Betrieb & Gewerkschaft
Zur Lage im Tarifkonflikt

von Wal Buchenberg
05/06

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onlinezeitung

Die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst ist nach langem Streik mit einer halben Niederlage zur 'Ruhe', aber längst nicht zu Ende gekommen. Noch länger, nämlich sechs Monate hatten die LohnarbeiterInnen beim Düsseldorfer Luftfahrt-Caterer Gate Gourmet mit der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) gestreikt, auch mit einem nur wenig erfreulichen Resultat.

Die Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie hat noch gar nicht richtig begonnen, da liegt schon - ohne Streik - ein vergleichsweise hoher Pilotabschluss vor.

Erstmals streiken auch die Klinikärzte in Deutschland für weitreichende Verbesserungen beim Lohn und bei der Arbeitszeit (unbezahlte Überstundenarbeit).

Gleichzeitig gab und gibt es Bewegungen gegen Betriebsschließungen bei AEG-Nürnberg und bei CNH-Berlin.

Scheinbar haben alle diese gewerkschaftlichen Bewegungen wenig oder nichts miteinander zu tun, und doch lassen sich in diesen so uneinheitlichen und unübersichtlichen Konflikten, alte Gemeinsamkeiten und neue Trends entdecken.

1. ÖD: Offensive in der Defensive?

Unter dem Motto 'Offensive in der Defensive' hatte Verdi am 6. Februar in Baden Württemberg die Streiks im Öffentlichen Dienst gestartet. Es wurden in dem sechswöchigen Streik mehr Streikende und für eine längere Zeit im Öffentlichen Dienst aktiviert, als jemals zuvor.

Erstmals wurden auch staatliche Bereiche bestreikt, die in früheren Tarifkonflikten kaum eine Rolle gespielt hatten, wie Kitas, Krankenhäuser, in den Stadtverwaltungen die EDV-Abteilungen, Bauabteilungen und Zulassungsstellen. Diese neuen Streikbereiche sind zum großen Teil oder überwiegend weiblich besetzt.

Auch der Streik bei Gate-Gourmet ist bemerkenswert wegen seiner Härte und langen Dauer. Auch in diesem Konflikt ging es um die Abwehr von unbezahlten Arbeitszeitverlängerungen und gegen Lohnsenkung. Auch in diesem Konflikt wurde eine Streikfront unter Kollegen aufgebaut, die viele vorher für 'nicht organisierbar' gehalten haben.

Trotzdem hat die eingesetzte 'Offensiv'-Kraft weder bei Gate-Gourmet, noch im Öffentlichen Dienst nennenswerte Erfolge gebracht.

Das Streikergebnis von Gate-Gourmet kann man hier nachlesen:  http://www.gg-streik.net/nachrichten/nach-dem-streik-ist-vor-dem-streik 

Die 'Offensive' von Verdi wollte unbezahlte Mehrarbeit verhindern. Damit sind sie gescheitert. Die wöchentliche Arbeitszeit wird ohne Mehrbezahlung von 38,5 auf 39 Stunden verlängert.

Das Schlimmste aber ist, dass frühere Verhandlungssünden von Verdi, nämlich die 'Meistbegünstigungsklausel', jetzt als Bumerang zurückkommt. Diese Klausel besagt, dass die Kommunen jede Arbeitszeitlösung auf Länderebene für sich übernehmen können. Auf Länderebene liegt aber noch kein Abschluss vor und auf Länderebene gilt im Beamtenbereich längst wieder die 40 Stunden-Woche. Die kommunalen Verbände warten nur auf einen für sie günstigeren Abschluss als die vereinbarten 39 Wochenstunden, den sie dann übernehmen können, ohne dass die Gewerkschaften eingreifen können.
'Das heißt, dass der Länderbereich keinesfalls einen Abschluss machen darf, der sich negativ auf das nun erreichte Ergebnis in den Kommunen auswirkt', erklärte der Stuttgarter ver.di-Geschäftsführer Bernd Riexinger.

