Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Französische Präsidentschaftswahl und danach
AUSSENPOLITIK UNTER NICOLAS SARKOZY
Ein Bush kommt selten allein

 

05/07

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Die Szene spielte sich vor gut drei Jahren ab. Nicolas Sarkozy - damals seit anderthalb Jahren als französischer Innenminister im Amt - weilte auf Staatsbesuch in Peking, wo er ein Rücknahmeabkommen über unerwünschte Immigranten mit der chinesischen Regierung aushandelte. Dieses beinhaltete, dass künftig auch chinesische Polizeibeamte am Pariser Flughafen Roissy ihren Dienst versehen sollen, „um uns dabei zu helfen zu erkennen, wer illegaler Einwanderer ist und wer nicht“, wie der Minister erklärte. Umgekehrt sollten französische Polizisten an den Flughäfen von Peking, Schanghai und Kanton stationiert werden. Zugleich wurde aber auch vereinbart, Frankreich für chinesische Geschäftsleute und auch für Touristen attraktiver gemacht werden. Aber nicht diese skandalös enge Zusammenarbeit mit einem Staatswesen, dessen Regierungspraxis nicht eben demokratischen Gepflogenheiten entspricht, erweckte die Aufmerksamkeit der französischen Öffentlichkeit.

Denn der kleinwüchsige Minister mit dem überdimensionierten Ego nutzte seinen Aufenthalt nebenbei auch dazu, einige flotte Bemerkungen loszuwerden. So ließ er sich in Peking in aller Öffentlichkeit abschätzig über das japanische Sumo-Ringen und „diese fettleibigen Sportler mit Gel im Haar“ aus. „Das ist wirklich kein Intellektuellensport“, fügte er hinzu. Mit der Bemerkung wollte Sarkozy offenkundig den französischen Präsidenten Jacques Chirac treffen, der als großer Fan der japanischen Kultur und insbesondere des Sumo-Ringens bekannt ist. Ganz unverfänglich fragte Sarkozy, der damals als faktisch zweitstärkster Mann im Staate galt, ferner den frisch ins Amt gekommenen chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao, „wie man sich fühlt, wenn man von der Nummer Zwei zur Nummer eins aufgerückt ist“. Und dachte dabei offenkundig an sich selbst Gut gelaunt erzählte der ehrgeizige Politiker die Anekdote auf einer Pressekonferenz in Peking. Ebenfalls viel beachtet wurde, dass Sarkozy in seinem Grußwort an die in China lebenden Franzosen den amtierenden Präsidenten, Jacques Chirac, mit keinem Wort erwähnte. Was sämtlichen diplomatischen Gepflogenheiten widersprach. Chirac hatte die Botschaft wohl verstanden: Sein Empfang für den Rückkehrer Sarkozy soll „gewitterhaft“ gewesen sein, wie die Pariser Abendzeitung Le Monde im Nachhinein bemerkte.  

Das diplomatische Parkett, die internationale Politik als Schaubühne für kleinkarierte persönliche Abrechnungen und ungezügelte persönliche Ambitionen: Nicolas Sarkozys Auftritt in Peking zeichnet das Bild eines brandgefährlichen Politikers. Man stelle sich nur einmal vor, China und Japan seien damals hinter den Kulissen in ernsthafte Konflikte verwickelt gewesen oder hätten gar am Abgrund eines Krieges – den die Kräfteverhältnisse jedoch in diesem Falle unwahrscheinlich machen – gestanden... Kaum auszumalen. So einer, lässt sich festhalten, könnte glatt die Welt in Brand stecken, wenn es seinem Ego dient. Was durchaus zu einem Staatsoberhaupt passt, in dessen jüngstem Präsidentschaftswahlprogramm der zentrale Programmpunkt „Ich“ lautet: Ich verspreche, ich garantiere, ich will, ich werde; „ich werde Euch nicht verraten, ich werde Euch nicht belügen“.

Nicolas Sarkozy im Oval Office

Egozentrik mischte sich einmal mehr mit dem Bemühen um politische Profilierung, als Nicolas Sarkozy am 11. und 12. September vergangenen Jahres New York und Washington D.C. besuchte, pünktlich zum fünften Jahrestag der Attentate von 2001. Aus diesem Anlass ließ der damalige französische Innenminister sich mit US-Präsident George W. Bush im Oval Office ablichten und verkündete mit stolzgeschwellter Brust, zu Hause nenne man ihn „Sarkozy l’Américain“. Hinterher wurde sein PR-trächtiger Auftritt mit dem mächtigsten Mann der Welt in Frankreich zum glatten Reinfall, da die von Sarkozys Kommunikationsteam verbreiteten Fotoaufnahmen durch kritische Betrachter in der Presse – namentlich beim auf Enthüllungen spezialisierten Canard enchaîné – im Nachhinein berichtigt wurden. Das berühmt gewordene Foto von Sarkozys Besuch beim US-Präsidenten zeigt die beiden Männer nebeneinander, und es vermittelt den Eindruck, als seien sie genau gleich groß. In Wirklichkeit trennen Sarkozys und Bushs Körpergröße aber 15 Zentimeter. Das Bild war so lange aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen wurde, bis der Eindruck stimmte. Le Canard enchaîné aber druckte die Aufnahme in einer retuschierten Fassung ab, die die tatsächlichen Proportionen wieder herstellte. Das Bemühen Sarkozys, lästige Details zu verbergen, hatte im Endeffekt den gegenteiligen Effekt: Das Bild wurde zum Lacherfolg beim Publikum.

