ein paar konservative konservative Figuren wie beispielsweise Olivier d’Ormesson zu erweitern. (D’Ormesson verließ anderthalb Jahre später die Partei im Streit um ihre Geschichtspolitik und konkret um antisemitische Ausfälle ihres Chefs; Jean-Marie Le Pen schimpfte ihn daraufhin in der – 2008 eingestellten – parteieigenen Wochenzeitung National Hebdo wörtlich einen „Mossad-Agenten“. Aus Sicht d’Ormesson gingen offene Hitler-Sympathien oder die Absicht, dem NS-Regimes sowie seinem Verbündeten Philippe Pétain mindestens mildernde Umstände zu finden, erheblich zu weit. Dabei war der Mann durchaus kein sensibler Pazifist: d’Ormesson war seinerzeit ein Lobbyist für das pro-westliche Regime im damaligen Apartheid-Südafrika.)

Nationale Sammlung“: Der Name dürfte also bei denen, die sich nach den alten Zeiten in der Partei unter Jean-Marie Le Pen zurücksehnen, zumindest nicht allzu sehr anecken. Damit sie auch sonst nicht aufbegehren, beschloss der FN an diesem Wochenende, sein tradiertes, seit der Gründung 1972 benutztes Parteisymbol beizubehalten: die Flamme in den drei Nationalfarben blau-weiß-rot. Dieses Zeichen koppelt den FN an seinen meist ungenannten, in der Öffentlichkeit oft bestrittenen historischen Ursprungspunkt an. Die Logistik und das Geld bei der Parteigründung 1972 – in einer Zeit, wenige Jahre nach dem Mai 1968, die für die extreme Rechte insgesamt magere Jahre darstellte – kamen von den bereits seit 1946/47 parteipolitisch wieder solide aufgestellten italienischen Neofaschisten. Deswegen wurde auch deren Symbol in Frankreich übernommen und kopiert, mit dem einzigen Unterschied, dass die Flamme in Italien grün-weiß-rot ausfiel (vgl. http://tuttosesto.net/msi-dn-fratelli-ditalia-an-non-puo-usare-il-simbolo-della-fiamma/ ), bei den Franzosen hingegen das Grün durch die Farbe Blau ersetzt wurde. Ach ja: Im italienischen Nachkriegsfaschismus wurde die Symbolauswahl auf ziemlich deutliche Weise erläutert – es handele sich um ein Zeichen für die Auffahrt der Seele Benito Mussolinis, des historischen Vorbilds, in den Himmel. Sicherlich, die einfache FN-Wählerin in Nordostfrankreich kennt diese Geschichte des Symbols „ihrer“ Partei nicht. Die Kader und Führungsmitglieder hingegen sehr wohl.

Allerdings könnte bei dem Ganzen noch ein Problemchen auftauchen. Denn dem Vernehmen nach wurde der Name Rassemblement national" bereits im Jahr 2013 durch eine rechtsextreme Kleinpartei – die nur auf kommunaler Ebene in Vitrolles, einer zwischen 1997 und 2002 durch die extreme Rechte regierten Stadt in der Nähe von Marseille, zu existieren scheint – beim französischen Patentamt (INPI) eingetragen und dadurch urheberrechtlich geschützt. // https://www.francetvinfo.fr/ // Dies dürfte noch zu verzwickten Debatten führen. Marine Le Pen widerspricht diesen Angaben jedoch und behauptet, der FN habe die Bezeichnung bereits 1986 urheberrechtlich schützen lassen. Allerdings ist in diesem Falle fraglich, unter welchem rechtlichen Status – denn manche Urheberrechtsanmeldungen verfallen nach zehn Jahren.. Hinzu kommt, dass die fragliche Liste in Vitrolles aus Sympathisanten des, nun an den Rand gedrängten, alten Chefs Jean-Marie Le Pen zu bestehen scheint. In diesem Falle dürfte bereits eifrig hinter den Kulissen über politische Zugeständnisse und andere Kuhhändel verhandelt werden… 

Satzungsänderungen.. Unfreiwillig in den Fußstapfen der KP?

