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Peter Vollmer 
Ach, das Kapital  
von David Ensikat
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Er erbte ein Vermögen, aber er wollte als Arbeiter schuften. Von dort aus versuchte Peter Vollmer, die Revolution in Gang zu setzen. Seine Chefs bei AEG, Siemens und BMW fanden das nicht gut, einige Kollegen schon. Zumindest am Anfang.

Er hat viel Geld, so viel, dass er alljährlich Hunderttausende Mark verschenken kann. Peter Vollmer, 61, sagt: "Eigentlich bin ich Kommunist. Aber die richtige Version des Kommunismus kenne ich im Augenblick nicht." Er schlägt die langen Beine übereinander, verschränkt die Hände hinterm Nacken und erzählt, wie er die richtige Version des Kommunismus gefunden und wieder verloren hat. Wie er Kapitalistensohn war, außerdem Elektrowickler und Dreher, wie ihm ein Privatdetektiv hinterherforschte, wie er in eine tiefe Lebenskrise und wieder heraus geriet. Er macht dabei keinen unzufriedenen Eindruck.

Peter Vollmer war einmal ein Kämpfer, ein proletarischer Held. Einer, vor dem die Leute den Hut zogen, weil er so viel Kraft hatte. Er führte etwa 60 Prozesse gegen den BMW-Konzern, alle wichtigen hat er gewonnen. Aber gemessen an den großen Zielen, mit denen er angetreten war, ist er gescheitert. 1971 war er, ein moderner Friedrich Engels, Arbeiter geworden, um die Revolution in die Betriebe zu tragen. 1992 hat er das Proletarierdasein aufgegeben, es war zu anstrengend. Denn so ein richtiger Arbeiter war Peter Vollmer eigentlich nie. Er hatte Marx und Mao gelesen, und er meinte es ernst, aber er hat lernen müssen, dass man seiner Herkunft nicht entfliehen kann.

Peter Vollmer wurde in eine wohlhabende Wuppertaler Kapitalistenfamilie hineingeboren. Man kann nicht sagen, dass Geld bei den Vollmers kein Thema war. Der Vater, arbeitswütiger Inhaber einer Druckerei und eines Verlages, achtete penibel darauf, dass die Mutter für den Haushalt nicht zu viel ausgab. Und darauf, dass der Sohn in seine Fußstapfen stieg. Peter Vollmer machte eine Druckerlehre und arbeitete einige Zeit als Betriebsassistent. Dabei stellte er sich nicht dumm an, alle glaubten, er werde den Laden mal übernehmen. Dann sagte er zum Vater: Ich will deinen Betrieb nicht, ich will studieren, und zwar Architektur.

Der Vater war entsetzt. Er versuchte es mit Versprechungen: Peter würde ein eigenes Haus bekommen und auch ein Auto. Aber was zählt das, wenn man 20 ist und die Welt kennen lernen will?

Dann gab es auch noch einen Riesenkrach: Der Sohn sah in einem anderen Wuppertaler Betrieb, wie dort Arbeiter die Geschäftsentscheidungen mittrugen. Warum sollte das in der Vollmerschen Firma nicht auch funktionieren? Peter Vollmer verstand seinen Vater, den Kapitalisten, nicht. Der verstand seinen Sohn, den Ahnungslosen, nicht. Vater Vollmer war verzweifelt, Peter Vollmer verließ das Haus, ging nach Berlin, studierte Architektur und lebte vom Taxifahren. Das Geld des Vaters? Kein Thema. Das Tischtuch war zerrissen, Peter Vollmer war frei zwei Jahre lang, dann starb der Vater und vermachte dem renitenten Sohn einen großen Anteil an Druckerei und Verlag. Eigentum verpflichtet, wird sich der Vater gedacht haben, das Erbe wird den Jungen zur Räson bringen.

Die Revolutionäre waren misstrauisch

Der Junge war dem protestantisch-sturen Vater aber zu ähnlich: Was man angefangen hat, das bringt man auch zu Ende. Er hatte angefangen zu studieren, mit besten Noten brachte er das Studium in Berlin und London zu Ende. Klar, Eigentum verpflichtet. So wie der Vater stets das getan hatte, was für die Firma gut ist, so fühlte sich der Sohn verpflichtet, das zu tun, was für die ganze Welt gut ist. Um seinen Lebensunterhalt musste er sich ja nun nicht mehr kümmern.

