Ein Kommentar zu der Aktion „Der Bundestag ist gescheitert“

Weg mit der BGE-Forderung! Für die „kostenlose materielle Grundausstattung“ oder: Reformen, für die es sich zu kämpfen lohnt!

von
Robert Schlosser

05/07

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onlinezeitung

„Der Bundestag ist gescheitert“, eine Aktion, in deren Verlauf eine Gruppe junger Menschen den Reichstag u.a. mit der treffenden Parole verzierte: „Der deutschen Wirtschaft“, hat Schlagzeilen gemacht und zu Diskussionen geführt. Was die aufgeschreckten Politiker in diesem Reichstag diskutierten, war bezeichnend. Nicht die Inhalte der vorgetragenen Kritik, sondern ihre persönliche Sicherheit. Wie konnten die nur in den Reichstag gelangen? Bravo! 

Besser noch als die Aktion ist aber die Tendenz, die in dem veröffentlichten Aufruf, der diese Aktion begleitete, zum Ausdruck kommt.

Darin heißt es etwa:

„Wir brauchen die Entkopplung von Arbeit und materieller Grundausstattung. Eine kostenlose Grundversorgung, sprich Bildung, Gesundheit, Wohnraum, Lebensmittel und Kultur, ist notwendig, um den Menschen ein freies und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.“

Es liegen Welten zwischen dieser Zielsetzung und der nach bedingungslosen Grundeinkommen. Auch in der Forderung nach bedingungslosen Grundeinkommen soll ja angeblich die Forderung nach einer anderen Gesellschaft aufscheinen (so etwa W. Rätz, einer der profiliertesten Vertreter des BGE). Tatsächlich aber scheint in dieser Forderung nichts weiter auf als das Verlangen nach einem garantierten individuellen Geldeinkommen, was der Bewegung gegen die wachsende Verarmung im Zuge sich ausdehnender Lohnarbeitslosigkeit, eine durch und durch bürgerliche Ausrichtung verleiht.

Die wachsende Verarmung ist Produkt der Privatproduktion, Ausdruck der Privatisierung des Sozialen. Private Geldvermögen werden in Schwindel erregender Höhe angehäuft, während öffentliche, gesellschaftliche Armut sich ausbreitet. Grundsätzlich kann dieser ätzende soziale Widerspruch nur aufgehoben werden, indem man der Privatproduktion ein Ende bereitet, die frei assoziierten ProduzentInnen sich die gegenständlichen Bedingungen ihrer Reproduktion aneignen. Diese Aufhebung der Privatproduktion würde bedeuten, dass unmittelbar gesellschaftlich produziert und verteilt wird. Wo keine Ware, da kein Geld.

Alle Forderungen nach mehr individuellem Geldeinkommen, sei es nun der Lohn, eine Erhöhung des Eckregelsatzes oder die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen bleiben vollständig systemimmanent, beinhalten keinerlei sozialemanzipatorische Potenz. Deshalb würde ich keinesfalls eine Forderung nach mehr Lohn oder nach einer Erhöhung des Eckregelsatzes ablehnen. Beides ist notwendig. Um der um sich greifenden Verarmung entgegen zu wirken, wäre die Erhöhung des Eckregelsatzes und der Einstieg in „kostenlose materielle Grundversorgung“ eine realistische Variante. Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen aber lehne ich gerade deshalb ab, weil sie mit dem Anspruch versehen wird, als Hebel für eine Systemveränderung dienen zu können. Diese Forderung ist utopisch im schlechtesten Sinne des Wortes. Sie ist im Kapitalismus kaum oder nur als Armutseinkommen realisierbar und hätte, wenn sie denn durchgesetzt würde, nichts mit sozialer Emanzipation zu tun. 

