Gibt es ein Leben nach dem Tod... 
...für die Antifa-Bewegung ?


8 Fragen zur Standort- und Stategiebestimmung aus linker und revolutionärer Sicht anläßlich des Antifa-Kongresses am 20.-22.4.2001 in Göttingen

Antifa-AG der Uni Hannover (20.4.2001)
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1. In welchem Zustand befindet sich die Antifa-Bewegung ?

Die Aussage im Aufruftext zum Kongreß, "die Bewegung" sei "in einigen Bereichen an ihre Grenzen geraten" ist sehr schönfärberisch. Tatsächlich ist die Antifa-Bewegung, wie sie mit gewissen Modifikationen seit 25 Jahren existiert, an einem historischen Endpunkt angelangt. Dafür ist der Zustand der AA/BO, den die AAB in ihrem Papier "Hey Friends" beschreibt ("Für alle ist offensichtlich, daß es die BÖ -Grundlagen Einsatz - so nicht mehr gibt und das schon seit einigen Jahren.") nur das geringste Indiz. Angesichts der veränderten politischen Gesamtlage zeichnet sich eine Aufsplitterung der Antifa-Bewegung in mindestens 3 Teile ab:

a) in einen Realo-Flügel, der z.T. aus der autonomen Szene kommend (z.B. "Antifa-Info-Blatt"), z.T. aus derWN-BdA bestehend, "die neu entstandenen medialen Freiräume nutzen" bzw. von den in Aussicht gestellten Staatsgeldern und den bereits jetzt gezahlten, nicht unwesentlichen Foto- und Info-Honoraren von Stern, Spiegel, Süddeutsche, ARD etc. profitieren möchte (und womöglich auch von einer entsprechenden Berufsperspektive träumt). Das heißt staatlich anerkannte und staatstragende Anti-Nazi-Aufklärung und Denkmalspflege in einer Mischung aus Greenpeace und Amnesty International machen will und sich in der dafür nötigen Weise "läutert" und nach links abgrenzt, ohne für diesen servilen Dienst jemals mit mehr als der Rolle des Wasserträgers belohnt zu werden, der die Richtung der Artikel und Kommentare nicht bestimmt oder ein drittklassiger Hinterbänkler-Lobbyist zu sein, der faktisch ohne Einfluß ist.

b) in einen subkulturell-fundamentalistischen political correctness- & Lebensreform-Bereich, der sich in einer an Neurose grenzenden Sorge um moralische Sauberkeit politisch selbst lahmt (siehe den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, den Kampf der Palästinenser oder die Frage antifaschistischer Bündnisse) und sich konsequenterweise mehr um die individuelle Lebensreform, d.h. "die Herrschaft im eigenen Alltag bekämpfen", kümmert und für praktische Politik oder gar die Entwicklung und Verankerung einer linksradikalen bzw. revolutionärsozialistischen Strategie wegfällt sowie

c) das immer noch sehr heterogene (von AA/BO und ähnlichen Gruppen über die Reste kommunistischer Gruppen und der Anti-lmp-Szene, Teile der DKP und der PDS, einige Gewerkschaftslinke bis hin zu den Ansätzen einer linksradikalen Anti-Globalisierungsbewegung reichende) Spektrum, das sich dieser Aufgabe mehr oder weniger zähneknirschend und unsicher stellt und von der einen oder anderen genannten Versuchung nicht unbedingt frei ist, aber in entsprechenden Bündnissen arbeitet und die Verbindung zum Antikapitalismus weiterhin herstellt und damit am ehesten das Subjekt einer neuen Bewegung ist.

Daß es zu dieser Zersplitterung bzw. zu diesem historischen Endpunkt gekommen ist, hat vordergründig etwas mit dem sogenannten "Aufstand der Anständigen" zu tun. Der tieferliegende Grund ist aber, daß spätestens seit 1989 der von Anfang der 30er Jahre bis zur Adenauer-Ära im nicht-faschistischen Teil der deutschen Bevölkerung dominierende und durch die 68er-Bewegung wiederbelebte antifaschistische Grundkonsens als mehrheitsfähige Position nicht mehr existiert. Sein Kern ist die Einsicht, daß Faschismus etwas mit Kapitalismus zu tun hat und daß das III.Reich ebenso wie der 2.Weltkrieg ohne die Macht und die Klasseninteressen der Stahlbarone und der Junker, der Deutschen Bank und der IG Farben nicht stattgefunden hätte. (Analoges gilt für Mussolini, Franco etc. und deren Regime.) Diese mehrheitsfähige Position war kapitalismus-kritisch, ohne deshalb schon revolutionär zu sein. Durch die einschneidenden historischen Veränderungen im Gefolge insbesondere von 1989 hat sich dieser Grundkonsens in eine "ultralinke" Minderheitenposition verwandelt, die sich des "Extremismus" verdächtig macht. Die dafür ausschlaggebenden Veränderungen waren:

- die Wiederherstellung eines vereinten und vollständig souveränen, d.h. normalisierten kapitalistischen Deutschlands,

- die historische Niederlage des ersten längeren Versuches Sozialismus als

Gesellschaftsform (unter ungünstigen historischen Bedingungen und in nur einem Teil der Welt) zu etablieren und

- das Auslaufen des 68er Kampfzyklus, dessen Hauptakteure (Teile der SPD und Die Grünen) nach ihrer Revolte und ihrem "Marsch durch die Institutionen" (und den damit verbundenen politisch-ideologischen Mutationen) auf den Chefsesseln angekommen sind. Die letzte Etappe dieses Weges legten sie 1998 zurück.

Interessanterweise hatte die WN-BdA dem schon nach den ersten DVU- und REP-Wahlerfolgen 1988 und 89 in Bremen und West-Berlin mit ihrer Kampagne "Leben & Lieben - dem Haß keine Chance" gerecht zu werden versucht. Das war jedoch verfrüht und zum Scheitern verurteilt, weil es noch kein großes staatliches Interesse an Nazi-Bekämpfung gab. Vielmehr war nationaler Wiedervereinigungstaumel angesagt und gab es einen Bedarf an Rechtspopulisten und Neonazis, um auf der Straße und am Stammtisch Stimmung für die Beseitigung des Asylrecht zu machen und damit auch gesamtgesellschaftlich einen qualitativen Sprung in Richtung neoliberalem Sozialdarwinismus zu tun. (Nicht den ersten und nicht den einzigen, aber einen wesentlichen!) Außerdem waren CDU/CSU als Parteien und das Personal der Kohl-Regierung schon aufgrund ihrer Biographien politisch-kulturell ungeeignet und unglaubwürdig für eine "Öffnung" in Richtung Antifa. So blieben auch die Lichterketten eine vorweihnachtliche Episode, die - bei aller verlogenen Förderung durch die BLÖD-Zeitung - im Unterschied zum sog. "Aufstand der Anständigen" eine spontane und selbstständige Aktion besorgter (links-)liberaler Bürger war. Immerhin war aber hier schon massenhaft von besagtem antifaschistisch-antikapitalistischem Grundkonsens nichts mehr zu spüren. Es ging den Akteuren schlicht um ein friedliches, bürgerlich geregeltes Zusammenleben mit "den Gastarbeitern" nachdem die Asylfrage "geklärt" war.

Nur die staatliche und die Inaktivität der "anständigen" Bürger auf dem Gebiet der Neonazi-Bekämpfung hat es ermöglicht, daß die Antifa-Bewegung von WN bis Autonomen in einer Nische noch eine Weile weiterfunktionieren konnte - auf immer fragwürdigerer und unhinterfragterer Grundlage freilich. Das Ende der Vernachlässigung dieses Themas durch Regierung und Bürgertum mußte daher aufdecken, daß sich die politische "Geschäftsgrundlage" entscheidend gewandelt und dem "Konzept Antifa" (wie es die AAB einmal nannte) für immer den Boden entzogen hat.

2. Was war die Antifa-Bewegung ?

Um diese Frage beantworten zu können, ist es notwendig sich vorab über eines klar zu sein: Die Antifa-Bewegung, von der wir alle die ganze Zeit sprechen, ist nicht die antifaschistische Bewegung. Weder die der End20er und 30er Jahre (mit KPD, SPD, KPO, SAP und FAUD als Träger, mit Reichsbanner und Rotfrontkämpferbund, der historischen Antifaschistischen Aktion und in Spanien den Internationalen Brigaden) noch die der 40er und Anfang 50er Jahre, die durch die Erfahrung der KZ's und des 2.Weltkrieges und den Schwur "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg" geprägt war, ja nicht einmal die antifaschistische Bewegung von '68, die "den Muff von Tausend Jahren unter den Talaren wegfegen" wollte und - trotz aller radikalen und sozialistischen Rhetorik - in Wirklichkeit der selbstständigen Aneignung der von den Alliierten exportierten bürgerlichen Demokratie unter der befristeten Führung des dynamischsten Teils der bürgerlichen Klasse - der neuen technischen und im Sozialbereich tätigen Intelligenz - diente.

"Unsere" Antifa-Bewegung ist ein Ausläufer der 68er Bewegung, entstanden in den massenhaften Protestaktionen gegen die Deutschland-Treffen der niedergehenden NPD in und um Frankfurt/M. ab 1977, Rock gegen Rechts und dem lokalen und überregionalen Kampf gegen die sich formierende Neonazi-Szene (NSDAP/AO, ANS, VSBD, ANS/NA etc.) und ihre Terrorgruppen (WSG Hoffmann, WSG Jürgens, Hepp-Kexel-Bande ...). Auch wenn sie in den 80er und 90er Jahren einige kleinere Modifikationen erfahren hat (um 1982 übernahmen "die Autonomen" im linksradikalen Teil die Führung vom KB, nach 1989 erlangten anti-nationale Positionen eine gewisse Bedeutung...), hat sie sich im Kern (leider) kaum verändert. Sozial ist sie - angenehmerweise - weit weniger studentisch geprägt gewesen als die 68er Bewegung bzw. andere politische "Teilbereichsbewegungen". Schüler, Lehrlinge, Jobber, aber auch "normale" Berufstätige haben auch aufgrund der direkten Konfrontation immer eine größere Rolle gespielt. Dafür war sie inhaltlich allerdings auch immer sehr viel flacher.

