www.stoerenfried.partisan.net

Kommunisten gegen Honecker
Die unbekannte Opposition in der DDR

Interview

05/01
trdbook.gif (1270 Byte)
 
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel:
info@trend.partisan.net
ODER per Snail:
trend c/o Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin

1990 trat die DDR der BRD bei. Die DDR, die einmal als eine Alternative zum Kapitalismus galt, ging mit wehenden Fahnen zurück in den Kapitalismus. Die Bevölkerung wollte das ja - so die Standardantwort.
In den bundesdeutschen Massenmedien gibt es nur eine Form der Opposition in der DDR, die Opposition von bekannten Schriftstellern, Liedermachern und Pfaffen. Es gab aber auch eine Opposition der Arbeiter, der "kleinen Leute". Sie kritisierten die wirklich Herrschenden im "Arbeiter- und Bauern-Staat", die Bonzen und Bürokraten. Und sie kritisierten die Entwicklung von links, von kommunistischen Positionen aus. Auch in Magdeburg arbeitete illegal bis Anfang der 80er Jahre eine Zelle der KPD. In einem Interview mit B. aus Magdeburg wollen wir über die Aktivitäten der unbekannten Opposition in der DDR mehr erfahren.

Störenfried: Eine kommunistische Opposition in der DDR, darüber haben wir noch nie etwas gehört, geschweige denn gelesen. Wie kommt das?

B.: Der wohl wichtigste Grund ist der: diese Opposition wollte eine sozialistische Gesellschaftsordnung die auch tatsächlich eine ist. Eine Gesellschaft in der die arbeitenden Menschen tatsächlich das Sagen haben, in der sie tatsächlich regieren. Das Ziel einer klassenlosen Gesellschaft, darüber wurde doch faktisch in der DDR nicht mehr offen diskutiert. Für die SED-Führung war der Erhalt ihrer Macht und Privilegien das entscheidende. Sie wollten bis zum Sankt-Nimmerleinstag weiter regieren.

Störenfried: Könntest du einmal über Deinen Werdegang berichten, wie du zur illegalen KPD kamst?

B.: Na klar. Großgeworden bin ich in Magdeburg - Einschulung, Pionierverband, Sport. Ich hatte immer schon viel Interesse an Geschichte. Neben Sport bestimmte lesen den Alltag mit. Mein Klassenlehrer - ein Altkommunist - weckte in mir Interesse an das aktuelle politische Geschehen. Mit 12 Jahren las ich erstmals das Manifest von Marx. Ein beeindruckendes Büchlein. Dadurch erhielt ich erste Denkanstöße. Fragen wurden gestellt, die ich nicht beantworten konnte. Weitere Schriften folgten: Lenins "Staat und Revolution", "Die Pariser Kommune" usw. Die Widersprüche in der Gesellschaft waren für mich ein treibender Faktor, mich auch mit den Klassikern auseinander zusetzen. Die Ereignisse in China (Kulturrevolution) und Albanien waren weitere wichtige Impulse. Die 68-Revolte ging auch an der DDR nicht spurlos vorbei. In vielen Ländern rebellierte die Jugend. Die Entwicklungen in der Sowjetunion, Polen, DDR usw. führten in eine bürokratische Sackgasse. 
Die DDR mit ihrer moskauhörigen Politik forderte geradezu eine distanzierte und kritische Haltung ihr gegenüber heraus. Etwa 1970 kam es zur Gründung einer Jugendgruppe in Magdeburg, die sich an die "Black Panther" anlehnte. Es bestanden auch organisatorische Verbindungen zu den Panthers in den USA. Diese Gruppierung mit dem Namen "Weiße Panther", umfasste ca. 100 Jugendliche und beeinflusste in der ganzen DDR etwa 2000 Jugendliche. In Vorbereitung eines Kongresses in Budapest flog jedoch die Gruppe auf und es kam zu einer Reihe von Verhaftungen. Infolge von Verrat und Zersetzung zerfiel diese Jugendgruppe immer mehr. Einige Aktivisten gründeten dann noch die "Kommune 13" in Buckau, die sich dann später "Progressive Jugend" nannte. 

Störenfried: Was habt ihr damals eigentlich so gemacht? Habt ihr nur Bücher gelesen und diskutiert?

B.: Keineswegs. Theorie war wichtig, aber nicht vorherrschend. Wir wollten einmal Trotzki studieren und das konnten wir nicht. Der Grund war der, niemand hatte ein Buch von Trotzki. Literatur, die im Westen relativ einfach zu bekommen war, die gab es hier nicht. Ich selber hatte immer meine Mao-Fibel am Mann und war seinerzeit ein richtiger Mao-Fan. Einige Male diskutierten wir über China, über die Kulturrevolution und Mao, kamen aber zu keiner einheitlichen Linie. Und wie das so ist in einer Jugendbewegung, spielten Sex und Drogen auch bei uns eine wichtige Rolle. Wie auch im Westen gehörten bei uns auch Gruppensex und Experimente mit Drogen eben dazu. 

Störenfried: Wo habt ihr denn den Stoff hergehabt?

