Auch wenn der Staat die Situation für sich nutzt, um Widerstand zu verhindern und zu delegitimieren, so können wir doch vielfältige Aktionsformen wählen um unsere Wut über die bestehenden Verhältnisse und die Liebe für ein Leben in Freiheit auszudrücken.
Der 1. Mai ist seit Jahren in der BRD geprägt von ritualisierten DGB Demonstrationen in den Städten , Nazidemos besonders im Osten Deutschlands und alkoholisierter Männergruppen überall dazwischen. Doch hatte er einst einen kämpferischen Ursprung und ist Teil einer anarchistischen Arbeiter*innenbewegung.
So liegen die
Anfänge dieses
Tages in den
USA, genauer
gesagt im
industriell
geprägten
Chicago der
1880er Jahre.
Hierhin
emigrierten
viele
Sozialist*innen
und
Anarchist*innen,
die in ihren
Europäischen
Heimatländern
aufgrund ihrer
politischen
Einstellung
verfolgt wurden.
Schon zu dieser
Zeit wurde die
Durchsetzung des
8-Stundentages
als Forderung
formuliert. Als
Kampfmittel
wurde um den 1.
Mai 1886 zum
Streik
aufgerufen, dem
landesweit 350
000
Arbeiter*innen
folgten.
Repression war
die Antwort von
Seiten des
Staates, der
damit die
Interessen des
Kapitals
verteidigte. Die
Polizei wurde
gemeinsam mit
privaten, von
den Unternehmen
angeheuerten
Söldnertrupps,
auf die
Streikenden
gehetzt. Dabei
wurden am 3. Mai
vier Arbeiter
bei einer
Versammlung der
Holzarbeitergewerkschaft
erschossen. Am
darauf
folgenden Tag
kam es deshalb
zu einem Protest
auf dem
Haymarket in
Chicago. Die
sich auflösende
Versammlung
wurde von
Polizeieinheiten
angegriffen und
es detonierte
eine Bombe, die
von einer bis
heute
unbekannten
Person geworfen
wurde. Im Chaos
eröffnete die
Polizei das
Feuer auf die
fliehenden
Menschen und
tötete dabei
viele. Durch die
Explosion wurden
ebenfalls sieben
Polizisten
getötet, was
eine weitere
Welle der
Repression gegen
die
Arbeiter*innenbewegung
scheinbar
legitimierte.
Hunderte
Sozialist*innen,
Kommunist*innen
und
Anarchist*innen
wurden
verhaftet, um
sie aus dem
Verkehr zu
ziehen und den
Widerstand gegen
kapitalistische
Ausbeutung zu
brechen.
Sieben
Anarchisten
wurden als
vermeintliche
Täter des
Bombenattentats
von den
Ermittlungsbehörden
herangezogen und
nach einem
Schauprozess
wurden fünf zum
Tode und weitere
zu langen
Haftstrafen
verurteilt. Nach
sieben Jahren
wurden die
Verurteilten vom
neuen Gouverneur
zu „Opfern der
Justiz“ erklärt,
da es von Beginn
an keinerlei
Beweise gegen
die
Beschuldigten
gab. Deren
freiheitliche,
politische
Überzeugungen
waren für die
Polizei und
Justiz Grund
genug.
Dies war ein sehr kompakter Abriss der Geschehnisse von vor über 130 Jahren, die Arbeiter*innen weltweit dazu veranlasste den 1. Mai als Tag der Organisierung und des Widerstandes gegen Ausbeutung und bestehende Herrschaftsverhältnisse zu sehen.
Doch auch heute
noch im Jahr
2020 sind die
bestehenden
Verhältnisse
anzuprangern.
Die Lage spitzt
sich weiter zu.
Es sind die Tage
einer neuen
Krise des
Kapitalismus,
nicht ausgelöst
von einem Virus,
sondern von der
kapitalistischen
Logik selbst.
Der Staat geht
mit dieser Logik
Hand in Hand. So
besteht bei
entstehen dieses
Aufrufs eine
Ausgangsbeschränkung,
für die meisten
Aktivitäten
außerhalb von
Lohnarbeit und
Konsum. Der
Staat nimmt
tiefe Eingriffe
in die
Freiheiten der
Menschen vor.