Wenn die AAB in ihrem Papier beklagt: "Die aktuelle Diskussion um Antifaschismus hat gezeigt, daß die Antifa nicht einmal bei dem Kernthema ihrer eigenen Bewegung analytisch etwas vorzugeben hatte. Viele wichtige Diskussionen werden nur noch in der akademischen (+ Theoriezirkel-)Linken geführt", dann ist das nur zu wahr. Obwohl man die Antifa war, wurde sich kaum einmal der Mühe unterzogen, überhaupt den Begriff Faschismus zu bestimmen. Im Zweifelsfalle mußte die Auflistung von ein paar Spiegelstrichen mit ebenso ungeklärten Schlagworten (Rassismus, Nationalismus, Militarismus, Führerprinzip...) genügen. Ebensowenig klargekommen ist die Bewegung nach den Wahlerfolgen von REP und DVU ab Ende 1988 mit dem Phänomen Rechtspopulismus oder- allgemeiner- dem Problem von Rechtsradikalismus mit Massencharakter. Das hat die schöne, überschaubare, kleine Welt des Fahndungs-Antifaschismus, der Erbsenzählerei und der Szeneaktionen mit ihrem arg begrenzten Horizont im autonomen und linksradikalen Bereich vollkommen gesprengt. Also wurde unausgesprochen beschlossen, diese bösen Spielverderber soweit wie möglich durch Nichtbeachtung zu strafen und sich weiterhin ganz auf die handlichere Neonazi- und Skinszene zu konzentrieren mit der man in einer Art halbpolitischen Jugendkulturkampf sich auseinander zu setzen wußte und sich auseinandersetzen wollte. Oder sollten wir alle entsprechenden Kampagnen von AA/BO und BAT zu REP's & Co. verpaßt haben ?

Das WN-, DKP- und Volksfront-Spektrum hat die Sache nicht viel besser gemacht. Es weigerte sich schlicht REP, DVU, Front National und FPÖ als neues konterreformistisches (und nicht konterrevolutionäres - wie NSDAP und PNF) Phänomen wahrzunehmen und erklärte sie - soweit es die BRD und Österreich betraf - kurzerhand zu Nachfolgeorganisationen der NSDAP und Schönhuber/ Frey zu neuen Hitlers, die durch den Artikel 139 Grundgesetz ja bereits verboten seien und nur noch aufgelöst werden müßten.

Die große Schwäche der gesamten Antifa-Bewegung in Deutschland ist leider bis heute das nicht überwundene Trauma von 1933. Daher grassiert immer wieder aufs Neue der Glaube, ein neues '33 stände vor der Tür und führt dazu, daß man die verlorene Schlacht von damals - im Kleinen oder Im Großen - wiederholen und diesmal gewinnen will. Nur, daß man bei derart enggezogenen und liebgewonnenen Scheuklappen die jeweilige tatsächliche gesellschaftliche Situation und den tatsächlichen Charakter eines Phänomens wie REP, DVU, Bund freier Bürger oder dem "Aufstand der Anständigen" natürlich nicht erkennen kann und blindlings in die nächste Niederlage hineinstolpert.

Was die autonome Antifa anbelangt, kommt die subkulturelle Beschränktheit hinzu. Über die Jahre eine Menge Jugendliche eine gewisse Zeit lang für Antifa-Aktivitäten gewonnen zu haben, ist selbstverständlich eine gute Sache. Wenn das aber- wie es in der Regel der Fall ist - nur ein Intermezzo bleibt und zu einem Gutteil nur den jeweiligen lebensgeschichtlichen Bedarf an Rebellion und Abenteuer deckt und ansonsten etwas Nachwuchs für die autonome Subkultur rekrutiert, die irgendwann dann in die unter 1. erwähnte Rubrik b) fällt, reduziert sich der politische Wert beträchtlich und ist für revolutionäre Umtriebe wenig gewonnen. Zumal besagter autonomer Subkultur-Nische im Zuge des wirtschaftsliberalen "Umbaus" des Sozialstaates zunehmend die materielle Existenzgrundlage entzogen wird und daher auch dort das Sterbeglöckchen läutet.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß man feststellen, daß die Antifa, von der wir hier sprechen, immer ein sehr ambivalentes Ding, immer sehr zwiespältig war:

Einerseits war sie mehr als die typischen 1-Punkt-Bewegungen wie Anti-AKW, Anti-Nachrüstung, Solidarität mit Nicaragua etc. Sie hat(te) eine weitaus größere Kontinuität als diese (mit der Ausnahme Anti-AKW), weil sie ein Problem betraf und betrifft, das zwar zu- und abnehmen und sich inhaltlich verändern kann (im Kapitalismus) aber niemals verschwindet. Das bedeutet eine wesentlich größere Kontinuität. Und antifaschistischer Kampf war und muß immer- selbst in der primitivsten Variante - die Verteidigung aller demokratischen Errungenschaften und der Aufklärung bzw. sozialistischen und kommunistischen Denkens gegen faschistische und rechtspopulistische Angriffe sein. Insofern ging es bei aller fahndungs-antifaschistischen Erbsenzählerei, wenn auch häufig unbewußt, nicht bloß um einen Punkt, sondern um die gesamte politische Staatsform. Wobei die geistige Grundlage für Antifaschismus nie die Gattungsfrage (mit einem AKW-GAU oder einem "irrtümlich ausgelösten Atomkrieg" als schlimmster Konsequenz) sein kann, sondern immer die politische System- oder gar die Klassenfrage. Und anders als in der internationalen Solidaritätsarbeit, wo die Fragestellung eine ähnliche war, hat(te) man mit dem Gegner - oder wen man dafür hielt / hält - direkt und im "eigenen" Land zu tun. Das heißt es findet Politik in höchst eigener Person statt (man riskiert im Zweifelsfalle die eigene Haut) und nicht mittels Unterstützung von Akteuren, die Tausende von Kilometern entfernt sind und der Projektion seiner Ziele und "Utopien" auf diese. Außerdem gab und gibt es eine klare Traditionslinie zur sozialistischen / kommunistischen und Arbeiterbewegung als den Trägern des historischen antifaschistischen Widerstandes.

Das alles hat dazu geführt, daß im Antifa-Bereich ein linksradikaler Organisationsansatz wie die AA/BO entstanden ist und anderswo nicht und daß in diesem Bereich jetzt ein Kongreß stattfindet der eine politische Selbstkritik, eine Analyse und einen Ausbruch aus dem Ghetto ohne Aufgabe der linksradikalen / revolutionären Ziele zumindest versucht. (Das sagen wir durchaus als Gruppe, die sich der BÖ - nach entsprechender Überlegung - nicht angeschlossen hat, weil sie uns nach wie vor zu begrenzt und unzureichend ist!)

Andererseits bedeutend die letzten 25 Jahre Antifa einen kontinuierlichen theoretischen, analytischen und auch praktisch-politischen Niedergang der Linken und zwar um so mehr je mehr das Thema Antifa ins Zentrum rückte. Eigene Analysen und Forderungen zu gesellschaftlich relevanten Fragen wie Lohnarbeit und Arbeitslosigkeit, Frauenfrage (z.B. §218, prekäre Stellung der Frauen in der Arbeitswelt...), Wohnungsfrage (gab es da nicht mal eine Welle von Hausbesetzungen anno 1979-82 ?), Gesundheit, EU, Palästina etc. fehlen mittlerweile fast völlig. Nur die NPD soll nicht marschieren und der Castor nicht rollen -das sind die erbärmlichen Reste linker "Programmatik", die selbst beim ersten Krieg mit deutscher Beteiligung nach 50 Jahren nicht mehr zu einer klaren und einheitlichen Aussage fähig war.

Die Antifa ist sowohl Ausdruck als auch Wegbereiter dieses Niedergangs gewesen (Möglichkeiten von den konkreten Antifa-Themen aus gesellschaftliche Zusammenhänge aufzuzeigen und anzugreifen, soziale und allgemeinpolitische Forderungen zu stellen, Brücken zu noch bestehenden linken Betriebs-, Arbeitslosen- und Frauengruppen zu schlagen, wurden kaum genutzt). Die Antifa war und ist in Deutschland Ausdruck des weitgehenden Fehlens sozialer Bewegungen, die die Rest-Linke vor die Frage "Wie weiter ?" gestellt und eine Alternative geboten hätten und gleichzeitig der hilflose Versuch aus der Not eine Tugend zu machen. Sie ist das löchrige letzte Hemd der Linken hierzulande. Sich immer mehr auf dieses letzte Leibchen konzentriert zu haben, ist einer der größten Fehler der letzten Jahre und auch kein sondertich guter Schutz gegen die finale Lungenentzündung !

