Betrieb & Gewerkschaft
Thesen zu den Aufgaben der Gewerkschaftslinken
Gruppe Arbeitermacht, Diskussionspapier zu Konferenz der Gewerkschaftslinken am 10. Mai

05/08

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1. Die Tarifabschlüsse im Öffentlichen Dienst und die aktuellen „Strategiedebatten“ in den Gewerkschaften verdeutlichen, dass von den Gewerkschaftsführungen und vom Apparat keine politische Strategie und keine Mobilisierung zu erwarten sind, um die Interessen der Lohnabhängigen in ihrer Gesamtheit zu verteidigen. 

2. Zugleich gibt es mehr Kampfbereitschaft, wie die Zunahme der Streiks in den letzten Monaten und Teilerfolge, v.a. der GDL-Abschluss, gezeigt haben. Es wird aber auch deutlich, dass sich die Angriffe in den kommenden Monaten und Jahren weiter verschärfen werden. 

3. Das bedeutet, dass klassenkämpferischen und linken Strömungen und Gruppierungen in den Betrieben und Gewerkschaften und der IVG als einzigem bundesweiten übergreifenden Zusammenhang eine zentrale Verantwortung zukommt. Dieser ist sie aus verschiedenen Gründen in den letzten Auseinandersetzungen nicht gerecht worden. Es ist daher gerechtfertigt, nicht nur von einer Krise der Gewerkschaften und der Apparate, sondern auch von einer der Gewerkschaftslinken zu sprechen. 

Aufschwung, zu kurz geraten 

4. Nach sieben Jahren zwischen Stagnation, leichter Rezession und minimalen Zuwachsraten, erlebte die deutsche Wirtschaft 2006/07 mal wieder einen „Aufschwung.“ Die überwältigende Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung ist allerdings der Ansicht, dass sie davon nichts haben. Zu Recht! Die Arbeitslosenzahlen sind zwar um eine Million gesunken, aber die Leute sind in befristeten und vor allem Leiharbeitsverhältnissen gelandet. 

5. Die Rentenformel war so umgestrickt worden, dass nach ihr auch die RentnerInnen nichts zu erwarten gehabt hätten, wäre die Regierung nicht zu einer kleinen Korrektur bereit gewesen. Zur Erinnerung: Sowohl die Rentenreformen (Riester und Müntefering), wie auch die Ausweitung der Leiharbeit (Clement) waren das Werk von Sozialdemokraten. Trotz massenhafter Beteiligung an Protesten hatten die Aktionen der Gewerkschaften nie das Ziel, diese Angriffe zu verhindern, es sollte lediglich Unmut geäußert werden. 

6. Die Reallöhne sind seit 1999 kontinuierlich gesunken. Dabei blieben die tatsächlichen Lohnsteigerungen noch hinter den tariflichen Löhnen zurück. Das hat seine Ursache in einem wachsenden nicht-tariflichen Sektor und in dem von den Gewerkschaften meist mitorganisierten Abschmelzen übertariflicher Leistungen bzw. dem Aussetzen von tariflichen Regelungen in Standortsicherungsvereinbarungen. 

7. Beim Kapital ist die Situation genau umgekehrt. Insbesondere das Finanzkapital und die exportorientierte Industrie haben sehr hohe Renditen erzielt, und das nicht erst in den letzten zwei Jahren. Dank der Absenkung des deutschen Lohnniveaus im internationalen Vergleich sowie dem Sinken der „Lohnnebenkosten“ wurde in vielen Bereichen die ausländische Konkurrenz, vor allem innerhalb der EU, an den Rand gedrängt. Die deutsche „Exportweltmeisterschaft“ ist auf dem Rücken der Arbeiterklasse in Deutschland gewonnen worden und stellt einen Export von Arbeitslosigkeit in andere Länder dar. 

8. Die Tatsache, dass dennoch Produktions- und zunehmend auch Dienstleistungsarbeitsplätze ins Ausland verlagert werden, hat seine Ursache in einer ungeheuren Rationalisierung. Die einzige wirksame Waffe gegen die daraus folgende Arbeitsplatzvernichtung - die Arbeitszeitverkürzung - wurde von den Gewerkschaften aus der Hand gegeben. Im Gegenteil: Im Zuge der Unterwerfung unter die Wettbewerbslogik (und unter die Haushaltspolitik im öffentlichen Bereich) wurden die Arbeitszeiten sogar verlängert. 

