Betrieb & Gewerkschaft
Arbeitsplatzvernichtung bei NSN
Entwickler üben Solidarität

von Daniel Behruzi

05/07

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Fast jeder vierte Arbeitsplatz bei Nokia Siemens Networks (NSN) soll wegfallen. Das treibt nicht nur den typischen Metaller auf die Straße.

Es ist nicht die typische Klientel der Industriegewerkschaft Metall, das an diesem Dienstag vormittag in der Berliner Siemensstadt demonstriert. Statt Blaumänner oder die sonst obligatorischen roten Streikwesten tragen die Demonstranten Jeans mit Hemd oder Sweater. Sie haben sich vor dem altehrwürdigen Gebäude 10 versammelt, auf dem »SIEMENS« in großen Lettern prangt. Nebenan, am Werkstor, hat man hingegen kürzlich neue Schilder angebracht: »Nokia Siemens Networks NSN« steht darauf. Erst Anfang April ist das Joint Venture der Siemens-Telefonnetzwerksparte Com mit dem finnischen Konzern Nokia besiegelt worden – und kurz darauf verkündete man einen radikalen Stellenabbau, der allein hierzulande fast jeden vierten Arbeitsplatz kosten soll.

»Um 1000 Softwareentwickler auf die Straße zu bringen, muß schon einiges passieren«, sagt ein 43jähriger Angestellter, der sich in den langen Demonstrationszug seiner Kollegen eingereiht hat. Und es ist einiges passiert: 2900 der 13000 Jobs in Deutschland hat Konzernchef Simon Beresford-Wylie per Rundmail an die Mitarbeiter am Freitag nachmittag zur Disposition gestellt. Weltweit sollen 9000 der 60000 Arbeitsplätze vernichtet werden. »Mit 22prozentiger Sicherheit bin ich meine Stelle also los«, rechnet der Entwickler, der seit elfeinhalb Jahren für das Unternehmen tätig ist, vor. Vergangenen Freitag, als die IG Metall die Beschäftigten zum Warnstreik für mehr Geld aufgerufen hatte, war er noch nicht dabei. »Das ist ein Turbo-Kapitalismus, der mit der guten alten Siemens-Kultur nichts mehr zu tun hat«, sagt der Mann jetzt.

Auch IG-Metall-Funktionär Klaus Abel, dessen Stimme von den vielen Warnstreikreden der vergangenen Tage noch ganz heiser ist, empört sich über die »menschenverachtende Politik« des Unternehmens. Die Proteste der Beschäftigten – an allen Standorten finden an diesem Tag Betriebsversammlungen und Aktionen statt – bekämen viel Unterstützung und Aufmerksamkeit, berichtet er. Und tatsächlich sind Kollegen aus anderen Teilen des Siemens-Konzerns, aber auch von Osram und Otis hinzugekommen, um Solidarität zu zeigen. Einer von ihnen ist Andreas Schmidt. Seit 24 Jahren arbeitet er in der Innenmontage des Siemens-Dynamowerks. »Solidarität im Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze ist wichtig, denn das kann jeden sehr schnell treffen«, weiß der Mann aus eigener Erfahrung: Vor vier Jahren stand sein eigener Betrieb vor dem Aus. Daß in der Spandauer Fabrik heute immer noch Antriebsmaschinen zur Stromerzeugung und Schiffsmotoren gefertigt werden, hat viel damit zu tun, daß IG Metall und Betriebsrat seinerzeit Proteste organisierten und alternative Konzepte entwickelten. Schmidt, der im Blaumann dasteht und den Gewerkschaftsfunktionären für ihre deftige Rhetorik Applaus spendet, ist in seiner Freizeit hergekommen »weil man nur gemeinsam Stärke zeigen kann«.

Ein ganz anderer Typ als der stämmige Arbeiter Schmidt ist der 42jährige Thomas Kalus. Wie die meisten hier arbeitet der Mann mit der Brille und den angegrauten Haaren als Entwickler für NSN. »Das sind eben die Synergieeffekte – die werden hier keine neue Entwicklung mehr betreiben, bis der Integrationsprozeß abgeschlossen ist«, sagt er resigniert. Besonders stört ihn, daß sich Stellenstreichungen und zunehmender Arbeitsdruck auf die Qualität der Produkte auswirkt. »Die Entwicklungszeiträume sind so kurz, daß wir die Produkte gar nicht mehr richtig testen können, zugleich werden die Prozesse immer komplizierter – das alles führt dazu, daß Qualität schon gar nicht mehr richtig möglich ist«, so Kalus.

Gesamtbetriebsratschef Georg Nassauer zeigt sich zufrieden, daß so viele der Angestellten zum IG-Metall-Protest erschienen sind. Fast verwundert sagt er: »Daß sich auch Ingenieure und Wissenschaftler solidarisch zeigen, ist eine völlig neue Welt.«

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien am 09.05.2007 bei www.sozialismus.info .  Er wurde uns zur Spiegelung von der Sozialismus-Redaktion empfohlen.

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