Verdi hat jedoch im Länderbereich das geringste Streikpotential, und ausgerechnet dieser Bereich mit den wenigsten gewerkschaftlichen 'Truppen' entscheidet den Tarifkampf rückwirkend auch für die Kommunen. Die 'Offensive in der Defensive' von Verdi hat sich totgelaufen. Die öffentlichen Arbeitgeber haben die Gewerkschaft ausgebremst.

2. Defensive: Bloß keinen Arbeitskampf bei Metall

Bei Gate-Gourmet und im öffentlichen Dienst blieben die Arbeitgeber hart und haben ihre Interessen weitgehend durchgesetzt. Umso überraschender kam der Pilotabschluss in NRW in der Metall- und Elektroindustrie:  http://www.igmetall.de/cps/rde/xchg/SID-0A342C90-AC0799E0/internet/style.xsl/view_11607.htm 

Dieser Abschluss erscheint nach den Erfahrungen der letzten Jahre relativ hoch.
Die IGM-Führung hatte 5% mehr Lohn gefordert. In den letzten zehn, fünfzehn Jahre galt es schon als gewerkschaftlicher Erfolg, wenn sich Kapitalisten und Gewerkschaften jeweils die 'halbe Strecke' entgegenkamen und sich auf einen Abschluss bei 50% der gewerkschaftlichen Forderung einigten.

Es ist offensichtlich, dass die Kapitalisten in der Metall- und Elektroindustrie, wo die Auftragsbücher gut gefüllt sind, unbedingt einen Streik verhindern wollten. Anders gesagt: Mit einem Streik hätte die Gewerkschaft ein deutlich besseres Ergebnis erreichen können. Im Vorfeld dieses Tarifkampfes hatte es betriebliche Forderungen bis zu 12% mehr Lohn gegeben. Eine volle Durchsetzung der 5%-Forderung war nicht unrealistisch.

Die Metallkapitalisten wollten einen Streik vermeiden, weil er ihnen Marktanteile und Profite gekostet hätte. So, wie es jetzt aussieht, wollte die IG-Metallführung ebenfalls trotz betrieblicher Streikbereitschaft einen Streik vermeiden. Die IGM-Führung bleibt defensiv, auch wenn ein offensives Vorgehen Erfolg versprechend wäre.

3. Offensive nur im Notfall?

Gemeinsam ist Verdi und IGM eins: Offensiv werden Gewerkschaften in Deutschland nur im äußersten Notfall, und auch das nur mit angezogener Handbremse.
Die Metall- und Elektroindustrie ist kein Notfall. Dort werden die Kapitalisten von der IGM-Führung geschont. Die geplante Arbeitszeitverlängerung im Öffentlichen Dienst von 38,5 auf 40 Stunden war (fast) ein Notfall, da wurde Verdi (halb) aktiv.  Notfälle waren/sind auch die Betriebsschließungen bei AEG-Nürnberg und bei CNH-Berlin. (Siehe dazu die Links am Ende des Textes).

Dass es auch anders geht, beweist derzeit der Marburger Bund, faktisch eine Berufsgewerkschaft der lohnabhängigen Klinikärzte. Die finanzielle Lage der (Landes)Kliniken ist nicht wesentlich besser als die anderer Bereiche des öffentlichen Dienstes. Die Klinikärzte fragen aber nicht ängstlich: Was ist das 'Gemeinwohl' und 'was kann sich der Staat leisten'? Würden sie nach dem 'Gemeinwohl' und den Staatsfinanzen fragen, dann müssten sie weiter unbezahlte Nachtschichten mit bis zu 36 Stunden Länge malochen. Nein, sie fragen: Was können wir uns an Arbeitszeit leisten? Was können wir uns von unserem Lohn leisten? Und fordern darum Lohnerhöhungen von bis zu 30%.
Statt dass sie sich diese Radikalität der Ärzte zum Vorbild nehmen, wird von Verdi-Gliederungen gegen die Klinikärzte polemisiert. (Siehe Link am Textende).