Aufräumen mit dem Erbe des Gaullismus     

Die Sache hat aber einen ernsten politischen Hintergrund. Denn tatsächlich bricht Nicolas Sarkozy, obwohl selbst aus der neogaullistischen Partei (dem ehemaligen RPR, der 2002 in der konservativen Einheitspartei UMP aufging) kommend, in außenpolitischer Hinsicht mit sämtlichen Prinzipien, Dogmen und Mythen des französischen Gaullismus. Letzterer hatte über Jahrzehnte hinweg den Anschein einer sehr weitgehenden Unabhängigkeit in der Außenpolitik erwecken wollen, der darüber hinweg täuschen konnte und mochte, dass Frankreich den Status einer Weltmacht zusammen mit einem Großteil seiner Kolonien verloren hatte. Diese Politik hatte ihre Blütezeit in den sechziger Jahren. Damals baute das offizielle Paris darauf, dass auch nach der Welle der Entkolonialisierung ein Agieren als traditionelle Großmacht weiterhin möglich sei: Frankreich solle sich nun, als starker und gefestigter Nationalstaat, den jungen, frisch entstandenen Republiken in Afrika oder Asien, bzw. ihren Eliten, als Vorbild und Partner anbieten. Dieser Kurs fand seinen Höhepunkt, als Präsident Charles de Gaulle mit seiner „Rede von Phnom Penh“ 1966 den durch die USA geführten Krieg in Vietnam verurteilte. Er hatte aber auch seine negativen Aspekte, als etwa die Baath-Diktatur im Irak in den siebziger Jahren durch breite Teile der französischen politischen Klasse als „arabischer Gaullismus“ bezeichnet und glorifiziert wurde.  

Seit den neunziger Jahren ist diese Strategie de facto passé: Präsident Chirac hat seit Ende 1995 eine offene Wiederannäherung an die NATO betrieben, deren militärischen Verbund Präsident de Gaulle 29 Jahre zuvor verlassen hatte. Aber auf verbaler und symbolischer Ebene knüpfte Frankreich noch einmal an die vorangegangene Periode an, als Chirac und sein damaliger Außenminister Dominique de Villepin – mit seine Rede vor der UN-Vollversammlung im Februar 2003 – ihr Nein zum Irakkrieg der US-Administration Bush formulierten. Der Glanz verblasste zwar schnell wieder, aber ein Symbol war gesetzt. Zu realer Weltpolitik auf eigenen Füßen hat Frankreich jedoch nicht mehr die Mittel. Zu groß ist der Abstand bei den Militärausgaben gegenüber den USA. Auf dem afrikanischen Kontinent - wo Frankreich seit vier Jahrzehnten einen Neokolonialismus mit äußerst klassischen Methoden betrieb und sich lange Zeit nicht einmal die Mühe gab, den Anschein einer Modernisierung seiner Praktiken zu erwecken - wird seine Einflusssphäre durch das Vordringen von US-Interessen und chinesischer Konkurrenz zunehmend angeknabbert.  

Vor diesem Hintergrund bleiben der französischen Rechten zwei grundsätzliche Möglichkeiten: Entweder die Annäherung an die militärisch stärkeren und in Afrika offensiv gewordenen USA, um als ihre (Junior-)Partner einen Teil des bisherigen Einflusses zu halten – oder aber die nationalistische Fundamentalopposition gegen den Statusverlusts des eigenen Landes. Letztere Variante vertrat Jean-Marie Le Pen, als er 1990 infolge des Endes der bipolaren Weltordnung die These von den Intellektuellen der extremen Rechten übernahm, der Hauptfeind sei nun nicht mehr „der Kommunismus“, sondern der vaterlandslose Liberalismus und der Atlantizismus. Vor diesem Hintergrund ergriff der rechtsextreme Politiker nicht nur Partei gegen den US-Krieg im Irak vom Januar/Februar 1991, sondern sogar offen für das Regime von Saddam Hussein. 

