Alternativgipfel in Lima, Peru

von desde AQP

05/08

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Vom 10. bis zum 16. Mai 2008 fand in Lima, Peru - parallel zum offiziellen Gipfeltreffen zwischen Europa (EU) und Lateinamerika und der Karibik (LAC) –  der Alternativ-Gipfel "Enlazando Alternativas 3"( Alternativen knüpfen) statt.  Hier nun einige Eindrücke der Ereignisse.

Vom 10. bis zum 16. Mai 2008 fand in Lima, Peru - parallel zum offiziellen Gipfeltreffen zwischen Europa (EU) und Lateinamerika und der Karibik (LAC) –  der Alternativ-Gipfel: "Enlazando Alternativas 3"( Alternativen knüpfen) statt. Organisiert von diversen sozialen Bewegungen Europas und Lateinamerikas versteht sich das Treffen als "Gipfeltreffen der Völker (pueblos)" um der kapitalistischen Globalisierung Widerstandsformen entgegenzusetzen.

Mit Analyse und Anklage des Machtsystems des Neoliberalismus auf dem "Tribunal Permanente de los Pueblos (TPP)" und mit der Vernetzung der solidarischen Bündnisse sollte der Gegengipfel Alternativen zu Armut, Privatisierung, Ausgrenzung, Militarisierung, Krieg und Umweltzerstörung aufzeigen.

Ziel des Gipfels der Mächtigen ( der Konzerne und Politiker_innen) war es, weitere Liberalisierungabkommen zwischen EU und LAC durchzusetzen, die für die Mehrheit der Menschen eine zweite "Eroberung" Lateinamerikas, eine "reconquista", weitere Privatisierung und Prekarisierung bedeuten.

Im Bewusstsein, dass der offizielle Gipfel und das dort verabschiedete Gelaber vollkommen an den Interessen der Mehrheit der Menschen vorbeigeht, trafen sich im Laufe der Woche mehrere 10.000 Menschen, um konstruktiv und gemeinsam über Alternativen zum kapitalistischen System weltweit zu debattieren.

Den Auftakt machte ein Kongress von rund 100 Jugendlichen aus Lateinamerika und Europa, auf dem sie sich am Wochenende vom 10. zum 11.05. intensiv mit Fragen zu Militarismus, Menschenrechten, Gendermainstreaming, Sexismen, Umweltzerstörung, Rassismen u.v.m. auseinandersetzten. Ziel war es dabei, am Ende des Treffens eine Resolution zu verabschieden, die Alternativen zum heute vorherrschenden neoliberalen Diskurs bietet.

Dieses Papier ist v.a. als ein Arbeitspapier der Jugendlichen zu verstehen, das es ermöglicht, trotz unterschiedlichster linker politischer Hintergründe und Organisationsstrukturen einen gemeinsamen Rahmen zu setzen.
Außerdem wurde das Papier an die Leitung des TPP weitergeleitet.

Zukünftiges Ziel wird es sein, ein internationales Netzwerk organisierter linker Jugendlicher aufzubauen, die sich nicht nur zum nächsten Gipfel treffen werden, sondern auch darüber hinaus stetig in den jeweiligen Ländern und Städten zu agieren und sich immer wieder über die jeweiligen Erfahrungen der globalisierungskritischen Bewegung auszutauschen.

Der 12. Mai 2008 stand im Zeichen des Indigenen- Gipfels, auf dem über 2.000 Menschen teilnahmen. Er sollte ein Forum und eine Artikulationsmöglichkeit für die Marginalisiertesten des südamerikanischen Kontinents werden und das ist ihm gelungen.
Es sprachen auf dem Plenum u.a. Aníbal Quijano von den Universitäten Binghamtom, und San Marcos, Lima und Miguel Palacin als Koordinator der Organizaciones Indíginas ( CAOI).

Themen der Workshops waren u.a.: Modernidades (Moderne), Cosmovisiones Indígenas (indigene Kosmovisionen) y Contexto internacional (Internationaler Kontext); Post Neoliberalismo (Post- Neoliberalismus), Madre Tierra (Mutter Erde), Desarrollo y Buen Vivir (Entwicklung und Wohlstand) und Estado Plurinacional Comunitario (Plurinationaler, kommunitärer Staat).