An eine 'wachsende Einsicht' in die kapitalistischen Verhältnisse durch die DGB-Gewerkschaften glaube ich nicht. Die Gewerkschaftsführungen in Deutschland haben bisher vor allen großen Katastrophen kapituliert: Vor den imperialistischen Kriegen Deutschlands, vor der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise, vor der Hitlerdiktatur. Nein, auf rechtzeitige und rettende Einsicht ist da nicht zu hoffen.
Dennoch werden die kapitalistischen Notlagen in Deutschland zunehmen und die Gewerkschaften werden in immer mehr betriebliche und überbetriebliche Konflikten eingreifen müssen - ob sie wollen oder nicht.

In gewisser Weise spielen die deutschen Gewerkschaften dabei eine ähnliche Rolle, wie unsere Rechtsanwälte vor Gericht. Natürlich sind Rechtsanwälte auf diesen Staat und dieses Strafsystem verpflichtet. Natürlich sind die Interessen linker Angeklagten bei keinem Rechtsanwalt gut aufgehoben. Aber ohne einen Rechtsanwalt steht mensch noch dümmer vor Gericht als mit Rechtsanwalt.

Die Linken haben längst gelernt, aus staatsgläubigen Rechtsanwälten das Meiste für ihre Interessen vor Gericht herauszuholen. Sie werden auch lernen, aus unseren staatsgläubigen Gewerkschaften das Meiste für ihre Interessen gegen das Kapital herauszuholen.

Ohne die Unterstützung der NGG hätten die Streikenden bei Gate-Gourmet nicht sechs Monate durchgehalten. Ohne die Streikorganisation der Gewerkschaft wäre bei AEG Nürnberg und CNH-Berlin überhaupt nichts zustande gekommen. Ohne die stillschweigende (wenn auch zähneknirschende) Duldung der IGM-Führung wäre der wilde Streik bei Opel Bochum nach zwei Tagen von der Polizei zerschlagen worden. Mit Unterstützung der deutschen Gewerkschaften haben die Hafenarbeiter mit den (illegalen) Kampfmittel eines politischen Streiks und mit Hafen-Blockaden und Steinwürfen gegen das Europaparlament die Gesetzesvorlage 'Port Package II' versenkt.

In all diesen Konflikten waren und sind die Gewerkschaften der legale Boden, von dem aus auch radikalere Kampfmaßnahmen wie Straßenblockaden, Betriebsblockaden und Betriebsbesetzungen möglich werden. Nur Heißsporne wollen auf den legalen, gewerkschaftlichen Boden verzichten. Nur Dummköpfe wollen sich auf den gewerkschaftlichen, legalen Boden festlegen und festnageln lassen.

Verschiedene Stellungnahmen zu einzelnen gewerkschaftlichen Konflikten:

Zum ÖD-Abschluss in BaWü:  
http://www.netzwerk-verdi.de/material/NwStellungnahme_AbschlussKommunalBW_2006.pdf 

Die IGM-Falschmeldung zur 'Steinkühler-Pause':  http://www.bw.igm.de/news/meldung.html?id=8022 

Kampf gegen Schließung des AEG-Werks Nürnberg:  http://www.netzwerkit.de/projekte/aeg/chronik/bvankuendigung 

Kampf gegen Werksschließung von CNH-Berlin:  
http://www.jungewelt.de/2006/04-11/038.php

Tarifabschluss bei der Berliner Charite:  
http://www.marburger-bund.de/marburgerbund/landesverbaende/lv_berlin-brandenburg/aktuelles/texte2006/pm_2006-04-21.php 

Gewerkschaftliche Polemik gegen Klinikärzte:  http://www.netzwerkit.de/Members/valter/gewerkschaft/news_item.2006-03-22.4829614306 

Marburger Bund zum Streik der Klinikärzte:
http://www.marburger-bund.de/marburgerbund/bundesverband/presse/pressemitteilungen/pm2006/pm17_06.php 

Politischer Streik der Hafenarbeiter:
 http://www.labournet.de/branchen/dienstleistung/tw/schiff/pp-2_2006-1.pdf 

Hafenarbeiter in Hamburg streiken gegen das Gesetz
http://media.de.indymedia.org/images/2006/04/144808.jpg

 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien bei Indymedia am 26.04.2006.

Mit Wal Buchenberg kann mensch in seinem Marx-Forum diskutieren.