Nach der Verhaftung Abdullah
Öcalans schien es für kurze Zeit ruhig um das
Volk der KurdInnen. Der PKK sei der Kopf abgeschlagen, das
Volk von den Staaten des
fruchtbaren Halbmond stärker niedergehalten als je zuvor.
Doch damit ist nun schon lange
vorbei. Die PKK hat ihren Kampf wieder
begonnen, im Norden des Irak regiert eine kleine Fraktion der
kurdischen US-FreundInnen als
Handlanger des Imperialismus und Öcalan wird langsam
aber sicher wie Milosevic im Gefängnis ermordet.
Doch das Volk im Norden Mesopotamiens, der Wiege der
menschlichen Zivilisation, zerteilt in mehrere Staaten, hat
bis heute keine nationale
Unabhängigkeit. Selbst im Norden des Irak wird sie ihnen- so
wie dem Osten Boliviens oder den
Albanern im Kosovo - nur so weit
zugestanden, wie sie dem
Imperialismus selbst dient.
Heute lies ich mal wieder einen der immer gleichen
Propagandaartikel einer "einzig
wahren revolutionären" Organisation über mich ergehen,
diesmal eben zu Kurdistan. Zu Anfang wurde wie immer der
gleiche nichts sagende
Geschichtsüberblick gebracht, gespickt mit Zitaten von Marx
und Lenin. Und wie immer fehlte
die Zeit, in der ein Teil des kurdischen
Volkes besser leben konnte, als im gesamten Rest seiner
Geschichte- im Roten Kurdistan.
Nach der Revolution lebte auf dem Gebiet im südlichen
Kaukasus, dass später Teil der
Sowjetunion werden sollte, ein nicht zu übergehender Teil
an KurdInnen. Sie waren in zwei Wellen, einer zur Zeit
des osmanisch-russischen Krieges und
einer kurz nach der Revolution, sogar bis
nach Sowjetrussland gekommen.
Vor allem im heute zu Aserbaidschan gehörenden Gebiet,
westlich von Berg-Karabach, um
die 10.000-Seelen-Kleinstadt Laçin, sammelten sich
KurdInnen. Hier hatten bereits im 18. Jahrhundert
kurdische Nomaden gesiedelt. Kurz nach
der Bildung der Sowjetrepublik in Aserbaidschan wurde
das Gebiet Teil von ihr (1920). Drei Jahre später war
es dann soweit, das Gebiet wurde am 23.
Mai 1923 zu einer autonomen Provinz, genannt Oblast, mit dem
Namen Rotes Kurdistan. Offiziell wurde die Entscheidung am 7.
Juli 1923 vom hochrangigen Funktionär
und langjährigen Bolschewiki Kirov
unterzeichnet.
Laut Aufzeichnungen sollen hier nach der Revolution 60.000
KurdInnen, exklusive den KurdInnen in
anderen Teilen des Südkaukasus, gelebt haben.
Amtssprache wurde Kurmandschi und das
Verwaltungszentrum Laçin. Doch andere
kurdisch-dominierte Gebiete durften sich dem Oblast nicht
anschließen.
Ziel der Führung in Moskau war eine gemeinsame Heimstätte für
die KurdInnen des Kaukasus zu schaffen- ein ähnliches Konzept
wie zuvor bei den ArmenierInnen in der Provinz Karabach
durchgeführt wurde und mit Birobidschan später für die
jüdische Bevölkerung der Sowjetunion angedacht werden sollte.
Lenin hatte selbst ein Entwicklungsbudget von 40 Mill. Rubel
für den Ausbau der Infrastruktur und der Bildung für die neue
Autonomie angeordnet. Doch von Beginn an sollte die Autonomie
ein Spielball in der Hand der sich neu herausbildenden
Bürokratie werden.
Die Interessen zwischen Armenien, Aserbaidschan und dem aus
Georgien stammenden Stalin sollten an dieser Frage zusammen
prallen. Das Budget wurde nach dem Tod Lenins von der
stalinistischen Führung in die Kassen der ArmenierInnen
gelenkt- um die Aserbaidschanische Republik zu schwächen.
Rasch formierte sich Widerstand der KurdInnen gegen die
Behandlung ihrer Autonomie durch die Bürokratie. Dies sollte
ihr Ende beschleunigen. Bereits sechs Jahre nach der
Etablierung des Roten Kurdistan wurde es 1929 durch Beschluss
des sechsten Aserbaidschanischen Sowjetkongresses am 8. April
1929 wieder aufgelöst. Grund war die Intervention des
Generalsekretärs der KP Aserbaidschans, Nariman Bagirov, in
Moskau.
Vom 30. Mai bis 23. Juli 1930 existierte nochmals für fast
drei Monate eine kurdische Autonomie in der Region, die
diesmal auch weitere Bezirke umfassen sollte.