Politische Unterwerfung 

9. Diese Politik der Gewerkschaftsführungen kann man unterschiedlich erklären. Sie selbst verweisen gern auf die Tatsache der allgemeinen Schwäche der Arbeiterklasse. In der Tat gibt es große Bereiche mit schlechtem Organisationsgrad und wenig Kampfbereitschaft. Aber das lässt sich wiederum teilweise auf die Demobilisierung durch die Apparate zurückführen. 

10. Ganz offensichtlich wird das, wenn tatsächlich Massen ihre Kampfbereitschaft demonstrieren, wie zuletzt im Öffentlichen Dienst oder in der Metallindustrie 2007: Die Forderungen werden von vornherein so aufgestellt, dass ein Kompromiss für das Kapital verkraftbar ist, der auch von einem Teil der Beschäftigten als Erfolg empfunden wird. Es sind die Führungsapparate, die Spitzen der Gewerkschaften sowie die (Gesamt)-Betriebsratsspitzen, die den Kampf vermeiden wollen. Die fortgeschritteneren Teile der Basis, z.B. die Vertrauensleute, werden so frustriert und die Chance, in Streiks Kampferfahrungen zu sammeln und Bewusstsein zu bilden werden, werden untergraben. 

11. Die entscheidende Begründung ist also in der politischen Orientierung zu suchen. Die große Mehrheit der Verantwortlichen ist politisch überzeugt, dass es keine Alternative zur „Sozialpartnerschaft“ gibt. Es handelt sich dabei aber nicht um eine „Partnerschaft,“ sondern darum, dass das Kapital seine Bedürfnisse durchsetzt und einen - je nach Lage - größeren oder kleineren Spielraum für Zugeständnisse an bestimmte Teile der Klasse zulässt. Diese Zugeständnisse sind heute teuer erkauft, z.B. Kündigungsschutz gegen Lohnabsenkung und Arbeitszeitverlängerung. Hinter dieser Orientierung steht also die grundsätzliche Akzeptanz des kapitalistischen Systems und der Bedürfnisse des deutschen Kapitals im internationalen Wettbewerb. 

12. Auf politischer Ebene haben sich Teile des Apparates wieder stärker an die SPD angeschlossen, ein anderer ist dabei, ins Lager der LINKEN zu wechseln und betrachtet diese nun als politische Vertretung der Gewerkschaften. Die Zuwendung zur LINKEN drückt Unzufriedenheit mit der SPD und den Willen aus, nach einer politischen Alternative zu suchen. Diese Hoffnungen werden jedoch enttäuscht werden! Mit der Bildung der LINKEN hat sich eine zweite, linkere sozialdemokratische Partei gebildet, die den Kapitalismus und seine Krisen selbst besser (also „richtig“ keynesianisch und sozialdemokratisch) verwalten will. Diese Konzeption ist eine zum Scheitern verurteilte Illusion, die auf Bundesebene dort enden wird, wo die LINKE heute in Berlin schon ist - in einer Koalition mit der SPD. 

13. Innergewerkschaftlich ist diese Entwicklung auch deshalb brisant, weil sie Gefahr läuft, die Vorbereitung und Organisierung eines politischen Abwehrkampfes mit Streiks, Besetzungen, landesweiten Demonstrationen usw. zugunsten einer Perspektive auf die Bundestagswahlen 2009 zu vertagen. 

14. Daher muss die Tatsache, dass sich die Apparate in allen Kämpfen als Hindernis erwiesen haben und erweisen werden, offen angesprochen und erklärt werden. Nur eine klare politische Positionierung dagegen erlaubt es den AktivistInnen, eine produktive Auseinandersetzung mit den sozialpartnerschaftlichen, sozialdemokratischen, reformistischen Positionen zu beginnen und sich selbst dabei politisch weiter zu entwickeln. 