Das muss er bis heute nicht. Dabei macht Peter Vollmer keinen ausgesprochen wohlsituierten Eindruck. Er trägt Jeans und eine graue Strickweste, die er schon seit Jahrzehnten besitzt. Wenn er spricht, hört man den Wuppertaler durch. An einer Wand in seinem Büro hängt eine Weltkarte, in vielen Ländern stecken bunte Stecknadeln. Die Welt verbessern, das will der Erbe immer noch. Aber er ist bescheiden geworden.

Unbescheiden zu sein, hatte Peter Vollmer in Amerika gelernt. Da war er zwischen 1969 und 1970, eigentlich als Wissenschaftler in Harvard, aber er geriet in die politischen Unruhen jener Zeit. Vollmer mischte bei Bürgerinitiativen in Schwarzen-Ghettos mit und versuchte nebenbei, das Private zu revolutionieren. Mit Frau und zwei Kindern lebte er in einer Kommune, darüber zerbrach die Ehe.

Als er nach Berlin zurückkehrte, waren die Aufrührer von 1968 schon auseinander gedriftet. Einige von ihnen diskutierten ewig weiter, ersannen immer neue Versionen vom marxistischen oder maoistischen oder leninistischen Heilsweg, gründeten die so genannten K-Gruppen, kleine kommunistische Zirkel, die sich Parteien nannten. Peter Vollmer, auf der Suche nach dem einzig richtigen Leben, nach dem effizientesten Weg, die Welt zu retten, diskutierte mit. Aber die Revolutionäre waren misstrauisch: Ein begüterter Kapitalistensohn, was sollte der schon an der Welt ändern wollen?

Wie ernst er es meinte, zeigte er ihnen, indem er "an die Basis" ging und Arbeiter wurde. Bei der AEG ließ er sich als Elektrowickler anlernen und fand die Arbeit gar nicht übel: "Dabei zu sein, wenn so'n Generator entsteht, das ist schon toll. Da haben wir noch mit nackten Fingern Asbest angefasst", erzählt er heute stolz. Bei manchem bürgerlichen Weltverbesserer, der damals "in die Produktion" ging, könnte so was kokett klingen. Joschka Fischer, der sich 1971 bei Opel einschlich, um die Leute am Fließband aufzurütteln, ist heute Außenminister. Vollmer blieb fast 20 Jahre an der schmutzigen Basis. Dem nimmt man die Lust an der Arbeit ab, der echten, der anstrengenden.

Eigentlich aber ging es um viel mehr. Peter Vollmer arbeitete für die "Revolutionäre Gewerkschaftsopposition" (RGO). Da die revolutionäre Stimmung die Massen nicht erreichen wollte, war das eine konspirative Angelegenheit. Als Kommunist durfte man nicht offen auftreten, für die Gewerkschafter von der IG Metall waren Vollmer und Genossen "Linkswichser". Dazu kam die Sache mit der Erbschaft: Von seinem Besitz mochte Peter Vollmer nur wenigen seiner engsten Mitstreiter etwas sagen. Dabei rührte er das Geld seit 1972 nicht mehr an. Jedenfalls nicht für seinen eigenen Bedarf. Die Überschüsse aus Verlag und Druckerei, die auf sein Konto überwiesen wurden, spendete er hochgeheim für die Revolution. Mit dicken Geldbündeln in den Taschen reiste er hin und wieder quer durch die Bundesrepublik zu den führenden Genossen.

Natürlich spielte Peter Vollmer mit dem Gedanken, seine bürgerlich-kapitalistische Bürde abzuschütteln, den Betriebsanteil zu verscherbeln und ganz und gar Arbeiter zu werden. Aber die Kapitalismusgegner, die Vollmers Spenden alljährlich bekamen, konnten rechnen: Wenn er sich auszahlen ließe, bekäme er kaum mehr, als zwei Jahresausschüttungen einbrächten. Also lautete der Klassenauftrag: Du bleibst, was du bist.

So reiste Peter Vollmer Jahr für Jahr zweimal nach Wuppertal und war ein anderer: Bei den Gesellschafterversammlungen von Druckerei und Verlag musste der Kommunist über die Rendite seines Unternehmens nachdenken. Einen Schlips band er sich dafür nicht um, für die Emanzipation der Ausgebeuteten im Vollmer-Unternehmen ging er aber auch nicht auf die Barrikaden.

Der Streik was für ein Feeling!

