Kommunismus ist keine Angelegenheit der Kommunistinnen!
Ein grundsätzlicher Einwand gegen eine in falscher Tradition befangene Realitätsdeutung

Hubert Herfurth zu Bini Adamczaks „Gestern Morgen“

05/08

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Es ist nicht einfach und dazu sehr schmerzhaft zu verstehen, was hier in den über 90 Jahren seit der Oktoberrevolution abgegangen ist. Der Kommunismus begann als doch eher religiöse Hoffnung durchaus breiterer Bevölkerungsschichten auf eine bessere, gerechtere mit weniger Pein verbundene Gesellschaft und hat sich nun leider auf eine handvoll zerstrittener kommunistischer Sekten (und wie Sekten argumentierende Individuen) reduziert, denen der Kontakt nicht nur zur breiten Bevölkerung abhanden gekommen ist.


Kommunistische Debatte

Selbst auf den Trümmern des verheerenden, kommunistischen Gesellschaftsexperimentes stehend, verharren sie noch auf ihrem alten, besserwisserischen Anspruchsdenken. Dazu kann das Buch von Bini Adamczak „Gestern Morgen“ (2007) keinen wirklich klärenden Beitrag leisten. Ihr Weg vom heutigen Zustand (als Ergebnis der Geschichte) zurück in die Geschichte ist nur scheinbar eine Veränderung des Umgangs marxistischer Geschichtsdeutung, wo auf Grundlage objektiv ablaufender Gesetze Feststellungen getroffen werden konnten die schon im Vorfeld ihrer Realisierung den Anspruch auf Wahrheit erhoben. Über den traditionellen Revolutionarismus dieser Bewegung den dieses Büchlein leider so transportiert wie sein Vorgänger (2005, dazu Imhof 2005 und Herfurth 2005) lässt sich allerdings ein weitergehendes Verständnis gewinnen, wenn das Buch entgegen der üblichen Besprechungen gegen den Strich gelesen wird und die Inkonsequenzen somit beseitigt werden, die den selbstbewussteren Umgang mit 'unserer' kommunistischen Geschichte verhindern. Denn so verdienstvoll schon der Versuch ist, den historischen Scheidepunkt zu finden, der den guten sozusagen vom schlechten Kommunismus unterscheidbar machen könnte, so lächerlich mutet das Ansinnen an, schon nach ein paar Tippelschritten auf dem Weg zurück in die Geschichte, eine Lösung zu präsentieren, die einen vormals wissenschaftlichen Ansatz zunächst auf ein quasi zeitloses Glückspiel1 und schließlich auf ein 'Sphinxes' Rätsel reduziert (2007, S. 151). Für Bini Adamczak lassen sich auch 90 Jahre nach der Oktoberrevolution noch keine Gesellschaftlichkeitskriterien bestimmen, die daraus eine praktische, nach menschlichem Maß zu lösende Aufgabe machen und zugleich helfen, den bisherigen Revolutionarismus endlich 'zu den Akten zu legen'.

Überraschend schnell und ohne guten Grund wird also eine positive Lösung des Unterscheidungsproblems zwischen 'gutem oder schlechtem' Kommunismus von Bini Adamczak verneint. Viel zu vehement degradiert sie alle Untersuchungsversuche zum bloßen „Phantasma“, „als gäbe es diesen Moment, in dem das vormals Ganze seinen ersten Sprung erhält, als gäbe es diesen Ursprung und nicht tausend Sprünge“ (ebenda, S. 104).

Dabei scheint an einer ganz unerwarteten, allen Lobgesängen widersprechenden Stelle ihres Büchleins die Lösung durch, wenn die kritische Sichtung des Textes hier nur das Axiom wahrnimmt und hinterfragt, um das sich einerseits das Buch wie andererseits das ganze vermeintlich 'revolutionäre' Denken dreht:

Die Geschichte des gescheiterten Kommunismus ist für Bini die Geschichte der (gescheiterten) Kommunistinnen und nur diesen (allein) obliegt die Verantwortung für die Klärung dieses Scheiterns (ebenda S. 56 und insbesondere S. 141).