B.: "Richtige" Drogen gab es nur im Westen, hier wurde viel experimentiert. "Brauns Fleckenwasser" wurde geschnüffelt, bestimmte Pilze wurden gesondert behandelt, gebrannt, geraucht usw. Mit der Zeit nahmen diese Dinge jedoch immer mehr überhand und die Politik trat in den Hintergrund. Interessantes fand ich später in meinen Stasi-Akten über diese Zeit. Daraus ging z.B. hervor, dass diese Entwicklung nicht so spontan vor sich ging, wie wir damals glaubten. Das MfS förderte mit allen Mitteln eine solche Entwicklung, um die Bewegung zu zersetzen. Der einsetzende offensichtliche Zerfall der Bewegung in die Subkultur und ins Unpolitische brachte aber auch die Entwicklung der Aktivisten hin zu einer politischen Organisation auf die Bahn. In dieser Zeit existierten bereits Kontakte zur KPD/ML. Wir diskutierten, studierten ihre Literatur. Mitte der 70er Jahre kam es dann zur Gründung der KPD/ML-Sektion DDR. Eine der vielen Zellen in der DDR entstand in Magdeburg. 

Störenfried: Warum gründeten ihr eine Kommunistische Partei in der DDR, gab es nicht die Möglichkeit, durch innerparteiliche Opposition die SED nach "links" zu drücken?

B.: Die Gründung einer solchen Organisation kam nicht über Nacht und wurde auch nicht am grünen Tisch ausgedacht. Die Gründung war eine Notwendigkeit, um die Ziele einer neuen Gesellschaftsordnung zum Tragen zu bringen. Der Sozialismus kann nur existieren, wenn er nach vorn strebt. Nicht die Selbstentfaltung ihrer Mitglieder stand aber auf der Tagesordnung im SED-Staat, sondern Gängelung und Bevormundung. Der SED-Führungsapparat wollte das ganze Land auf "ewig und drei Tage" beherrschen. Eine sozialistische Weiterentwicklung der DDR sahen wir nicht mehr. Unsere Aufgabe sahen wir darin, eine solche Entwicklung wieder in Gang zu bringen. Dazu bedurfte es einer Organisation der Bewusstesten, d.h. einer Partei. 

Störenfried: Wie habt ihr politisch gearbeitet?

B.: Die Bedingungen waren von Anfang an sehr schwer. Wir konnten nur illegal arbeiten. Jedes Flugblatt, jede Ausgabe des "Roten Morgen" - übrigens die einzige Oppositionszeitung der DDR die regelmäßig und über Jahre erschien - jede Broschüre war wie ein "rotes Tuch" für die SED-Bonzen. Im Gegensatz dazu war die Resonanz unter den Arbeitern, Angestellten, der Jugend sehr positiv. Ein Flugblatt war damals eine kleine Sensation. Jede politische Regung wurde damals unbarmherzig verfolgt und unterdrückt. Ich erinnere mich noch an den Sommer 1978. Wir hatten mehrere Hundert Ausgaben des "Roten Morgen" in Briefkästen gesteckt. Die letzte Zeitung legte ich in einer Telefonzelle am Thiemplatz ab. Am anderen Tag stellte ich fest, dass diese Telefonzelle beobachtet wurde. Ganze 14 Tage wurde diese Observation durchgeführt - nichts ungewöhnliches in der DDR. Noch mehr Aufwand gab es nur, wenn wir politische Parolen an Wänden oder Häusern schrieben. Einmal wurde eine ganze Straße in Buckau gesperrt. Der Grund: einige Hundert kleine Streuzettel mit den Sendezeiten von Radio Tirana wurden von den Vopos gefunden. 
Ein breites Feld der Betätigung war die Betriebsarbeit. Gerade hier fanden wir auch am meisten Gehör, konnten relativ ungestört mit den Kolleginnen und Kollegen diskutieren. Sie verstanden unsere Sprache. Die Themen betrafen sie und die Forderungen waren die ihre. Ich glaube gerade hier haben wir auch am meisten bewirkt. 

Störenfried: Du wurdest 1981 verhaftet und später dann wegen "öffentlicher Herabwürdigung" verurteilt. Wie kam es dazu?