Ganz anders verhält es sich mit einer Forderung nach kostenloser materieller Grundversorgung, sprich Bildung, Gesundheit, Wohnraum, Lebensmittel und Kultur. Auch das ist zwar keine Forderung, die direkt das Privateigentum an Produktionsmitteln angreift und abschaffen will, aber es ist eine Forderung, die mit dem Zustand, in dem wir unsere Gesellschaftlichkeit im Portemonnaie mit uns herumschleppen (frei nach Marx) auf Kriegsfuß steht. Es ist eine Forderung, die ohne Umwege über individuelle Geldzuteilungen, eine gesellschaftlich organisierte Grundversorgung verlangt. Schon die alte Forderung „Nulltarif im Nahverkehr“, in der Revolte Ende der 60iger/Anfang der 70iger Jahre des vorigen Jahrhunderts, lag auf dieser Linie und erlangte gerade daraus ihre Attraktivität und Brisanz. Menschen in aller Welt kämpfen auf dieser Linie einer kostenlosen materiellen Grundversorgung für die mensch kein Geldeinkommen benötigt, z.B. in Russland oder Venezuela. (Das verleiht der Sache eine ebenso sympathische wie notwendigen internationalistische Seite.) Es geht zwar noch nicht um unmittelbar vergesellschaftete Produktion, aber um direkte gesellschaftliche Verteilung und dies müsste immer einer der Eckpunkte eines kommunistisch orientierten Reformprogramms sein, in dem tatsächlich eine andere Gesellschaftlichkeit aufscheint. (Es gibt keine chinesische Mauer zwischen sozialer Reform und sozialer Revolution! Soziale Emanzipation ist ein Prozess, Kommunismus das Ziel. Das Ziel kann und muss deutlich werden in den Teilzielen, die sich aus der vorbehaltlosen Kritik des Kapitals ergeben.) Erst in der Verbindung mit der Forderung nach Abschaffung des Privateigentums wird daraus allerdings ein direkt sozialrevolutionäres Programm.

Die Forderung nach kostenloser materieller Grundversorgung hätte darüber hinaus den Vorteil, dass durch sie die einzig akzeptable Schranke für die Verteilung des Reichtums, die Produktivkraft menschlicher Arbeit, zum sichtbaren Maßstab machen würde und nicht die kapitalistisch-marktvermittelten Geldeinkommen der Individuen. Die eher lästig-prekäre Frage, wie viel Geld denn ein Mensch im Kapitalismus braucht, um einigermaßen Leben zu können, relativierte sich etwas und verlöre an hartnäckiger Aufdringlichkeit. (Gut sieht man bei solchen Rechnungen und gewollten Umverteilungen weder als Sozialreformer und schon gar nicht als Sozialrevolutionär aus!)

In der kapitalistischen Gesellschaft könnte eine solche kostenlose Grundversorgung nur partiell umgesetzt werden (Teilziele formulieren und nacheinander angehen. Anfangen könnte man mit Forderungen wie „Nulltarif im Nahverkehr“, ein auch ökologisches Programm, perspektivisch die „großen Brocken“ angehen, die ohne Verstaatlichungsmaßnahmen kaum zu realisieren wären, wie „Bereitstellung kostenlosen Wohnraums“) durch politische Macht, sprich mit Hilfe des Staates und der Kommunen. Solange wir im Kapitalismus leben, bleiben Staat und Kommunen zentrale Orte direkter Vergesellschaftung, aufgesetzt auf und abhängig von der indirekten Vergesellschaftung über den Wert. Eine von individuellem Geldeinkommen unabhängige Verteilung lässt sich in der bürgerlichen Gesellschaft nur über staatliche und kommunale Institutionen realisieren. Die politische Macht müsste auf Menschen übertragen werden, die entschlossen sind, ihre Macht für die Durchsetzung weitreichender Reformen zu nutzen. Etwa wie es Chavez in Venezuela ansatzweise tut. Die politische Macht für solche Reformen nutzen, das würde u.a. bedeuten, die privaten Geldvermögen, die Besitzer von Produktionsmitteln, so stark zu besteuern, dass eine kostenlose Grundversorgung wenigstens teilweise umgesetzt werden könnte. Ferner müsste die Privatisierung gestoppt werden und die Privatisierung der Energieversorgung, der Telekommunikation, der Post etc. rückgängig gemacht und weitere Verstaatlichungen angestrebt werden. In dem Umfang, wie der Staat selbst Güter erzeugt und Dienstleistungen bereitstellt, die zur materiellen Grundversorgung gehören, braucht er sie nicht der Privatwirtschaft bezahlen. Ein weiterer Schritt zur Zurückdrängung von Kapital und Geld.