Auch wenn der Begriff „allein“ nicht von Bini Adamczak verwendet wird (ich spitze den Ausdruck also etwas zu, um das Problem zu verdeutlichen), geht es letztlich genau darum, denn die Kritik vonbürgerlicher“ Seite wird ja gar nicht wirklich wahrgenommen, soll auch nicht wahrgenommen werden wie die Szene-Besprechungen des Buches zeigen (siehe die links im Anhang) und ihre eigene Beibehaltung des alten Feindbildes „Antikommunismus“ verdeutlicht nichts anderes.

Es handelt sich um die praktische Anwendung einer inzwischen zwar schon traditionellen Auffassung, für die es jedoch weder eine wirkliche Herleitung gibt, die dem Charakter eines Axioms Rechnung trägt, widerspruchsfrei zu sein; noch eine, in dem sie sich konkret, etwa in Form einer argumentativen Auseinandersetzung, gegen andere Auffassungen als zumindest vermeintlich richtig durchsetzte.

Gibt es Kommunisten der Idee, der Ideologie (oder dem Bekenntnis nach), und gelingt es ihnen 'die Macht zu erobern', so gibt es, so kann es Kommunismus geben. Aber scheitern diese Kommunisten, aus welchen Gründen auch immer, kann es den Kommunismus nicht geben“ (Jacobs 1993).

Jedes herein reden von Nichtkommunistinnen wird damit faktisch als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der K-Wort-Anhänger aufgefasst und unter den Generalverdacht der feindlichen, soll heißen antikommunistischen Interessenverfolgung gestellt und somit entweder direkt zurückgewiesen oder schlicht ignoriert. Ohne jede wirkliche Prüfung versteht sich. Das Axiom wirkt damit gleich einem Vorurteil und hebelt den so gerne hoch gehaltenen wissenschaftlichen Anspruch vollkommen aus. Statt wissenschaftlicher Kriterien wirken am Ende nicht mehr überprüfbare ideologische Konstruktionen von der praktischen Handhabbarkeit ganz zu schweigen. Bini Adamczak bemerkt ihr Kunststück nicht, dass die Aufhebung des Privateigentums – denn nichts anderes kann Kommunismus ja auf der Folie der Marxschen Überlegungen sein damit faktisch selbst ein solches voraussetzt. Sie hat so den Kommunismus zu einem gemacht der jemandem eigen ist (den 'Kommunistinnen') und ihn zugleich in diesem Selbstwiderspruch gefangen. Werden die abgestandenen Politbegriffe z. B. mit der deutschen Alltagssprache konfrontiert, läßt sich bereits mit recht einfachen Mitteln ein Zugang auf die Fragwürdigkeit dieses Anliegens gewinnen. Kommunistisch läßt sich ja mit „gemeinschaftlich“ zunächst ganz einfach übersetzen, schließlich geht es ja um nichts als die wechselseitige Produktion füreinander wie miteinander. Auf Basis hoch arbeitsteiliger, handwerklicher, zentral natürlich industriell-wissenschaftlicher Prozesse bildet das Fürund Miteinander der gesellschaftlichen Individuen in Produktion und Verteilung deren Gemeinwirtschaft, in der die Produkte ihrer gesellschaftlichen Arbeit nicht mehr in der Form von Waren die Hände zwischen Produzenten und Konsumenten wechseln müssen. Allerdings erfasst auch der deutsche Begriff das Problem nicht völlig. Zum einen weil der Begriff der Gemeinschaft notwendigerweise auch einen Plural hat und die Summe der unterschiedlichen Gemeinschaften für sich eben keine 'gemeinsame' Gemeinschaft im Wortsinn sein muss. Zum anderen weil der Begriff der Gemeinschaft einen persönlichen Zusammenhang voraussetzt, den es in einer großen Gesellschaft so nicht geben kann – die Entwicklung des Begriffs Menschheit von einem abstrakten zu einem realen Tatbestand benennt hier den eigentlichen Rahmen, wie es gerade der Film „Unsere Erde“ mit seinem selbstverständlich noch falschen Possessivpronomen plastisch deutlich machte. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene (die allerdings keine Ebene des Nationalstaats mehr sein kann) müssen die Beziehungen der Menschen zueinander daher abstrakte bleiben (das persönliche Fürund Miteinander ist schon angesichts der großen Zahl an Individuen keine wirklich realistische Vorstellung). Jedoch das sie verbindende Band muss ein anderes geworden sein. An die Stelle der Gleichgültigkeit ist Anteilnahme und Verantwortung mit den, wie für die Anderen getreten. Begriffe die der bisherige politische Kommunismus bei Marx gerne überlas, der ihm eigene Voluntarismus verschaffte sich dafür durch den Rückgriff auf Partei, Staat und Technik ein im Sinne des Kommunismus zwar pseudorealistisches, für die Veränderung der Welt allerdings um so mächtigeres Potential.

