Pressemitteilung 15.04.2020
Schwangerschaftsabbruch in der Corona-Pandemie

von "presse-wtf[at]riseup.net"

04/2020

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"Die sogenannte Corona-Krise verschärft den ohnehin schon eingeschränkten Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland. Forderungen von Beratungsstellen, die Situation für ungewollt Schwangere zu verbessern, entgegnen christliche FundamentalistInnen mit Ablehnung und Hohn. Das Berliner What-the-fuck-Bündnis fordert die sofortige Umsetzung der Forderungen und Solidarität mit ungewollt Schwangeren", so Lili Kramer, Pressesprecherin des What-the-fuck-Bündnisses.

Bereits vor der sogenannten Corona-Krise war der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland mit Einschränkungen verbunden.

Laut §218 des Strafgesetzbuches ist der Schwangerschaftsabbruch eine Straftat und nur bis zur 12. Schwangerschaftswoche unter bestimmten Bedingungen straffrei: Ungewollt Schwangere müssen eine Zwangsberatung bei einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatung wahrnehmen und anschließend mindestens drei Tage bis zum Abbruch warten.

Aufgrund der Kriminalisierung und des Drucks der sogenannten “Lebensschutz”bewegung bieten nur noch wenige Kliniken und niedergelassene Ärzt*innen einen Abbruch an, sodass vielerorts lange Anreisen anfallen.

Die Corona-Pandemie verschärft diese Situation. Durch Einschränkungen im öffentlichen Nah- und Regionalverkehr sowie überlastete Krankenhäuser und Praxen kommt es zu längeren Wartezeiten, die die Einhaltung der 12-Wochen-Frist erschweren oder gar unmöglich machen. Geschlossene Praxen und Beratungsstellen beschränken die Möglichkeiten weiter. Erste Stimmen werden bereits laut, Schwangerschaftsabbrüche seien keine notwendigen medizinischen Eingriffe. Die “Doctors for Choice” befürchten, dass vermehrt zu unsicheren Abtreibungsmethoden gegriffen wird. Zugleich erwarten sie mehr unerwünschte Schwangerschaften durch zunehmende sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen während der Ausgangsbeschränkungen. Beratungsstellen und Pro-Choice-Aktivist*innen fordern angesichts der kritischen Lage, die Schwangerschaftskonfliktberatung auch telefonisch oder per Videochat zu ermöglichen, Beratungsscheine digital zuzustellen und die Formulare der Kostenübernahme durch die Krankenkassen online zugänglich zu machen.

Doch die Umsetzung sieht bisher mau aus: Erst vereinzelte Bundesländer haben die Telefon- bzw. Videoberatung ermöglicht. In der Praxis sind  diese mit teils unrealistischen Identitätsprüfungen verbunden und Formulare für die Kostenübernahme sind nicht digital erhältlich.

Anstelle von Mitgefühl und Lösungsorientierung reagieren sogannte “LebenschützerInnen” mit Ablehnung und Hohn. So wird den Beratungsstellen unterstellt, die Situation für ihre eigenen Interessen zu nutzen. Mechthild Löhr, Bundesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben, behauptet auf kath.net: “Nur Zyniker und Verächter des Lebensrechtes jedes Menschen können diese kritische Lage, in der zur Rettung von Leben und der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und in den Familien dringender denn je gebraucht wird, so schamlos für ihre Interessen 'nutzen'.” Auch die Aktion Lebensrecht für Alle spricht in einer Stellungnahme von der “Abtreibungslobby” und behauptet: “Dass in Zeiten, in denen das Gesundheitssystem um das Leben besonders gefährdeter Personen ringt, vorgeburtliche Kindstötungen künftig Priorität genießen sollen, zeigt, wessen Geistes Kind diejenigen sind, die solche Forderungen erheben.” Die Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht, Alexandra Linder, leugnet sogar die Gefahr durch unsichere Abtreibungen bei fehlenden Zugängen: “Da Abtreibung aber keine  lebensrettende Notfallbehandlung ist und man normalerweise nicht an einer Schwangerschaft sterben muss, ist diese Argumentation vom Grundsatz her falsch.”