Was beschloss dieser Parteitag sonst noch? Vor allem eine Satzungsänderung, die einige Strukturen aus den letzten 45 Jahren in gewisser Weise entstauben soll. Bei der Gründung in den fRühen 1970er Jahren hatte die rechtsextreme Partei sich Leitungsstrukturen gegeben, die (gewissermaßen als spiegelbildliche Antwort auf den damaligen politisch-ideologischen Hauptfeind) dieselben Namen trugen wie bei der damals noch starken Französischen kommunistischen Partei (dem PCF). Also etwa „Politbüro“ und „Zentralkomitee“. Dasselbe taten übrigens auch die Gaullisten respektive Neogaullisten – deren 1976 neu gegründete Partei, der RPR, benutzte etwa dieselbe Terminologie.

Heute scheint man beim FN der Auffassung zu sein, dies sei nicht mehr zeitgemäß, und sich an der französischen KP abzuarbeiten – die auch längst nicht mehr ist, was sie einmal war -, sei unbefriedigend. Also wurden die Namen nun durch einen Satzungswechsel ausgetauscht, aus dem bisherigen „Zentralkomitee“ wird etwa ein „Nationalrat“ (Conseil national). Ach ja, kleines störendes Detail am Rande: Just dieselbe Umbenennung hat auch die französische KP ihrerseits vorgenommen, aus ihrem „Politischen Büro“ wurde solcherart ein „Nationalbüro“ und aus ihrem „Zentralkomitee“.. eben auch ein „Nationalrat“. Aber dies schon im Januar 1994 (vgl. http://www.lemonde.fr/ ), also lockere 24 Jährchen vor dem Front National. (Beim PCF handelte es sich damals darum, sich vom einstigen „sowjetischen Modell“ abzunabeln, das bis vor dem Mauerfall durch die Parteiführung mehr oder minder hochgehalten wurde, jedoch ab 1991 keine richtige Anziehungskraft mehr zu entwickeln vermochte.) Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, sagte einmal jemand in Moskau… ?

Ex-Trump-Berater trompetet beim FN herum

Nun aber noch zur Überraschung: Diese resultierte daraus, dass am Samstag Nachmittag (10.03.18) in Lille ein unerwarteter Stargast auftrat, in Gestalt des vormaligen - mittlerweile geschassten - Donald Trump-Beraters Steven Bannon. (vgl. http://www.lemonde.fr/ ) In dieser rechtsextremen Gesellschaft fühlte der vormalige Breitbart-Agitator sich sichtlich wohl, und donnerte in den Saal: „Die Geschichte steht auf unserer Seite!“ (vgl. http://www.bfmtv.com/) Zum Beleg führte Bannon auch, in triumphierendem Tonfall, den Erfolg der rassistischen Regionalpartei Lega Nord – oder offiziell seit kurzem nur noch La Lega - in Italien an.

Blickt man daneben auch auf die derzeitigen politischen Verhältnisse in Ungarn, denkt man an die Regierungsbildung unter Einbeziehung der postnazistischen FPÖ auf Bundesebene in Österreich oder den relativen Aufstieg der AfD in Deutschland, dann könnte man sich wundern, dass sich die Parteiführung des französischen FN derzeit eher unwohl in ihrer Haut fühlt.

Krisenfaktoren beim Front National

Der Hauptgrund dafür dürfte darin liegen, dass Viele in der rechtsextreme Partei heute der Auffassung sind, dass ihre Organisation es genau in dieser theoretisch günstigen historischen Situation nicht schaffe, ihr Potenzial wirklich auszuschöpfen.

