Das
Buch über den Kapp-
Putsch von Klaus Gietinger ist
lesenswert und lässt aktuellste
Schlussfolgerumgen zu.
Vor hundert Jahren gab es in
Deutschland die Chance, die
Produktionsprozesse demokratisch zu
vergesellschaften.
Das hat die Führung der Sozialdemokratie
konsequent
zusammen mit der damaligen
Reaktion - Kapital, Militär, bürgerliche
Elite - verhindert.
Bereits die ersten 90 Seiten haben es in
sich. Hier zeigt Gietinger mit
nachvollziehbarer polemischer
Schreibe auf, und das lässt denken, was die
"politische Klasse"
der BRD
bis
heute umtreibt. Die
damalige "Angst vor dem Bolschewismus",
heute die Abwehr des
Kommunismus, war nichts anderes, als die
Verneinung der Willensbildung der
Massen aus diesen selbst und die
Befürwortung der Ausbeutung von Menschen
durch Menschen. Die
stetige Umwälzung der
Verhältnisse für die tödlichen
Kapitalbildungsprozesse ist mit vielen
Namen belegbar. In Kassel dürfte,
neben der Hotline zwischen dem Quartier der
Obersten Heeresleitung in
Wilhelmshöhe, der verbrecherischen
kaiserlichen Armee,
also Generalleutnant
Wilhelm Groener und Friedrich Ebert (SPD) in
Berlin im Jahr 1918 interessieren, wie
sich der
prominenteste Sozialdemokrat der Stadt,
Philipp Scheidemann vor, während
und nach dem Putsch der frühen
deutschen Faschisten verhalten hat.
Scheidemann war es, der, wie Klaus Gietinger
zusammenträgt, 1915 noch vom Sieg
über die Entente spricht. In jenem
Jahr setzte die deutsche Armee erstmals
Giftgas ein.
Gas. Ein anderer Topos der Deutschen, wie
man Gietinger ergänzen könnte, der
Klaus Theweleits
Topos des gepanzerten Körpers des Soldaten,
der sich mit dem Land, dem ganzen
Sozialen verwechselt, immer wieder
anführt. Hierin ist Gietingers Ansatz auch
anzumerken. Er versucht die
Chronologien, die zur zweiten Revolution
nach der
Konterrevolution führten, möglichst
engmaschig aufeinander zu beziehen. Verfehlt
hatte die Revolution von 1918, in
Anbetracht der Densität der
Ereignisse und angesichts des stetig
drohenden und dann
1920 eintretenden rechten Putschs, die
Entmachtung der Generäle
vorzunehmen und die Demokratisierung
der Armee zu
betreiben. Mit der Zerschlagung der Roten
Ruhrarmee und den mit ihr
verbundenen sozialen ökonomischen
sozialistischen Zielen durch die reaktionäre
Armee, die von Kapitalisten
finanziert wurden, ist die "Willensbildung
der Massen" viel
besser einschätzbar.
Auch
mit dem Massaker vor dem Reichstag am 13.
Januar 1920 durch militarisierte
Polizei wird es evident, dass mit der Macht
über die Produktionsmittel für ein echtes
Betriebsrätegesetz eine Notwendigkeit dort
in Berlin formuliert wurde und kein
"politisches Glaubensbekenntnis."
Scheidemann war (das behandelt
Gietinger hier nicht) als
Reichsministerpräsident
schon 1919 wesentlich daran
beteiligt, Arbeiter*innen vom Eigentum am
Reichtum der
Gesellschaft fernzuhalten. Die Vorstellung
einer gemeinwirtschaftlichen
Sozialisierung wurde
in der "Eingliederung der
Arbeiter-Räte in die Verfassung" zur
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
umgeschrieben. Die heute offensichtliche,
desolate Situation der Versorgung der
Menschen in der Privatwirtschaft wurde
damals nicht nur wie vor 1918 weiter
betrieben und nicht
nur nicht verhindert, sie wurde in Gang
gesetzt. Denn Räte in Betrieben wurden auf
die Kontrolle der Vorschriften
reduziert. Sie sollten nie den Betrieb
steuern. Der
Ausnahmezustand, der
Schießbefehl, mit denen die Arbeiter
unterdrückt wurden, als
sie 1920 im Generalstreik
gegen den Putschversuch an die
Staatsmacht - von unter anderen General
Lüttwitz, Kapp
(Aufsichtsrat der Deutschen Bank), zuvor
unterstützt von August Winnning
(SPD) - standen, die gerne als genuin
rechte Erfindung angesehen werden, wurden
von der SPD aktiv mit entworfen.
Carl
Legien hatte noch im November 1918 mit Hugo
Stinnes den historischen
Klassenkompromiss der Arbeiter mit
dem Kapital gegen (!) die Arbeiterräte
geschlossen und sollte am 13. März
1920 dann die Gewerkschaften in den
Generalstreik gegen die Verbündeten
von Stinnes führen,
als diese in Berlin einmarschierten.
Klaus Gietinger, der mit Winfried Wolf
bereits Christopher
Clarks Märchen vom Schlafwandeln in den
ersten Weltkrieg
widerlegte[1], bietet einen scharfen Ton und
viele Details auf.
Der Terror gegen die Arbeiter, die
(personaliter) Legien und die
Sozialdemokratie
überschritten, die im Buch in einer
Liste genannten Namen der Märzgefallenen,
die vom Militär
ermordeten Kämpfer, erinnern daran, wie das
Entstehen des deutschen
Faschismus, dem äußerst
aggressiven Nazismus, der schon 1920
offen antisemitisch jede progressive
Veränderung abwendete, für die
geltende Herrschaft, widersprüchlich zwar,
aber allein -
bei allen möglichen taktischen Fehlern der
Kommunisten - mit den
Systemstützen der sozialen und
demokratischen
"Regierungsbürokratie" möglich wurde. Einer
kleinbürgerlichen Machtelite, die auf
Linie mit den Zielen der herrschenden
Klasse und unter dem für sie
unüberwindbaren Zwang der
kapitalistischen Verhältnisse auch vor
eigenen
Diktaturplänen nicht zurückschreckte,
wie Gietinger nachweist.
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Klaus
Gietinger
Kapp-Putsch
1920 -
Abwehrkämpfe - Rote-Ruhrarmee
Schmetterling Verlag
1.
Auflage 2020
328 Seiten, kartoniert
Schmetterling
ISBN 3-89657-177-X
19,80 EUR
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Wir erhielten
die Rezension per Email für diese Ausgabe. |