Übersetzen wir es von hier aus in Bini Adamczaks Intention zurück, haben wir folgenden, seltsamen Inhalt entdeckt: Der mögliche 'gemeinschaftliche' Zusammenhang aller Individuen wird von den Kommunistinnen auf den Kommunismus-Begriff spezifiziert, um für diese Spezifikation dann eine neue Gemeinschaft fest zu legen, zu der nur Kommunistinnen Zutritt haben. Das 'gemeinschaftlich-gesellschaftliche' (ergo kommunistische) Anliegen aller ist durch den Widerspruch zwischen Kommunistinnen und Nichtkommunistinnen entscheidend modifiziert worden. Entscheidend aus zwei Gründen: 1. die Kommunistinnen entscheiden nun ganz autoritär über die Definitionen dessen was als kommunistisch gelten darf. Damit ist faktisch ein neues Herrschaftsverhältnis in die Welt getreten, an einer Stelle die von Herrschaft gerade frei sein sollte. 2. Der Blick auf den Kommunismus erfolgt fortan aus einer rein politischen Brille. Der gesellschaftliche, sich spontan im gesellschaftlichen Leben entwickelnde Kommunismus ist in diesem Blick nicht mehr eingeschlossen, er ist daher als unpolitischer politisch nicht mehr existent. Darüber hinaus ist die hier in die Welt getretene Differenzierung zwischen Kommunistinnen und Nichtkommunistinnen nur die erste Stufe eines Widerspruches, die von einer notwendig folgenden, zweiten Stufe ergänzt wird. Der Widerspruch zwischen Kommunistinnen und Nichtkommunistinnen bedingt die weitere Differenzierung bei den Kommunistinnen selbst: bereits die 'Unterscheidung' zwischen richtig und falsch hebt die Homogenität hier auf und bildet den zuvor eingeführten Grundwiderspruch im Lager der Kommunistinnen tendenziell selbst erneut ab. Der Unterschied zwischen Kommunistinnen und Nichtkommunistinnen wiederholt sich hier also, gegebenenfalls auch in einer deutlich 'unfreundlicheren' Fassung: zunächst als abgestufte Abgrenzung vom schädlichen Denken über den Renegaten zum Verräter, um sich als Widerspruch zwischen Revolution(ären) und Konterrevolution(ären) zu zu spitzen.

Womit schon deutlich geworden sein sollte, warum diese Art Gesellschaft für die Masse der Individuen jeden Reiz verloren hat und kein Begehren mehr in ihnen auslösen kann. Koenens Definition „Utopie der Säuberung“ (1998) bringt diese Kollision der kommunistischen Utopie sehr schön auf den Punkt: denn jede „Säuberung“ von den 'falschen' Elementen, jede Häutung von den 'unbrauchbaren' Teilen der Bewegung, jedes Abstoßen der Feiglinge, Verräter und Renegaten ist ein Schritt zum 'Ziel', der dieses sich aber zugleich immer weiter entfernen lässt. So ist aus der Marxschen Bewegung der „ungeheuren Mehrzahl“ (Kommunistisches Manifest) inzwischen eine Bewegung im Promillebereich geworden.