Bemängelt wird von den innerparteilichen Widersachern der aktuellen Führung vor allem, dass derzeit die Bündnismöglichkeiten auf der konservativen und wirtschaftsliberalen Rechten verschlossen scheinen. Denn vor allem auf wirtschaftspolitischem Gebiet entwickelten sich beide seit 25 Jahren in gegenläufiger Richtung: Nach dem Berliner Mauerfall 1989 und dem Einsturz der UdSSR behauptete führende Intellektuelle und Kader im und rund um den FN, nunmehr sei der „Tod des Marxismus“ eingetreten, und weil es keine ökonomische Systemalternative mehr gebe, bleibe nur noch die „nationale Rechte“ als Fundamentalopposition zum Bestehenden im Angebot. (Unter anderen Breitengraden machten Kader des radikalen politischen Islamismus zeitgleich zum Teil eine sehr sehr ähnliche Rechnung auf.) Also: Statt Klassenkampf unten gegen oben gebe es, schematisch gesprochen, nur noch „Ausländer raus“, den Rassen- oder Religionskampf sowie – als Beigabe – die Infragestellung des wirtschaftlichen Globalisierungsprozesses und des Freihandels als zugkräftigen Mobilisierungsmotor. Tatsächlich ist es dem französischen FN daraufhin seit den 1990er Jahren gelungen, auch Millionen enttäuschte vormalige Wähler der Sozialdemokratie sowie der Parteikommunisten anzuziehen. Allerdings nicht ganz wie im erhofften Ausmaß, denn anders als durch die Rechtsextremen erhofft, verschwanden etwa die französischen Gewerkschaften nicht als Akteure von der Bildfläche, um ihnen einfach das Feld zu überlassen.

Die konservative Rechte in Frankreich radikalisierte sich hingegen in Richtung eines voranschreitenden Wirtschaftsliberalismus und Marktradikalismus; ihr gescheiterter Präsidentschaftskandidat (2017) François Fillon portraitierte sich selbst als französischen Margaret Thatcher-Verschnitt. (Vgl. dazu http://www.lemonde.fr/) Auf dieser Ebene konnten und können Konservative und Rechtsextreme, welch Letztere eher auf eine gewisse sozialdemagogische Note in ihrem Diskurs setzen, sich nicht näher kommen.

Einige Jahre hindurch begünstigte dies eher den Aufstieg des FN, da er dadurch an Angehörige der sozialen „Unterklassen“ als Wählerinnen und Wähler heran kam, die im Leben wohl niemals für eine elitäre wirtschaftsliberale Rechtspartei stimmen würden. Doch nun hat diese Strategie sich auf anderer Ebene als Hemmschuh erwiesen: Dem FN bieten sich keine Bündnispartner von Gewicht auf der politischen Rechten an, er bleibt rechts von der Mitte ziemlich weitgehend isoliert. Doch mit seiner Strategie „Allein gegen Alle“ stößt der FN an Grenzen, man spricht mittlerweile von einer „gläsernen Decke“: Bei vielen Wahlen verzeichnet er im ersten Durchgang hohe Ergebnisse, doch scheitert der FN mangels Bündnispartnern im zweiten Wahlgang – welcher im französischen politischen System absolut entscheidend ist, und bei dem Bündnisse zwischen stärkeren und schwächeren Parteien eingegangen werden – in schöner Regelmäßigkeit. So war es bei den Bezirksparlamentswahlen im März 2015, bei den Regionalparlamentswahlen im Dezember 2015 (entgegen anderslautender Vorhersagen fiel keine einzige Regionalregierung an ihn), und erneut bei den Präsidentschafts- sowie den nachfolgenden Parlamentswahlen vom Juni 2017 (doch nur acht Sitze in der Nationalversammlung).

Seit Anfang 2016 werden deswegen innerparteilich die Stimmen lauter, die meinen, mehr Wasser in den Wein des demagogischen Sozialdiskurses zu schütten, wirtschaftlich „verantwortungsbewusst“, auch auf die Forderung nach EU-Austritt zu verzichten und bei den Konservativen besseres Ansehen zu gewinnen – dies sei das Gebot der Stunde. Aus ihrer Sicht soll die Partei nicht unbedingt kleinlauter werden, jedoch ihre Attacken auf Einwanderer und Muslime konzentrieren (vom Antisemitismus wollen inzwischen beide Fraktionen eher die Finger lassen) - und tunlichst beim Ausnutzen sozialer Unzufriedenheit darauf achten, nicht allzu weit zu gehen. Es sollte auch einen Gegenkandidaten geben, der diese Linie in Lille auf dem Parteitag gegen Marine Le Pen vertrete. Es handelte sich um den örtlichen Parteichef in Lille, Eric Dillies. Im Herbst 2017 bereitete er seine Kampfkandidatur für den Chefsessel gegen Marine Le Pen vor (vgl. http://www.rtl.fr/), doch er scheiterte an formalen Voraussetzungen: einer ungenügenden Zahl von Unterstützungsunterschriften aus dem mittleren Leitungsapparat der Partei. (Vgl. http://www.rtl.fr/)

