SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 10.05.2001, Seite 13

Weichgespülter Antikapitalismus
Kritik des Programmentwurfs der PDS

von Manuel Kellner
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Im Vorfeld der Bundestagswahlen von 1994 schrieben Ute Abraham und ich einen Text zur Kritik des PDS-Programms mit dem Titel "Klarheit statt Salonfähigkeit!" (siehe SoZ 26/93). Wir zitierten dort eine Passage, deren Inhalt im aktuellen Programmentwurf fehlt: "In der PDS haben sowohl Menschen einen Platz, die der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand entgegensetzen wollen und die gegebenen Verhältnisse fundamental ablehnen, als auch jene, die ihren Widerstand damit verbinden, die gegebenen Verhältnisse positiv zu verändern und schrittweise zu überwinden."

Diesen Satz bemängelten wir damals: "Das Programm scheint für beide, für ,Revolutionäre‘ und für ,Gradualisten-Reformisten‘, etwas im Sortiment führen zu wollen. Eine ernste, eines politischen Programms würdige Aussage zum Weg der Veränderung darf aber mit solchen Formeln nicht umgangen werden." Vielleicht wäre es klarsichtiger gewesen zu sagen, er sei Moses und die Propheten.

Mit dem Programmentwurf vom 27.April 2001 nämlich richtet sich das Sortiment nur noch nach dem Geschmack der "Gradualisten-Reformisten", und somit wäre bei Annahme dieses Programms die Mitgliedschaft von Menschen mit revolutionärem Selbstverständnis in der PDS nicht mehr offiziell gedeckt.

Die innerparteiliche Kritik von links am Programmentwurf entzündete sich bislang am heftigsten an folgendem meistzitierten Satz: "Unternehmertum und betriebswirtschaftliches Gewinninteresse sind wichtige Bedingungen von Innovation und Effizienz."

Das gilt nicht nur für die organisierten oder sich gerade formierenden linken Strömungen in der PDS, sondern z.B. auch für die SprecherInnen der AG Betrieb & Gewerkschaft und den gewerkschaftspolitischen Sprecher des Parteivorstandes Harald Werner, die den Programmentwurf deshalb einen "Bärendienst zum 1.Mai" nannten und in einer Erklärung (vom 29.4.2001) u.a. ausführten:

"Die im Programmentwurf vollzogene Trennung von guten und schlechten Profiten ist angesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen eine völlig absurde Kapitalismusvorstellung. Noch bedrückender finden wir, dass das Programm keinen Satz darüber verliert, dass die eigentliche Quelle von Innovation und Effizienz, aber insbesondere des Gewinns, die Lohnarbeit und der ihr abgepresste Mehrwert ist. Die Programmautoren kennen keine Lohnarbeit mehr, sondern nur noch Erwerbsarbeit. Sie drücken sich trotz aller wortmächtigen Kapitalismuskritik um den konkreten Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital herum und verstecken ihn hinter philosophischen Abstraktionen."

Fazit: Hier handele es sich um einen "weichgespülten Antikapitalismus" (gut gesagt: ein Antikapitalismus, der niemanden kratzt!).

Der inkriminierte Satz ist freilich klüglich eingebettet in kapitalismuskritische Betrachtungen: "Die heutige gesamtgesellschaftliche Dominanz von Profit ist jedoch mit unserer Vorstellung von Gerechtigkeit und mit der durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gebotenen Sozialpflichtigkeit des Eigentums unvereinbar. Weil wir das persönliche Eigentum von Menschen als eine Grundlage freier Selbstbestimmung verteidigen, lehnen wir die Vorherrschaft kapitalistischer Eigentumsverhältnisse ab, die Millionen von Menschen um dieses persönliche Eigentum bringt."

Solche Aussagen, auch schärfere Verurteilungen der schlimmen Folgen der Profitdominanz, finden sich im Entwurf zur Genüge.