Für diese Argumentation entscheidend ist zudem, daß sich die wichtige Forderung zur Geschichtsaufarbeitung mit der Festlegung Binis auf die Kommunistinnen damit schon als leere Abstraktion erweist, weil es diese als halbwegs homogene, für sich bestehende Gruppierung gar nicht gibt, der Begriff Kommunistinnen also keine irgendwie tragende Definition einer realen Gemeinsamkeit zum Ausdruck bringt, die sich nicht sofort wieder an den einfachsten Gegebenheiten bricht. Natürlich ist diese Grundtatsache Bini Adamczak nicht verborgen geblieben, denn auch für sie sind in der Tat „aus dem Kommunismus die Kommunismen geworden. Mehr als auf einen kommunistischen Pluralismus verweisen sie darauf, daß der Begriff des Kommunismus umkämpft ist, dass er das Feld politischer Auseinandersetzung bildet“ (2005/06, S. 64). Da Bini Adamczak sich ihrem Gegenstand nur abstrakt nähert, bleibt ihr der Widersinn ihrer Interpretation jedoch verborgen: denn wenn sich die Kommunistinnen vom Rest der Gesellschaft nicht weiter unterscheiden als in der Tatsache, daß sie den Kommunismus wollen, dieses Ziel sich unter der Hand aber in tausende einander widersprechende Ziele und Varianten aufspaltet und es keinen Weg gibt, der diesen mit dem Ziel, zu dem er führen soll, versöhnt, dieses also ein Stück weit in der Lage ist vorweg zu nehmen – geht ihr ganzes Anliegen ins Leere. Damit ist dieses Ziel selbst nicht nur ein Hirngespinst. Dieser Kommunismus ist sein eigenes und grundsätzliches Gegenteil. Denn ein sich so laufend teilender Kommunismus ist dann praktisch nichts als ein Partikularismus der sich als Allgemeiner von den anderen Partikularismen absetzen und über sie erheben will. Hier wird dem Sozialismus als Wissenschaft auch noch das letzte Stückchen Logik-Rückrat gebrochen.

Von den Texten auf die sie sich in „Gestern Morgen“ positiv bezieht, widerspricht ihr zum Beispiel Georg Glasers „Geheimnis und Gewalt“ völlig. Der Text ist eine der größten literarischen Abrechnungen mit dem Kommunismus bis Ende des 2. Weltkrieges, in dem gerade die Verwobenheit, wie Ähnlichkeit der kommunistischen Opposition mit dem zu bekämpfenden kapitalistischen System Thema ist. Diese Aufarbeitung läßt insbesondere auf Ebene des Individuums keinen Raum für eine solch verharmlosende Abstraktion der vielen „Kommunismen“, eben weil es eine praktisch völlig unhaltbare Position ist, zunächst den Kapitalismus der Unterdrückung, der Kriegstreiberei, der Asozialität, der Menschenverachtung und aller anderen möglichen wie unmöglichen Greuel zu bezichtigen und 'genau das' dann in potenzierter Form selbst durchzuführen, um die 'Alternative' Kommunismus zu erreichen. Der Text bricht schon – viel grundlegender als Bini sich das offenbar überhaupt vorstellen kann mit jedem instrumentellen Verhältnis der so genannten Bewegung zu den Individuen die sie bilden.