Die Richtungsentscheidung zwischen den beiden widerstrebenden Polen innerhalb der rechtsextremen Partei blieb also bei diesem Mal aus, der Kongress hatte letztendlich nur sekundäre Fragen zu entscheiden. Dennoch wird die Frage sich erneut, und in naher Zukunft schärfer als im Augenblick, stellen – auch die nach der ferneren politischen Zukunft Marine Le Pens. (Vgl. https://www.challenges.fr/) Angesichts ihrer strategischen Zwickmühle hat Marine Le Pen sogar eine gewisse Müdigkeit zu ernennen geben und mindestens zwei mal – am 26. Dezember 2017 und am 15. Februar 2018 – zu erkennen gegeben, sie könnte eventuell auf eine Kandidatur zur nächsten Präsidentschaftswahl verzichten. Diese steht turnusmäßig im Jahr 2022 an.

Doch eine politische Figur dürfte für den Fall der Fälle im Hintergrund dafür bereit stehen. Es handelt sich um die Nichte der derzeitigen Chefin und Enkelin von Jean-Marie Le Pen, die erst 28jährige Marion Maréchal-Le Pen. Anders, als in einem von überdeutlichen Sympathien für die von ihre verkörperten politischen Ideen geprägten Artikel fälschlich behauptet wurde (vgl. https://www.heise.de/tp/ ), ist diese derzeit nicht „als Abgeordnete des Front National aktiv“. Vielmehr gab sie 2017 ihr bisheriges – während einer Legislaturperiode ausgeübtes – Parlamentsmandat auf. Überdies verkündete die junge Frau am 09. Mai des Jahres, also genau zwei Tage nach dem Ausgang der Präsidentschaftswahlen, ihren Rückzug aus der aktiven Politik an, um sich (jedenfalls vorübergehend) einem Berufsleben zu widmen. (Vgl. http://www.lemonde.fr/ )

Allerdings ist mit ihrer Rückkehr auf die politische Bühne zu rechnen. Umso mehr, als Marion Maréchal-Le Pen es just verstanden hat, im richtigen Moment den Abgang zu machen, also noch bevor sie in irgendeine Mitverantwortung für das mehr oder minder als enttäuschend gewertete Abschneiden bei den Parlamentswahlen vom Juni 17 hineingezogen werden konnte. Unterdessen bleibt sie nicht untätig. Marion Maréchal-Le Pen trägt sich dem Vernehmen mit Plänen zum Aufbau einer Privatuniversität (die heiße Frage wird dann lauten, woher das Geld dafür fließt), und am 22. Februar dieses Jahres absolvierte sie ihren mittlerweile bekannten Auftritt vor nordamerikanischen Konservativen in Washington D.C. Und dies wenige Minuten nach einer Rede von Vizepräsident Mike Pence, und am Tag vor jener von Donald Trump. (Vgl. u.a. http://www.lejdd.fr/) Also in dem Milieu, in dem auch Steve Bannon als Ideologe Anklang fand, bevor er sich mit Trump überwarf. ((Vgl. auch http://www.leparisien.fr/ ) Auch Letzteren umschmeichelte Marion Maréchal-Le Pen unterdessen. (Vgl. http://www.parismatch.com/ ) Eine gewisse Blamage übrigens für ihre Tante, denn Marine Le Pen schaffte es anlässlich eines Aufenthalts in New York im Winter 2016/17 – Trump war bereits gewählt, jedoch noch ins Amt des US-Präsidenten eingeführt worden – nicht, durch ihn oder einen seiner Sprecher empfangen zu werden. (Vgl. http://www.lemonde.fr/)


