Betrieb & Gewerkschaft
Marokko : Gewerkschaftlicher Erfolg gegen Repression - und neue gravierende Affäre

von Bernhard Schmid (Paris)
05/05

trend
onlinezeitung

Die Solidarität hat geholfen! Die Gewerkschafter aus dem Bergwerk von Imini, die wie berichtet (vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd0305/t280305.html ) wegen «Landfriedensbruch und Totschlags » zu 10 Jahren Haft verurteilt worden, sind seit dem 18. April dieses Jahres frei. Das Revisionsgericht im südmarokkanischen Ouarzazate hat im zweitinstanzlichen Urteil von jenem Urteil ihre Strafe reduziert, von 10 Jahren Haft auf zwei Jahre Bewährungsstrafe.

Die Gewerkschafter des Bergwerks von Imini waren am 15. April 2004 durch ein Rollkommando von bezahlten Schlägern und Streikbrechern angegriffen worden. Am Rande des Geschehens kam, unter völlig ungeklärten Umständen, eines der Mitglieder des Schlägertrupps ums Leben. Daraus war ein Totschlagsvorwurf an die Adresse der attackieren Gewerkschafter gebastelt worden. Im selben Zuge war auch Mohammed Khouyia, Chef der lokalen Sektion der Gewerkschaft CDT und Kommunalparlamentarier der neuen Linkspartei GSU, verurteilt worden, obwohl er sich am selben Tag nachweislich nicht in Imini aufhielt.

Vor dem Urteil des Berufungsgerichts war, auch international, der Druck stark gewachsen. Im nordfranzösischen Lille, in Brüssel und Amsterdam waren Solidaritätskomitees aktiv geworden. Unter dem massiven Druck der Öffentlichkeit musste das Revisionsgericht von Ouarzazate dieses Mal die Zeugen der Verteidigung anhören, die im erstinstanzlichen Prozess überhaupt nicht zu Wort gekommen waren. Den Zeugen der Anklage wurde ihrerseits ein bisschen stärker auf den Zahn gefühlt, vor einem über- und übervollen Saal, in dem zahllose Einwohner von Imini Platz genommen hatten. Und prompt fielen die Aussagen vieler von ihnen wie Kartenhäuser in sich zusammen, eine Reihe zuvor eidesstattlich niedergelegter Aussagen wurden sang- und klanglos zurückgezogen. Schließlich kam das Gericht nicht um die Feststellung umhin, dass der prominenteste Angeklagte Mohammed Khouyia zum fraglichen Zeitpunkt gar nicht vor Ort gewesen sein konnte. Dennoch schaffte es das Gericht nicht, einen klaren Freispruch zu formulieren. Mit der ausgesprochenen Bewährungsstrafe kamen die betroffenen Gewerkschafter jedoch am selben Abend noch aus dem Gefängnis von Ouarzazate frei und zogen im Triumphzug aus ihren Zellen aus.

  • Fotos von der vorausgegangen Solidaritätskarawane aus mehreren marokkanischen Städten nach Ouarzazate können hier angesehen werden: http://www.imini.skyblog.com

Neue gravierende Affäre

Doch eine neue Affäre hält derzeit die kritische Öffentlichkeit des Königreichs im Atem. Am 8. April dieses Jahres ist der "inspecteur du travail" (so heißen die Beamten der Arbeitsinspektion, die auf die Einhaltung der Arbeitsgesetze und sozialen Schutzvorschriften zu achten haben und bei Arbeitgebern nicht sonderlich beliebt sind) Zine Abidine Qacha in Marrakech zu 10 Jahren Haft verurteilt worden.

Vorgeworfen wurden ihm "Dokumentenfälschungen": Er soll im Jahr 1993 fälschlich rechtswidrige Entlassungen konstatiert haben. Möglich wurde eine Verurteilung auf dieser Grundlage durch eine, aus dem vormodernen Recht stammende, gesetzliche Vorschrift im marokkanischen Personenstandsrecht ("statut personnel", dem Zivil- und Familiengesetzbuch). Demnach gilt eine von 12 Personen unterschriebene und nach bestimmten Formvorschriften registrierte Zeugen-Aussage als quasi unumstößlicher Beweis. Das war in der traditionellen Gesellschaft, in der alle Leute durch persönliche Loyalitätsbindungen in ihren Städten und Dörfern in ein weitgehend starres soziales Beziehungsgeflecht eingebunden waren, möglich. In einer modernen Gesellschaft, die von offenen Klassenwidersprüchen durchzogen ist, öffnet dies jedoch (gelinde ausgedrückt) Missbräuchen Tür und Tor. In diesem Fall diente die Vorschrift dazu, einen missliebigen Aufsichtsbeamten los zu werden. Das kam auch den Behörden ganz Recht, die Marokko gern "konkurrenzfähig" machen würden - wie überall sonst in der Welt, in ihrem derzeitigen Zustand, auch...

Zine Abidine Qacha war zunächst, am 10. Februar 2004 in Marrekech, in erster Instanz freigesprochen worden. Das Berufungsgericht sprach ihn jedoch am 8. April 2005 schuldig.

Die Beamten der marokkanischen Arbeitsinspektion hielten zunächst am 19. und 20. April einem landesweiten Streik ab. Dazu hatten alle drei Gewerkschafter (UGMT, UMT und CDT) sowie der Berufsverband der Arbeitsinspektoren, die AMIT, aufgerufen. Am 26. und 27. April hielten sie einen neuen Streik mitsamt Sit-in vor dem marokkanischen Justizministerium in Rabat ab. Und am 1. Mai, an dem die Arbeitsinspektoren normalerweise damit tätig sind, die
Demonstrationen zu beobachten und die erhobenen Forderungen zu notieren (als eine Art Frühwarnsystem der Behörden), waren sie zu erneuten Arbeitsniederlegungen aufgerufen.

Nähere Informationen finden sich u.a. hier: http://www.preavis.org/solidal/
 

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns am 6.5.2005 vom Autor zur Veröffentlichung überlassen.