Bis in die Zeit der Großen Säuberungen und Stalins Schwenk zum
großrussischen Sowjetchauvinismus wurden die KurdInnen als
Nation aber weiter gefördert- auch wenn sie kein autonomes
Gebiet mehr hatten.
Kurdische Schulen wurden eröffnet und Anfang 1937 wurde
in Jerewan, der Hauptstaft Armeniens,
erstmals die kurdische Zeitung Riya Teze publiziert.
(Andere Quellen Sprechen von einer Gründung bereits im
Jahr 1931 oder 1932).
Bis dahin wurden nahezu dreißig kurdische Bücher in
Aserbaidschan publiziert, nachdem beim
nationalen Minderheitenkongress 1931 in Baku die
Aserbaidschanische Sowjetrepublik wegen ihrer harten
Haltung gegen die KurdInnen gerügt
wurde.
Doch bereits 1938 veränderte sich das Bild radikal. KurdInnen
wurden deportiert, die Zeitung als sinowjewsche und
trotzkistische Propaganda verfolgt. Viele der ehemaligen
politischen Führer der
kurdisch-sowjetischen Autonomierepublik wurden in den
Schauprozessen verurteilt. Die
kurdische Sprache wurde verboten und alle Schulen
geschlossen.
Während des Zweiten Weltkrieg
ging es den KurdInnen noch schlechter. Als nach
dem Hitler-Stalin-Pakt im August und der Zerschlagung Polens
im September 1939 eine französische
Intervention über Persien drohte,
erkannte der Innenminister Lawrenti Beria in den KurdInnen
plötzlich überhaupt kollektiv
"volksfeindliche Elemente" und ließ nun den
Rest von ihnen von der Grenze deportieren.
Doch viele KurdInnen setzten ihren Kampf gegen den Stalinismus
und für ein sozialistisches
Kurdistan als Teil der Sowjetunion im Exil weiter fort. Aus
Kasachstan kam Propagandamaterial
in die Region und die kurdische
Nationalität wurde dadurch von der Bürokratie noch stärker
unterdrückt. "Bergbewohner" und
"Bergtürken" waren beliebte
Schimpfwörter.
Zwanzig Jahre nach dem ersten
Erscheinen der kurdischen Zeitung entstand in Armenien
ein kurdisches Radio sowie ein kurdisches Sprachinstitut, dass
aber aus Geldmangel zwei Jahre später seine Tore wieder
schließen musste.
Vor allem im Exil wurde weiter
fieberhaft vom "vergangenen Paradies" geträumt und für seine
Wiederkehr gekämpft. Die Hoffnungen
wurden nach Stalins Tod in Chrustschow gesetzt und eine
Delegation nach Moskau entsandt- ohne Erfolg, aus
Moskau kam keine
Antwort auf die Forderung der Wiedererrichtung Rot-Kurdistans
zum Schutz des Volkes und seiner
Kultur.
Bei den Volkszählungen wurden die KurdInnen systematisch nicht
erfasst und statt weit über hunderttausend KurdInnen wurden
1959 nur 1.487 gezählt. Auch 1989 waren es offiziell nur
12.226, tatsächlich ein Dreißigstel der größten Minderheit des
Landes. (Auch heute wird in Aserbaidschan von staatlicher
Seite von 13-14 tausend KurdInnen gesprochen, tatsächlich sind
es wohl knapp 500.000, ohne den vollständig assimilierten.)
Unter Gorbatschow wurden die UnterstützerInnen Rot-Kurdistans
wieder aktiv. 1989 schien man endlich am Ziel. Kurdische
Klassen wurden eingerichtet und die kurdische Sprache in der
Öffentlichkeit nicht mehr unterdrückt. Doch dann brach die
Sowjetunion auseinander. Im Krieg zwischen Armenien und
Aserbaidschan gerieten die KurdInnen wieder einmal zwischen
die Fronten.
Vor allem die ArmenierInnen, selbst Opfer eines Genozids,
machten keinen Unterschied zwischen moslemischen KurdInnen und
moslemischen Azeris. Die Bezirke des ehemaligen Rot-Kurdistan
gingen an Armenien verloren und diese (bestenfalls) vertrieben
die kurdische Bevölkerung. Ein großer Teil wurde misshandelt,
vergewaltigt und ermordet. Unzählige von ihnen leben heute
noch in provisorischen Flüchtlingslagern, ohne fließendes
Wasser und Strom. Wie in den Flüchtlingslagern der
PalästinenserInnen und IrakerInnen wartet auch auf sie ein
Leben ohne Hoffnung und Zukunft. Das Rote Kurdistan ist nur
noch die Geschichte des Paradieses, die ihre Urgroßeltern noch
kannten.
Editorische
Anmerkungen
Den Text
erhielten wir vom Autor am 25.5.08 zur Veröffentlichung.
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