3. Wieso ist der Kampf gegen Nazis nunmehr Staatslinie ?

Dafür gibt es unseres Erachtens zwei Hauptgründe und einige sekundäre Motive. Die beiden Hauptgründe sind 1. die Absicherung der Greencard-Einwanderungspolitik, d.h. der Anwerbung für den "Standort Deutschland" strategisch wichtiger IT-Spezialisten und künftig wahrscheinlich auch anderer nützlicher Ausländer. 2. Die Wiederherstellung des Gewaltmonopols des bürgerlichen Staates gegenüber dem von Bullerei und Justiz im Osten nicht selten geduldeten und von der Bevölkerung mehrheitlich aus Angst hingenommenen Nazi-Terror auf den Straßen. Nicht unwichtige, aber letztlich zweitrangige Motive sind: 3. Die Wahrung des Ansehens der BRD im Ausland mit seinen Konsequenzen auf diplomatischem Parkett und bei der Gewinnung ausländischer Investoren. 4. Die geschickte Füllung des medialen Sommerlochs zugunsten der Regierungsparteien und zulasten der CDU/CSU. 5. Die präventive Ausweitung der Repressionsmöglichkeiten im ganzen Land mit Blick auf eventuelle soziale Unruhen und die ideologische Brandmarkung aller (linken wie rechten) Gegner der "Neuen Mitte" als Extremisten.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, daß die innenpolitischen Gründe (bzw. bürgerlichen Klasseninteressen) die außenpolitischen Rücksichtnahmen und / oder saisonale Medienspielchen, wie die "richtige" Füllung des politischen Sommerloches bei weitem überwiegen. Insofern liegen Positionen wie die von der Zeitung "ak, analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis" (d.h. das ehemalige KB-Organ "Arbeiterkampf') in ihrem Leitartikel zu diesem Kongreß geäußert, völlig daneben, wenn sie als Gründe für den "Aufstand der Anständigen" rückschauend behaupten: "Das Gewissen ist beruhigt." Und: "Dem wachsamen Ausland wurde ein wehrhafter Staat gezeigt. Die exportierende Industrie hat's gefreut." Die drei Sätze, die beispielhaft sind für die Ansichten eines erheblichen Teils der alternativen und autonomen Linken, bieten ein Übermaß an Fragwürdigem und Fehleinschätzungen - deren Ursache in der Verliebtheit in althergebrachte Stereotype und dem Unwillen liegt, sich geistig zu bewegen. Was gibt es auch Schlimmeres als sich einer neuen Situation und einer entsprechenden Herausforderung zu stellen ?! Und was ist schlimmer als feststellen zu müssen, daß auch der bürgerlich-kapitalistische Staat in Deutschland konsequent gegen Rechtsradikale vorgeht, wenn sie den Interessen, die er zu vertreten hat, im Weg stehen ?!

Ebensowenig existiert das "wachsame Ausland" noch. Schon vor 1989, aber ganz verstärkt danach, "wacht" das westliche Ausland vor allem darüber, daß die BRD ihren Anteil an der Aufrechthaltung der herrschenden Weltordnung nicht mehr nur mit Geld und der Bereitstellung von Infrastruktur abgilt, sondern sich selbst mit eigenen Waffen und Truppen an Bombardements wie gegen Jugoslawien und dem Kosovo beteiligt. Das ist die Hauptsorge des "wachsamen Ausland(es)" bzw. seines maßgeblichen, in EU, NATO und G7 organisierten oder auf eine Mitgliedschaft hoffenden Teils. Wobei dieser im übrigen selbst genug Probleme mit Neonazi-Terror und starken rechtspopulistischen Bewegungen in den eigenen Ländern hat (z.B. Oklahoma City-Anschlag, Militia-Bewegung und Pat Buchanan in den USA, Front National und MNR in Frankreich, Neonazi-Mordserie in Schweden, Wahlerfolge der Dänischen Volkspartei und der Schweizerischen Volkspartei, MIEP und Nazis in Ungarn, Republikaner in der Tschechischen Republik, massenhafter Antisemitismus in Polen...)

Und nicht zur "Freien Welt" zählende Staaten wie Rußland, China oder Indien sind angesichts der Kräfteverschiebung zugunsten von USA und NATO aus taktischen Gründen eher um ein gutes Verhältnis zur BRD bemüht, um sie als punktuellen Verbündeten gegen die USA zu gewinnen (wie aktuell in der Frage des Klimaschutzabkommens von Kyoto). Da halten sie sich mit Tritten vors Schienbein brav zurück. Außerdem hätte Rußland eingedenk Schirinowskis und seiner LDPR sowie der starken eigenen Neonazi-Szene und Indien mit seiner rechtspopulistisch-rassistischen BJP als wichtigster Regierungspartei ebenfalls selbst einige Legitimationsprobleme als moralischer Ankläger in dieser Frage.

Fazit: Die wachsamen linksliberalen Mittelschichten im Innern und die wachsamen Anti-Nazi-Alliierten im Ausland sind spätestens seit der weltpolitischen Wende von 1989 mit deutscher Wiedervereinigung und voller Rückgewinnung der Souveränität Deutschlands, seinem in diesen 10 Jahren auch über die erwähnten Militäreinsätze gewachsenen imperialistischen Selbstbewußtsein sowie angesichts der "neuen Aufgaben" für "die freie Welt" Schnee von Gestern !

4. Was ist der "Aufstand der Anständigen", welche Widersprüche weist er auf und welche Rolle spielt er?

Bevor wir auf diese Frage näher eingehen, ist es leider nötig der "ak"-Redaktion ein weiteres Mal in einem wesentlichen Punkt zu widersprechen. Diese liegt nämlich wiederum falsch, wenn sie gleich in den ersten Zeilen ihres Leitartikels schreibt:

"Vom großen staatlichen Antifahype ist kaum noch etwas zu vernehmen. Der von Bundeskanzler Schröder im vergangenen Sommer verordnete .Aufstand der Anständigen' kann als beendet angesehen werden - wenn es ihn überhaupt gegeben hat. Sinn und Zweck der Übung gelten als erfüllt. Das Gewissen ist beruhigt" usw. (ak Nr. 448, 15.3.2001, S.1) Soviel willentliche Blindheit ist mehr als erschreckend, zumal es sich um keine Einzelmeinung handelt, denn mit dieser These beruhigen sich viele in der sogenannten radikalen Linken. Wie die "ak"-Redaktion zu fragen, ob es das Ganze überhaupt gegeben hätte (oder nicht alles nur ein böser Traum war ?) ist dabei natürlich das Größte. Alle Achtung vor soviel Ignoranz !

Waren am Ende die 100 000 "Anständigen", die am 9. November vergangenen Jahres auf Schröders, Fischers und Thierses Ruf hin durch Berlin zogen, die 10 000 am 21.Oktober in Dortmund, die 20 000 in Düsseldorf, ca. 6 000 in Kassel und diverse Tausende anderswo nur eine Fata Morgana ? Und sind Oktober und November mittlerweile Sommermonate bzw. die Zeit des politischen Sommertheaters? Ist nicht Anfang April 2001 (!) der offizielle Verbotsantrag gegen die NPD eingereicht und die militanteste Neonazi-Schlägertruppe SSS vom sächsischen Innenminister verboten worden ? Und hat nicht kurz zuvor eine bundesweite Razzia gegen den Vertrieb von Nazi-Skin-Musik stattgefunden ? Sind die Zeitungen und Fernsehberichte nicht immer noch voll vom Thema "Rechtsextremismus" ?

Der "Aufstand der Anständigen" ist weder das übliche politische Sommertheater gewesen (auch wenn er dort seinen Ausgangspunkt hatte) noch ist er beendet noch wird er in allernächster Zeit beendet werden. Dazu ist er viel zu wichtig, viel zu nützlich und viel zu notwendig für die Herrschenden.

Es handelt sich beim "Aufstand der Anständigen" im Kern um den Versuch die Mehrheit der Biedermeiergesellschaft, die sich nach 1989 (nicht nur in Deutschland) entwickelt hat, mittelfristig zu einer aktiven (soweit das gegenwärtig möglich ist) antitotalitären bzw. antiextremistischen Basis des "neoliberalen" repressiven Nachtwächterstaates bei dessen gleichzeitiger Aufrüstung und Kompetenzerweiterung zu formieren. Diese von den führenden Vertretern der Regierung der "Neuen Mitte" mit "Persönlichen Erklärungen" gestartete Kampagne, die sich auf den innenpolitischen Bereich konzentriert und (wie beispielsweise Thierse, Schröder und Schily ganz offen sagen) "die Extremisten" im Visier hat (d.h. alle, die sich - ob auf fortschrittliche oder reaktionäre Weise - dem Sog in diese "Neue Mitte" entgegenstellen) wird im weiteren z.B. durch sozialpolitische Hetzkampagnen, wie die aktuelle gegen "arbeitslose Drückeberger" ergänzt und abgerundet werden.

Auch heutzutage kann keine Regierung - und erst recht keine, die sich "soviel vorgenommen hat" an imperialistischer Außenpolitik, Durchsetzung von Arbeitszwang und Niedriglohnsektoren, Privatisierung sozialer Sicherungssysteme, Flexibilisierung und Deregulierung etc. - ohne eine halbwegs aktive Unterstützung in der Bevölkerung auskommen. Dazu bedarf es einer Ideologie, die diesen "anständigen" Teilen der Bevölkerung als Begründung, Richtschnur und Schweißmittel dient und Regierung & Kapital als Legitimation. Schon die Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien wäre ohne die Stilisierung Milosevics als einem neuen Hitler und die Pervertierung des Antifaschismus (die NATO als "neue Internationale Brigaden", "Befreiung der KZ's im Kosovo" etc.) durch Scharping, Fischer & Konsorten so nicht möglich gewesen.