Hier zeigt sich also, zu welchen Achsenbildungen moderne Rechtsextreme noch fähig sein könnten, wohl wissend, dass der FN und seine Führung in Russland durch die Umgebung von Wladimir Putin wiederum notorisch wohl gelitten sind. Im Unterschied zu Marine Le Pen würde ihre Nichte innenpolitisch zweifellos für eine stärkere Annäherung an konservative Rechtskräfte und vor allem an reaktionär-katholische Kreise stehen, umgekehrt würde ihre Anziehungskraft auf nicht traditionell rechtsorientierte Unzufriedene in den sozialen „Unterklassen“ hingegen wohl geringer ausfallen. Spielräume für eine stärkere Annäherung zwischen Konservativen und Rechtsextremen in Frankreich bestehen, wie eine Umfrage über Schnittmenge zwischen beiden politischen Kräften vom zurückliegenden Sonntag (vgl.
http://www.lejdd.fr ) belegt. Dieselbe Umfrage belegte zugleich die abnehmende Popularität der Vorstellung, Marine Le Pen könne erneut als Präsidentschaftskandidatin antreten.

Ebenfalls am Wochenende des 10./11. März 18 plädierte der konservative Rechtsausleger Thierry Mariani, früherer Transportminister unter Nicolas Sarkozy zwischen 2010 und 2012, explizit für eine Annäherung an den FN bzw. an die Partei unter ihrem künftigen neuen Namen. (Vgl. https://www.francetvinfo.fr/ ) Von ihm verlautbarte nun am verlängerten Osterwochenende – am 01./02. April 18 -, es sei möglich, dass Mariani zu den Europaparlamentswahlen von Ende Mai 2019 auf einer (erweiterten) Liste des Front National kandidiere. Dadurch wüchse immerhin zusammen, was inhaltlich ziemlich deutlich zusammengehört...

Längerfristig dürfte die Gefahr also weniger von einer irgendwie gearteten rechten „Revolution“ – getragen von sozial Unzufriedenen – her drohen, sondern, sofern sie stattfindet, von einer Annäherung der beiden bislang verfeindeten Rechtsblöcke.

Front National-Parteitag und Gegenmobilisierung

Antifaschistische Demonstration: eher dürftig * Jean-Marie Le Pen
wurde endgültig in den Schatten geschoben

Eine Ära geht unwiederbringlich zu Ende: Altfaschist Jean-Marie Le Pen spielt seit dem Wochenende des 10./11. März 18 definitiv keine Rolle mehr bei der Partei, die er im Jahr 1972 gründete. Obwohl er infolge antisemitischer und geschichtsrevisionistischer Ausfälle – die durch die Parteiführung als kontraproduktiv betrachtet wurden - im August 2015 aus dem Front National (FN) ausgeschlossen worden war, spukte er bislang noch immer über die Flure der Parteizentrale in Nanterre bei Paris. Und dies nicht nur im Geiste, sondern auch, weil mehrere Justizorgane, zuletzt das Berufungsgericht von Versailles im Februar, ihn in wenigstens einem Amt bestätigten. Es handelte sich um den „Ehrenvorsitz“, den seine Tochter und Nachfolgerin Marine Le Pen bei ihrem Antritt als Vorsitzende Anfang 2011 speziell für ihn kreieren ließ. Damals war vergessen worden, Widerrufs- oder Abberufungsregeln in der Parteisatzung dafür vorzusehen. Und so hatte die Partei einen „Ehrenpräsidenten“, dem zugleich alle sonstigen Mitgliedsrechte entzogen worden waren.


Seit dem Kongresswochenende des 10./11. März 18 ist es auch damit vorbei: Der sechzehnte Parteitag in der Geschichte der neofaschistischen Organisation verabschiedete einige Satzungsänderungen, mit denen die Passage über den „Ehrenvorsitz“ ersatzlos gestrichen wurde.

