DGB – Verarmen in Würde
Replik zum 1. Mai Aufruf des DGB 2006

von social-critique
05/06

trend
onlinezeitung

Unter dem Motto „Deine Würde ist unser Maß“ ruft der DGB die Arbeiter auf, an seinen 1.-Mai-Kundgebunden teilzunehmen. Solange nur die Würde der Arbeiter gewährleistest wird, scheint er daher an der kapitalistischen Produktionsweise wenig auszusetzen zu haben. Dass man als Arbeiter hier die berühmte kleine Nummer und der fürs Kapital stets zu teure Kostenfaktor ist, wird damit anerkannt und gebilligt. Wenn man nun den Trost spendiert bekommt, dass das Dasein als Kostenfaktor nicht alles gewesen sein soll, sondern man dabei auch noch eine Würde hat, dann ist auch den Moralpredigern des Deutschen Gewerkschaftsbunds klar, dass Kostenfaktor in der Gewinnrechnung anderer zu sein, eine durch und durch beschissene Rolle ist. Das stimmt ja auch: Der Arbeiter ist der letzte Depp in einer Wirtschaft, die ihren Gewinn aus seiner Leistung schlägt – und ihm dafür möglichst wenig Lohn bezahlt. Dem kapitalistischen Zweck, aus Geld mehr Geld zu machen, ist der Lohn schließlich ein zu senkender Kostenfaktor, fehlt er doch beim angestrebten Gewinn. Das alles soll halb so schlimm sein und gar nichts ausmachen, denn der Mensch ist, dem DGB zufolge, ja nicht nur Kostenfaktor. Er ist außerdem ein menschliches Wesen mit einer Würde, zu deren Schutz sich unser Staat in seinem Grundgesetz verpflichtet hat – eine Verfassung, die ein paar Artikel weiter das Privateigentum schützt. Damit schützt sie auch Verhältnisse, in denen man erst einmal ganz prinzipiell von den massig vorhandenen Gütern ausgeschlossen ist und an diese nur gegen Geld herankommt. Um an dieses zu kommen, sind die meisten Leute dann darauf angewiesen, jemanden zu finden, der ihre Arbeitskraft für seine Zwecke kauft. Dieser kann sein geschütztes Eigentum dann entsprechend anwenden wie er will - und hat damit das Recht, Arbeiter je nach seinem Profitinteresse anzuwenden oder zu entlassen.

Dass der Kostenfaktor eine Würde hat, soll all das heilen, was an Armut, Belastung und Existenzunsicherheit mit der Rolle des Kostenfaktors notwendigerweise einhergeht. Der DGB hält die Würde einfach als einen Wert an sich hoch, ohne einmal zu erklären, was es mit dieser objektiv auf sich hat. Es stimmt ja: Der Staat schützt die Würde – auch die des Lohnarbeiters, auch der ist eine Rechtsperson. Auch mit ihm dürfen die wirtschaftlich Mächtigen nicht alles machen: Sie dürfen ihn nicht umbringen, einsperren, foltern und nicht mehr ausbeuten, als es die liberalen Gesetze dieses Landes vorsehen. Die Würde ist jene abstrakte Restgröße, die dem Menschen angeblich bleibt – und nach deutschem Recht bleiben muss –, wenn ihm sonst alles weggenommen, wenn sonst alles verloren ist. Nicht zufällig geht es um Würde nur unter den allerschlimmsten Umständen: In Krieg und Kriegsgefangenschaft, im Gefängnis, im Pflegeheim, bei Obdachlosen und beim Sterben. Ein toller Trost: Ein Unternehmer darf mit seinen Arbeitern nicht alles machen – aber was hat das eigentlich mit dem zu tun, was ein Unternehmer nach Recht und Gesetz mit seinen Arbeiter alles machen darf? Ist das dagegen ein Schutz?