Während die längerfristige, grundlegende Intention des "Aufstandes der Anständigen" also eindeutig reaktionär ist, beinhaltet er kurzfristig bezogen auf die Bekämpfung von Neonazis und NPD auch einige wenige positive Elemente, was dazu führt, daß Gruppierungen wie Linksruck seinen grundsätzlichen Charakter völlig verkennen und versuchen sich an diesen Zug anzuhängen, ohne zu merken, wo er hinfährt. Kurzfristig dient dieser "Aufstand" den Herrschenden dazu die Rechtsradikalen politisch zu isolieren und vor Ort Hilfskräfte zu haben, die -insbesondere in Ostdeutschland - den bei der Bekämpfung des rechtsradikalen Terrors (infolge einer gegenteiligen Tradition, Kumpanei und / oder geistiger Nähe) zu unfähigen und zu unwilligen Polizei- und Justizapparat auch von unten unter Druck setzen können. Gerade in Ostdeutschland gibt es, wie in den Südstaaten der USA angesichts des Anfang der 60er Jahre wieder eskalierenden Terrors des KKK und inaktiver lokaler Polizei- und Justizbehörden Bedarf an (bürgerlichen) Helfern des Zentralstaates, die daran mitwirken, wieder geordnete bürgerliche Gewaltverhältnisse herzustellen und eine moderne kapitalistische "Zivilgesellschaft" zu schaffen. Bei aller positiven Hilfe für Flüchtlinge, Immigranten und andere Verfolgte des Naziterrors und aller anerkennenswerten "Zivilcourage" dienen die "Aktion Noteingang" und andere Gruppierungen - bewußt oder unbewußt - ebenso wie ein Großteil der PDS vor allem diesem Ziel.

Was diese "Zivilgesellschaft" angeht, die beispielsweise im DGB linke (Göttingen) wie rechte (München) Kreisvorsitzende Seite an Seite mit Schröder, Fischer, (BDA-Präsident) Hundt und Handelsblatt für das erstrebenswerte / verteidigenswerte Ziel und das Höchste der Gefühle halten, haben bereits Marx und Engels vor 150 Jahren alles Wesentliche festgestellt: "Die platte Habgier war die treibende Seele der Zivilisation von ihrem ersten Tag bis heute." Und: "Da die Grundlage der Zivilisation die Ausbeutung einer Klasse durch eine andere ist, so bewegt sich ihre ganze Entwicklung in einem fortdauernden Widerspruch. Jeder Fortschritt der Produktion ist gleichzeitig ein Rückschritt in der Lage der unterdrückten Klasse, d.h. der großen Mehrzahl.... Und wenn bei den Barbaren der Unterschied von Rechten und Pflichten, wie wir sahen, noch kaum gemacht werden konnte, so macht die Zivilisation den Unterschied und Gegensatz beider auch dem Blödsinnigsten klar, indem sie einer Klasse so ziemlich alle Rechte zuweist, der anderen dagegen so ziemlich alle Pflichten. Das soll p'-'er nicht sein. Was für die herrschende Klasse gut ist, soll gut sein für die ganze Gesellschaft, mit der die herrschende Klasse sich identifiziert. Je weiter also die Zivilisation fortschreitet, je mehr ist sie genötigt, die von ihr mit Notwendigkeit geschaffenen Übelstände mit dem Mantel der Liebe zu bedecken, sie zu beschönigen oder wegzuleugnen..." (F.Engels: "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates", MEW Band 21, S. 171/172)

Ganz konkret zeigt sich die "Zivilität" dieser famosen "Zivilgesellschaft" gegenwärtig (oder in der jüngsten Vergangenheit) im Abwurf von Splitterbomben über belebten jugoslawischen Marktplätzen, dem Beschuß mit abgereicherter Uranmunition, der Einrichtung von NATO-Bordellen in Bosnien (inclusive Zwangsrekrutierung Minderjähriger), Genmanipulation, Call Centern, mörderischem Arbeitsstreß, Massenarbeitslosigkeit, Hetze gegen Arbeitslose und ähnlichem mehr. Da sind uns so "unzivilisierte" Aktionen wie wilde Streiks, das Blockieren von Schienen oder eine Besetzung und "Verwüstung" der Warenterminbörse durch Arbeitslose, wie vor zwei, drei Jahren in Paris doch wesentlich lieber!

Der "Aufstand der Anständigen" weist allerdings auch auf tiefgreifende Schwächen der Herrschenden hin. Denn zum einen ist er ein Beleg ihrer sozialen Schwäche (die auch in der leichten Reizbarkeit Schröders bei Protesten wie am 1 .Mai 2000 in Hannover oder der EXPO-Eröffnung einen Monat später deutlich wird), da sie sich auf keine spontanen Massenbewegungen und auch nicht auf wirklich in den Massen verankerte und angesehene Organisationen stützen können. Weder die Parteien SPD und Grüne noch der DGB stellen derartiges dar. Dieser Spießbürger-"Aufstand" mußte von oben einberufen werden und beschränkt sich bei der übergroßen Mehrheit seiner Teilnehmer bisher auf die Bereitschaft einmal zu einer entsprechenden Demo oder Kundgebung zu gehen, die nach Möglichkeit gleich mit einem Gratis-Konzert "gegen Rechts" kombiniert sind. Ansonsten wirken sie im wesentlichen durch entsprechende Meinungsäußerungen in Kneipe, Kantine oder Schulzimmer und wenn nötig einem Anruf bei der Polizei bzw. einem kritischen Leserbrief in der Lokalzeitung, wenn die zu blind ist. (Funktionäre, manche ernsthaft bewegte, unerfahrene Jugendliche und einige desorientierte Linke oder im Mainstream mitschwimmende Antifas tun für diesen "Aufstand" natürlich etwas mehr.)

Zum anderen zeigt sich hier eine tiefgreifende ideologische Schwäche und eine nochmalige Rechtsverschiebung der "Neuen Mitte" und des gesamten politischen Spektrums. Die Rhetorik der Schröderschen Aufrufe zum "Aufstand der Anständigen" strotzen nur so von rechtspopulistischen Versatzstücken, die den Rahmen bürgerlich-demokratischen Denkens deutlich überschreiten. Nicht nur, daß "die Anständigen" (wahlweise auch gleich "die anständigen Deutschen") bisher ein Bezugsrahmen der REP's, der DVU und von Jörg Haiders FPÖ waren (Haiders Leitspruch: "Wir sind die Partei der Tüchtigen und Anständigen.") wird auch der Saubermann-Diskurs gepflegt (Schröder: "Das Verbot der NPD ist ein Akt politischer Hygiene."). Darüber hinaus wird der starke Führer herausgekehrt und "law and order" versprochen (Schröder: "Jetzt wird eisenhart durchgegriffen.") Wenn man die diversen Schröderschen Sündenbock-Kampagnen (mal waren es "die faulen Lehrer", dann "die kriminellen ausländischen Jugendlichen" und neuerdings "die arbeitslosen Drückeberger", für die es "kein Recht auf Faulheit" gibt) und die "Ich bin stolz ein Deutscher zu sein"-Debatte dazu nimmt, der in der "rot-grünen" Regierungskoalition am deutlichsten vom originärsten Vertreter des Großkapitals - dem Wirtschaftsminister Müller - entgegengetreten wurde, während der überwältigende Rest CDU/CSU und FDP (!) inhaltlich kaum widersprach, wird das ganze Ausmaß dieser ideologischen Krise deutlich.

Aus dem Gesagten ergibt sich klar, daß die erste zentrale Maßnahme des "Aufstandes der Anständigen" - das Verbot der NPD - unter den gegebenen Umständen ebenso abzulehnen ist wie - grundsätzlich - die Schnellgerichte, Verstärkung und Ausweitung der Befugnisse des Bundesgrenzschutzes, Führerscheinentzug etc., die als Begleitmaßnahmen dienen sollen. Dies nicht aus einer dogmatischen Ablehnung staatlicher Verbote rechtsradikaler Organisationen heraus, sondern aufgrund des konkreten Charakters dieses Verbotes. Das Verbot und die Auflösung solcher Organisationen kann auch im Rahmen des kapitalistischen Systems ein Fortschritt sein, wenn sie von einer starken antifaschistischen und Arbeiterbewegung auf der Basis ihrer politischen Positionen und Klasseninteressen erzwungen und von ihnen selbstständig und entschlossen kontrolliert wird. (Auf diese Weise wurde z.B. 1931 / 32 die Forderung nach Verbot der SA von der Linken gestellt!)

Ähnlich wie z.B. das Gesetz über die Einführung des 8-Stunden-Tages bedeutet es unter solchen Umständen eine Verbesserung der materiellen Lage, einen enormen Schub für das Selbstvertrauen und eine Verbesserung der Kampfbedingungen für die Linke, die Immigranten, kulturell "Andersartige" etc. In diesem Fall wäre es sicherlich eine Reform, muß deshalb aber nicht im schlechten (abwieglerischen und Illusionen verbreitenden) Sinne "reformistisch" sein - vorausgesetzt es ist in eine längerfristige Strategie für "den Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung" (Marx + Engels im "Kommunistischen Manifest") und die Verwirklichung einer von Ausbeutung und Unterdrückung freien (man könnte auch sagen: sozialistischen) Gesellschaft eingebettet und trifft auf dafür günstige materielle Bedingungen. Solange die Linke und "die Verdammten dieser Erde" nämlich nicht selbst dauerhaft das Gewaltmonopol ausüben, kommt man schwerlich daran vorbei auch Forderungen an "den Staat" zu stellen, sofern man sich nicht auf "das Träumen von Utopien" beschränken will!