Von Dienstag bis Freitag fanden dann auf dem eigentlichen Gipfel über 110 Workshops und diverse kulturelle Veranstaltungen (Theater, Konzerte,Graffitti, Poetryslam, etc.) statt zu Themen allgemein gehaltenen wie: „El Racismo mata“ (Rassismus tötet) oder „El Derecho a la Educación frente a la Privatización y el Neoliberalismo“ (Das Recht auf Bildung in Zeiten der Privatisation und des Neoliberalismus) und sehr konkreten Arbeitsgruppen zu z.B. „Migraciones: Relación Perú – Italia“ (Migrationen: Beziehungen zwischen Peru und Italien).

Sportlicher Höhepunkt des Gipfels war sicherlich das Fussballspiel mit Evo Morales, bei dem es eher um den symbolischen Gehalt (“der Praesident als Typ von nebenan”) als um grandiose sportliche Leistungen ging….


Am Freitagabend fand als offizieller Abschluss des Alternativgipfels eine Demonstration mit ca. 20.000 Teilnehmer_innen statt, die auf der Plaza 2 de Mayo endete. Nach einem vielfaeltigen kulturellen Programm, das von traditioneller indigener Musik bis hin zu argentinischem Maedelz-HipHop reichte,  wurde die Resolution des TPP verlesen und anschließend wurden mit frenetischem Beifall sowohl der cubanische Vize- Außenminister Abelardo Moreno als auch der Präsident Boliviens Evo Morales von 30.000 auf der Plaza wartenden Menschen begrüsst.

Wieder einmal zeigte sich, wie wenig das Problem des Antiamerikanismus innerhalb der Linken in Lateinamerika reflektiert wird, als ein ueberdimensionaler Pappmachékopf, der Bush darstellen sollte, mit Benzin übergossen und angezündet wurde.  Glücklicherweise schienen nicht alle Umstehenden so begeistert von dieser wenig geistreichen Aktion zu sein. Vielleicht lag das nicht zuletzt daran, dass dadurch die Rede Morenos gestört und ihr nur noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Anschließend wurde die Abschlussresolution des TPP verlesen (in voller Länge, auf Spanisch:  http://www.enlazandoalternativas.org/ ).

Hierbei handelt es sich lediglich um Bittstellungen an die Herrschenden, von denen eigentlich nicht wirklich jemensch glaubt, dass sie Gehör finden (die Frage stellt sich dann natürlich, warum überhaupt ein solches Papier verfasst wird...?).

Auf meine spätere Frage an die Organisator_innen, warum denn die Declaración Evo Morales nicht symbolisch auf der Bühne überreicht worden sei, bekam ich nur die Antwort, dass er das Papier schon kenne, da er es schon vor 2 Wochen erhalten habe.  Das bedeutet im Klartext, dass das in der Aktionswoche gemeinsam erarbeitet Papier überhaupt keine Relevanz hatte und einfach von den Organisator_innen übergangen wurde. Eine Enttäuschung, wie wir sie auch schon beim letzten Gipfel in Wien erlebt haben, zeigt es doch einmal mehr, wie wenig transparent und basisdemokratisch der Alternativgipfel, bzw. das TPP organisiert sind...

Aus der Deklaration:

“La única salida de los pueblos latinoamericanos, caribeños y europeos es unirse en torno a la defensa de su bienestar y fortalecer la resistencia y movilización contra las políticas neoliberales. Ella debe nutrirse de los aportes de mujeres, pueblos originarios, campesinos y demás fuerza sociales que, con su presencia masiva en la Cumbre Social, han dado ejemplo de combatividad y de elaboración de alternativas en búsqueda de un progreso sustentado en la armonía con la naturaleza, los derechos humanos y la eliminación de todas las formas de discriminación. [...] Exigimos a los gobiernos atender efectivamente las demandas de los pueblos por construir otro tipo de relaciones entre las regiones, basadas en la superación del modelo de mercado. Hacemos un llamado a la población a no dejarse engañar más por gobiernos autoritarios que pretenden criminalizar la justa protesta civil. Instamos a los habitantes de América Latina, el Caribe y Europa a sumarse a la fuerza cada vez mayor de organizaciones que buscan un mundo mejor para todos, y así estar a la altura de los desafíos que hoy enfrenta la humanidad.”