Nach vier Jahren wurde Peter Vollmer wegen Unruhestiftung von der AEG entlassen, suchte bei Siemens eine neue Anstellung, überstand hier die Probezeit nicht, arbeitete drei Jahre bei den Kabelwerken Reinshagen und wurde auch hier wieder rausgeschmissen, diesmal wegen eines Artikels in einer Gewerkschaftszeitung, Überschrift: "Mord aus Profitgier". Vor Gericht erstritt er 42 000 Mark Abfindung Geld für die RGO.

Hätte BMW von Vollmers Sympathien für die Umstürzler gewusst, er wäre 1979 bestimmt nicht eingestellt worden. Er kam "in die Kurbelwelle", dorthin, wo keine besondere Qualifikation erforderlich war, wo man rasch angelernt ist und tagein, tagaus an der Drehmaschine steht. Er wartete die Probezeit ab, bis er in der Gewerkschaftsgruppe den Mund aufmachte; bald darauf wurde er in den Betriebsrat gewählt.

Dort gehörte Vollmer zu der kleinen Fraktion, die Konflikten mit der Betriebsleitung nicht aus dem Weg ging. Zum Beispiel rechnete Vollmer mal den Anspruch der BMW-Beschäftigen auf Urlaubsgeld durch. Er kam zum Ergebnis, dass jeder von ihnen etwa 70 Mark zu wenig bekam. Den Konzern kostete diese Rechnung von nun an mindestens 3,5 Millionen Mark pro Jahr.

Das war einer der großen Siege im anstrengenden Leben des Peter Vollmer. Auch an Warnstreiks, die er organisierte, erinnert er sich stolz: "Was denken Sie, was für ein Feeling das war, wenn da plötzlich alles stillstand und die Arbeiter vor die Tore kamen? Das war richtig toll." Und die Revolution im Lande? Um die ging es bald nicht mehr. Die Kontakte zu RGO und K-Gruppe schliefen ein, Vollmer spendete seine weiterhin geheimen Einkünfte für Nicaragua und für den Wahlkampf gegen Franz Josef Strauß.

Bei der nächsten Betriebsratswahl 1984 setzte die BMW-Werksleitung alles daran, die Gruppe um Peter Vollmer zu entmachten, und unterstützte deren Gegner mit Reden und Wahlkampfbroschüren. "Klar, aus kapitalistischer Perspektive war das vernünftig", sagt Vollmer heute mit dem gnädigen Blick des Verstehenden. Als Vollmer und zwei weitere Gewerkschafter die Wahl anfochten, entließ die BMW-Leitung die drei kurzerhand mit dem Einverständnis des neu gewählten, firmenfreundlichen Betriebsrats.

Was nun folgte, war grotesk: Ein Gericht entschied, dass Vollmer und Freunde wieder eingestellt werden müssten. BMW ließ die drei aber nicht aufs Werksgelände und sprach weitere Kündigungen aus, diesmal mit neuer Begründung. So ging das drei Jahre lang; Vollmer verlor insgesamt sieben Mal seinen Job. Stets bekamen die Gekündigten vor Gericht Recht, doch von ihrer Firma keinen Arbeitsplatz.

Im Winter 1986 / 87 entschied die höchste Instanz im bundesdeutschen Klassenkampf, das Bundesarbeitsgericht, in den Fällen Vollmer und Kollegen gegen BMW: Die drei mussten endgültig weiterbeschäftigt werden, der Betriebsrat war neu zu wählen. Die Unruhestifter, die drei Jahre lang den Betrieb nicht hatten betreten dürfen, bekamen 45 Prozent der Stimmen. Ein Triumph.

Enttarnt vom Privatdetektiv

Ein paar Monate später jedoch wurde Peter Vollmer von seiner kapitalistischen Zweitidentität eingeholt. Ein Privatdetektiv, von BMW bezahlt, entdeckte die Erbschaft. Jetzt war klar: Der ist ein Friedensstörer aus Passion, der tut nur so, als gehöre er hierher. Für die neue, inzwischen achte fristlose Kündigung argumentierte die Betriebsleitung so: Bei seiner Einstellung habe Vollmer die Firma arglistig getäuscht, indem er seinen Studienabschluss verschwieg. Das geheime Vermögen konnte kein Kündigungsgrund sein.

