Editorial
Lesen schadet nicht!

von Karl Müller
05/06

trend
onlinezeitung

Der Tagungsraum im BAIZ war viel zu klein geraten. Mehr als 60 GenossInnen drängten sich am Montagabend, den 24.April 2006, um an einer mit Spannung erwarteten Diskussion über Prekarisierung teilzunehmen teilzunehmen.

Wie sich anschließend zeigen sollte, war die Diskussion nicht zuletzt deshalb gut vorbereitet worden, weil es zu diesem 1. TREND-Nachtgespräch eine neue Druckausgabe des TREND gab. Diese Ausgabe war quasi das Programmheft zur Veranstaltung, das die Leute sich vorher aus dem Internet reichlich runtergeladen hatten.

Der übliche Widerstreit der Meinungen, der bekanntlich auch Einsicht in den Gang der Dinge ermöglicht, bestimmte dann nach den Impulsreferaten des Podiums den Veranstaltungscharakter. Die Hauptwiderspruchlinie verlief jedoch nicht quer zwischen den Referenten, sondern zwischen diesen und Teilen des Publikums. Während Max von der Arranca und Peter von den Interkomms die Kritik an sich recht gut aushielten, reagierte Dirk vom Blauen Montag ein wenig genervt.

So bestätigte sich schließlich mit dieser Veranstaltung erneut, wie einer der TREND-Herausgeber, der diese Diskussion moderiert hatte, in seinem Schlußwort treffend ausführte, dass es leider immer noch ein mühseliges Unterfangen darstellt, Bewegungslinke und hauptseitig theoretisch arbeitende GenossInnen miteinander in einen  fruchtbaren Dialog zu bringen.

Diese an sich wenig erfreuliche Feststellung wird uns jedoch nicht davon abhalten, mit den TREND-Nachtgesprächen fortzufahren. Schließlich sollte mensch nicht die Referenten und ihre KritikerInnen für ein Diskursklima in Regress nehmen, das in diesem Land leider Standard ist und sie nur ein unbedeutender Teil davon.  Letztlich kommt es auf die Inhalte an, was wiederum heißt: Ein Buch bzw. einen Artikel mehr lesen als unbedingt nötig, selbst wenn sie unfertig und fehlerhaft sind, kann nicht schaden beim dem Versuch, die Verhältnisse theoretisch zu durchdringen, die praktisch aufhoben werden sollen. Auch die Maiausgabe folgt wieder diesem Anspruch.

Gleichsam stellvertretend für die auf auf der Veranstaltung vielfältig geäußerte Kritik an den Bewegungslinken auf dem Podium reprinten wir hier virtuell die polemisch zugespitzte, aber im Kern richtige Kritik der Gruppe "freundinnen und freunde der klassenlosen Gesellschaft".

Als eher abschreckendes Beispiel, nämlich wozu der akademische Marxismus heute nur noch fähig ist, spiegeln wir Elmar Altvaters Bildungsreferat "Das Ende des Kapitalismus". Der sich selbst gestellten Aufgabe "Ich möchte..der Frage nachgehen, welche Eigenschaften den Kapitalismus charakterisieren", folgt eine Geraune über innere und äußere Widersprüche, während solche profanen Erscheinungen - wie Ausbeutung, Unterdrückung und die imperialistische Mordbrennereien - dem Professor keine Silbe wert sind. Dem geht es vornehmlich um die fossilen Brennstoffe, für deren Nutzung er eine neue, angemessene "soziale Formation" sucht.

"Aufgabe von Revolutionären ist es jedoch, das Gesamtinteresse der ArbeiterInnenklasse im Blick zu haben" schreibt dagegen der Genosse Lutz Getzschmann in seiner Untersuchung über "Die neue Angst vor den "gefährlichen Klassen" . Wir machen keinen Hehl daraus, dass wir mit solchen theoretisch vermittelten Ansichten sympathisieren und wo immer wir es können, werden wir solche Ansichten verbreiten helfen.