Die schweizerische
Linke und Israel


von Bernd Huettner

05/07

trend
onlinezeitung
Christina Spaeti hat in ihrer Doktorarbeit Israelbegeisterung, Antizionismus und Antisemitismus in der schweizerischen Linken zwischen 1967 und 1991 untersucht und damit einen beeindruckenden Beitrag zur Bedeutung von Antizionismus und Antisemitismus in der westeuropaeischen Linken vorgelegt. Die "Linke" wird sehr breit gefasst, das Buch versteht darunter die Sozialdemokratie und Gewerkschaften ueber Christen und die
moskautreuen Partei der Arbeit (PdA) bis hin zur undogmatischen POCH und den Autonomen. Als Quellen dienen ueber 100 ausgewertete Periodika dieser verschiedenen Stroemungen. Da sich die Positionen zu vieler beteiligter AkteurInnen in den letzten Jahrzehnten veraendert haetten, sei es schwierig, mit Befragungen von ZeitzeugInnen zu arbeiten, die Methode der "oral history" wandte Spaeti folglich nicht an.

Antisemitismus wird in der Schweiz erst seit Mitte der 1990er Jahre wissenschaftlich untersucht, eine Tradition der linken Beschaeftigung mit dem eigenen Antisemitismus gibt es - im Gegensatz zu Deutschland - nicht. Antisemitismus sei ein Phaenomen, das vor allem Deutschland betreffe und mit dem Ende des Nationalsozialismus untergegangen sei, so die
vorherrschende Meinung.

Spaeti betritt also echtes Neuland. In ihrer fundierten Studie definiert sie drei grundsaetzliche Positionen, die Linke einnehmen bzw. eingenommen haben: Den das Existenzrecht Israels leugnenden Antizionismus, die dualistische, fuer eine Zweistaatenloesung eintretende Position und drittens die pro-israelische Position. Letztere tritt ab 1982 nicht mehr auf, ihre AnhaengerInnen schwenken auf die dualistische Position ein.

Spaeti teilt den Untersuchungszeitraum in vier Abschnitte auf und dekliniert dann die jeweiligen Stroemungen ausfuehrlich durch. Nach dem Sechstagekrieg von 1967 veraenderte sich die Haltung der schweizerischen Linken zu Israel und zum Nahostkonflikt grundlegend. Die durch die 68er-Bewegung entstandene Neue Linke lehnte aufgrund ihrer antiimperialistischen Weltanschauung das Existenzrecht des juedischen Staates mehrheitlich ab. Selbst innerhalb der gemaessigten Linken nahm in den siebziger Jahren Kritik an der israelischen Politik gegenueber den Palaestinensern zu.

Der linke Antisemitismus wurde durch zwei Umstaende erleichtert: eine oekonomistische Faschismusanalyse, die die Shoah ausblendete und ein stark vereinfachendes Bild von Antiimperialismus, das weltweit nach gut und boese sortierte. Am anfaelligsten fuer Antisemitismus sei, so der nicht weiter ueberraschende, aber von Spaeti gut begruendete Befund, der Antizionismus gewesen. Als weiteres Ergebnis kann festgehalten werden, dass das bequeme linke Selbstbild, dass man als Linker kein Antisemit sein koenne, sehr in
Frage gestellt werden muss.

Die Autorin ist in ihren Bewertungen und Schlussfolgerungen, obwohl sie sehr viele Belege angibt, die fuer viel weitergehende Kritik herangezogen werden koennten, erstaunlich zurueckhaltend. In ihren Schlussfolgerungen schreibt sie "Wie die Studie gezeigt hat, wurden in linken Publikationen antisemitische Klischees und Vorurteile transportiert. (...) den meisten Linken (ging es) in ihrer Kritik an Israel in erster Linie um Solidaritaet mit den unterdrueckten Palaestinensern und nicht um den Ausdruck einer grundsaetzlich antisemitischen Haltung".

Leider bleibt ein interessanter Zeitraum ausgespart, der vom zweiten Golfkrieg bis heute, denn spaetestens nach dem 11.9.2001 kam es zu einem Wiederaufleben des Antisemitismus, sowohl in der Linken, als auch im Massenbewusstsein. Sehr angenehm ist, dass das Buch weder von Antideutschen, noch von denjenigen eingemeindbar sein duerfte, die von einer liberalen akademischen Warte aus zum Linken-Bashing neigen.

 
Christina Späti
Die schweizerische Linke und Israel
Israelbegeisterung, Antizionismus und Antisemitismus zwischen 1967 und 1991

Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, Leiter: Prof. Dr. Wolfgang Benz, Antisemitismus: Geschichte und Strukturen, Band 2

360 Seiten, Broschur,
29,90 €, ISBN 3-89861-407-7

Editorische Anmerkungen

Aus CONTRASTE Nr. 265 (Oktober 2006)

CONTRASTE ist die einzige ueberregionale Monatszeitung
fuer Selbstorganisation. CONTRASTE dient den Bewegungen als
monatliches Sprachrohr und Diskussionsforum.

Entgegen dem herrschenden Zeitgeist, der sich in allen Lebensbereichen breitmacht, wird hier regelmaessig aus dem Land der gelebten Utopien berichtet: ueber Arbeiten ohne ChefIn fuer ein selbstbestimmtes Leben, alternatives Wirtschaften gegen Ausbeutung von Menschen und Natur, Neugruendungen von Projekten, Kultur von "unten" und viele andere selbstorganisierte und selbstverwaltete Zusammenhaenge.

Desweiteren gibt es einen Projekte- und Stellenmarkt, nuetzliche Infos ueber Seminare, Veranstaltungen und Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt.

CONTRASTE ist so buntgemischt wie die Bewegungen selbst und ein Spiegel dieser Vielfalt. Die Auswahl der monatlichen Berichte, Diskussionen und Dokumentationen erfolgt undogmatisch und unabhaengig. Die RedakteurInnen sind selbst in den unterschiedlichsten Bewegungen aktiv und arbeiten
ehrenamtlich und aus Engagement.

Die Printausgabe der CONTRASTE erscheint 11mal im Jahr und kostet im Abonnement 45 EUR. Wer CONTRASTE erstmal kennenlernen will, kann gegen Voreinsendung von 5 EUR in Briefmarken oder als Schein, ein dreimonatiges Schnupperabo bestellen. Dieses laeuft ohne gesonderte Kuendigung automatisch aus.

Bestellungen an:
CONTRASTE e.V., Postfach 10 45 20, D-69035 Heidelberg, Tel. (0 62 21) 16 24 67, EMail: CONTRASTE@t-online.de Internet: http://www.contraste.org

Zusaetzlich gibt es eine Mailingliste. An-/Abmeldung und weitere Informationen unter: http://de.groups.yahoo.com/group/contraste-list