In einer
kapitalismuskritischen Rede auf dem ersten Parteitag der
LINKEN in Cottbus hat Oskar Lafontaine
die Delegierten beschworen die Zukunft der
Partei durch ein eigenständiges Profil zu über
kurzfristige Erfolge hinaus zu sichern.
Er sieht DIE LINKE als Partei gegen den Zeitgeist, sofern sie
das Denken und die Sprache der Herrschenden negiert und
sich einen eigenen Begriffsapparat
schafft. Versäumt sie dies, wird sie, so Lafontaine, an
den auf sie zukommenden politischen Aufgaben scheitern.
Die neoliberale Hegemonie ist laut Lafontaine Geschichte.
Ausgehend von den verheerenden
Wirkungen neoliberaler Politik auf breite Bevölkerungsteile,
dem offensichtlichen Versagen marktradikaler Lösungen
bei der Erfüllung sozialer,
ökologischer und infrastruktureller Aufgaben und der Rückkehr
des Krieges als Mittel der Politik,
wandeln sich die Diskurse. Sie werden
kritisch und suchend. Die neue Linkspartei wird durch diesen
Wandel ebenso befördert, wie sie
gleichzeitig den schon vorher begonnenen Wandel der
Diskurse weiter mit befördert.
Der Gründungsprozess der Partei DIE LINKE seit 2005 hat das
Gefüge der Parlamentsparteien zunächst
erschüttert und Wirkungen auf die Politik der
übrigen Parlamentsparteien, wie kritische Debatten,
neue Vermittlungsansätze und
vorsichtige Korrekturen, sind die mittelbare Folge davon.
Lafontaine hat dafür die
Sprachregelung, ‚DIE LINKE regiere aus der Opposition heraus',
entwickelt. Die Linkspartei treibt die anderen
Parlamentsparteien vor sich her und
bricht wahlpolitisch in ihr Terrain ein.
Lafontaine beschreibt richtig, wie die Entfaltung linken
Einflusses auf Politik an die
Entwicklung der gesellschaftlichen Diskurse gebunden ist. Er
fordert von den Delegierten das Selbstbewusstsein zum
vermeintlich Selbstverständlichen: "DIE
LINKE muss ihre eigene Sprache finden, besser
noch zur Dialektik zurückkehren. Dialektiker sein,
heißt, den Wind der Geschichte in den
Segeln haben. Die Segel sind die Begriffe. Es genügt aber
nicht, über die Segel zu verfügen. Die Kunst ist, sie setzen
zu können. Das ist das entscheidende. -
Soweit Walter Benjamin. - Wir haben Begriffe
gesetzt: DIE LINKE, den Mindestlohn, Hartz IV muss weg,
wir wollen eine armutsfeste Rente und
die Bundeswehr muss raus aus Afghanistan. Und wir
haben den Wind der Geschichte in unseren Segeln. Das
macht unseren Erfolg aus, liebe
Freundinnen und Freunde."
Der Begriffsapparat, den er dem Parteitag dann vorschlägt,
entwickelt er allerdings nur
antineoliberal, kapitalismuskritisch und auf die Tradition
der deutschen Arbeiterbewegung zurück greifend als
klassisch sozialdemokratischen
Forderungskatalog. Bemerkenswert ist, dass er allein
auf die Hegemonie in den gesellschaftlichen Diskursen
und die Partei als
parlamentarischen Akteur zielt. Politik verkürzt sich so zu
einer Veranstaltung in Massenmedien und
Parlamenten. Es wird stellvertretend und
medienvermittelt durch die Partei gehandelt. Das die
gesellschaftliche Dynamik erst durch
aus Diskursen resultierenden Bewegungen, die auf die
Institutionen , z.B. die Parteien einwirken entsteht,
geht dabei verloren.
Im Mittelpunkt von Lafontaine's politisch-inhaltlichen
Überlegungen steht die Neuregulierung
der internationalen Finanzmärkte; denn im
"finanzmarktgetriebenen Kapitalismus" sieht er die
Fehlentwicklung der letzten Jahrzehnte.
"Der Finanzkapitalismus, liebe Freundinnen und Freunde,
hat zu einer dramatischen Verschiebung der Macht- und
Kräfteverhältnisse in Politik und
Gesellschaft geführt. Kurz vor Antritt der rot-grünen
Regierung im Jahr 1998 hat der damalige
Bundesbankpräsident Tietmeyer auf dem
Weltwirtschaftsforum in Davos an die versammelten
Regierungschefs gerichtet gesagt:
"Meine Herren, Sie sind jetzt alle der Kontrolle der
internationalen Finanzmärkte
unterworfen." Und am Anfang der rot-grünen Regierung
verabschiedete Joschka Fischer Politik mit dem Satz:
"Ihr glaubt doch nicht, ihr könntet
Politik gegen die internationalen Finanzmärkte machen." Die
Folgen dieser Herrschaft können wir heute in
Deutschland besichtigen - den Fall der
Lohnquote, Kinderarmut, sich ständig ausweitender
Niedriglohnsektor, unsichere und prekäre
Arbeitsverhältnisse - kurz gesagt, die
Aushöhlung der repräsentativen Demokratie."