Wieder ging es vor die Gerichte, wieder siegte der Angelernte aus der Kurbelwelle gegen den Konzern. Noch einmal kehrte er zurück an seinen Arbeitsplatz, fräste wieder an der dröhnenden Maschine Stahlrohlinge im Akkord und stritt sich im Betriebsrat mit den Kollegen, denen es um gütliche Arrangements mit den Chefs ging.

Stets hatte Peter Vollmer die Belegschaft gespalten: BMW galt bei vielen weithin als guter Arbeitgeber. Bei einer Betriebsversammlung war die Stimmung gegen Vollmers Fraktion so aufgeheizt, dass viele auf die Stühle stiegen und den Rücktritt der Kämpfer aus dem Betriebsrat forderten. Vollmer wagte es nicht, sich noch zu Wort zu melden. "Die hätten uns glatt verdroschen", sagt er und erzählt mit einer gewissen Hochachtung, wie sorgfältig die Betriebsleitung die Versammlung vorbereitet hatte. "Dass die da so eine Stimmung hinbekommen würden, damit haben wir nicht gerechnet.

Als die Sache mit dem Erbe herauskam, gab es einen weiteren Grund, dem Sonderling zu misstrauen: Der will einer von uns sein und hat es doch gar nicht nötig? Peter Vollmer musste sich pausenlos rechtfertigen. Bislang immer vor sich selbst, jetzt vor aller Welt, auch wenn er tatsächlich von seinem Facharbeiterlohn lebte und dem Geld, das seine zweite Frau als Lehrerin verdiente. Auch heute noch führt er übrigens eine eher einfache Existenz. "Wenn ich so leben würde, wie ich es mir leisten kann, hätte ich mit meinen Leuten bald nichts mehr zu tun", sagt er, "und Leute, die so viel Geld wie ich besitzen, interessieren mich nicht."

Dass Peter Vollmer 1992 das Handtuch bei BMW warf, lag nicht zuletzt am Verlust der großen sozialistischen Alternative im Osten. Wofür hatte er eigentlich all das auf sich genommen? Für eine Heilslehre, die in den Untergang führte? Für eine Welt, die reifere Wesen braucht, als es die Menschen sind? Zu den Zweifeln kam die unerträgliche Arbeitsatmosphäre im Betrieb: Seit 1990 war Vollmer hauptberuflicher Betriebsrat und saß im selben Büro wie seine Gegner von der Fraktion der Betriebsfreunde.

All das raubte ihm den Schlaf und stürzte ihn schließlich in eine tiefe Depression. Er, der sich stets so sicher war, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, wurde nun so schwer von der Seelennot geplagt, dass er mit dem Gedanken spielte, seinem Sein ein Ende zu bereiten. Schließlich folgte er dem Rat des Therapeuten und bereitete jenem Teil-Sein ein Ende, das doch nicht seines war. Peter Vollmer verabschiedete sich aus der Welt der Produktionsarbeit und wurde wieder Bourgeois ohne Lohnsteuerkarte. Die Abfindung, die ihm BMW zahlte, überwies er an jene Stiftung, die er ein Jahr zuvor mit seinem Vermögen gegründet hatte. Jetzt konnte er sich ganz und gar ihr widmen.

Peter Vollmers Büro befindet sich in einem Gartenhäuschen, ein paar Schritte vom Kurfürstendamm entfernt. Morgens bringt er seine Frau zur Arbeit und fährt dann hierher, um die Welt so weit zu verändern, wie er es eben kann. Mit der Stiftung "Menschenwürde und Arbeitswelt" verteilt er sein Geld an Leute, die jene Sphäre erforschen und zu verbessern versuchen, die er selbst verlassen musste. Jedes Land, in dem es schon mal ein Projekt der Stiftung gab, bekommt eine bunte Stecknadel auf der Weltkarte im Stiftungsbüro. Im vergangenen Jahr verteilte Vollmer 245 263,99 Mark für Projekte von der "Informationskampagne über Vergiftungserscheinungen bei Bayer-ArbeiterInnen in der Pestizidproduktion" bis zum "Internationalen Erfahrungsaustausch zwischen Mercedes-KollegInnen aus Brasilien und Deutschland".

Peter Vollmer hat einmal auf die proletarische Revolution gehofft. Um dabei zu sein, hat er sich unter die Arbeiter gemischt. Heute sagt er: "Das Proletariat war leider nicht so progressiv, wie ich es erwartet habe." Seine jetzige Beschäftigung ist vergleichsweise unproletarisch. Der Kommunist, dem die richtige Version abhanden gekommen ist, zuckt die Schultern unter der alten Weste und sagt: "Eigentlich ist so eine Stiftung ja eine feudale Angelegenheit, und ich bin der Mäzen." Immerhin, als Mäzen kann er ganz offen über seinen Reichtum sprechen.

