Sabotageaufruf 
"Sprachverfall und kulturelle Selbstaufgabe" - ist das ein Thema, mit dem man sich ernsthaft auseinandersetzen sollte?
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Am Freitag, dem 20. April, schienen das zumindest rund 80 Personen am OSI zu bejahen, die ein ganztägiges Hauptseminar zu dem Thema "Die Anglisierung / Amerikanisierung der deutschen Sprache als politologisches und politisches Problem" besuchten. Dr. Horst Hensel ist nicht nur ausgeschriebener Dozent dieses Seminars, sondern auch der zweite Vorsitzende des "Vereins Deutsche Sprache" (VDS). Dieser Verein wurde im November 1997 als "Verein zur Wahrung der deutschen Sprache" gegründet und fiel immer wieder durch Überschneidungen mit rechtsextremen Zusammenhängen auf. Überhaupt ist der Verein recht beliebt in rechten Kreisen: Von der rechtsradikalen Jungen Freiheit bis zu den neofaschistischen Staatsbriefen wird sich immer wieder gerne positiv auf den VDS bezogen, wenn es um die vermeintliche Gefährdung oder die Reinhaltung der deutschen Sprache, Kultur und Nationalität geht. Daß dieser Bezug nicht grundlos ist, zeigt ein Blick auf die Homepage des VDS (www.vds-ev.de): Als ein Logo fungiert eine offene Hand in den Farben schwarz/rot/gold, die eine Flagge Großbritanniens zurückweist, und auf einer Sprücheseite ist man sich nicht zu blöd, die eigene Position mit einem Zitat des NS-Apologeten Ernst Jünger untermauern zu wollen. Laut einer Selbsterklärung tritt der Verein jedoch nicht nur für "Sprachpflege", sondern auch "für mehr Selbstachtung und Würde aller Menschen ein, die Deutsch als Muttersprache haben"! Er "bekämpft die Vermanschung des Deutschen mit dem Englischen", denn befürchtet wird ein "Identitätsverlust der betroffenen Völker und Volksgruppen". 

Trotz solch chauvinistischer Gesten, weisen die Sprachreinhalter die immer wieder erhobenen Vorwürfe der Deutschtümelei und rechtsextremer Tendenzen zurück. Es wird sogar versucht über linke Mailinglisten Einfluß in der linken Szene zu bekommen. Damit ist der Verein nicht nur ideologisch auf der Linie der Neuen Rechten, sondern auch strategisch, indem er versucht eine Brücke zwischen Rechts und Links zu schlagen.  Es ist nicht auszuschließen, daß sich sogar Horst Hensel für einen Linken hält, wie auch der bereits emeritierte, aber noch am OSI lehrende Fritz Vilmar, der das "Anglisierungs"-Seminar organisierte und Hensels Vortrag moderierte. Vilmars Angst vor der "Destruktion der deutschen Sprache" und Hensels ständiges Warnen vor der "Gefahr für die deutsche Sprache und Kultur" durch die "Amerikanisierung" und "Anglisierung" per Werbung, Popmusik und Bravo-Girl klingen jedoch - freundlich ausgedrückt - lächerlich, eher aber nach nationalistischem Kulturpessimismus. Daß dahinter mehr steckt, ist schon der Seminarankündigung zu entnehmen: Denn schuldig an dem vermeintlichen Problem seien einerseits "der amerikanisch dominierte Globalisierungs-prozess" und andererseits "das Phänomen negativer nationaler Identität von Funktions- und Positions-Eliten". Hintergrund sei die "westdeutsche[n] Tendenz nach der nationalsozialistischen Katastrophe, sich bereitwillig der kulturellen, politischen und ökonomischen Dominanz der USA unterzuordnen." Welche Bedeutung die deutsche Kultur für die Entstehung des Nationalsozialismus hatte und welche Berechtigung sich für sie folglich nach Auschwitz überhaupt noch ergibt, wird überhaupt nicht gefragt. Stattdessen werden schwammig-populistische und für Verschwörungstheorien geeignete Begriffe wie der von den "Funktions-und Positions-Eliten" und der der "Amerikanisierung" benutzt. Bernd Rabehl läßt grüßen!