Die Hütten waren Treffpunkt und Zuflucht unzähliger, schwärmerischer, eigensinniger Persönlichkeiten und winziger Gruppen aller Dienstverweigerer der großen, die Arbeiterbewegung zerfleischenden Parteiheere. (...) Jeder entzündete eine neue Flamme in mir, und bald brannte ich lich terloh. (...) Seltsam jedoch war erst, daß alle felsenfest davon überzeugt waren, den einzigen Hebel zu besitzen, der die Welt aus den Angeln heben konnte. Sie wimmelten wie Samen um die große Mitte der Arbeiterbewegung, und jeder wollte derjenige sein, der das Ei befruchtete. Daß es ihnen allein darum ging, übersah ich zunächst völlig. (...) Es konnte keinem auf Dauer verborgen bleiben. Mehrere Parteigebilde bekämpften sich, jedes mit seinen Gewerkschaften, bewaffneten Heeren, Polizeiorganen, Hochschulgruppen, Heiligtümern, Verwaltungsfachleuten, fähig und einzig und allein bestrebt, nach Vernichtung aller Gegenspieler den Staat vollständig und allein zu bilden“ (Glaser 1989, S. 38-40).

Aus der Marxschen Beseitigung der „ungesellschaftlichen Gesellschaftlichkeit“ ist statt einer 'gemeinschaftlichen Gesellschaftlichkeit' real faktisch die Beseitigung der Zivilgesellschaft überhaupt geworden und aus einer Perspektive in die Zukunft ist eine unzerstörbare Wand entstanden, an der diese Bewegung aufgelaufen und zerschellt ist. Binis Versuch, mit Hilfe des Blicks zurück, dem gescheiterten Revolutionarismus neues Leben einzuhauchen, verkennt die Grundlagen dieses Scheiterns völlig. Es wundert daher nicht, dass sie die wichtigste Untersuchung zum organisierten Kommunismus in Deutschland ganz unbeachtet lässt (Mallmann 1996; mit Abstrichen für die so traditionelle wie falsche Stalinismusbegründung aber mit exzellentem biographischen Material: Weber 2004). Die Analyse der Widersprüche innerhalb der Führung wie zwischen autoritärer Führung und Basis machen deutlich, dass der bisherige Kommunismus keine Alternative sein kann, sondern nur als solche auftritt. In Wirklichkeit ist dieser Kommunismus also nichts als eine rückwärts gerichtete Variante der bürgerlichen Gesellschaft selbst die zu ihr in Konkurrenz steht. Nicht um die Befreiung der 'Arbeiter' im Marxschen Sinn geht es daher hier, sondern um die Ausnutzung ihrer Zwangslage in Richtung eines neuen Unterordnungsverhältnisses. Wenn es aber keine äußere Wand ist die sich da aufgebaut hat, von keinem Feind je errichtet – dann ist auch die bisherige Identifikation des bürgerlichen Lager als Feind, als Antikommunismus völlig falsch. Wenn der Antikommunismus selbst das andere Gesicht des, die dunkle Seite der Macht im bisherigen Kommunismus ist, dann kann nicht nur, dann muss der Kommunismus auch in der 'bürgerlichen' Kritik an dieser gegensätzlichen Einheit von kommunistischem Anspruch und antikommunistischer den gerade erhobenen Anspruch schon wieder konterkarierenden Praxis zu finden sein, die damit nicht mehr und schon gar nicht per se als Antikommunismus desavouiert werden kann.

Überhaupt bringt der Infinitiv „zu finden“ die eigentliche Problemlösung methodisch an eine Stelle, an dem vom Revolutionarismus Abschied genommen werden kann: Der Kommunismus kann nur im gesellschaftlichen Leben selbst zu finden sein, er ist nichts, was eine (elitäre) Minderheit der übrigen Gesellschaft voraus hätte, was sie ihr per Agitation über stülpen könnte. Und ist es nicht erstaunlich, dass mit dieser Perspektive der Marxsche Satz „die Befreiung der Arbeiter kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein“,2 wieder eine ungeahnte Aktualität bekommt? Allerdings müsste Revolution dazu nicht nur als Aufstand und Mittel zur Eroberung der Macht, sondern auch als Aneignung einer Gesellschaftlichkeitskompetenz der Individuen selbst gedacht werden können, wie es zwar schon sehr früh bei Marx etwa anklang, aber durch die Installation des Metasubjekts Partei zunächst in der Sozialdemokratie und im Anschluss daran bei den Bolschewiki zum Verschwinden gebracht wurde. Die 'schöpferische Abänderung' des Marxschen Grundsatzes, wie sie in dem oben zitierten Ausspruch Hermann Jacobs zum Ausdruck kommt, nur die Kommunistinnen könnten die Arbeiter (und die Gesellschaft) befreien, kann jedenfalls nur darauf hinaus laufen, dass es eine solche Befreiung niemals geben wird und infolgedessen auch der Kommunismus eine utopische Illusion bleiben müsste – für eine andere Interpretation der Geschichte gibt es m. E. keinerlei Raum.