Wir erlauben uns, aus unserem Printarchiv einen Text von unserem Redaktionsmitglied Peter Schulz aus dem westberliner info (wi) 3-87 anzufügen:

BMW-LINKE IN DER DEFENSIVE
von Peter Schulz

Im letzten westberliner info schrieben wir über die Bedeutung des Falles BMW, daß es linken Gewerkschaftern gelungen war. einen Sieg gegen einen Großkonzern und dessen Handlanger im Betriebsrat dadurch zu erringen, weil "sie auf die eigene Kraft vertrauten, den formalen Rahmen der IGM duchbrachen und sich ihre eigenen Formen der Solidarität schufen." Die Ereignisse bei BMW nach der Betriebsratswahl bis hin zur jüngsten fristlosen Entlassung von Peter Vollmer lassen leider eine deutliche Abkehr der BMW-Linken von ihrer bisherigen Linie erkennen und veranlassen uns zu einer Kritik.

Vorweg, damit wir nicht falsch verstanden werden: Es gibt nicht wenige Linke, die nichts lieber sähen als da? Peter Vollmer. weil er Millionär ist. von der Bildfläche verschwindet. Hier dürfen Jedoch die Widersprüche nicht miteinander verwechselt werden. BMW hat ihn nicht gefeuert, weil er Millionär ist, sondern weil er ein höchst unbequemer Betriebsrat ist. Deshalb gehört Peter Vollmer und allen anderen der Liste 2 unsere volle Solidarität.

Generell stellen wir fest, daß die Liste 2 seit ihrem großen Erfolg bei der Betriebsratswahl und der Wiedereinstellung der vier Entlassenen die Linie der eigenständigen Politik verlassen hat und unseres Erachtens total in einen Gewerkschaftslegalismus versackt ist.

l. Horst Wagner, der l. Bevollmächtigte der IGM Westberlin. fordert während der im Frühjahr 87 wiederholten BMW-Betriebsratwahl beide (i) Listen auf, "persönliche Verunglimpfungen" zu unterlassen, denn sie würden in jedem Falle Mitglieder der IGM betreffen". Was tut die Liste 2. sie hält sich an diese Mahnung zur innergewerkschaftlichen Friedenspflicht. Während des Wahlkampfes verbreiten die Rechten RGO-Dokumente aus den 70er Jahren, um damit die Liste 2 agitatorisch zu bekämpfen. Was tut die Liste 2, sie bittet am ein "faires Miteinander".

2. Am 28.4.87 treffen der BMW-Vorstand und die IGM-Führung eine Vereinbarung, "um ein Klima der Zusammenarbeit zum Wohle aller zu schaffen." So bewertet Jedenfalls die Liste 2 diese Vereinbarung.

3. Auf der Betriebsversammlung am 28. Kai 87 schieben BMW Betriebsleiter Stark und die Führer der "Vernunft" der Liste 2 die Verantwortung für den Beitrag über den BMW-Konflikt auf der Ausstellung des DGB "Das halbe Leben" in die Schuhe. Eine wilde Hetze auf die Liste 2 Und die IGM gipfeln in einer Abstimmung für den Ausschluß der Betriebsräte der Liste 2 aus dem Betriebsrat. Was tut die Liste 2. sie geht nicht darauf ein. daß es den Reaktionären nur vordergründig um den Inhalt der Ausstellung geht, sondern bemängelt, daß auf der Betriebsversammlung betriebliche Probleme zu kurz gekommen seien.

4. Der Abstimmung folgen von Seiten der Reaktionäre eine Sammlung von über 741 Unterschriften gegen die Betriebsräte der Liste 2, ein Antrag beim Arbeitsgericht auf Amtsenthebung von Vollmer, Knirsch und Köbrich. sowie die Gründung einer rechten Betriebsgruppe "Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmer bei BMW". Dies wird im Info des Solikomitees vom 20. Juni 87 lediglich als "innerbetriebliche Turbulenzen" bezeichnet.während gleichzeitig aber die Auflösung des Solidaritätskomitees bekanntgegeben wird.