Und dennoch ist Jean-Marie Le Pen ein wandelnder politischer Untoter. Zum Ersten landete er mit seinen, seit dem 28. Februar d.J. im Buchhandel käuflichen Memoiren einen echten Bestseller – binnen kürzester Zeit war die erste Auflage ausverkauft und ein Nachdruck geordert, und innerhalb von anderthalb Wochen wurden 100.000 Exemplare verkauft. (Vgl. https://www.20minutes.fr/ ) Sicherlich, nicht allein Anhänger/innen der Ideen Jean-Marie Le Pens dürften dieses Buch erworben haben, sondern auch Neugierige, Pressemenschen, politische Beobachter/innen und andere Leute. Dennoch trägt es dazu bei, dass Jean-Marie Le Pen eine Art Statur behält. Zum Zweiten wurden erneut Altkader der rechtsextremen Partei, die zum engeren Umfeld Jean-Marie Le Pens gehörten, in die nunmehr in „Nationalrat“ umgetaufte dritthöchste Führungsinstanze der Partei – ehemals „Zentralkomitee“ – gewählt. Zu ihnen zählen Bruno Gollnisch und Marie-Christine Arnautu.

Worum geht es bei den anstehenden Änderungen sonst noch? Insbesondere um die Namensänderung einiger Führungsinstanzen innerhalb der Partei. Bei der Gründung in den frühen siebziger Jahren hatte die rechtsextreme Partei sich Leitungsstrukturen gegeben, die - gewissermaßen als spiegelbildliche Antwort auf den damaligen politisch-ideologischen Hauptfeind - dieselben Namen trugen wie bei der damals noch starken Französischen kommunistischen Partei (PCF). Also etwa „Politbüro“ und, wie bereits erwähnt, „Zentralkomitee“. Dasselbe taten übrigens auch die Gaullisten respektive Neogaullisten; deren 1976 neu gegründete Partei, der RPR, benutzte exakt dieselbe Terminologie.

Heute scheint man beim FN der Auffassung zu sein, dies sei nicht mehr zeitgemäß, und sich an der französischen KP abzuarbeiten – die auch längst nicht mehr ist, was sie einmal war -, sei unbefriedigend. Also wurden die Namen nun durch einen Satzungswechsel ausgetauscht, aus dem bisherigen „Zentralkomitee“ wird etwa ein „Nationalrat“ (Conseil national). Allerdings: Just dieselbe Umbenennung hatte auch die französische KP ihrerseits vorgenommen, aus ihrem „Politischen Büro“ wurde solcherart ein „Nationalbüro“ und aus ihrem „Zentralkomitee“ - eben auch ein „Nationalrat“. Aber dies schon im Januar 1994, also über 24 Jahre vor dem Front National. Ätsch…

Ihren Namen ändern soll auch die Partei als solche, jedenfalls sofern der von Marine Le Pen am Sonntag, den 11. März 18 in ihrer Abschlussrede vorgetragene Vorschlag durchkommt, also in den kommenden sechs Wochen bei einer elektronischen Abstimmung durch die Mitglieder angenommen wird. Rassemblement national (Nationale Sammlung) soll die Bezeichnung der Partei künftig nun lauten. Auch dies ist allerdings nicht sonderlich neu oder originell: Ebenso hieß bereits die Liste, die der damals von Jean-Marie Le Pen angeleitete FN im März 1986 zu den französischen Parlamentswahlen antreten ließ – seiner insgesamt erfolgreichsten Wahl, denn damals galt das Verhältniswahlrecht, und die Partei erhielt 35 Sitze und, zum bisher einzigen Mal in ihrer Geschichte, Fraktionsstärke in der Nationalversammlung. (Zum Problem mit der Tatsache, dass eine rechtsextreme Splitterpartei sich denselben Namen offensichtlich bereits 2013 beim Patentamt – INPI – eintragen und dadurch urheberrechtlich schützen ließ, vgl. bitte nebenstehenden Artikel.)