Wie bei jeder politischen Forderung oder Maßnahme muß man sich auch bei diesem Verbotsantrag gegen die NPD die Frage stellen: "Wem nützt das und in welche Richtung bewegt sich das ?" Die Antwort haben wir oben gegeben und es ist wohl klar, daß die Unterstützung kapitalistischer Standortpolitik, die Formierung eines - im besten Adenauerschen Sinne - antitotalitären und wirtschaftsliberalen Spießbürgertums ebenso wie die Verteidigung des bürgerlichen Gewaltmonopols den Interessen einer Antifa-Bewegung und Linken, die sich ernst nehmen und nicht zum nützlichen Idioten der Herrschenden machen lassen wollen, diametral entgegengesetzt ist. Insofern ist dieser "Aufstand der Anständigen" ideologisch und politisch auf das Schärfste zu bekämpfen, auch wenn es im Einzelfall sinnvoll sein kann, daß Antifaschisten (in einem eigenem Block und mit eigener Plattform !) und "die Anständigen" am selben Ort und zur selben Zeit gegen die NPD oder die "Freien Kameradschaften" demonstrieren. Doch dazu später mehr...

5. Was ist eigentlich Faschismus ? Und was ist Rechtspopulismus?

Faschismus ist, was seinen gesellschaftlichen Inhalt anbelangt, eine der Formen der offen terroristischen Diktatur des Kapitals. Andere Formen sind beispielsweise die Militär- oder die Präsidialdiktatur. Im Gegensatz zu diesen verfügt der Faschismus über konterrevolutionäre Massen- und Kampforganisationen, die das Gegenstück zu entwickelten, revolutionären Massenorganisationen der Arbeiterbewegung und der revolutionären Intelligenz bilden. In seiner politischen Erscheinungsform ist er aber zugleich auch die Diktatur der faschistischen Führungsclique und ihrer Agenten über die Bourgeoisie und ihre Parteien (die liberalen, konservativen, nationalistischen etc.). Voraussetzung für die unerläßliche Zustimmung der Bourgeoisie zur faschistischen Machtergreifung ist, daß sie selbst bereits nicht mehr, die Arbeiterklasse und mit ihr verbündete Klassen und Schichten aber noch nicht, in der Lage ist zu herrschen.

Die aus deklassierten / asozialen Elementen aller Klassen und Schichten (mit einem Schwerpunkt im Kleinbürgertum und im Lumpenproletariat) zusammengesetzte faschistische Bewegung gelangt durch einen konterrevolutionären Staatsstreich mit Billigung der herrschenden Klasse an die Macht, nachdem ihre Kader und Sympathisanten zuvor erfolgreich den bürgerlichen Staatsapparat infiltriert haben. Der Faschismus verselbständigt nach erfolgtem Staatsstreich die Exekutive und verschmilzt sie mit der faschistischen Partei und ihren paramilitärischen Kampforganisationen. Er bedeutet Konterrevolution auf allen Ebenen: Zerschlagung der bürgerlichen Demokratie, des Parlamentarismus, der bürgerlichen Rede-, Presse- und Organisationsfreiheit, Beseitigung des Streikrechtes, der unabhängigen Gewerkschaften, diverser sozialer und kultureller Errungenschaften sowie aller anderen Parteien.

Der Faschismus richtet sich als vorbeugende Konterrevolution in erster Linie gegen die Arbeiterbewegung und ihre Organisationen, von denen er einzelne Elemente und Symbole entlehnt, die er dann in seinen reaktionären Kontext einbaut. Er kann nur zur Macht gelangen in einer vorrevolutionären Situation, in der die Bourgeoisie zur Gewährung des - jede bürgerliche Demokratie begründenden - Mindestmaßes an sozialen Zugeständnissen, aufgrund einer zugespitzten strukturellen und existenziellen Krise des Kapitalismus, nicht mehr fähig ist. Der Faschismus sorgt hier für eine neue Legitimation der bürgerlichen Klassenherrschaft durch eine scheinrevolutionäre, aggressiv nationalistische und oftmals auch rassistische Ideologie inklusive einer sozialen Demagogie, die die Kritik am Kapitalismus auf das "raffende" Kapital begrenzt und ablenkt. Darüberhinaus werden bei den einzelnen Anhängern asoziale Hoffnungen auf individuelle Bereicherung bzw. Beute im inneren konterrevolutionären Bürgerkrieg und im äußeren imperialistischen Eroberungskrieg geweckt.

Da materielle Zugeständnisse dennoch nur für eine Minderheit möglich sind und sein angeblicher Antikapitalismus sich nach der Machtergreifung relativ schnell selbst entlarvt, kann der Faschismus selbst andere reaktionäre Parteien nicht neben sich dulden. Er muß deshalb für eine möglichst vollständige Durchdringung und totale Mobilisierung der Gesellschaft durch ein ganzes Netz gleichgeschalteter Massenorganisationen (die zugleich Verlängerungen seiner Geheimdienste sind) sowie für eine permanente Notstandssituation sorgen, in der "der Führer" jeden Tag aufs Neue "das Vaterland retten" kann und - je nach aktuellem gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnis - den einen nimmt und den anderen gibt.

Rechtspopulistisch ist eine Bewegung, die sich im Kern durch das Aufgreifen und Besetzen von in der Bevölkerung vorhandener Ängste, Parolen, Stimmungen und Symbolen mit einer reaktionären und gegenreformerischen Zielsetzung auszeichnet. Dieses "Volksempfinden" bzw. die Stammtischparolen, in denen es sich ausdrückt, werden vom Rechtspopulismus gebündelt, verschärft und gegen den herrschenden Machtblock, die ihn vertretenden bürgerlich-demokratischen Politiker und Parteien sowie gegen gesellschaftliche Minderheiten in Stellung gebracht, die als Sündenböcke für die vorhandenen Mißstände herhalten müssen. Rechtspopulisten versprechen (mit reaktionärer Stoßrichtung) allen alles und gebährden sich sogar dann auf aggressivste Weise als Vertreter des "kleinen Mannes", wenn sie selbst Großgrundbesitzer oder Großkapitalisten sind (wie Jörg Haider / FPÖ oder Christoph Blocher / Schweizerische Volkspartei - SVP).

Der entscheidende Unterschied zum Faschismus ist das Fehlen einer gemeinsamen Ideologie (wie dem biologistisch-rassistischen "deutschen Sozialismus" bspw. der NS-ldeologie) und einer darauf aufgebauten konterrevolutionären Partei samt paramilitärischer Kampforganisation. Dafür verantwortlich ist das Fehlen einer den faschistischen Machtergreifungen entsprechenden historischen Situation, d.h. einer existenziellen Krise des Kapitalismus mit allen (drastischen Konsequenzen für die Lebenssituation der breiten Massen. Rechtspopulistische Organisationen (wie die REP, der Bund freier Bürger, die FPÖ, die Lega Nord oder der Front National) sind relativ lose Organisationen deklassierter reaktionärer Abenteurer, die nicht über die bei den bürgerlich-demokratischen Parteien übliche Verankerung in bestimmten Klassen verfügen und gedanklich nicht in der bürgerlichen Demokratie bzw. dem Parlamentarismus verwurzelt sind, ohne aber (noch) die Kraft zu einer eigenen konterrevolutionären Ideologie und Aktion aufzubringen, auch wenn ihre Führer und Aktivisten nicht selten eine faschistische Vergangenheit haben und Elemente faschistischer Ideologie in den eigenen Diskurs mit aufgenommen werden. Sie sind dadurch zwar flexibler, aber auch abhängiger von den erwähnten Stimmungen und n den Rahmen der bürgerlichen Demokratie gebunden, weil sie ihn nicht zu sprengen vermögen und sich eben auch gar nicht (mehr) darüber klar sind, ob sie das überhaupt wollen.

Bei einer Regierungsbeteiligung sind sie - trotz aller Kraftmeierei - der untergeordnete Part. Ihre Funktion dort ist es, im Austausch für vorübergehendes Prestige und die materielle Versorgung ihrer Spitzenleute (bzw. die Illusion von Macht) ihre desorientierte Anhängerschaft für eine, deren Interessen zumeist diametral widersprechende Politik einzuspannen und zu vemutzen. Und zwar für einen (weiteren) Durchbruch beim Sozialabbau, der Umverteilung von unten nach oben und dem Bruch politischer und ideologischer Tabus. Denn wie zuletzt das Beispiel FPÖ gezeigt hat und demnächst das Beispiel MHP in der Türkei zeigen wird, wird ihnen ihr Erfolg unter den für sie widrigen Bedingungen eines Parlamentarismus, den sie nicht beseitigen können, zum Verhängnis. Außerdem fehlt ihnen schlicht ein gemeinsames politisches Programm.

6. Wie stark sind die Rechtsradikalen ? Welche Gefahr geht von ihnen aus und haben sie noch eine Funktion für die herrschende Klasse ?

Die Herrschenden nutzen für ihren Angriff auf das rechtsradikale Lager die Tatsache, daß dieses insgesamt und mindestens westeuropaweit seinen Zenit deutlich überschritten hat und sich in einer Periode allgemeiner und grundlegender Schwäche befindet, ohne daß es deshalb verschwinden oder gänzlich ungefährlich würde. Unseres Erachtens wird dieser Zustand aufgrund der sozialen und politischen Gesamtkonstellation zumindest 5-10 Jahre dauern.