5. Ära 12. Juli 87 findet eine. Diskussionsveranstaltung in der ehemaligen AEG-Fabrik über den BMW-Beitrag im Rahmen der DGB— Ausstellung statt. Die rechte BMW-Betriebgruppe und ihre IGM-Funktionäre erzwingen, da sie in der Mehrheit sind, den Ausschluß der Öffentlichkeit. Selbst der anwesenden DGB- und IGM-Prominenz (PAGELS und IGM-Ortsverwaltungsfunktionäre) wird ein Rederecht untersagt. Einem IGM-Funktionär aus einem anderen Betrieb wird von einem faschistischen Element Prügel angedroht. Weder zu diesen Vorgängen, noch zu dem 'Ansinnen, Vollmers Frau des Saales zu verweisen, nehmen Peter Vollmer und Rainer Knirsch Stellung (Koll.Köbrich war nicht anwesend) . Ein Sprecher der rechten BMW-Mafia kann in einem halbstündigen Referat den DGB als "reaktionäre Kommunisten" beschimpfen. ohne daß er von DGB bzw. IGM-Funktionären daran gehindert wird. Auch die Liste-2-Kollegen bleiben passiv. Die Pogromstimmung ist zeitweilig so massiv, daß Mitglieder der Liste 2 vorübergehend den Saal verlassen, weil sie dies nicht auszuhalten vermögen. Die "Wahrheit", die durch SEW-Mitglieder vertreten ist, berichtet nicht über diese eklatanten Vorkommnisse.

6. Zwei Tage vor Antritt seines Sommerurlaubs wird Peter Vollmer zur Geschäftsleitung gebeten. Dort macht man ihm den Vorhalt, daß er Architekt und Millionär sei. Kollege Vollmer verweigert zurecht Auskünfte. Während er im Urlaub ist. kündigt ihn BMW zum 8. Mal. Die rechten IGM-Betriebsräte stimmen dieser Kündigung ohne Zögern zu. In den folgenden Augusttagen verbreitet Radio 100,6 dieses Ereignis und verbindet damit eine üble Hetze. Redner in der Sendung sind rechte BMW-IGM-Betriebsräte. die den Vorwurf des Betruges gegen Peter Vollmer erheben. Die Springer-Morgenpost greift dies am nächsten Tag auf, um die Hetze zu verlängern. Sie läßt die Leserschaft wissen, daß die IGM einen Ausschluß von Peter Vollmer prüfen werde.

7. Zu diesen neuerlichen Vorgängen schreibt die Liste 2 am 26.8.87, das Verhalten der rechten BMW-IGM-Betriebsräte charakterisierend: "Unvorstellbar ist, mit welcher Lässigkeit die Mehrheit der Betriebsräte den Kündigungsantrag gegen Peter Vollmer zugestimmt haben." Als Peter Vollmer im Betrieb eine persönliche Erklärung zu den erhobenen Vorwürfen verbreiten läßt. schreibt das Solikomitee am 1.9.1987, das seine Selbstauflösung rückgängig gemacht hatte: "Die Kritik an Peter Vollmers Informationsverhalten stellt für uns die Glaubwürdigkeit seiner Person und seines Handelns nicht in Frage." Von den Unterstützern werden dazu Stellungnahmen erbeten. Damit trägt das Solikomitee dazu bei, daß sich die Diskussion unter Linken über die schweren Angriffe auf die Arbeiterpolitik der Liste 2 nun auf die Frage nach der Integrität des Kollegen Vollmer verschiebt.

Fehleinschätzungen

Der Verlauf der Betriebsversammlung am 28. Mai 87 zeigte schon ganz deutlich, daß sowohl BMW als auch die "Vernunft" Liste nicht im Traum daran denken. den Kampf gegen die Linken bei BMW aufzugeben. Spätestens nach der Diskussion um die DGB -Ausstellung "Das halbe Leben" wurde deutlich, daß die "Vernunft"—Leute und ihr reaktionärer Anhang bei BMW auf gnadenlose Ausgrenzung der BMW-Linken aus Betrieb und Gewerkschaft aussind.

Und es handelte sich dabei auch nicht um "Turbulenzen im Betrieb" wie das Solidaritätskomittee meint. Vielmehr ist der Fall BMW für die westberliner Region exemplarisch, weil er alle Aspekte enthält, die für eine Rekonstruktion von selbständiger Arbeiterpolitik von zentraler Bedeutung sind. Von daher ist diese Auseinandersetzung keineswegs eine Angelegenheit, die nur innerhalb der Nischen des sozialdemokratisch beherrschten Gewerkschaftsapparates ausgetragen werden darf.