Die Autoren wollen das Streben nach Profit erhalten, sind aber nicht zufrieden mit dessen Dominanz. Statt einer Blütenlese zu dieser Art Zweideutigkeit hier nur ein weiteres Beispiel:

"Ziel moderner Emanzipationsbewegungen ist Gerechtigkeit. Sie kämpfen für die Schaffung gleicher sozialer Möglichkeiten des Zugangs aller zu den wichtigsten Gütern der Gesellschaft unabhängig von Klassenzugehörigkeit, Geschlecht, Nation ."

Unabhängig von der Klassenzugehörigkeit! Dass die bestehende Gesellschaft in Klassen geteilt ist mag demnach hingehen, solange dies für diejenigen, die nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft, ohne persönliche Folgen bleibt!

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Autoren des Entwurfs "sozialistische Realpolitik" als Anspruch auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Einer von ihnen, Michael Brie, verteidigte (im Freitag vom 4.5.2001) den Programmentwurf mit den Worten, dieser sei "mehr bei Marx als alle deutschen sozialdemokratischen und kommunistischen Parteiprogramme seit 1848".

Die im Zentrum des Entwurfs stehenden "Freiheitsgüter" insbesondere stünden in dieser Tradition: "Freiheit braucht Güter, um mehr zu sein als ein bloß formales Recht." Es ist in der Tat nicht besonders überzeugend, den Entwurf wegen seiner Ausführungen zu diesem Thema zu kritisieren.
Im Gegenteil — am formulierten Ziel, die materiellen Voraussetzungen für die Freiheit aller zu schaffen, sollte der Entwurf sogar gemessen werden: "Auf absehbare Zeit wird es vor allem darauf ankommen, die Verfügungsgewalt über hochkonzentriertes Kapitaleigentum oder scheinbar anonyme Aktienfonds schrittweise einzuschränken ."

Das weniger konzentrierte Privateigentum aber schränkt die Freiheit vieler auch ein, und sogar der Entwurf, der sich doch so sehr um das Bündnis mit "kleinen und mittleren Unternehmen" bemüht, konstatiert, dass diese unter der Peitsche der Konkurrenz oft gezwungen sind, noch schlechtere Arbeitsbedingungen aufzuzwingen als die großen Konzerne.

Der Entwurf, der sich gegen das neoliberale Rollback ausspricht, stellt schrittweise Änderungen vermittelt über ein neues "Reformbündnis" in Aussicht.

Es bringt wenig, dem eine nur rhetorische Systemopposition entgegenzustellen. Fruchtbarer wäre die politische Diskussion, ob die strategische Grundidee des Entwurfs wirklich zur Eroberung der so genannten "Freiheitsgüter" taugt.

Wirkliche antikapitalistische Strukturreformen, durchgesetzt von breiten Massenbewegungen, müssten die Logik der Kapitalverwertung als Herz der kapitalistischen Wirtschaftsordnung brechen, und eine andere Logik müsste an deren Stelle treten: die der Produktion für den Bedarf. Genau diese Art von Bruch jedoch scheut der Entwurf wie der Teufel das Weihwasser.

Alle Missstände der bestehenden Gesellschaft — und viele werden im Entwurf treffend kritisert — sollen mittels eines regulierten Marktes zurückgedrängt und letztlich beseitigt werden. Unter dem Vorwand, dass Verstaatlichung unter dem Vorzeichen undemokratischer Verhältnisse und bürokratischer Bevormundung weder umfassende Emanzipation noch befriedigende Wirtschaftsentwicklung brachte, wird die Vergesellschaftung der großen Produktionsmittel nicht gefordert — auch auf dieser Ebene, wo Menschen ausgebeutet werden müssen, um private Profite zu ermöglichen, bleiben die Marktgesetze also bestimmend. Doch Marktmechanismen setzen sich hinter dem Rücken der Beteiligten durch wie Naturmächte — wo bleibt da die Freiheit?