Eine solcher Vorgang würde immer direkt an die soziale Revolution oder die Konterrevolution heranführen, weil die Bewegungsfreiheit des Kapitals existenziell bedrohlich eingeschränkt wäre. Auf halbem Weg könnte man nicht stehen bleiben, entweder die kostenlose Grundversorgung weiter ausbauen, oder zurück zur uneingeschränkten Privatproduktion. Weiter auf dem Weg zur kostenlosen Grundversorgung, das würde letztlich verlangen, die Produktion unter selbstverwaltete gesellschaftliche Kontrolle zu nehmen, inkl. weitreichender demokratischer Veränderung staatlicher und kommunaler Einrichtungen.

Der Kampf um ein bedingungsloses Grundeinkommen vertagt und umgeht die notwendige Aneignung der gegenständlichen Bedingungen menschlicher Reproduktion durch die frei assoziierten ProduzentenInnen und könnte allenfalls eine arg beschränkte „selbstbestimmte“ Parallelgesellschaft erlauben, die dann „machtvoll“ auf das Kapital zurückwirken soll. (Juchei, das mag was werden!) Er verweist die Menschen auf ein dafür erforderliches teils erbärmliches, teils bescheidenes Geldeinkommen.

Der Kampf um eine kostenlose materielle Grundversorgung provoziert eine solche notwendige Aneignungsbewegung, weil er nicht zu Ende gebracht werden kann, ohne sich die gegenständlichen Bedingungen der Reproduktion anzueignen und das Privateigentum zum Teufel zu jagen! 

Ich bin also ganz auf der Seite derjenigen, die die kostenlose materielle Grundversorgung verlangen. Leider haben sie dieses richtige Grundanliegen mit dem Spruch von der „Entkoppelung von Arbeit und materieller Grundausstattung“ garniert. Der ist mir zwar immer noch lieber als die verlangte „Entkoppelung von Arbeit und Einkommen“ (BGE-VertreterInnen), aber falsch bleibt er doch. Es ist und bleibt nun mal die Arbeit, die die materielle Grundausstattung schafft. Eine generelle, allgemeine Entkoppelung von Arbeit und materieller Grundausstattung käme der Quadratur des Kreises gleich. Ich unterstelle aber mal, dass hier die Entkoppelung von individueller Lohn-„Erwerbsarbeit“ und materieller Grundausstattung gemeint ist. Will man etwa um die Existenzsicherung von Lohnarbeitslosen im Kapitalismus kämpfen, dann muss man eine solche „Entkoppelung“ wollen. Wer anderes will, landet bei der boshaften Perspektive „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ Solange wir aber im Kapitalismus leben, wird jene Arbeit, die die materielle Grundausstattung produziert, als Lohnarbeit verausgabt. Auch eine generelle, allgemeine Entkopplung von Lohn-„Erwerbsarbeit“ und materieller Grundausstattung kann es also nicht geben, weil dies unmittelbar zum Stillstand der Kapitalakkumulation und damit der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion im Kapitalismus führen würde. 

In diesem Sinne also „Geld oder Leben“! Wider die erbärmliche „Utopie“ ausreichender individueller Geldeinkommen!

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor am 13.5.07 zur Veröffentlichung gegeben.

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Bedingungen sozialer Emanzipation
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