Die vorschnelle Auflösung des Solidaritätskomitee war unter diesen Gesichtswinkel einfach falsch, weil damit der Zwang zur Verlagerung des politischen Handels in den Gewerkschaftsapparat die notwendige Folge war. Wir meinen, hier liegt eine krasse Fehleinschätzung der Situation seitens der Liste 2 und des Solidaritätskomitees vor.

Es konnte doch nicht ernsthaft geglaubt werden, dass ein Stillhaltevertrag zwischen dem IGM Vorstand und BMW plus einiger IGM-Linker in der Ortsverwaltung, Garant dafür sein können, daß die Rechten bei BMW nun offen für eine faire Auseinandersetzung sein werden und ihr betriebliches Handeln von der BMW-Geschäftsleitung abkoppeln. Tatsache ist, dass die Liste 2 durch die Beschränkung auf den rein gewerkschaftlichen Rahmen einschließlich der damit verbundenen taktischen Kniefälle für diese Klassenauseinandersetzungen nicht ausreichend gewappnet war. Somit also in die Defensive gedrängt werden konnte. Diese Selbstbeschränkung nennen wir Gewerkschaftlegalismus . Diese Haltung zeigt sich unseres Erachtens an folgenden Punkten:

Vollmer, Knirsch und Köbrich haben auf den Vorwurf der Urheberschaft an der DGB-Ausstellung im grundegenommen nur im Zeichen dieses Gewerkschaftslegalismus reagiert.

Es ist zu wenig, die behauptete Mitwirkung an der Ausstellung zu  verneinen und falsch wird es, wenn den Rechten lediglich mit Hilfe der Gerichte diese Behauptung untersagt wird. Denn der Eindruck des Vorhandenseins faschistischer Tendenzen im BMW-Konflikt, der durch die Ausstellung erzeugt wurde, ist tatsächlich politisch in keiner Weise vertretbar. Da es dem DGB aber darauf ankam in dieser Ausstellung nur den Widerspruch zwischen der Liste 2 und BMW darzustellen und die arbeiterfeindlichen Machenschaften der IGM-Leute in diesem Konflikt auszublenden, ersetzte die optische Montage von Hitler und Kohl die Darstellung der wirklichen Abläufe. Von diesen Verfälschungen hätte man sich in erster Linie distanzieren müssen, anstatt diese noch zu verteidigen Denn was bei BMW passiert, ist der übliche kapitalistische Alltag in verschärfter Form. Kapitalismus ist eben nur möglich, wenn Arbeiterrechte mehr oder weniger offen unterdrückt werden. Und der zeitweilige Übergang von Teilen der Arbeiterklasse auf Positionen der Kapitalisten gehört ebenfalls ins Alltägliche.

Als Peter Vollmer am 27.B.67 in einem Interwiev mit dem westberliner Alternativsender Radio 100 gefragt wurde, was er von dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen des Verdacht des Spendenbetrugs halte, antwortete er: "Ich begrüße das außerordentlich." Sinngemäß führte er weiter aus: Er fände dies deswegen gut, weil dann seine Unschuld klar zu tage treten werde. Als ob es dem Staat darum ginge, bei dem Vorwurf des Spendenbetrugs einen Straftatbestand aufzuklären. Woher nimmt Peter Vollmer eigentlich die Zuversicht, daß nicht ausgeforscht werden soll. wer alles hinter dem Solidaritätskomitee steht. Indem der Staatsanwalt die Spendenliste im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens ganz legal als sogenanntes Beweismittel kassiert.

Folgerungen

Jeder Einigermaßen informierte westberliner Metaller weiß, daß Horst Wagner in seiner langjährigen Tätigkeit als l. Bevollmächtigter der IGM zwar oft Presseerklärungen oder Anfragen Abgeordnetenhaus gemacht hat, sich aber in letzter Konsequenz stets den Forderungen des Kapitals gefügt hat. wenn es in westberliner Betrieben zu Massenentlassungen oder Betriebsstillegungen gekommen war. Ihm sind diejenigen Gewerkschafter, die mit dem Unternehmer "vertrauensvoll Zusammenarbeiteten stets die liebsten gewesen. Dies wird auch die neugewählte Ortsverwaltung nicht wesentlich beeinflussen könnnen, weil sich Wagner immer noch auf eine satte Mehrheit in der Vertreter-Versammlung der IGM stützen kann.

