Kommentare zum Zeitgeschehen
Eurozentrischer Umgang mit dem Coronavirus

von Milena Rampoldi

04/2020

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Unsere eurozentrische Haltung zeigt sich erneut, diesmal im Bereich der Virologie. Diesmal geht es nicht um Tote einer Hungersnot, die uns nicht betrifft, oder um einen Krieg, den wir angezettelt haben, ohne unsere eigenen Zivilisten in Mitleidenschaft zu ziehen, sondern nur um unsere Waffenexporte zu erhöhen. Es geht aber um einen virologischen Zwischenfall, den wir eurozentrisch als Pandemie auslegen und eindämmen wollen, weil und seit er Europa so hart trifft.

Als Ebola in Nigeria ausbrach und eine Morbiditätsrate von 40 % erreichte, wurde dies als ein afrikanisches Problem abgetan, das sich in der Ferne des schwarzen Kontinenten abspielt und durch die schnelle Reaktion der Regierung des Erdölriesen schnell eingedämmt wurde. Nigeria wurde dann am 20. Oktober 2014 feierlich als „Ebola-frei“ erklärt und alles wurde wieder schnell vergessen, vor allem die Verbindung zwischen Armut und Ebola, den Slums und der Verbreitung der tödlichen Krankheit.

Die durch die militärische Intervention gegen das schon so arme Entwicklungsland Jemen bedingte Cholera-Welle, die als die längste Pandemie des Jahrhunderts gilt, wurde auch von den Medien wenig bis gar nicht beachtet. Wenn man die beiden Wellen der Cholera im arabischen Kriegsland zusammenfasst, kommt man zwischen 2016 und 2019 auf 1.704.246 Verdachtsfälle und 3.438 bestätigte Todesfälle. Die Letalität zwar sehr niedrig, bei etwa 0,2 Prozent, aber 28 % der Verdachtsfälle waren Kinder unter 5 Jahren.

Dasselbe gilt für Malaria und andere Krankheiten wie Noma (Wangenbrand), die nur Afrika betreffen und somit nicht das Interesse der Europäer erwecken. Nur 2018 starben 272.000 Kinder an Malaria. An Noma sterben jährlich 80-90.000 Menschen.

Nun bricht das Coronavirus zunächst im fernöstlichen Produktionsriesen China, in der Region von Wuhan, aus. Die Chinesen werden im Netz mit Vorurteilen und rassistischen Äußerungen beworfen. Sie seien schuld daran, weil sie die falschen Tiere verzehren. Sogar der Spiegel spricht von einem „Made in China“-Virus, als gäbe es einen Bezug zwischen Nation, Kultur und Virus. Man beschuldigt eine Nation, den Virus erschaffen und begünstigt zu haben. Die Sinophobie strömt aus allen Ecken in die sozialen und auch in die Mainstreammedien.

Wir Europäer sind das Zentrum des Denkens und Handelns. Das Virus ist nicht unser Virus. Es ist ein chinesisches Virus. Die Fledermäuse sind nicht europäische, sondern chinesische Fledermäuse, als hätten Virologie und Zoologie nationale Unterscheidungen in sich.

Wo nun Europa und dann die USA zum „Epizentrum“ der Ausbreitung des Virus kommen, sieht man das Virus als die bedrohliche Krankheit, an der keiner Schuld ist. Die europäischen Staaten übernehmen die „national-notstandtechnische“ Sisyphos-Aufgabe und planen die Umgestaltung der eigenen nationalen Gemeinschaften in Gefängnisse. Menschen sollen sich in Herden verwandeln, die in den vier Wänden diese nationale Aufgabe zu erfüllen haben: Wir sitzen zu Hause und retten unser Volk.

Europa hat Zukunft, wenn wir „gemeinsam“ dieses Virus eindämmen. Es zirkulieren pseudohumanitäre Floskeln wie „Gemeinsam gegen Corona“. Gemeinsam bedeutet aber hier: innerhalb unserer nationalen Gemeinschaft zahmer Schafe, die das Narrativ des Staates und der Medien kritiklos hinnehmen und nicht hinterfragen.

Nun erreicht die Zahl der Infizierten in den USA astromische Zahlen. Nun geht es wieder los mit dem Eurozentrismus. Europa tut das Richtige, obwohl Schweden ein wenig aus der Reihe tanzt und trotzdem zum Skifahren geht, die USA wissen nicht, wo es lang geht und unterschätzen das Bumerang-Virus.

Worauf man nur noch hoffen kann, ist dass die Wärme des Sommers die Verbreitung des Virus verlangsamen wird, da es schon Studien darüber gibt, dass höhere Temperatur die Ausbreitung des Corona-Virus verlangsamt.

Aber das Virus ist nicht ein chinesisches, deutsches, italienisches, spanisches oder US-made Virus, sondern es ist ein Welt-Virus, das die gesamte Menschheit betrifft und befällt. Der Begriff Virus kommt aus dem Lateinischen und bedeutet eine „natürliche zähe Feuchtigkeit, Schleim, Saft, Gift“, eine infektiöse organische Struktur, die Teil der Natur ist und somit unsere menschliche Geschichte immer schon begleitet hat und auch in Zukunft begleiten wird.

Die Frage ist somit: Wie gehen wir damit um? Eurozentrisch oder humanistisch? Mit dem Paradigma der Methodenvielfalt, der Inklusion, des Anti-Rassismus oder mit der Kultur der Angst, Segregation und der Ausgrenzung kranker Menschen?

Erstveröffentlicht bei Tlaxcala am 28/03/2020

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