"Die sogenannte
Corona-Krise verschärft den ohnehin
schon
eingeschränkten Zugang zu sicheren
Schwangerschaftsabbrüchen in
Deutschland. Forderungen von
Beratungsstellen, die Situation für
ungewollt Schwangere zu
verbessern, entgegnen christliche
FundamentalistInnen mit Ablehnung
und Hohn. Das Berliner
What-the-fuck-Bündnis fordert die
sofortige Umsetzung der Forderungen
und Solidarität mit ungewollt
Schwangeren", so Lili Kramer,
Pressesprecherin des
What-the-fuck-Bündnisses.
Bereits vor der
sogenannten Corona-Krise war der Zugang
zu sicheren
Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland
mit Einschränkungen verbunden.
Laut §218 des
Strafgesetzbuches ist der
Schwangerschaftsabbruch eine
Straftat und nur bis zur 12.
Schwangerschaftswoche unter bestimmten
Bedingungen straffrei: Ungewollt
Schwangere müssen eine Zwangsberatung
bei einer staatlich anerkannten
Schwangerschaftskonfliktberatung
wahrnehmen und anschließend
mindestens drei Tage bis zum Abbruch
warten.
Aufgrund der
Kriminalisierung und des Drucks der
sogenannten
“Lebensschutz”bewegung bieten nur noch
wenige Kliniken und
niedergelassene Ärzt*innen einen
Abbruch an, sodass vielerorts lange
Anreisen anfallen.
Die Corona-Pandemie
verschärft diese Situation. Durch
Einschränkungen im
öffentlichen Nah- und
Regionalverkehr sowie überlastete
Krankenhäuser und
Praxen kommt es zu längeren Wartezeiten,
die die Einhaltung der
12-Wochen-Frist erschweren oder
gar unmöglich machen. Geschlossene
Praxen und Beratungsstellen
beschränken die Möglichkeiten weiter.
Erste Stimmen
werden bereits laut,
Schwangerschaftsabbrüche seien keine
notwendigen medizinischen
Eingriffe. Die “Doctors for Choice”
befürchten, dass vermehrt zu
unsicheren Abtreibungsmethoden gegriffen
wird. Zugleich erwarten sie mehr
unerwünschte Schwangerschaften durch
zunehmende sexuelle Gewalt und
Vergewaltigungen während der
Ausgangsbeschränkungen.
Beratungsstellen und
Pro-Choice-Aktivist*innen
fordern angesichts der kritischen
Lage, die
Schwangerschaftskonfliktberatung auch
telefonisch oder per Videochat zu
ermöglichen, Beratungsscheine
digital zuzustellen und die Formulare
der
Kostenübernahme durch die Krankenkassen
online zugänglich zu machen.
Doch die Umsetzung sieht
bisher mau aus: Erst vereinzelte
Bundesländer
haben die Telefon- bzw. Videoberatung
ermöglicht. In der Praxis sind
diese mit teils unrealistischen
Identitätsprüfungen verbunden und
Formulare für die Kostenübernahme
sind nicht digital erhältlich.
Anstelle von Mitgefühl
und Lösungsorientierung reagieren
sogannte
“LebenschützerInnen” mit Ablehnung und
Hohn. So wird den
Beratungsstellen unterstellt, die
Situation für ihre eigenen Interessen
zu nutzen. Mechthild Löhr,
Bundesvorsitzende der Christdemokraten
für das Leben,
behauptet auf kath.net: “Nur Zyniker und
Verächter des
Lebensrechtes jedes Menschen können
diese kritische Lage, in der zur
Rettung von Leben und der
Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und
in den Familien
dringender denn je gebraucht wird, so
schamlos für ihre
Interessen 'nutzen'.” Auch die Aktion
Lebensrecht für Alle spricht in
einer Stellungnahme von der
“Abtreibungslobby” und behauptet: “Dass
in Zeiten, in
denen das Gesundheitssystem um das Leben
besonders
gefährdeter Personen ringt,
vorgeburtliche Kindstötungen künftig
Priorität genießen sollen, zeigt,
wessen Geistes Kind diejenigen sind,
die solche Forderungen erheben.”
Die Vorsitzende des Bundesverbands
Lebensrecht, Alexandra Linder,
leugnet sogar die Gefahr durch unsichere
Abtreibungen bei fehlenden
Zugängen: “Da Abtreibung aber keine
lebensrettende Notfallbehandlung
ist und man normalerweise nicht an
einer Schwangerschaft sterben
muss, ist diese Argumentation vom
Grundsatz her falsch.”
Gleichzeitig sind sich
die christlichen FundamentalistInnen
selbst nicht zu
schade, die aktuelle Situation zur
Bestätigung der eigenen Ideologie
zu nutzen. So frohlockt die
“Publizistin” Gabriele Kuby auf
kath.net:
“Kleine Kinder sind
plötzlich da, wo sie hingehören, bei
ihren Müttern.