Dass diejenigen, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind, hier schlecht wegkommen, fällt auch dem DGB auf – darum sieht er ja ausgerechnet die Würde bedroht. Das soll aber seinen Grund gar nicht in einer Produktionsweise haben, in der Arbeiter ausschließlich als nach Möglichkeit zu senkender Kostenfaktor vorkommen – sondern in einzelnen ‚Ungerechtigkeiten’: „In Unternehmen kommt es trotz Rekordgewinnen zu Massenentlassungen. Verschämte Armut ist längst zur Kehrseite unverschämten Reichtums geworden.“ (DGB-Aufruf) Tja, dann stehen halt offenbar Massenentlassungen nicht im Widerspruch zur staatlich garantierten Würde – und zu Rekordgewinnen schon gleich gar nicht. Gerade wegen seiner Funktion, den Ausschluss durch das Privateigentum überwinden zu können, kann man vom Geld in dieser Gesellschaft schließlich nie genug haben. Und wenn ein Unternehmen aus dem von ihm eingesetzten Geld noch mehr Geld machen kann, wenn es z.B. Arbeiter entlässt und durch Maschinen ersetzt, dann macht es das eben. Das ist keine Verfehlung zum halluzinierten guten Zweck dieser Gesellschaft, sondern nur konsequent. Statt das einzusehen, appelliert der DGB ausgerechnet an den Staat, der sich doch diese Verhältnisse hingestellt hat. Der soll die vermeintlichen ‚Ungerechtigkeiten’ abstellen: „Eine Politik, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist, darf dies nicht hinnehmen“ (ebd.) – damit das ‚normale’ kapitalistische Geschäft weitergehen kann, alles seine Ordnung und der brave Arbeitsmensch seine Würde hat.

Als ein solcher Fan einer guten und funktionierenden Herrschaft macht der DGB dieser seine Klientel dann als deren Material vorstellig, was als eben solches von ihr zu schützen sei: „Es sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die den Wohlstand eines Landes begründen. Auf sie kommt es an. Auf ihre Fähigkeiten, ihre Motivation, ihre Gesundheit. Sie sind es, die den wahren Wert eines Unternehmens ausmachen, die sich oft genug ihrem Unternehmen verschreiben - statt derjenigen, die auf immer höhere Aktienkurse spekulieren, ohne dabei Werte zu schaffen.“ (DGB: „Den Mensch in den Mittelpunkt stellen“) Dagegen, dass die Arbeiter als Material für Staat und Kapital vorkommen, hat der DGB jedenfalls nichts einzuwenden – als würde es nicht lauter Schädigungen mit sich bringen, als Menschenmaterial herhalten zu müssen! - Kurzum: Die Arbeiter haben nichts davon, wenn sie mit dem DGB für ihre Würde, statt ohne ihn gegen die Lohnarbeit kämpfen. Einen wirklichen Nutznießer der ganzen Veranstaltung gibt es dann aber schon: Wenn sich genügend Leute zu den Kundgebungen des DGB kommen und sich dort zählen lassen, dann haben sie ein gutes Werk getan – nämlich dafür gesorgt, dass der DGB einen guten Eindruck in der Öffentlichkeit und gegenüber der Politik macht. Auch als dessen Manövriermasse dürfen sie also noch herhalten …

Bei Diskussionsbedarf und/oder weiterem Interesse an gesellschaftskritischen Themen schreib einfach eine Mail an: social-critique@web.de

Editorische Anmerkungen

Dieses Flugblatt beruht teilweise auf der Analyse des GegenStandpunkt-Verlags in Radio Lora München vom 2. Mai 2005: „Arbeiter! Heraus zum 1. Mai – Würde zeigen!“ – www.gegenstandpunkt.com . Es wurde uns mit der Bitte um Veröffentlichung am 4.5.2006 zugesandt.

Das Flugblatt wurde am 1. Mai in Leipzig bei der traditionellen IGM-Demo (samt relativ großen linken Block) verteilt.