Doch im Einzelnen:

Die Zeit der REP und DVU-Wahlerfolge mit Ergebnissen von 10 - 13% in Bundesländern wie Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt sind ebenso vorbei wie NPD-Aufmärsche mit 5 000 Teilnehmern, wie anläßlich der Wehrmachtsausstellung in München, oder mit 1 000 bis 2 000 Nazis bei diversen Gelegenheiten in Ostdeutschland. Die REP's stagnieren bundesweit bei 2 % und landen selbst in ihrer Hochburg Baden-Württemberg deutlich unter der 5%-Hürde. Die DVU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt hat sich auch in den Augen vieler ihrer Wähler desavouiert und ist organisatorisch hoffnungslos zersplittert. Ein neuer kostenintensiver Wahlkampf des DVU-Chefs und Multimillionärs Gerhard Frey verspricht wenig Rendite und wird daher wohl unterbleiben. Die mit seinen Strohmännern und -frauen in Magdeburg gemachten Erfahrungen wird er auch mit noch so viel Geld nicht wegwischen können. Der rechtspopulistisch-nationalliberale FDP-Flügel um von Stahl ist ebenso in der Versenkung verschwunden wie der Bund freier Bürger. (Daran ändert auch eine glühende "Ich bin stolz 1 Deutscher zu sein !"-Rede von Guido Westerwelle nichts. So ernstzunehmend die ist.) Die NPD ist auf der Wahlebene nicht in der Lage, auch nur einen markanten Teil dieser enttäuschten rechtsradikalen Protestwähler aufzufangen. Sie liegt im Osten durchschnittlich bei 1% und im Westen bei 0,3% - Tendenz: stagnierend. Organisatorisch lebt sie stark vom Bündnis mit den Neonazi-Aktivisten der "Freien Kameradschaften", die ihr allerdings nicht nur vorm Bundesverfassungsgericht zum Verhängnis werden. Sie sind offenkundig auch dem breiten rechtsradikalen Publikum zu extrem und zu politikunfähig. Ansätze zu einer Neuformierung rechtspopulistischer Parteien wie etwa der "Law & Order"-Partei des geschaßten Richters Schilf in Hamburg bleiben in den Startlöchern stecken.

Der entscheidende Grund dafür ist die Erfahrung, daß auch rechtspopulistische Parteien in den gut 10 Jahren, die es sie in der BRD gibt, für ihre Klientel wenig bewirkt haben. Eine Erkenntnis, die bei relativ "bewußtlosen", für Demagogie anfälligen, deklassierten Teilen der Massen zwar relativ lange braucht, um durchzusickern, aber auch beim Dümmsten fällt der Groschen irgendwann. Es handelt sich hier tatsächlich um eine der "Entzauberung" des Rechtspopulismus geschuldete grundsätzliche Abschwungsperiode der Rechtsradikalen und nicht um eine momentane Flaute, wie nach 1990 aufgrund der "Verdienste" Helmut Kohls und der CDU/CSU um die Wiedervereinigung.

Bei den rechtsradikalen Schlägern und Nazi-Aktivisten überwiegt das Interesse, die Personifizierung asozialen Hasses zu sein und sich über den Straßenterror und radikale Selbstdarstellung Bestätigung zu holen die ideologische Überzeugung und den Willen zielgerichtete neofaschistische Politik zu machen. Das führt dann bei Mangel an Linken und Immigranten als Zielscheibe dazu, daß in nicht geringer Zahl auch Bundeswehr-Rekruten (in Mecklenburg-Vorpommern z.B.), deutsche Camper oder holländische Touristen (die ja immerhin auch "Arier" sind) von ihnen zusammengeschlagen wurden. Dieser wahllose Terror und die Lust daran, Bürgerschreck zu sein, hat zu ihrer weitgehenden Isolierung auch bei vielen rechtsradikalen Protestwählem geführt, denn Hooliganismus ist auch dort nicht besonders beliebt.

Insgesamt gibt es in der gegenwärtigen historischen Situation ebensowenig eine Grundlage für massenhaften Neofaschismus wie für eine massenhafte revolutionäre Linke. Das ist keine totalitarismustheoretische Gleichsetzung, sondern beruht auf der Tatsache, daß beide derselben Voraussetzung bedürfen, nämlich einer offenkundigen existenziellen Krise des Kapitalismus und des bürgerlichdemokratischen Systems. Auch für Neofaschisten gilt: "Die herrschenden Gedanken sind weiter nichts als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse, die als Gedanken gefaßten materiellen Verhältnisse." (Marx und Engels in "Die deutsche Ideologie", MEW Band 3, S.46) Die Macht muß zum Gedanken und der Gedanke zur Macht drängen. Insofern besteht in der bürgerlichen Gesellschaft zwischen links und rechts, zwischen radikaler Rechter und radikaler Linker sowie zwischen revolutionären (sozialistischen) und konterrevolutionären (faschistischen) Bestrebungen und Kräften immer ein qualitatives Gleichgewichts- und antagonistisches (= in unversöhnlichem Widerspruch stehendes) Wechselverhältnis. Das heißt es existieren immer beide Pole / beide Waagschalen und "nur" wieviel (quantitatives) Gewicht sie jeweils haben, hängt von der jeweiligen politischen Entwicklung ab.

Das weitere Schicksal der radikalen Rechten insgesamt wird aber auch nach einem erfolgten NPD-Verbot (an dessen Verhängung es aus den geschilderten Klasseninteressen und aus Gründen der Staatsraison keinen ernsthaften Zweifel mehr geben kann) anders sein als nach dem Ende der NPD-Wahlerfolge 1969 / 70. Da sich der Kapitalismus heute nicht annähernd in einer derartigen Prosperitätsphase befindet und die Anziehungs- und Integrationskraft der "Volksparteien" sich seit damals - gerade aufgrund der faktischen Großen Koalition von Grünen bis CSU in der "Neuen Mitte" - massiv verringert hat, ist keine vergleichbare Absorbierung dieses Lagers zu erwarten. Es wird zwar für's Erste massiv in die Enge getrieben werden, doch ein wahrnehmbarer Sockel rechtspopulistischer Wähler (ca. 2% für die Republikaner bundesweit) und eine Rumpforganisation wird weiterexistieren.

Aus der neonazistischen Ecke wird auf das NPD-Verbot sicherlich mit einer kurzen Phase intensivierten und noch blutigeren faschistischen Terrors bis hin zu militärischen Aktionen (Schußwaffenattentate, Bombenanschläge, Banküberfälle....) reagiert werden. Doch das erfolgt dann in einer Situation des Niedergangs und der Isolation und da ist Terror immer ein Zeichen von Ohnmacht. Etwas, daß sich nicht dadurch ändert, daß die verbliebenen Nazis noch radikaler werden. Es führt eher dazu, daß sie vom Staatsapparat relativ schnell aufgerieben werden, denn faschistischer Terror hat ohne die Rückendeckung durch den bürgerlichen Staat noch nie lange überlebt.

Auch in Sachen NPD-Nachfolgeorganisation wird dieser Staat schon des eigenen Ansehens und der eigenen Glaubwürdigkeit wegen zunächst nicht mit sich spaßen lassen. NPD und "Freie Kameradschaften" werden für mehrere Jahre auf das Niveau einer diffusen, halbklandestinen und teilweise entpolitisierten Subkultur reduziert werden. Das abgekupferte Autonomenkonzept der sog. "Freien Kameradschaften" wird dabei in der Antifa-Bewegung stark überschätzt. Ohne den politischen Rückhalt eines breiten rechtsradikalen Lagers, das sich auch bei Wahlen ausdrückt und unter dem Druck staatlicher Repression ist die politische Wirkung einer solchen Subkultur marginal.. Das zeigt auf der Linken auch die tiefgehende Krise der autonomen Szene seit die Autonomen nicht mehr "der militante Arm" der Grünen sein können und sich (aufgrund von deren Schmusekurs mit der "Neuen Mitte") weder die PDS noch irgendwelche linken Teile des DGB als Ersatz anbieten.

Gleichwohl steht aufgrund der tiefgreifenden Umwälzungen, die die ehemalige DDR und ihre Bevölkerung in den letzten 10 Jahren erlebt haben (völlige Zerschlagung der staatlichen und sozialen Strukturen, Diskriminierung durch den Westen, Entwertung der individuellen Biographien, weitgehende wirtschaftliche Perspektiviosigkeit...) -"ein großer Prozeß der sozialen Auflösung", wie Antonio Gramsci das in bezug auf Süditalien nannte - Ostdeutschland ein besonderes Problem bleiben. D.h. ähnlich wie seinerzeit der Mezzogiomo wird auch der Osten Deutschlands wahrscheinlich für längere Zeit "ein Hort der Konterrevolution" bleiben, der nur sehr langsam zu beseitigen ist. Das ist wahrscheinlich, weil dort angesichts der sozialen Situation die Berufung auf die Fürsorgepflicht des deutschen Nationalstaates gegenüber seinen deutschen Untertanen einen relativ plausiblen und naheliegenden Strohhalm darstellt und weil soziale Deklassierung und Atomisierung sowie ein Mangel an Selbstvertrauen dort noch verbreiterter und schärfer sind als im Westen. Und das war schon immer eine gute Grundlage für Rechtsradikalismus und entsprechende "Führer".

Was den Populismus in der gesamten BRD und in Westeuropa (aber auch darüber hinaus) anbelangt, ist für die nächsten Jahre eher das Aufleben eines durch Leute wie Bourdieu, Bove, Naomi klein und die Zeitung "Le Monde diplomatique" inspirierten Linkspopulismus im Rahmen der Anti-Globalisierungs-Bewegung zu erwarten (dazu unter 9. mehr). Dies deshalb, weil jetzt

1. die soziale Frage in direkter Form als Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital und zwischen Armen und Reichen neu gestellt wird (und nicht über den Umweg "Ausländerpolitik", Korruption des bürgerlichen Parlamentarismus etc.) und

2. weil die naive Bejahung ebenso wie die nationalistischen Antworten auf EU-Binnenmarkt, Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) und Globalisierung insgesamt (d.h. die Standortpolitik des DGB genau wie das "Europa der Vaterländer" von REP, DVU & Co.) in die Krise geraten sind. Und sich Ansätze gemeinsamen internationalen Widerstandes von unten sowohl unter Jugendlichen wie in Betrieben (siehe die Solidarität bei Opel Bochum für die Belegschaft des GM Werkes in Luton, GB) wie auch bei DGB (Nizza-Demo) und anderen bisher glühenden Euro-Verfechtern wie IGM-Chef Zwickel (der plötzlich seine Begeisterung für Bourdieu entdeckt) wachsenden Zuspruchs erfreuen.