Mit einem 12-Punkte-Programm von der Wiederherstellung
stabiler Wechselkurse über die
Einführung der Tobinsteuer bis zum Verbot von Hedgefonds soll
die außer Kontrolle geratene
zerstörerische Dynamik der um den Erdball jagenden
Finanzströme eingefangen und wieder produktiv im besten
Sinne gemacht werden. Gleichzeitig soll
die "Wirtschaftsdemokratie" neu greifen - und
dahinter verbirgt sich, seit den sechziger Jahren des
20. Jahrhunderts die Forderung nach der
paritätischen Mitbestimmung in Großbetrieben. Auch die
wohlbekannte Forderung nach Beteiligung der
Beschäftigten am Zuwachs des
Produktivkapitals, in den siebziger Jahren des 20.
Jahrhunderts nicht nur von
Gewerkschaften und SPD, sondern auch von CDA und FDP erhoben,
findet sich wieder, verkleidet als
Eigentumsfrage: "Ebenso wichtig weil
systemverändernd, ja systemüberwindend ist eine andere
Verteilung des Zuwachses des
Betriebsvermögens. Wenn ein Arbeitgeber eine Fabrikhalle
errichtet und das dazu gehörende Inventar bezahlt, um
eine Produktion aufzunehmen, dann
gehört das Betriebsvermögen ihm. Wenn aber aus der
laufenden Produktion heraus eine zweite Halle samt
Inventar finanziert wird, dann gehört
diese zweite Halle nicht allein dem Unternehmer, sondern auch
der Belegschaft, ohne deren Arbeit dieses Vermögen
niemals entstanden wäre! Daher schlagen
wir vor, den Zuwachs des Betriebsvermögens zur Hälfte der
Belegschaft zu überlassen."
Diese Vorschläge sind alles andere als antikapitalistisch. Sie
sind darauf ausgerichtet, die
Produktivkräfte unter dem Paradigma des Kapitalismus neu
einzuhegen, die Beschäftigten in die Mitverantwortung
einzubeziehen und sie als kleine
Miteigentümer an den Betrieben zu beteiligen. Sie mögen, wenn
sie denn durchgesetzt werden könnten,
einige Verwerfungen mildern, an den
Grundübeln des Kapitalismus und seines Entwicklungsstandes
verändern sie nichts. Auch ein
gezähmtes Finanzkapital wird wieder nach der dann
profitabelsten Anlageform suchen und nicht dort
angelegt werden, wo menschliche
Bedürfnisse am lautesten danach verlangen. Auch ein Betrieb,
in dem Kapitaleigner und Beschäftigte
gleichberechtigt über Investitionen
entscheiden, oder in dem ein kleiner Anteil des Kapitals den
Beschäftigten gehört, wird sich den
Regeln der Konkurrenzwirtschaft zu unterwerfen haben,
so lange diese gelten. Zuletzt wird ein kleiner Besitz
am Produktivvermögen bei den
Beschäftigten eher das fördern, was die neoliberale Ordnung
vom Beschäftigten ununterbrochen
einfordert: Das unternehmerische Denken und
Handeln.
Mit diesem Begriffsapparat und seinen Vorschlägen offenbart
Lafontaine, dass er zwar das abstrakte
Prinzip "Die Linke muss sich vom Denken der
Herrschenden emanzipieren" verstanden hat, nicht aber
die konkrete Umsetzung. Was er
anbietet, ist eher das Denken der Herrschenden, von den
Beherrschten übernommen, unter den Bedingungen des
spezifischen, vergangenen
Klassenkompromisses des Fordismus. Diese Zeiten sind mit und
entsprechend der Fortentwicklung der
Produktivkräfte und der Verschiebung der
Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit vorbei.
Sie kehren auch nicht durch das Erheben
von Forderungen, die schon damals nicht erfüllt wurden,
zurück. Die weltweit beobachtbare Verwandlung
sozialdemokratischer Parteien in
neoliberale Parteien ist kein Zufall, sondern die Folge der
Tatsache, dass sozialdemokratische
Politik als faktischer Dritter Weg zwischen
Kapitalismus und Sozialismus unter Integration
weitester Teile der
Lohnabhängigen nicht mehr darstellbar ist. Ein Begriffsapparat
und ein Forderungskatalog, der
vornehmlich auf die Traditionssicht der
Sozialdemokratie zurück greift, wird daher zum Bumerang, zur
Quelle des Scheitern, werden. Weder
wird er adäquate Lösungen bereit stellen, noch eine
Massenbewegung mit Impulsen versorgen, die einzig und
ganz anders als eine parlamentarische
Partei, die Mittel besitzt das globale Konkurrenzsystem zu
überwinden.
Editorische
Anmerkungen
Den Text
erhielten wir von der AutorIn am 25.5.08 zur Veröffentlichung.
Edith Bartelmus-Scholich ist Redakteurin und
Herausgeberin von

http://www.scharf-links.de/
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