Aufgaben der Gewerkschaftslinken 

15. Aus dieser Analyse wird klar, dass - außer im extremen Ausnahmefall - von Gewerkschaftsführungen und vom Apparat kein ernster Kampf, keine Mobilisierung zu erwarten ist. 

16. Die Kämpfe der letzten Jahre zeigten zwar auch, dass die Gewerkschaften gegen den Willen ihrer Führungen mitunter in einen Konflikt gezwungen wurden (Metalltarif 2002, AEG, BSH, Anti-Agenda 2003/2004 usw.). Aber diese Kämpfe wurde immer so weit kontrolliert, dass sie beendet werden konnten, wenn es der Führung passte. 

17. Die Lohnabhängigen werden trotz ihrer Wut, ihrer Verärgerung über tägliche Zumutungen im Betrieb, in der Arbeitsagentur oder einfach im Leben (steigende Preise, schlechtere soziale Leistungen) diese Blockade der Führungen und Apparate nicht spontan und schon gar nicht auf Dauer durchbrechen können.

Damit das gelingen kann, ist eine handlungsfähige bundesweite Opposition notwendig, die offen eine Alternative zum Apparat vertritt, die eine eigene Politik in den wichtigsten Fragen entwickelt und darum KollegInnen organisiert, sprich den Keim einer alternativen klassenkämpferischen Gewerkschaftsführung darstellt. Auch wenn die IVG heute davon weit entfernt ist, so muss sie anfangen, bewusst in diese Richtung zu arbeiten. 

18. Das heißt selbstverständlich, dass Gewerkschaftslinke in betrieblichen, gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen eingreifen und Kämpfe und Aktionsbündnisse unterstützen müssen. In vielen Städten haben sich KollegInnen der Gewerkschaftslinken an der Unterstützung des GDL-Streiks gegen die DGB-Bürokraten beteiligt und damit auch in der Praxis und öffentlich einen anderen Kurs verfolgt als der Apparat. 

19. So sollte die Gewerkschaftslinke z.B. in die kommende Metall-Tarifrunde koordiniert mit folgenden Forderungen eingreifen:

- 400 Euro mehr für alle, 100 mehr für alle Azubis!

- Laufzeit von einem Jahr - nicht länger!

- Keine Kompensationsgeschäfte gegen Arbeitszeitverlängerung und Flexibilisierung!

- Bundesweite Kampagne zur 35-Stunden-Woche in der ganzen BRD und zur Vorbereitung des Kampfes für die 30-Stunden-Woche!

- Wahl und Abwählbarkeit von Streikkomitees! Keine Geheimverhandlungen, keine Aussetzung von Streiks, keine Abschlüsse ohne vorherige Zustimmung der Basis! Volle Mobilisierung der Kampfkraft, um eine kräftige Lohnerhöhung durchzusetzen, keine Flexistreiks, sondern eine landesweite Streikbewegung!

Diese Forderungen sollten in der Tarifbewegung bundesweit von den Gewerkschaftslinken, von Vertrauensleuten etc. eingebracht und die Forderungen durch Flugblätter und auf Veranstaltungen verbreitet werden. 

20. Eine solche Vorgehensweise für die Metall-Tarifrunde ist nur ein Beispiel, das auch auf andere Bereiche und gesellschaftliche Auseinandersetzungen angewandt werden kann und soll - z.B. im Kampf gegen Privatisierungen von Bahn, Post, Nahverkehr, Wasserwerken etc. oder im Kampf gegen Leiharbeit, Hartz- und Agenda-Gesetze. 

21. Schon vor einigen Jahren hat sich die Gewerkschaftslinke eine Aktionsplattform gegeben, diese viele dieser Fragen behandelt und darlegt, wofür die Gewerkschaftslinke kämpfen will. Unserer Meinung nach bietet diese nach wie vor einen ausreichenden Rahmen zum gemeinsamen Handeln der verschiedenen politischen Strömungen und lokalen Gruppen der Gewerkschaftslinken. Es gilt nun, diese Orientierung mit Leben zu erfüllen, so dass aus der Gewerkschaftslinken eine kämpfende und handelte Opposition in Betrieben und Gewerkschaften wird!

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir durch per Mail: Arbeitermacht Nummer 363 vom 13. Mai 2008
 

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