Anders als die AAB befürchtet, verfügt die Linke grundsätzlich schon über das Rüstzeug für eine kompetente Antwort auf die soziale Frage, die Globalisierung etc. und auch über einen Vertrauensvorschuß in den Massen diesbezüglich. Sie muß es sich nur wieder aneignen bzw. ihn in der Praxis bestätigen. Wenn uns dies gelingt, wird der Rechtspopulismus in den kommenden Jahren nur eine untergeordnete Rolle spielen. Dies wäre also die beste Antifa-Arbeit!

Daran ändert auch die Wahl von George W. Bush in den USA und der absehbare Wahlerfolg Beriusconis in Italien nichts. Beides ist kein Neuaufschwung des Rechtsradikalismus, sondern eine verschärfte, noch reaktionärere Version der neoliberalen "Neuen Mitte". Eine Version, die die bisherige Politik insbesondere in der Steuerpolitik durch noch dreistere Umverteilung von unten nach oben und in Sachen kulturelles Rollback noch einmal steigern will. Womit sie allerdings auch die Betroffenen noch stärker zum Widerstand provoziert. Zumal ihre Basis in der Bevölkerung alles andere als solide ist. (Nach absoluten Stimmen war Bush der Wahlverlierer gegen Gore.)

In jedem Fall wird Rechtsradikalismus, soweit er in den nächsten Jahren eine Bedeutung erlangt, dies mehr denn je als eigenständiges und eigendynamisches Phänomen tun, da seine Funktion für das kapitalistische System (ideologischer Eisbrecher, Terrorreserve, Machtreserve, Beschäftigungstherapie für die Linke ...) -und damit auch die staatliche Rückendeckung - deutlich reduziert sein werden.

7. Ist die Erweiterung von Antifaschismus durch Antikapitalismus sinnvoll und machbar?

Auch wenn die Parole der achtziger Jahre "AntiFa heißt Angriff' das Gegenteil suggeriert, ist AntiFa immer reaktiv und defensiv und daher langfristig nicht erfolgversprechend. Antifaschismus bleibt - neben der eigentlichen, linken Politik -allerdings wichtig als physische und ideologische Selbstverteidigung der Linken; quasi als Flankenschutz ihrer eigentlichen Politik. Das gilt im Osten natürlich sehr viel mehr als im Westen.

Für einen "radikalen" - das heißt an die Wurzel des Problems gehenden - Antifaschismus halten wir einen Brückenschlag von antifaschistischer Arbeit hin zu antikapitalistischen Kämpfen für unabdingbar. Die veränderte gesellschaftliche Situation, in der Antifaschismus zum staatlich getragenen Anti-Extremismus degeneriert ist, ist daher nicht nur deprimierend, sie eröffnet auch Perspektiven für einen neuen Anfang: AntiFa ist dabei nicht mehr der Dreh- und Angelpunkt für unseren politischen Ansatz; die AntiFa-Szene muß den Sprung hinaus in die Gesellschaft wagen und soziale Auseinandersetzungen in ihre Arbeit mit einbeziehen.

Bedauerlicherweise ist die Arbeit auf diesem Feld weniger spektakulär und spannend, als die Jagd auf Nazi-Glatzen - auch die Anknüpfungspunkte springen nicht immer ins Auge. Um Enttäuschungen zu vermeiden weisen wir noch mal darauf hin, daß kurzfristige Erfolge hier eher selten zu erwarten sind; vielmehr ist eine mittel bis langfristige Aufbauarbeit angesagt. Die Lage ist dennoch nicht hoffnungslos, vereinzelt kommt es ja schon zu Solidarisierungseffekten, wie bei dem AA/BO-Block auf der Euromarsch-Demo in Köln 1999. Allerdings hätten wir uns gewünscht, daß die angereisten AntiFas die Gelegenheit nutzen, um mit dem Rest der Euromarschierer in Kontakt zu kommen, und nicht nur ein kurzes Demo-Gastspiel bieten.

Antikapitalistische Aktion könnte beispielsweise heißen mit Flugblättern vor Arbeitsämtern gegen die "Drückeberger-Hetze" der "Neuen Mitte" zu halten und sich mit lokalen Arbeitslosengruppen zu Aktionen zusammenzuschließen. Auch Berufsschulen sind nach unseren Erfahrungen ein gutes Feld für Informations- und Mobilisierungsarbeit, auf dem sich Antifaschismus und soziale Kämpfe nahezu zwanglos verbinden lassen. In Hannover haben wir außerdem gute Erfahrungen mit einem losen Diskussionsforum gemacht, in dem linke Gewerkschafter und linksradikale Gruppen gemeinsam Diskussionsveranstaltungen zu aktuellen nationalen und internationalen sozialen Kämpfen organisieren und dabei auch linke Gewerkschafter aus Frankreich, Dänemark, Großbritannien etc. Einladen.

In der Spielart der Anti-Globalisierungsbewegung hat antikapitalistische Politik zudem eine Wiederbelebung erlebt, die auch dem kampferprobten AntiFa-Aktivisten zusagen dürfte - die Straßenschlacht aus Göttingen oder Kreuzberg findet mittlerweile auch an touristisch interessanten Locations wie Prag oder Nizza statt. Auch wenn wir grundsätzlich begrüßen, daß auf diese Weise wieder der Kapitalismus als Gegenstand der Kritik im öffentlichen Bewußtsein sichtbar wird, müssen wir an dieser Stelle vor überzogener Euphorie warnen: Die Kritik der Anti-Globalisierungs-Bewegung reduziert sich in der Regel darauf, die Auswüchse des Neo-Liberalismus anzuprangern. Implizit enthält diese Form der Kritik die Schlußfolgerung, ein geregelter, gerechter Kapitalismus könne auch die Armut in der Welt beseitigen, wobei Kapitalismus eh nur noch als entpolitisierte Worthülse auftaucht. Klassenkampf. Klassen oder gar die Abschaffung des Kapitalismus finden dagegen in diesem Diskurs keinen Platz, stattdessen geht es nur noch um "Arme" und "Reiche" und die Politik wird in den "symbolischen Raum" verlagert. Dabei kommen dann solche Aktionen wie der Angriff auf McDonalds-Filialen raus - im Prinzip nicht schlecht, McDonalds ist ein gewerkschaftsfeindlicher Schweineladen mit extrem miesen Arbeitsbedingungen und die kulinarischen Dimensionen dieser Auseinandersetzung sind auch nicht zu verachten, ob das allerdings zur Abschaffung der weltweiten Ausbeutung substanziell beiträgt, ist jedoch zu bezweifeln. Insgesamt präsentieren sich die ideologischen Stichwortgeber der Anti-Globalisierungs-Bewegung als schlechte Neuauflage der 68er. Bei derartigen Beschränkungen wundert es wenig, daß auch der Moralismus wieder auftaucht und Lösungen wie ein "No Label-Welthandel vorgeschlagen werden (die die Gebrüder Albrecht sicher verschärft begrüßen), mit denen der gewissensgeplagte bildungsbürgerliche Mittelschichtler per Konsumauswahl die korrekte Gesinnung signalisiert, aber sonst nichts an den Verhältnissen ändern muß.

Wir können an dieser Stelle die Anti-Globalisierungs-Bewegung nicht vollständig durchdiskutieren - wir begrüßen aber grundsätzlich das Wiederaufleben von Anti-Kapitalismus. Die AntiFa kann der größtenteils von Mittelschichtler geprägten Anti-Globalisierungs-Bewegung aufgrund ihrer Tradition und Zusammensetzung einige erfrischende Impulse beisteuern. Die Tradition der unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem Gegner, der historische Bezug auf die Kämpfe der Arbeiterbewegung und die bodenständigere Zusammensetzung der Bewegung könnte dazu beitragen, die Anti-Globalisierungsproteste zu radikalisieren und zu politisieren.

8. Braucht die Antifa und die Linke in Deutschland eine neue Art des Denkens ?

Ja. Es ist mehr ist überfällig, den Subjektivismus und Moralismus mitsamt dem daraus resultierenden Voluntarismus, die ein schlechter (und im Laufe der Jahre immer weiter degenerierter) Teil des Erbes der 68er Bewegung und der Frankfurter Schule sind, zu überwinden. Und damit einhergehend den Alarmismus oder Katastrophismus, d.h. die Tatsache, daß große Teile der Linken und der Antifa anscheinend nur dann Politik machen wollen und können, wenn die größtmögliche Katastrophe droht. Weshalb sie sich standhaft weigern, auch die Schwächen und inneren Widersprüche des Gegners ernsthaft in die eigene Analyse einzubeziehen und das mit "Verharmlosung" verwechseln.