Das Auslesen von
Handydaten um
Bewegungsprofile
zu erhalten und
die Aufhebung
der
Versammlungsfreiheit
sind zwei davon.
Dies erfolgt
unter großer
Zustimmung der
Bevölkerung.
Bei den Forderungen nach sozialer Distanzierung werden die psychischen Folgen außer acht gelassen. Weitere Vereinsamung, Depression und steigende Suizidraten werden ein Resultat davon sein. Stimmen, die dabei wieder nicht gehört werden, sind die von häuslicher Gewalt betroffenen Personen. Frauen*, Trans- und queere Menschen werden die Fluchtmöglichkeiten aus patriarchalen Verhältnissen verwehrt. Durch das Wegfallen von Kinderbetreuung und Schule verschärft sich die Situation von Alleinerziehenden weiter.
Lohnarbeiten
gehen ist
dagegen
weiterhin
erlaubt. Dabei
ist in Frage zu
stellen ob ein
zwei Meter
Sicherheitsabstand
oder andere
Hygienevorschriften,
die ja nun zur
Arbeitssicherheit
zählen sollten,
im Büro, an der
Werkbank oder im
Handel
eingehalten
werden können.
Besonders für
die Angestellten
in den
Supermärkten
erhöht sich die
Arbeitsbelastung
enorm. Die
Diskussion über
zwölf
Stundenschichten
und
Wochenendarbeit
mit Aussicht auf
jetzt schon sehr
knappen Lohn,
sowie erhöhtes
Risiko von
Altersarmut für
diese Menschen,
lässt uns auf
die Geschehnisse
vor 130 Jahren
verweisen als
Arbeiter*innen
für den acht
Stunden Tag
kämpften. So
sind zwar
Verbesserungen
der
Arbeitsverhältnisse
zu begrüßen,
jedoch können
diese, wie
derzeit zu
sehen, in einem
kapitalistischen
System auch
schnell wieder
verschwinden.
Dies
verdeutlicht
erneut, dass
dieses System an
sich überwunden
werden muss.
Legitimation für staatliche Maßnahmen, wie die Ausgangssperre, soll zudem der Schutz von Menschen in Risikogruppen gegen das Covid-19 Virus sein. Da der Staat über Jahre des Gesundheitssystem zurückgefahren und privatisiert hat, wird er bei starker Zunahme der kritischen Krankheitsfälle nicht mehr in der Lage sein, seine „sozialstaatliche“ Funktion, die Gesundheitsversorgung, zu gewährleisten. Auch im medizinischen Bereichen und der Pflege sind prekarisierte Menschen wieder sehr gefragt und erhalten bloß symbolische Anerkennung durch Zuspruch von Politiker*innen oder applaudierenden Menschen auf Balkonen. Von Applaus und schönen Worten werden sich diese Menschen jedoch keine Wohnung im Alter oder ihre eigene Versorgung bei Arbeitsunfähigkeit leisten können. Grund dafür, ist ebenfalls die Verfolgung einer kapitalistischen Logik, in der Profit einen höheren Wert hat als Menschenleben.
Das die
staatliche
Versorgungslogik
ausschließend
ist, zeigt sich
dabei offen.
Menschen ohne
deutschen Pass
sind oft von
diesen
ausgenommen. Im
Bereich der
Landwirtschaft
werden Jahr für
Jahr Menschen
aus anderen
Ländern zum
Arbeiten nach
Deutschland
gebracht, um für
Niedriglohn zu
arbeiten und den
Hierlebenden
billige
Lebensmittel zu
ermöglichen. In
Zeiten von
Covid-19 sollen
diese Menschen
nur unter
strengen
Gesundheitskontrollen
hierher gebracht
werden um keine
neue Infektionen
zu
„importieren“.
Unter
zwangsarbeiterrischen
Verhältnissen
sollen sie dann
auch ihre
Unterbringungen
oder
Arbeitsstätten
nicht verlassen
dürfen.
Dabei verlief
die Ausbreitung
von Covid-19 in
Europa mehr über
privilegiertere
Geschäftsreisende
und Urlauber aus
eher teureren
Erholungsgebieten.