Anmerkungen

1) Auf ein Glücksspiel läuft der 'ewige' Kampf zwischen Revolution und Konterrevolution zu. Zur Betonung der Streckung der Zeit wird er auf den Kampf zwischen „KonterKonterrevolution und KonterKonterKonterrevolution“ 'erweitert' und gerät damit in eine unendlich fortsetzbare Schleife. Wenn die Revolution bzw. die KonterKonterrevolution irgendwann siegreich bleibt, ist das (Sphinxe) Rätsel der Revolution gelöst!

2) Bitte hier „Arbeiter“ nicht mit den auf der untersten Stufe in der sozialen Hierarchie stehenden, so genannten 'Malochern' verwechseln. Für Marx bezeichnet der Begriff die große Mehrzahl der Menschen die ihre Arbeitskraft verkauft, völlig unabhängig von ihrer Qualifikation und ihrer Lohnhöhe, es handelt sich hier weder um ein moralisches noch um ein militärisches Argument. Erst diese Eigenschaft befähigt sie ja, sich als Klasse die gesellschaftliche Produktion an zu eignen und das Kapital - als die Krücke für die noch nicht vorhandene direkte Gesellschaftlichkeit - durch eben diese Gesellschaftlichkeit zu ersetzen. Die Aneignung dieser Gesellschaftlichkeit ist damit zugleich die Voraussetzung wie das Ergebnis dieses Veränderungsprozesses. Die Beseitigung des Privateigentums, ohne diese Bedingung mit einzubeziehen, schaffte ein 'Gemeineigentum' ohne 'Gemeinschaft', d. h. ohne wirkliche Eigentümer. Bürokratie ist hier also nicht die Ursache, sondern logischerweise bereits die Folge eines falschen Verständnis vom Eigentümer und seinem Eigentum.

Literatur/links 

Adamczak, Bini: „Gestern Morgen“, Münster 2007; im www mit Zugriff auf die Rezensionen etc.: http://www.unrast-verlag.de/unrast,2,266,13.html

Adamczak, Bini: „Kommunismus, kleine Geschichte wie endlich alles anders wird“ Münster 2005/06; im www: http://www.unrast-verlag.de/unrast,2,186,13.html  

Adamczak, Bini: „warum mir das Ausbleiben der Revolution auf den Magen schlägt“, in: diskus 2/03; im www: http://www.copyriot.com/diskus/2_03/text02.html  

Glaser, Georg K.: „Geheimnis und Gewalt“, Frankfurt a. M. 1989 

Herfurth, Hubert: „zur kommunistischen Utopiekollision“; im www http://www.trend.infopartisan.net/trd1105/t221105.html  

Imhof, Werner: „Fortsetzung des Kommunismus. Versuch Nr. 6 – Wie es weitergeht“; im www: http://www.unrast-verlag.de/unrast,3,0,273.html  

Jacobs, Hermann: „Sozialistischer Kapitalismus“ in Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 15, September 1993, S. 182f

Koenen, Gerd: „Utopie der Säuberung“, Berlin 1998; im www: http://www.gerd-koenen.de/

Mallmann, Klaus-Michael: „Kommunisten in der Weimarer Zeit, Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung“, Darmstadt 1996 

Weber, Hermann/Herbst, Andreas: „Deutsche Kommunisten; Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“, Berlin 2004

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Text vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.