Es ist Zeit für eine Renaissance historisch-materialistischen Denkens in der antifaschistischen Bewegung und in der Linken. Und es ist Zeit den mehr als kleinkarierten Empirismus (die "Erbsenzählerei", um es volkstümlich auszudrücken) zu Grabe zu tragen, der das Markenzeichen des Fahndungs-Antifaschismus in unseren Reihen ist. Was die Antifa-Bewegung bitter nötig hat, ist die Wiederaneignung einer dialektischen Denkweise, die über die Erscheinungsebene hinausgeht und die Dinge in ihrer Widersprüchlichkeit, ihrer Bewegung und ihren allgemein-gesellschaftlichen, d.h. ökonomischen, politischen und kulturellen, Zusammenhängen sieht und analysiert. Wie wenig eine auf die rechtsradikalen Gruppen und Organisationen selbst begrenzte nur empirische Recherche (Wer hat wo welchen Aufkleber geklebt ? Wer hat wann mit wem in welcher rechten Zeitung gleichzeitig einen Artikel veröffentlicht? Wieviele Nazis waren bei welchem Kameradschaftsabend ? Und wo wohnen die Teilnehmer der letzten NPD-Demonstration ?) über deren gesellschaftliche Bedeutung und weitere Entwicklung aussagen und den Weg zu einem längerfristig erfolgreichen antifaschistischen Kampf weisen kann, haben die letzten 25 Jahre wohl gezeigt.

Man kann Neofaschismus und Rechtspopulismus nicht aus sich selbst heraus erklären und einschätzen. Man muß über diesen Tellerrand hinausgehen, nach den sozialen Problemen, Konflikten und Interessen fragen, die darin - auf reaktionäre und asoziale Weise - zum Ausdruck kommen. Nicht um dann den Nazi-Schlägern oder den rechtsradikalen Stammtischdemagogen verständnisvoll über's Haar zu streichen, sondern um ihnen das Wasser abgraben und sie vernichtend schlagen zu können.

Nur ein ganz profanes Beispiel: Wie soll es beispielsweise möglich sein, das Phänomen Silvio Berlusconi (der in gut einem Monat mit ziemlicher Sicherheit zum zweiten Mal italienischer Ministerpräsident werden wird) und seiner Partei Forza Italia ernsthaft zu erfassen, ohne eine Analyse seines FININVEST-Konzems (des nach FIAT zweitgrößten in Italien), seiner Stellung in der italienischen Kapitalistenklasse und der gesamtgesellschaftlichen Gründe seines Aufstiegs und seines Comebacks ? Und reicht bei der Analyse seines wichtigsten Koalitionspartners Alleanza Nazionale (AN) eine rein formale Begriffskrücke wie "Post-Faschisten" (Nach-Faschisten) als Klassifizierung aus ? Ist es nicht nötig, über die Erinnerung an ihre wichtigste Vorläuferorganisation (den neofaschistischen MSI) hinaus, ihre immanenten Widersprüche, internen Kämpfe, Spaltungen, Neueinflüsse (aus rechtsliberaler und rechtskonservativer Ecke) und die veränderte historische Situation in die Analyse einzubeziehen und sogar für wichtiger zu nehmen ? Bei der Klassifizierung des ehemaligen rechten Mehrheitsflügels der Kommunistischen Partei Italien (PCI), der sich heute in die "Linksdemokraten" (DS) verwandelt hat und als wichtigste Regierungspartei einen strammen "Neue Mitte"-Kurs fährt oder des Herrn Trittin in Deutschland, als "Post-Kommunisten", wüßte so ziemlich jeder Linke oder Antifaschist, welche Aussagekraft der zweite Teil dieses Begriffes angesichts der Realität dieser Akteure heute hat.

In einigen der Texte zu diesem Kongreß war das Bemühen spürbar Subjektivismus und Voluntarismus zu überwinden und zu einer theoretisch fundierteren, "angemessene(ren) Erklärung / Erfassung gesellschaftlicher Realität" zu kommen, damit die Antifa "analytisch" wieder "etwas vorzugeben hat (AAB-Papier "Hey Friends" S.1). Das ist ein sehr begrüßenswerter Schritt, doch der notwendige qualitative Sprung ist das noch nicht. Noch immer dient die gesellschaftlich Analyse, das Ausfindigmachen materieller Bedingungen des eigenen Kampfes mehr dazu, die "Aktionen", die man ohnehin machen will, nachträglich analytisch zu unterfüttern und notdürftig abzustützen.

Das liest sich im AJAL-Text "Antikap wie weiter ?" dann so: "Weiterhin besteht die Notwendigkeit, anhand dieser Kritik Bedingungen aufzuzeigen, welche die Forderung nach einer alternativen Gesellschaft vorwärts bringen sollen." Und die Genossinnen und Genossen derAAB selbst meinen in ihrem Text zu diesem Kongreß: "Auswirken soll sich die Diskussion auf Begründungen, Motivation und formulierte Ansprüche der Aktionen." Die beabsichtigten "Aktionen" stehen im Groben schon fest, sind die feste Achse, um die sich alles dreht, und erfahren durch die "gesellschaftstheoretischen Diskussionen" nur noch ihren letzten Schliff bzw. kriegen noch schnell einen notdürftigen Stützpfeiler untergeschoben. Dabei muß es genau umgekehrt laufen:

Man analysiert zuerst die Gesellschaft, d.h. die soziale Lage, die materiellen Bedingungen und entscheidet dann, was aus antifaschistischer und linker Sicht sinnvollerweise zu tun ist - auch wenn das Ergebnis dann womöglich weniger spektakulär und weniger modisch ist als man es sich wünscht! Oder um es mit dem Marx zu sagen:

"Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen."
(Karl Marx: "Der 18.Brumaire des Louis Bonaparte", MEW 8, S. 111)

Es ist mehr Mut zur geistigen Bewegung, mehr Totengräberarbeit vonnöten. Es reicht nicht aus, auf halbem Weg stehen zu bleiben, denn auch und gerade nach der 68er Bewegung gilt: "Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirn der Lebenden.... Die Revolution des 19. Jahrhunderts muß die Toten ihre Toten begraben lassen, um bei ihrem eigenen Inhalt anzukommen. Dort ging die Phrase über den Inhalt, hier geht der Inhalt über die Phrase hinaus." (ebenda)

Auch für diejenigen Antifas und Linken, die mit der sozialistischen Revolution nichts am Hut haben, ist es wichtig, die Wiederentdeckung des Marxismus als bisher bestes geistiges Werkzeug zur Analyse des Kapitalismus und zur Entwicklung linker Politik nicht den intelligentesten und findigsten bürgerlichen Leitartiklern und Kommentatoren (von SZ, FAZ, Tagesthemen oder WDR) zu überlassen, die Marx zum "wichtig(st)en Globalisierungstheoretiker" erklären und darauf reduzieren. By the way: Ohne Hellseher zu sein, läßt sich jetzt schon voraussagen, daß sich die beliebtesten Vorurteile und Unterstellungen gegen den Marxismus dabei sehr schnell in Luft auflösen werden, denn weder Marx noch Engels noch Lenin haben je behauptet, daß "der Kapitalismus sich selbst zerstört" (AJAL-Text), Verelendung automatisch zu revolutionärem Bewußtsein führt, die Ökonomie alles entscheidet, mit der Lösung des Hauptwiderspruches (ja, wir benutzen dieses satanische Wort !) zwischen Lohnarbeit und Kapital alle anderen Widersprüche gleich mit gelöst würden oder ihre Lösung nur noch ein Kinderspiel sei etc. pp. Das alles sind Gassenhauer, die im Grunde nur dazu dienen, weiterhin "Politik" zu machen, wann und wie man gerade "Bock" hat und dabei - Luxus pur-gleich noch als theoretischen "Kenner" ausweisen sollen.

Doch wir wollen hier nicht nur das hohe Lied auf Marx und Engels singen. Bereits eine kurze aber ernsthafte Beschäftigung mit Giordano Bruno und ein Anknüpfen an seinen geistigen und physischen Kampf gegen die katholische Inquisition vor 400 Jahren wäre angesichts der sog. "Anti-Sexismus-" bzw. "Vergewaltigungsdebatte" in der autonomen Szene (und der autonomen Antifa), Gold wert. Es wäre die richtige Antwort auf eine autonome Szene-Inquisition, die immer bitterere Höhepunkte erreicht. Es wäre ein enormer geistiger Fortschritt - ein mächtiger Satz hinaus aus dem geistigen Mittelalter und der geistigen Umnachtung !

Und eine dialektischere und materialistischere Sichtweise würde auch zur Überwindung solcher anti-national-moralischen Pseudo-Kategorien wie "Rückkehr... zum deutschen Machtstaat" und Thesen wie "gerade weil Völkermord deutsche Tradition ist", dienen, die sich an prominenter Stelle im Aufruftext zum Kongreß finden. Was soll denn ein "Machtstaat" sein, wo doch jeder Staat nur existiert, weil er eine gesellschaftliche Organisationsform ist, die Macht über Personen und Sachen ausübt, die von ihrer "Staatsmacht" lebt ? Oder war der deutsche Staat bisher machtlos ? Bei der Ermordung von Benno Ohnesorg 1967, im Jahre 1977, beim KPD-Verbot 1956, bei Klaus-Jürgen Rattay, Olaf Ritzmann, Günter Sare und all den anderen ? Und was soll das spezifisch deutsche daran sein über die Selbstverständlichkeit hinaus, daß der in Deutschland existierende Staat der deutsche Staat ist ? Völkermord ist leider keine spezifisch deutsche Tradition, wie das massenhafte Abschlachten der Indios in Lateinamerika durch die spanischen Conquistadores und in Nordamerika durch die weißen Einwanderer, in China und Korea in den 30er und 40er Jahren durch das kaiserlich-imperialistische Japan und in den 60er und 70er Jahren in Vietnam durch das Flächenbombardement der USA gezeigt haben.

Wir halten es da mit dem Satz des "alten Stalinisten" Karl Marx:

"Ehe das Proletariat seine Siege auf Barrikaden und in Schlachtlinien erficht, kündigt es seine Herrschaft durch eine Reihe intellektueller Siege an."

Aus: Interim Nr. 526 v. 17.5.2001
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