Übersetzung: Der einzige Ausweg der lateinamerikanischen, karibischen und europäischen Völker (pueblos) ist, sich für die Verteidung ihres sozialen Wohles zu vereinigen und den Widerstand und die Mobilisation gegen die neoliberalen Politik zu stärken. Dieser Widerstand muss aus der Arbeit der Frauenbündnisse, der indigenen Völker, der Bäuerinnen und Bauern und der anderen sozialen Bewegungen wachsen, die, mit ihrer massiven Präsenz auf der Cumbre Social, ein Beispiel für Kampfkraft und Elaboration von Alternativen gegeben haben, sich auf der Suche nach einem revolutionären Prozess, der sich in Harmonie mit der Natur versteht, der die Menschenrechte achtet und jede Form von Diskrimination ausschließt, befindend. [...]
Wir fordern von den Regierungen, den Forderungen der pueblos effektiv Achtung zu schenken, um eine andere Art von regionalen Relationen aufzubauen, die auf der Überwindung des marktbeherrschenden Modells basieren.
Wir rufen die Bevölkerung auf, sich nicht länger von autoritären Regierungen betrügen zu lassen, die nur zum Ziel haben, die Proteste zu kriminalisieren.
Wie rufen die Bewohner_innen Lateinamerikas, der Karibik und Europa auf, sich aktiv in den immer stärker werdenen Organisationen, die eine bessere Welt für alle schaffen wollen, zu beteiligen und somit auf gleicher Augenhöhe der neoliberalen Kampfansagen zu sein, die heute die Menschheit bedrohen.


Im Großen und Ganzen kann der Gipfel als ein Erfolg gewertet werden.
Jedoch hängt diese Bewertung natürlich stark davon ab, was mensch von einem solchen Gipfel erwartet.

Solche events bieten eine sehr gute Möglichkeit, sich innerhalb internationaler sozialer Bewegungen zu vernetzen, Erfahrungen auszutauschen, Unterschiede der verschiedenen politischen Diskurse und Organisations- und Aktionsformen kennenzulernen und ggf. von diesen zu lernen.

Es ist wohl kaum zu erwarten, auf solch einem Treffen, die Weltrevolution zu starten und dessen muss mensch sich von Anfang an bewusst sein.  Auch sollte jedeR sich die Frage stellen, wie sinnvoll es ist, an einer Deklaration zu arbeiten (wie oben erwähnt), die auf keinen Fall alle Aspekte der unterschiedlichen Strömungen widergeben kann und auch nicht unbedingt von Teilnehmenden des offiziellen Gipfels zur Kenntniss genommen wird.
Der Arbeits- Konsens war aufgrund der Präsenz von sehr unterschiedlichen Gruppen sozialer Bewegungen auf einer sehr allgemeinen Ebene angesetzt. Durch die Diversitäten der Gruppen, musste jede einzelne Gruppe enorme Kompromisse machen, um nicht vollkommen aneinander vorbei zu agieren. Es war äußerst spannend zu beobachten, dass verschiedenste soziale Gruppen einen gemeinsamen Nenner, und sei es eben nur in der Zeit eines gemeinsamen Workshops, finden können. (Vorbild für Europa?)
Die Kompromisse hatten aber auch zwangsläufig zur Folge, dass die verfassten Alternativen oder Vorschläge an das TPP sehr allgemein, wenn nicht sogar schwammig waren.

Die Prioritätenfrage, ob nun der Arbeitsprozess oder das Resultat das Wichtigste sei, kann nur jedeR für sich selbst beantworten.

Die nächste Cumbre Social, „Enlazando Alternativas IV“ findet 2010 in Spanien statt.
Alle sozialen Bewegungen aus den Amerikas, Europa und Asien sind eingeladen, an dieser aktiv teilzunehmen.

Weitere Infos: www.enlazandoalternativas.org

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien am 20.5.08 bei Indymedia