Außerdem ist der Erfolg sozialdemokratischer Gewerkschaftspolitik in der BRD abhängig von einem krisenarmen Kapitalismus. Nehmen die Krisenerscheinungen zu, dann wirkt sich das nicht nur negativ auf den Erfolg reformistischer Gewerkschaftspolitik aus, sondern diese strategische Ausrichtung gerät auch in eine Krise. Wahrend Fertigungsabläufe, Qualifikationen und Belegschaften von Seiten der Kapitalisten umgebaut werden, verändern sich auch die Schichten der Arbeiterklasse, auf die sich bislang der DGB stützte. Darauf zu reagieren, bedeutet für den -DGB — insbesondere für die IGM auszuloten, wessen Belange in der Hauptseite unterstützt werden sollen: Die Belange der "Rationalisierungsgewinnler" oder die der von Arbeitsplatzverlust Bedrohten. Unter dieser Voraussetzung war es eine Illusion zu glauben, daß ein konsequenter Kampf gegen das Kapital, der diesem auch wehtut, wie bei BMW, die volle Unterstützung der Gewerkschaftsführung finden kann. Klassenkämpferische Gewerkschaftsarbeit kann niemals beim Kampf um die Interessen der Arbeiter und Angestellten im Betrieb enden, sondern muß diesen Kampf auch dazu benutzen, um konkret die Beschränktheit dieser offiziellen Gewerkschaftspolitik aufzuzeigen. Auch taktisches Verhalten muß sich daran messen lassen.

Nun kann man die Liste 2 beileibe nicht als kommunistische Gewerkschafter bezeichnen, aber sie haben immerhin zur Betriebsratswahl eine eigenständige radikaldemokratische Gewerkschaftsarbeit gemacht und konnten so zur Wahl eine Liste mit 15 Kandidaten vorzeigen. die von 43% der Belegschaft gewählt wurden. Als sie sich auf die Linie des Gewerkschaftslegalismus begaben (siehe Vertrag zwischen IGM und BMW) häuften sich zwangsläufig die Niederlagen. Die Kündigung von Peter Vollmer ist hier nur ein trauriger Höhepunkt. Der schwerste taktische Fehler war, daß sie vor der Belegschaft und innerhalb der IGM den politischen Kampf gegen die Liste der Vernunft einstellten und ihre Betriebsratsarbeit darauf konzentrierten , die betrieblichen Probleme besser als die "Vernunft-Liste abzuarbeiten.

Zum Schluß wollen wir uns keineswegs davor drücken, zum Millionär Peter Vollmer Stellung zu beziehen, wozu das BMW-SoliKomitee ausdrücklich aufgefordert hat.

Die Tatsache, daß Peter Vollmer Millionär ist, wird in seltener Eintracht von Rechten wie Linken in erster Linie dazu benutzt, um ihn als kämpferischen Betriebsrat unglaubwürdig zu machen. Hier reicht die Meinungsgleichheit von den Reaktionären der Liste der "Vernunft" über nicht wenige linke Gewerkschafter bis hin zum Bereich Betrieb und Gewerkschaft der Alternativen Liste (AL). Bei vielen Kritikern kann vermutet werden, daß auch eine gehörige Portion Neid auf die Million und die Popularität von Vollmer eine Rolle spielen.

Wenn ein Millionenerbe seine Klasse scheinbar verrät, indem er als Hilfsarbeiter und kämpferischer Betriebsrat im Betrieb arbeitet, so ist das erstmal uneingeschränkt zu begrüßen. Indem er aber auf den Verzehr seines ihm zustehenden Unternehmerrevenus verzichtet und den angeeigneten Mehrwert in der Firma zur Akkumulation läßt, bleibt er objektiv dennoch das, was er subjektiv nicht sein will: Ein Kapitalist. Das Tragische an Peter Vollmer ist die Tatsache, daß er es in den 15 Jahren Arbeiterdasein nicht geschafft hat, sich wirklich von seinem Erbe zu trennen. So war es nur eine Frage der Zeit, bis ihn diese Vergangenheit einholte.

Wir meinen, Peter Vollmer sollte seinen Weg weiter gehen und sein Erbe der Arbeiterbewegung in einer geeigneten Form zur Verfügung stellen.