Väter sind zu Hause. Ehepaare
habe Zeit, miteinander zu sprechen.
Man findet
sich am Familientisch zusammen, es
gibt sogar Frühstück für die
Kinder. Mit einem Schlag wird
von der gesamten
Familien-Bevölkerung
Home-schooling praktiziert.
Statt Giffeysche Ganztagsschule,
Ganztags-Familie – einfach
so, über Nacht!”
Überhaupt findet sie,
die Pandemie
könne zu einer Besinnung der
Gesellschaft führen und uns
erkennen lassen, dass “Homoehe”,
Abtreibung, die “Rebellion gegen die
Identität von Mann und Frau”, die
“Entfesselung der Sexualität”, die
“Seuche der Pornographie” und die
angebliche Zerstörung der Familie
falsch seien. Vielleicht sei
Corona gar eine gerechte Strafe: “Wenn
es Gott gibt und
dieser Gott sein Geschöpf liebt, dann
kann er nicht auf
Dauer zulassen, dass wir die zehn
Gebote mit Füßen treten und den
Menschen selbst zerstören.” Mit
dieser Argumentation, die die Schuld für
die Corona-Pandemie unter anderem
bei Minderheiten wie homosexuelle
Menschen und Trans*personen
sieht, steht sie nicht alleine da. Auch
Mark Arndt,
russisch-orthodoxer Erzbischof von
Berlin, macht Trans* und nicht
gebärwillige Menschen mit Uterus
für neue Krankheiten verantwortlich.
Einige
FundamentalistInnen glauben gar, als
demütige Gläubige verschont
zu bleiben: Hedwig von
Beverfoerde, Mitorganisatorin der
homofeindlichen
“Demos für alle”, hält es für
ausgeschlossen, “daß der würdig
empfangene Leib
des Herrn ein tödliches Virus
überträgt”. Auch ihre
Anti-Vielfalts-Weggefährtin
Birgit Kelle verteidigt auf Twitter die
Kommunion: “Wenn der Bäcker
Brötchen austeilen darf, dann sollte der
Priester das 'Brot des Lebens'
ebenfalls ausgeben können.”
In den Reaktionen der
christlichen FundamentalistInnen auf die
Forderungen der Beratungsstellen
sowie in ihrem Umgang mit der
Corona-Situation allgemein zeigen
sich deutlich die gleichen
ideologischen Versatzstücke wie
in ihrem sonstigen Menschenbild: Die
Vorstellung, ein gottgerechtes
Leben zu führen und eine enge Auslegung
der Bibel sind sowohl in der
Suche nach einem Grund für Corona, als
auch in
höhnischen Kommentaren gegenüber
Menschen, die nicht entsprechend
ihren moralischen Vorstellungen
leben, allgegenwärtig. Die Schuldsuche
bei ohnehin diskriminierten
Menschen ist nichts anderes als ein
neues Ventil für
ihre homo- und trans*feindliche
Ideologie. Bezeichnend ist
auch ihr Umgang mit Wissenschaft
und Forschung. So werden Studien
manipulativ widergegeben,
Empfehlungen von
Gesundheitsinstitutionen zur
Infektionsvermeidung
widersprochen und Fakten über
Verbreitungswege
mithilfe religiöser Argumentation
angezweifelt.
All dies ist eigentlich
keine Überraschung. Jedoch zeigen die
schnellen
Reaktionen auf die Forderungen von
Beratungsstellen, dass die
christlichen FundamentalistInnen
auch im Homeoffice handlungsfähig sind.
"Es sind nicht nur
vereinzelte sogenannte
LebensschützerInnen, die in
Zweifel ziehen, dass
Schwangerschaftsabbrüche auch während
der Corona-Krise
eine notwendige Behandlung bleiben.
Diese Töne vernehmen
wir aktuell auch von
Klinkleitungen, Ärzt*innen und
Politiker*innen. Das
ist fatal, es muss jederzeit
einen sicheren Zugang zu
Schwangerschaftsabbrüchen geben -
alles andere gefährdet das Leben
ungewollt schwangerer Personen.
Wir unterstützen die Forderungen von
Beratungsstellen und "Doctors for
choice". Langfristig müssen
Zwangsberatung, Bedenkfrist und
das Informationsverbot durch §219a
verschwinden. Und §218, der durch
die Kriminalisierung die Lehre der und
die Bereitschaft zur Durchführung
von Abbrüchen dezimiert, muss auch
fallen. Weil Corona nur noch
deutlicher macht, was wir alle schon
wussten: Die Zugänge zu
Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland
sind zu rar und
haben zu viele Hürden – und das ist
gefährlich", so Lili Kramer,
Pressesprecherin des
What-the-fuck-Bündnisses.