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Die Reform der betrieblichen Mitbestimmung
Perfektionierung eines bewährten Kampfmittels der Kapitalistenklasse

erschienen 19.02.01 in Schwarzer Kanal

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Die betriebliche Mitbestimmung als wirklich geniale Erfindung: die Arbeiter geben die einzige Waffe aus der Hand, die sie haben (nämlich den Streik), delegieren ihre Interessen an den Betriebsrat - und bekommen von diesem als Resultat erfolgreicher Vertretung ihrer Interessen die Klassenkampfmaßnahmen des Kapitals serviert- also Entlassungen, Überstunden, Kurzarbeit oder Lohnkürzungen.

Vergangenen Dienstag war es endlich so weit: der Arbeits- und der Wirtschaftsminister haben sich über die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes geeinigt, so lautete die frohe Botschaft. Und diese Reform muß dem Arbeitsminister offenbar sehr am Herzen liegen, denn er sagte wörtlich: "Wer will, dass sich in der Betriebsverfassung nichts ändert, nimmt in Kauf, dass das friedliche Miteinander in den Betrieben schon bald nicht funktioniert." Und die Parteikollegen des Ministers pflichteten bei, daß uns ohne die notwendige Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmung womöglich französische Zustände drohen könnten...

Wenn das „friedliche Miteinander in den Betrieben" per Gesetz erzwungen werden muß, um französische Zustände wie etwa spontane Streiks, zu vermeiden, dann braucht man nicht groß zu erläutern, wer bei diesem Miteinander ständig den Kürzeren zieht. Daß es trotzdem funktioniert, verdankt sich in der Tat nicht zuletzt der berühmten „Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft in den Betrieben", die im Betriebsverfassungsgesetz geregelt ist.

Denn dieses Gesetz unterbindet - offenbar erfolgreich - jede ernsthafte Aktivität gegen die fortschreitende Verarmung der Arbeiterschaft. Den Arbeitnehmern ist die eigenständige Anmeldung von Ansprüchen oder gar die Organisation von Arbeitskämpfen nämlich schlicht und einfach untersagt. Ihre Anliegen haben sie statt dessen an einen von ihnen gewählten Vertreter, den Betriebsrat, zu delegieren. Und von diesem erfahren sie dann regelmäßig, daß ihre Wünsche zwar berechtigt, aber leider angesichts der betrieblichen Machtverhältnisse nicht durchsetzbar seien.

Daraus sollte man nun nicht voreilig schließen, nur den falschen Mann ins Amt gewählt zu haben. Zur Durchsetzung der Anliegen der Belegschaft gegen die Betriebsleitung ist ein Betriebsrat nämlich gar nicht da. Sein Aufgabengebiet ist die konstruktive Mitgestaltung des Betriebswohls. Und dafür stehen ihm die entsprechenden Rechte zu: Er muß von der Betriebsleitung regelmäßig informiert werden, darf die Einhaltung von Arbeitsschutz- und Tarifbestimmungen überwachen und hat ein umfassendes Mitwirkungs- und Vorschlagsrecht bei der Umsetzung der Entscheidungen, die ihm die Geschäftsleitung auftischt.

Wie das geht, zeigt folgendes Beispiel: Der Vorstand eröffnet dem Betriebsrat, daß er zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit 200 Angestellte einsparen muß. Der Betriebsrat rechnet, die Bilanzen nach und meint, 150 Kündigungen müßten reichen. Man einigt sich auf 175. Die „schwarze Liste" mit den geplanten Kündigungen lehnt der Betriebsrat wegen fehlender Sozialverträglichkeit ab - und erstellt daraufhin eine eigene Liste. Und diese wird auf der Betriebsversammlung dann stolz als Erfolg präsentiert: man habe in harten Verhandlungen durchgesetzt, daß nur die die Entlassungen vorgenommen werden, die sozialverträglich und für den Erhalt der restlichen Arbeitsplätze wirklich unverzichtbar seien.

Hierbei erweist sich die betriebliche Mitbestimmung als wirklich geniale Erfindung: die Arbeiter geben die einzige Waffe aus der Hand, die sie haben (nämlich den Streik), delegieren ihre Interessen an den Betriebsrat - und bekommen von diesem als Resultat erfolgreicher Vertretung ihrer Interessen die Klassenkampfmaßnahmen des Kapitals serviert- also Entlassungen, Überstunden, Kurzarbeit oder Lohnkürzungen. Der Betriebrat läßt diese Maßnahmen nicht nur zu, sondern er setzt sie als ausführendes Organ gegen die „lieben Kollegen" durch. So ein Konzernbetriebsrat findet zum Beispiel überhaupt nichts dabei, mit einem Vorschlag zum „sozialverträglichen Personalabbau" mal eben die Ruinierung mehrerer hundert Lohnarbeiterexistenzen in die Wege zu leiten. Ein Arbeitnehmer ist daher gut beraten, sich mit seinem Betriebsrat mindestens so gut zu stellen wie mit seinem Chef.

In den Köpfen der lohnabhängigen Bevölkerung hat die jahrzehntelange Praxis der Arbeitnehmer-Mitbestimmung offenbar ganze Arbeit geleistet: Jeglicher Gedanke daran, selbst für seine Interessen zu kämpfen, ist ausgestorben. Das trifft offenbar auch für die Beschäftigten der Computerbranche zu, die ja so stolz darauf sind, als Spitzenverdiener ihre Angelegenheiten selber regeln zu können und sowas wie Betriebsrat und Gewerkschaft nicht nötig zu haben. So weit her ist es mit ihrem Kampfgeist eben doch nicht, wenn den Angestellten einer großen Internetfirma angesichts der Auflösung ihrer Hamburger Niederlassung nichts anderes einfällt, als nach einem Betriebsrat zu schreien, der sich für sie um eine Abfindung kümmert.

Die Bundesregierung hat wirklich allen Grund, auf die Mitbestimmung als Mittel zur Unterbindung von Arbeitskämpfen ganz besonders stolz zu sein und mit der neuen Reform noch mehr Beschäftigte als bisher damit zu beglücken. Aber nicht nur das: Obendrein sieht die Reform vor, daß einzelne Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen künftig vom Betriebsrat direkt in die Mitbestimmung einbezogen werden können - sie dürfen dann die Organisation ihrer Arbeit im Sinne des Betriebswohls selber regeln. Mit dieser sogenannten „Motivation durch Teilhabe der Arbeitnehmer" wird die kapitalistische Idealvorstellung von einem perfekten Lohnsklaven endlich Wirklichkeit: der Lohnarbeiter der Zukunft soll - bei Strafe des Lohnverlustes - nicht nur sein vorgegebenes Arbeitspensum fristgerecht erfüllen, sondern darf die Aufgaben seiner Antreiber gleich mit übernehmen: nämlich sich selber darum kümmern, wie sich für das Unternehmen noch mehr aus ihm herausholen läßt.