B.: Nachdem wir in vielen Städten und Gemeinden immer aktiver wurden, sah die SED in uns eine Gefahr für ihre Existenz. Der Sicherheitsapparat der SED - die Staatssicherheit - erhielt die Aufgabe, die KPD/ML unter allen Umständen zu zerschlagen. Erich Mielke erklärte die Angelegenheit zur Chefsache (Schreiben Mielkes vom 3.3.76, BstU, ZA, DSt 102142). Die Bearbeitung sollte nicht bloß auf die Sektion DDR abzielen, sondern auch die Zerschlagung der KPD im Westen beinhalten. Die Abteilung XXII (Terrorabwehr) ging davon aus, "diese feindlichen Kräfte an ihrer Ausgangsbasis (BRD/WB) durch geeignete Maßnahmen zu zersetzen, gegeneinander auszuspielen und in verschärfte Auseinandersetzungen mit rechtsextremistischen Kreisen sowie dem Machtapparat in der BRD und in Westberlin zu verwickeln". (30.1.76; ZA, HA XXII 5778)
Die Zersetzungsmaßnahmen waren vielfältig. Eine entscheidende Rolle spielte dabei die Arbeit der Informellen Mitarbeitern (IM). Zu den etwa 100 Partei-Mitgliedern kamen noch über 20 MfS-Spitzel, die eingeschleust wurden. Auch wenn die Partei unter strengsten Sicherheitsmaßnahmen aufgebaut wurde, gelang es dennoch der Stasi, in die Organisation einzudringen. Der MfS-Apparat - insbesondere die Abteilung "Terrorismus" (!??) - hatte die Aufgabe der Zerschlagung der Partei. 
1998 erhielt ich erstmals Einblick in meine persönlichen Akten des MfS. Seit meinem 17. Lebensjahr wurde eine OV-Akte über mich geführt. Das  MfS führte fast 2 Jahrzehnte einen Kommunisten als "Terroristen". In den 10.000 Aktenseiten konnte ich eine Reihe von Neuigkeiten erfahren, aber auch vieles bestätigt vorfinden. Ein Großteil des Aktenberges bestand aus Abhörprotokollen. Etwa 15 Jahre lang wurde meine Wohnung abgehört. Aber auch nach der Verhaftung 1981 und der darauffolgenden Verurteilung beendete das MfS die weitere Bearbeitung nicht. Bis 1989 stand ich im Visier des MfS.

Störenfried: Könntest Du noch etwas über die anderen Genossen berichten?

B.: Anfang der 80er Jahre schlug die Stasi zu: Eine landesweite Verhaftungswelle setzte ein. Viele Kommunistinnen und Kommunisten wurden verhaftet und später verurteilt - einige bis zu 8 Jahren. Grund: staatsfeindliche Hetze. In den Zuchthäusern sollte ihnen das Rückgrat gebrochen werden. Die Urteile wurden in Geheimprozessen verkündet. Gegen 4 Inhaftierte in Bautzen wurde eigens eine "Personenkontrolle" eingeleitet, weil sie für die Sicherheit der Justizvollzugsanstalten als Gefahr galten. Die Gefangenen könnten durch ihre Haltung andere Gefangene beeinflussen. Das Ministerium für Staatssicherheit untersagte den Gefangenen u.a. das Studium des Marxismus-Leninismus (!) - denn diese Leute lesen ja alles "falsch".
Mein Prozess fand im August 1981 statt. Bereits während der Vernehmungen wurde das Urteil bekannt gegeben: 2 Jahre o.H. und 3 Jahre Bewährung. Die monatelangen Verhöre davor waren eine Qual. Niemals wurden politische Fragen erörtert, einzig das Strafgesetzbuch wurde behandelt. Weitere politische Arbeit wurde verboten, ansonsten käme ich für mindestens 10 Jahre nach Bautzen. Mein Sohn würde zwangsadoptiert, da ich ihn nicht im Sinne der DDR erziehen könnte. Ein Aufenthaltsverbot wurde ausgesprochen (Berlin/Botschaft der SVR Albanien) mit dem Hinweis "es passieren dort viele Unfälle" (!). 

Störenfried: Wie war da gemeint?

B.: Der Hinweis mit einem Unfall bedeutet im Klartext: Solltest du da noch mal auftauchen dann passiert etwas mit deiner Gesundheit, vielleicht mit dein Leben. Ein Anschlag, eine offene "physische Vernichtung" wurde von der Stasi als ein Mittel der Beseitigung politisch missliebiger in Betracht gezogen. In Polen z.B., wo unsere Bruder/Schwesterorganisation, die illegale KP Polens (Rote Fahne) arbeitete, wurden mehrere Genossen in den 
Gefängnissen liquidiert. Andere starben unter merkwürdigen Umständen auf der Straße, auf der Arbeit usw. 

Störenfried: Wie ging es weiter nach den Verhaftungen?

B.: 1982 gelang es Genossen der Partei in Westberlin, einen transportablen UKW-Sender aufzustellen und regelmäßig ab dem 2. Mai 1983 an jedem ersten Montag im Monat das Programm "Radio Roter Stachel" auf 101 MHz in die DDR zu senden. Obwohl ein Empfang nur bis Berlin-Mitte möglich war, sahen Honeckers Schergen den Staat in Gefahr. Geplant war vom MfS u.a. ein Bombenattentat gegen den Mini-Sender. Stasi-Boss Neiber sagte offen: Sollten unsere Sabotageakte ohne Wirkung bleiben, dann "ist die physische Vernichtung vorzubereiten".

Störenfried: Das ist schon bezeichnend, wie Ideologie und Realität in der DDR auseinander klafften...

B.: Es zeigt das Wesen von Leuten die nach außen stets fortschrittlich und menschlich tun ("Ich liebe doch alle"). Ihnen etwas progressives anzudichten, ihnen eine Opferrolle zuzubilligen ("Siegerjustiz") wäre völlig falsch. 

Störenfried: Vielen Dank für das Interview!