Buchbesprechung
Klaus
Gietinger: Kapp-Putsch

von "Workshop"

04/2020

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Das Buch über den Kapp- Putsch von Klaus Gietinger ist lesenswert und lässt aktuellste Schlussfolgerumgen zu. Vor hundert Jahren gab es in Deutschland die Chance, die Produktionsprozesse demokratisch zu vergesellschaften. Das hat die Führung der Sozialdemokratie konsequent zusammen mit der damaligen Reaktion - Kapital, Militär, bürgerliche Elite - verhindert.

Bereits die ersten 90 Seiten haben es in sich. Hier zeigt Gietinger mit nachvollziehbarer polemischer Schreibe auf, und das lässt denken, was die "politische Klasse" der BRD bis heute umtreibt.  Die damalige "Angst vor dem Bolschewismus", heute die Abwehr des Kommunismus, war nichts anderes, als die Verneinung der Willensbildung der  Massen aus diesen selbst und die Befürwortung der Ausbeutung von Menschen durch Menschen. Die stetige Umwälzung der Verhältnisse für die tödlichen Kapitalbildungsprozesse ist mit vielen Namen belegbar. In Kassel dürfte, neben der Hotline zwischen dem Quartier der Obersten Heeresleitung in Wilhelmshöhe, der verbrecherischen kaiserlichen Armee, also Generalleutnant Wilhelm Groener und Friedrich Ebert (SPD) in Berlin im Jahr 1918 interessieren, wie sich der prominenteste Sozialdemokrat der Stadt, Philipp Scheidemann vor, während und nach dem Putsch der frühen deutschen Faschisten verhalten hat.

Scheidemann war es, der, wie Klaus Gietinger zusammenträgt, 1915 noch vom Sieg über die Entente spricht. In jenem Jahr setzte die deutsche Armee erstmals Giftgas  ein. Gas. Ein anderer Topos der Deutschen, wie man Gietinger ergänzen könnte, der Klaus Theweleits Topos des gepanzerten Körpers des Soldaten, der sich mit dem Land, dem ganzen Sozialen verwechselt, immer wieder anführt. Hierin ist Gietingers Ansatz auch anzumerken. Er versucht die Chronologien, die zur zweiten Revolution nach der  Konterrevolution führten, möglichst engmaschig aufeinander zu beziehen. Verfehlt hatte die Revolution von 1918, in Anbetracht der Densität der Ereignisse und angesichts des stetig drohenden und dann 1920 eintretenden rechten Putschs, die Entmachtung der Generäle vorzunehmen und die Demokratisierung der Armee zu betreiben. Mit der Zerschlagung der Roten Ruhrarmee und den mit ihr verbundenen sozialen ökonomischen sozialistischen Zielen durch die reaktionäre Armee, die von Kapitalisten finanziert wurden, ist die "Willensbildung der Massen" viel besser einschätzbar.

Auch mit dem Massaker vor dem Reichstag am 13. Januar 1920 durch militarisierte Polizei wird es evident, dass mit der Macht über die Produktionsmittel für ein echtes Betriebsrätegesetz eine Notwendigkeit dort in Berlin formuliert wurde und kein "politisches Glaubensbekenntnis." Scheidemann war (das behandelt Gietinger hier nicht) als Reichsministerpräsident schon 1919 wesentlich daran beteiligt, Arbeiter*innen vom Eigentum am Reichtum der Gesellschaft fernzuhalten. Die Vorstellung einer gemeinwirtschaftlichen Sozialisierung wurde in der "Eingliederung der Arbeiter-Räte in die Verfassung" zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung umgeschrieben. Die heute offensichtliche, desolate Situation der Versorgung der Menschen in der Privatwirtschaft wurde damals nicht nur wie vor 1918 weiter betrieben und nicht nur nicht verhindert, sie wurde in Gang gesetzt. Denn Räte in Betrieben wurden auf die Kontrolle der Vorschriften reduziert. Sie sollten nie den Betrieb steuern. Der Ausnahmezustand, der Schießbefehl, mit denen die Arbeiter unterdrückt wurden, als  sie 1920 im Generalstreik gegen den Putschversuch an die Staatsmacht - von unter anderen General Lüttwitz, Kapp (Aufsichtsrat der Deutschen Bank), zuvor unterstützt von August Winnning (SPD) - standen, die gerne als genuin rechte Erfindung angesehen werden, wurden von der SPD aktiv mit entworfen.

Carl Legien hatte noch im November 1918 mit Hugo Stinnes den historischen Klassenkompromiss der Arbeiter mit dem Kapital gegen (!) die Arbeiterräte geschlossen und sollte am 13. März 1920 dann die Gewerkschaften in den Generalstreik gegen die Verbündeten von Stinnes führen,  als diese in Berlin einmarschierten. Klaus Gietinger, der mit Winfried Wolf bereits Christopher Clarks Märchen vom Schlafwandeln in den ersten Weltkrieg widerlegte[1], bietet einen scharfen Ton und viele Details auf. Der Terror gegen die Arbeiter, die (personaliter) Legien und die Sozialdemokratie  überschritten, die im Buch in einer Liste genannten Namen der Märzgefallenen, die  vom Militär ermordeten Kämpfer, erinnern daran, wie das Entstehen des deutschen  Faschismus, dem äußerst  aggressiven Nazismus, der schon 1920 offen antisemitisch jede progressive  Veränderung abwendete, für die geltende Herrschaft, widersprüchlich zwar, aber  allein - bei allen möglichen taktischen Fehlern der Kommunisten - mit den  Systemstützen der sozialen und demokratischen  "Regierungsbürokratie" möglich wurde. Einer kleinbürgerlichen Machtelite, die auf  Linie mit den Zielen der herrschenden Klasse und unter dem für sie  unüberwindbaren Zwang der kapitalistischen Verhältnisse auch vor eigenen Diktaturplänen nicht zurückschreckte, wie Gietinger nachweist.

Klaus Gietinger
Kapp-Putsch
1920 - Abwehrkämpfe - Rote-Ruhrarmee
 

Schmetterling Verlag

1. Auflage 2020
328 Seiten, kartoniert
Schmetterling
ISBN 3-89657-177-X
 

19,80 EUR

 

Wir erhielten die Rezension per Email für diese Ausgabe.