Noch weniger Bereitschaft zum Bruch mit dem Bestehenden zeigt der Entwurf im Bereich der Institutionen: "Die individuellen politischen Grundrechte, freie Wahlen, die parlamentarische Demokratie, politischer Pluralismus, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit sind für uns unverzichtbare Errungenschaften emanzipatorischer Kämpfe."

Alles andere ist richtig und wichtig, aber warum soll das für die "parlamentarische Demokratie" gelten? Warum blenden die Autoren bewusst alle praktischen und theoretischen Erfahrungen und Ansätze aus, die über diesen bürgerlich-demokratischen Rahmen hinausweisen, so die Rätedemokratie, die aus der Selbstorganisation der abhängig Beschäftigten, der Ausgebeuteten und Unterdrückten erwächst?

Nur aus einem Grund: Man will die bürgerliche "Salonfähigkeit" um jeden Preis (und darum auch "gut ausgebildete und human motivierte Polizeikräfte", in Kreuzberg und anderswo).

Man will auch die" Stärkung der Vereinten Nationen", obwohl man deren reale Verfasstheit (die die Interessen der reichsten und dominierenden kapitalistischen Industriestaaten widerspiegelt) zu Recht ablehnt — und hält sich damit trotz aller antimilitaristischen Bekenntnisse, trotz der Ablehnung der NATO (zumindest in ihrer heutigen Form.) und des "humanitär" bemäntelten Interventionismus ein Hintertürchen offen für die eventuelle Unterstützung einer militärischen Aktion, wenn sie vom UNO-Sicherheitsrat gedeckt ist.

Wie schon das Programm von 1993 fordert der Entwurf übrigens "offene Grenzen für Menschen in Not" statt schlicht offene Grenzen. Wie schon 1993 frage ich, wer und nach welchen Maßstäben darüber befinden soll, "ob Not vorliegt", um es so bürokratisch auszudrücken, wie die betreffende Behörde das tun wird . Wen will man da doch ein bisschen ausgrenzen und kraft welchen Urteils maßt man sich das an?

Der Entwurf ist reich an kritikwürdigen Aussagen und, dies sei nicht verschwiegen, ebenso reich an wohlformulierten und höchst anregenden Überlegungen. Ein kurzer Artikel kann ihm nicht gerecht werden.

Hart zur Sache geht es freilich, wenn die Autoren sich von philosophischen Höhen zu den Niederungen der realen Politik herablassen:

"Seit 1990 haben wir dafür gewirkt, dass Sozialstaat und soziale Marktwirtschaft in der alten Bundesrepublik nicht zerstört werden . Mit der Tolerierung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt seit 1994 und der Bildung der SPD- PDS-Regierung in Mecklenburg-Vorpommern 1998 hat die PDS demokratische Verlässlichkeit und Politikfähigkeit auch in Regierungsverantwortung nachgewiesen."

Und: "Die PDS ringt um parlamentarische Stärke. Sie ist bereit und in der Lage, politische Verantwortung in parlamentarischer Opposition ebenso wie in Regierungsbeteiligungen zu übernehmen, ohne dabei ihr sozialistisches Profil zur Disposition zu stellen."

Tatsächlich? Eine ehrliche Bilanz der Übernahme von Regierungsverantwortung als Juniorpartner der SPD auf Landesebene zeigt, dass die PDS in dieser Rolle immer wieder gegen die eigenen formulierten Ansprüche verstoßen musste, und auf Bundesebene würde sich diese Tendenz noch enorm zuspitzen.

Der Anspruch, für sozialistische Politik zu stehen, verliert damit ebenso an Glaubwürdigkeit wie sich die Fähigkeit zersetzt, gesellschaftlichen Radikalisierungen einen emanzipatorischen politischen Ausdruck zu verschaffen. Als loyale Sachwalterin des bestehenden Systems kann keine Partei konsequent für die Besitzlosen und gegen die Kapitalinteressen handeln.