Ansonsten bleibt alles in der Partei ziemlich beim Alten, auch wenn ein realer Generationswechsel stattgefunden hat – über 80 Prozent der insgesamt 409 Kandidaten für den einhundertköpfigen nunmehrigen „Nationalrat“ des FN, oder künftigen RN, traten ihm vor weniger als zehn Jahren bei. Dass die Jugend dabei nicht so viel anders denkt als die Altvorderen und die Partei sich nicht etwa zu humanistischen und demokratischen Idealen bekehrt hat, belegte ein Vorfall am Freitag Abend (09. März 18) in Lille. Am Vorabend der Kongresseröffnung betrank der Vizechef der Jugendorganisation FNJ, der 23jährige Davy Rodriguez, sich in einer Bar in Lille. Im Streit mit einem Angestellten der Gaststätte beschimpfte er ihn laut Aufnahmen, welche zuerst durch die Webseite Buzfeed publiziert wurden, unter anderem mit den Worten „Du Scheißneger“ und: „Geh doch zurück nach Afrika, Du Affe!“ Umstehende versuchten ihn zur Räson zu bringen und daran zu erinnern, dass er seit einem halben Jahr Mitarbeiter eines Parlamentsabgeordneten – Sébastien Chenu – sei, also einen Ruf zu verlieren habe. Vergeblich. Rodriguez bestreitet die Vorfälle und behauptet, Opfer einer Manipulation geworden zu sein. Der Abgeordnete Chenu hat seinen Mitarbeiter seit Sonntag Abend (11.03.18) vom Dienst suspendiert.

Ausländischer Stargast des Parteitags war unbestritten der US-Amerikaner Steve Bannon. Er rief am Samstag Nachmittag (10.03.18) in den Saal: „Die Geschichte steht auf unserer Seite!“, und bezog sich dabei unter anderem auf den Wahlerfolg der rassistischen Lega – bis vor kurzem Lega Nord – in Italien. Zuvor war am 22. Februar 18 die vormalige FN-Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen, die sich offiziell aus der aktiven Politik zurückgezogen hat, jedoch auf ihre Stunde wartet und zunehmend als wahrscheinliche nächste Präsidentschaftskandidatin der extremen Rechten gehandelt wird, in Nordamerika aufgetreten. Bei der „Conservative political action conference (CPAC) 2018“ hielt sie ihre Rede nur wenige Minuten nach der von Vizepräsident Mark Pence.

Wenig Erfolg hingegen hatte die antifaschistische Gegendemonstration in Lille, die dieses Mal nur rund 500 Menschen anzog. Neben der allgemein schwierigen Situation für soziale Bewegungen spielt dabei auch das extreme Sektierertum einer der beteiligten Organisation, des lokalen Ablegers der Action antifasciste (AFA).

Bei einer kontrovers verlaufenen Debatte am Freitag Abend, den 09. März 18 im Gewerkschaftshaus von Lille, einem roten Backsteinbau aus dem Zeitalter der Schwerindustrie, im Rahmen eines Gegenforums zum FN-Parteitag insistierte ihr Redner – ein örtlicher Hochschullehrer – darauf, nur und ausschließlich nur wer „revolutionäre Alternativen“ verfolge, dürfte legitimer Weise „gegen den Faschismus“ Stellung beziehen. Und zitierte dabei ausgerechnet Armando Bordiga; dieser italienische Theoretiker war ein Linkskommunist, der jedoch in den 1960er Jahren zum Auschwitz-Leugner wurde, weil es in seinen Augen darum ging, jeden qualitativen Unterschied zwischen bürgerlicher Demokratie und Faschismus zu bestreiten. Bei einer jüngst stattgefundenen Demonstration trug die örtliche AFA ferner ein Transparent gegen „Faschisten, von Le Pen bis zum Parti Socialiste“ und propagierte dadurch eine krude Sozialfaschismusthese.

Dies war sicherlich keineswegs der Standpunkt der überwiegenden Mehrheit der Teilnehmer/innen am antifaschistischen Protest. Doch solche sektiererischen Kräfte trugen ihr Teil dazu bei, dass etwa die deutliche Mehrzahl der (örtlichen wie überregionalen) Gewerkschaften der Demonstration fern blieb. Keine gute Weichenstellung für die nähere Zukunft.

Editorische Hinweise

Wir erhielten beide Artikel vom Autor für diese Ausgabe.

Der erste ist eine erweiterte Fassung eines Beitrags, der am 12. März 18 beim Online-Magazin ‚telepolis‘ erschien.

Der zweite ist eine überarbeitete  Fassung eines Beitrags, der  am 15. März 18 in der Berliner Wochenzeitung ‚Jungle World‘ erschien.