Menschen aus
prekären
Verhältnissen
bekommen jetzt
die repressiven
Mittel am
ehesten zu
spüren.
Die
Landesgrenzen
werden für
Schutzsuchende
geschlossen.
Geflüchtete, die
schon hier sind
werden ihren
Unterkünften
unter Quarantäne
gestellt und von
privaten
Security
Angestellten und
der Polizei
misshandelt und
daran gehindert
sich frei zu
bewegen. Dies
macht den
freiheitsentziehenden
Charakter dieser
Institution noch
offensichtlicher.
Gefangene in Knästen verlieren das Recht Besuch zu erhalten, was oft der einzige Kontakt nach außen ist. Dies verstärkt die Isolation. Wie es um den Gesundheitszustand der Gefangen steht, bleibt somit auch verborgen. Auch hier ist in Frage zu stellen, wie Menschen vor Infektionen geschützt werden sollen, wenn sie auf kleinsten Raum zusammengepfercht und Hygieneartikel nur zu überhöhten Preisen erhältlich sind. Das Personal, was der Einfuhrweg für Viren ist, arbeitet nicht mal mit entsprechender Schutzausrüstung.
Außerhalb der
EU, an den
Außengrenzen
verschärfen sich
die Verhältnisse
in dortigen den
Geflüchtetencamps
dramatisch. Ein
Mangel an
medizinischer
Versorgung und
unhygienische
Verhältnisse
herrschten dort
schon lange.
Staaten wie die
Türkei nutzten
die Krise, um
politisch Druck
auf ihre
Gegner*innen zu
machen. So kappt
die Türkei durch
Staudämme und
von ihr
kontrollierte
Wasserwerke die
Wasserversorgung
in den
selbstverwalteten
kurdischen
Gebieten, wo
auch viele
Geflüchtete
Schutz fanden.
Die EU übernimmt
weiter keine
Verantwortung.
Dafür ist ein
Rückschritt in
nationale
Denkweisen zu
beobachten.
Eine anarchistischen Utopie steht dem genau entgegen. Solidarität endet nicht an erdachten Ländergrenzen, nicht an konstruierten Geschlechterrollen und auch nicht daran, ob Menschen es sich leisten können für ihre Gesundheit, ihr Essen, ihre Wohnung, ihre Bildung, bezahlen zu können. Die Verantwortungsübernahme gegen ungerechte Zustände fängt schon bei uns selbst an. Lasst uns für eine gerechtere Welt kämpfen!
Denn auch nach Corona steht uns die Krise nach der Krise bevor. Bereits jetzt werden, wie auch 2008, Unternehmen und Konzerne mit staatlichen Mitteln unterstützt. Lohnabhängige erhalten keine direkte finanzielle Hilfe, wie es durch ein Grundeinkommen möglich wäre. Dabei sind sie es, die besonders darunter leiden. Sie verlieren ihre Einkommensmöglichkeit, können ihre Miete nicht mehr zahlen, müssen sich verschulden und werden damit noch abhängiger von ausbeuterischen Verhältnissen.
Deshalb rufen
wir auch dieses
Jahr dazu auf
den 1. Mai als
Kampftag gegen
den
Kapitalismus,
gegen
Nationalismus,
gegen das
Patriarchat und
gegen jeder
anderen Form von
Herrschaft und
Ausbeutung zu
begehen.
Auch wenn der
Staat die
Situation für
sich nutzt, um
Widerstand zu
verhindern und
zu
delegitimieren,
so können wir
doch vielfältige
Aktionsformen
wählen um unsere
Wut über die
bestehenden
Verhältnisse und
die Liebe für
ein Leben in
Freiheit
auszudrücken.
Daher rufen wir in Leipzig und überall zu dezentralen Aktionen auf...
• Lasst uns
die Konflikte
und politischen
Inhalte in den
öffentlichen
Raum tragen
• Lasst uns
die bestehenden
Verhältnisse
angreifen
• Lasst uns
unsere
Alternativen in
die Praxis
umsetzen
…und das auch über den 1. Mai hinaus!