Gleichzeitig sind sich die christlichen FundamentalistInnen selbst nicht  zu schade, die aktuelle Situation zur Bestätigung der eigenen Ideologie zu nutzen. So frohlockt die “Publizistin” Gabriele Kuby auf kath.net:

“Kleine Kinder sind plötzlich da, wo sie hingehören, bei ihren Müttern. Väter sind zu Hause. Ehepaare habe Zeit, miteinander zu sprechen. Man findet sich am Familientisch zusammen, es gibt sogar Frühstück für die Kinder. Mit einem Schlag wird von der gesamten Familien-Bevölkerung Home-schooling praktiziert. Statt Giffeysche Ganztagsschule, Ganztags-Familie – einfach so, über Nacht!”

Überhaupt findet sie, die Pandemie könne zu einer Besinnung der Gesellschaft führen und uns erkennen lassen, dass “Homoehe”, Abtreibung, die “Rebellion gegen die Identität von Mann und Frau”, die “Entfesselung der Sexualität”, die “Seuche der Pornographie” und die angebliche Zerstörung der Familie falsch seien. Vielleicht sei Corona gar eine gerechte Strafe: “Wenn es Gott gibt und dieser Gott sein Geschöpf liebt, dann kann er nicht auf  Dauer zulassen, dass wir die zehn Gebote mit Füßen treten und den Menschen selbst zerstören.” Mit dieser Argumentation, die die Schuld für  die Corona-Pandemie unter anderem bei Minderheiten wie homosexuelle Menschen und Trans*personen sieht, steht sie nicht alleine da. Auch Mark Arndt, russisch-orthodoxer Erzbischof von Berlin, macht Trans* und nicht gebärwillige Menschen mit Uterus für neue Krankheiten verantwortlich.

Einige FundamentalistInnen glauben gar, als demütige Gläubige verschont zu bleiben: Hedwig von Beverfoerde, Mitorganisatorin der homofeindlichen “Demos für alle”, hält es für ausgeschlossen, “daß der würdig empfangene Leib des Herrn ein tödliches Virus überträgt”. Auch ihre Anti-Vielfalts-Weggefährtin Birgit Kelle verteidigt auf Twitter die Kommunion: “Wenn der Bäcker Brötchen austeilen darf, dann sollte der Priester das 'Brot des Lebens' ebenfalls ausgeben können.”

In den Reaktionen der christlichen FundamentalistInnen auf die Forderungen der Beratungsstellen sowie in ihrem Umgang mit der Corona-Situation allgemein zeigen sich deutlich die gleichen ideologischen Versatzstücke wie in ihrem sonstigen Menschenbild: Die Vorstellung, ein gottgerechtes Leben zu führen und eine enge Auslegung der Bibel sind sowohl in der Suche nach einem Grund für Corona, als auch in höhnischen Kommentaren gegenüber Menschen, die nicht entsprechend ihren moralischen Vorstellungen leben, allgegenwärtig. Die Schuldsuche bei ohnehin diskriminierten Menschen ist nichts anderes als ein neues Ventil für ihre homo- und trans*feindliche Ideologie. Bezeichnend ist auch ihr Umgang mit Wissenschaft und Forschung. So werden Studien manipulativ widergegeben, Empfehlungen von Gesundheitsinstitutionen zur Infektionsvermeidung widersprochen und Fakten über Verbreitungswege mithilfe religiöser Argumentation angezweifelt.

All dies ist eigentlich keine Überraschung. Jedoch zeigen die schnellen Reaktionen auf die Forderungen von Beratungsstellen, dass die christlichen FundamentalistInnen auch im Homeoffice handlungsfähig sind.

"Es sind nicht nur vereinzelte sogenannte LebensschützerInnen, die in Zweifel ziehen, dass Schwangerschaftsabbrüche auch während der Corona-Krise eine notwendige Behandlung bleiben. Diese Töne vernehmen wir aktuell auch von Klinkleitungen, Ärzt*innen und Politiker*innen. Das ist fatal, es muss jederzeit einen sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen geben - alles andere gefährdet das Leben ungewollt schwangerer Personen. Wir unterstützen die Forderungen von Beratungsstellen und "Doctors for choice". Langfristig müssen Zwangsberatung, Bedenkfrist und das Informationsverbot durch §219a verschwinden. Und §218, der durch die Kriminalisierung die Lehre der und die Bereitschaft zur Durchführung von Abbrüchen dezimiert, muss auch fallen. Weil Corona nur noch deutlicher macht, was wir alle schon wussten: Die Zugänge zu Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland sind zu rar und haben zu viele Hürden – und das ist gefährlich", so Lili Kramer, Pressesprecherin des What-the-fuck-Bündnisses.

Per Email am 15.04.2020