Die bürgerliche Rechte navigierte hingegen lange Zeit irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Polen herum. Nicolas Sarkozy legt ihr nun aber einen Übergang zur offenen Annäherung an die USA, ihre Außen- und Militärpolitik nahe. Im Frühjahr 2003 schwieg er – was bei diesem Politiker nun wirklich äußerst selten vorkam - zum Ausbruch des Irakkriegs. Seine Berater, wie der Pro-Atlantiker Pierre Lellouche, verkündeten aber schon damals, in Wirklichkeit verurteile Sarkozy das Nein Chiracs zum Angriff auf den Irak. Im September 2006 in Washington D.C. hat der Minister es nunmehr offen bekundet: Mit seiner Haltung im Vorfeld des Irakkriegs habe Frankreich „Arroganz“ bewiesen, und die Mittelmacht habe die Weltmacht Nummer 1, die USA, dadurch „erniedrigt“. Doch Opportunismus verpflichtet: In seiner Rede anlässlich seiner offiziellen Kür zum Präsidentschaftskandidaten, am 14. Januar dieses Jahres in den Pariser Messehallen, lobte Sarkozy die historische Bilanz seines Rivalen Jacques Chirac – dessen politische Karriere in ihren letzten Zügen lag – und hob dabei auch seine Position zum Irakkrieg, der „ein Fehler“ gewesen sei, hervor.

Kontinuität in der Kolonial-, pardon, Afrikapolitik 

Die Rede in den Pariser Messehallen markiert de facto auch Nicolas Sarkozys Position zur Zukunft der französischen Afrikapolitik. Nicht so sehr aufgrund dessen, was er in Worten ausführte, sondern aufgrund dessen, was man sah. Einer der prominenten Gäste war Pascaline Bongo – niemand anders als die Tochter von Omar Bongo, des seit 1967 ununterbrochen amtierenden Präsidenten der Republik Gabun, eines der erdölreichsten Staaten Afrikas. Omar Bongo ist so etwas wie dem Kassenwart der Françafrique, jenes geradezu mafiösen Netzwerks, mittels dessen der französische Postkolonialismus Teile des afrikanischen Kontinents kontrolliert. Bongo kann politische Karrieren nicht nur in Afrika, sondern selbst in Frankreich fördern oder zerstören: In seiner vierzigjährigen Laufbahn hat er so viel Wissen über Korruptionsnetze, Finanzierungsquellen und geheime Waffenlieferungen angehäuft, dass er für viele Akteure der französischen Politik unumgänglich geworden ist. Er habe „genug Wissen, um die Fünfte Republik zehn mal in die Luft gehen zu lassen“, drohte er im Januar 2001, als französische Ermittler den Spuren der „Affaire Falcone“ – es ging um einen Waffendeal mit beiden Bürgerkriegsparteien in Angola – folgten und ihm bedrohlich auf die Pelle zu rücken drohten. Seine Tochter zum UMP-„Krönungskongress“, wie viele Beobachter den Nominierungsparteitag im Januar spöttisch nannten, einzuladen, zeigt besser als alles andere, wie ernst es Nicolas Sarkozy tatsächlich mit dem bekundeten Willen zu einer „Erneuerung“ der französisch-afrikanischen Politik ist: Es handelt sich um Lippenbekenntnisse, nichts weiter. Anders als Ségolène Royal verspricht er auch nicht die Offenlegung der militärischen Geheimabkommen mit afrikanischen Staaten. 

Bei alledem versuchte Sarkozy sich im Wahlkampf, offenkundig erfolgreich, auch als Schutzherr der bedrohten Nation gegenüber den Stürmen und Winden draußen in der Welt und den Mächten der Globalisierung aufzuführen. In mehreren Reden, etwa in Caen und Besancenon, beschwor er die „nationale Identität“ und gar die Nationalheilige Jeanne d’Arc – die bis dahin nur die extreme Rechte bemüht hatte - oder versprach, die französische Sprache vor der „Uniformierung der Welt durch die Vorherrschaft des Englischen“ zu schützen. Sarkozy kombinierte so auf eigenartige Weise das Neoliberale und das Nationale, das Versprechen auf Aufbrechen des „überkommenen französischen Sozialmodells“ – da es bessere gebe, etwa das britische – und die Pose eines Beschützers der Nation. Statt gegen die „Uniformierung der Welt“ durch die englische Sprache hätte er freilich mal besser gegen die US-Militärpolitik Stellung genommen. Das aber ist, auch in Zukunft, wohl nicht von ihm zu erwarten. Verbal fordert er die USA hingegen schon mal gern heraus, so forderte er sie am Wahlabend dazu auf, zukünftig „die Führung beim Kampf gegen den Klimawandel zu übernehmen“.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel uns am 13. Mai 2007 vom Autor zur Veröffentlichung gegeben.

Eine deutlich gekürzte Fassung erschien am Dienstag, 08. Mai 07 in der ‚taz’.