Noch deutlicher, bzw. verschwörerischer wird Hensel in einem Pamphlet in Büchleinform mit dem bereits genannten Titel "Sprachverfall und kulturelle Selbstaufgabe", welches er im Seminar zu einem Sonderpreis verkaufte: "Daß bei der Veränderung unserer Sprache gesellschaftliche Akteure im Spiel sind und es um geldwerte Macht und tributäre Unterwerfung geht, wird seltsamerweise übersehen." (S. 29) - nur am OSI anscheinend nicht. Um eine ominöse Machtfrage gehe es hier also und um die Kontroverse "kulturelle Selbstverleugnung versus Selbstbehauptung" (KVV) angesichts dessen es "nicht ganz von der Hand zu weisen" sei, daß wir"sprachlich und kulturell [...] schon wie in einem besetzten Land" (S. 33) lebten! Schuld daran sind selbstverständlich die türkischen Familien (S. 80f.), deren Zuwanderung "zur Entstehung von ethnischen Inseln im Aufnahmeland" führe, und dies könne zu "einem Staat im Staate führen" (S. 83). Wer meint, dies sei völkisch und rassistisch, irrt natürlich: Dieser Zusammenhang, das ist Hensel ganz wichtig, ist "nicht von mir hier in völkischer Absicht erfunden worden [..]. Er tritt durch Nachdenken zu Tage." Ah ja! Und da ja alle so viel nachdenken: "Die Zuwanderung hat inzwischen einen invasorischen Charakter angenommen. Sie wird auch dieses Charakters wegen von der überwältigenden Mehrzahl der Bevölkerung aller europäischen Länder mit Besorgnis wahrgenommen und abgelehnt." (S. 88) Und wenn so eine Bevölkerung dann mal sauer wird... "Indes darf in Kenntnis der gesellschaftlichen Entwicklung und der Natur der Menschen [sic!] aber davon ausgegangen werden, daß diese Entwicklung insgesamt eher äußerst konfliktträchtig ist, ja, daß sie sich ab einem bestimmten Punkt gewaltsam zuspitzt." (S. 89) Seit der deutschen Wiedervereinigung bezahlten über hundert Menschen diese "Zuspitzung" mit dem Leben und tagtäglich spüren es Nicht-Deutsche in Deutschland, was es heißt, für "Invasoren" gehalten zu werden. Dieses Büchlein von Horst Hensel, das seinem Seminar zugrunde zu liegen scheint, strotzt nur so vor völkisch-nationalistischen Ausfällen, rassistischen Verdrehungen und Unterstellungen und propagiert ein Konzept, das in der Neuen Rechten als "Ethnopluralismus" hochgehalten wird. 

Vor ca. zwei Jahren kam es am OSI zu einer großen Debatte, nachdem Bernd Rabehl ganz ähnliche Thesen bezüglich Nation und Kultur vertreten hatte, doch Konsequenzen hat es bis heute keine gegeben(vgl. die aktuelle agent provocateur, S. 28f.; auch: www.polwiss.fu-berlin.de/osi/fsi.htm#bernie). Rabehl lehrt weiter und das OSI ist zur Tagesordnung übergegangen. Insofern verwundert es auch nicht, daß ein Seminar wie das "Anglisierungs"-Seminar die Ausbildungskommission passieren konnte. Alles was dem Dekan Sandschneid er laut taz dazu einfiel, war, daß das Seminar inhaltlich problematisch sei und eventuell aus formalen Gründen abgesetzt werden würde. Es ist wenigstens zu hoffen, daß der voraussichtlich neue Institutsdirektor Hajo Funke als "Rechtsextremismusexperte" sich der inhaltlichen Brisanz des Seminars bewußt ist.

Das wirklich Skandalöse an dem ganzen Vorgang ist jedoch nicht das Seminar selbst. Wenn allenthalben in Deutschland über Nationalstolz, Leitkultur und Zwangssprachtests für AusländerInnen diskutiert wird, muß sich auch niemand über nationalistische und rassistische Seminare an der Uni wundern. Aber daß es fast keine Reaktionen gegen das Seminar gegeben hat, ist schockierend! Einzig Martin Jander, der sich schon in der Debatte um Rabehls Thesen frühzeitig engagiert hatte, verteilte vor der Ihne 21 einen offenen Brief an Fritz Vilmar, in dem er seine Ablehnung des Seminars begründete, als nicht mit der Tradition des OSI vereinbar. Gerade von studentischer Seite gab es bisher noch gar keine Proteste. Im Seminar selbst wurde - trotz der Flugblätter Martin Janders! - praktisch keine Gegenstimme zu der national-chauvinistischen Diskussion laut - im Gegenteil trugen sich knapp 50 Personen in die TeilnehmerInnen-Liste ein. Auch wir melden uns jetzt leider erst einige Tage nach dem Seminar. Wir wollen wenigstens noch informieren, über das was passiert ist, aber auch unsere Wut und Enttäuschung über die Lethargie und das unpolitische Verhalten am Institut für Politikwissenschaft und an der FU ausdrücken- um so mehr, als daß sich hier eine gesellschaftliche Tendenz widerspiegelt. 

Für das "Anglisierungs"-Seminar sind noch zwei ganztägige Sitzungen geplant (am 25.5. und 6.07.). Wir kündigen hiermit schon an, daß wir diese Sitzungen nicht stattfinden lassen werden und fordern alle auf, die Deutschtümelei und völkisch-nationalistische "Normalisierung" in Deutschland ablehnen, an der Verhinderung des Seminars teilzunehmen.

bündnis kritischer studentInnen / critical students association
bks.csa@gmx.net
  (Flugblatt am OSI/FU-Berlin, Ende April 2001)