Parteitag in Cottbus
Lafontaine's LINKE als demokratische und soziale Erneuerungsbewegung. Aber, wo ist das Neue und, wo die Bewegung?

von Edith Bartelmus-Scholich

05/08

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In einer kapitalismuskritischen Rede auf dem ersten Parteitag der LINKEN in Cottbus hat Oskar Lafontaine die Delegierten beschworen die Zukunft der Partei durch ein eigenständiges Profil zu über kurzfristige Erfolge hinaus zu sichern. Er sieht DIE LINKE als Partei gegen den Zeitgeist, sofern sie das Denken und die Sprache der Herrschenden negiert und sich einen eigenen Begriffsapparat schafft. Versäumt sie dies, wird sie, so Lafontaine, an den auf sie zukommenden politischen Aufgaben scheitern.

Die neoliberale Hegemonie ist laut Lafontaine Geschichte. Ausgehend von den verheerenden Wirkungen neoliberaler Politik auf breite Bevölkerungsteile, dem offensichtlichen Versagen marktradikaler Lösungen bei der Erfüllung sozialer, ökologischer und infrastruktureller Aufgaben und der Rückkehr des Krieges als Mittel der Politik, wandeln sich die Diskurse. Sie werden kritisch und suchend. Die neue Linkspartei wird durch diesen Wandel ebenso befördert, wie sie gleichzeitig den schon vorher begonnenen Wandel der Diskurse weiter mit befördert.

Der Gründungsprozess der Partei DIE LINKE seit 2005 hat das Gefüge der Parlamentsparteien zunächst erschüttert und Wirkungen auf die Politik der übrigen Parlamentsparteien, wie kritische Debatten, neue Vermittlungsansätze und vorsichtige Korrekturen, sind die mittelbare Folge davon. Lafontaine hat dafür die Sprachregelung, ‚DIE LINKE regiere aus der Opposition heraus', entwickelt. Die Linkspartei treibt die anderen Parlamentsparteien vor sich her und bricht wahlpolitisch in ihr Terrain ein.

Lafontaine beschreibt richtig, wie die Entfaltung linken Einflusses auf Politik an die Entwicklung der gesellschaftlichen Diskurse gebunden ist. Er fordert von den Delegierten das Selbstbewusstsein zum vermeintlich Selbstverständlichen: "DIE LINKE muss ihre eigene Sprache finden, besser noch zur Dialektik zurückkehren. Dialektiker sein, heißt, den Wind der Geschichte in den Segeln haben. Die Segel sind die Begriffe. Es genügt aber
nicht, über die Segel zu verfügen. Die Kunst ist, sie setzen zu können. Das ist das entscheidende. - Soweit Walter Benjamin. - Wir haben Begriffe gesetzt: DIE LINKE, den Mindestlohn, Hartz IV muss weg, wir wollen eine armutsfeste Rente und die Bundeswehr muss raus aus Afghanistan. Und wir haben den Wind der Geschichte in unseren Segeln. Das macht unseren Erfolg aus, liebe Freundinnen und Freunde."

Der Begriffsapparat, den er dem Parteitag dann vorschlägt, entwickelt er allerdings nur antineoliberal, kapitalismuskritisch und auf die Tradition der deutschen Arbeiterbewegung zurück greifend als klassisch sozialdemokratischen Forderungskatalog. Bemerkenswert ist, dass er allein auf die Hegemonie in den gesellschaftlichen Diskursen und die Partei als
parlamentarischen Akteur zielt. Politik verkürzt sich so zu einer Veranstaltung in Massenmedien und Parlamenten. Es wird stellvertretend und medienvermittelt durch die Partei gehandelt. Das die gesellschaftliche Dynamik erst durch aus Diskursen resultierenden Bewegungen, die auf die Institutionen , z.B. die Parteien einwirken entsteht, geht dabei verloren.

Im Mittelpunkt von Lafontaine's politisch-inhaltlichen Überlegungen steht die Neuregulierung der internationalen Finanzmärkte; denn im "finanzmarktgetriebenen Kapitalismus" sieht er die Fehlentwicklung der letzten Jahrzehnte. "Der Finanzkapitalismus, liebe Freundinnen und Freunde, hat zu einer dramatischen Verschiebung der Macht- und Kräfteverhältnisse in Politik und Gesellschaft geführt. Kurz vor Antritt der rot-grünen Regierung im Jahr 1998 hat der damalige Bundesbankpräsident Tietmeyer auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos an die versammelten Regierungschefs gerichtet gesagt: "Meine Herren, Sie sind jetzt alle der Kontrolle der internationalen Finanzmärkte unterworfen." Und am Anfang der rot-grünen Regierung verabschiedete Joschka Fischer Politik mit dem Satz: "Ihr glaubt doch nicht, ihr könntet Politik gegen die internationalen Finanzmärkte machen." Die Folgen dieser Herrschaft können wir heute in Deutschland besichtigen - den Fall der Lohnquote, Kinderarmut, sich ständig ausweitender Niedriglohnsektor, unsichere und prekäre Arbeitsverhältnisse - kurz gesagt, die Aushöhlung der repräsentativen Demokratie."

Mit einem 12-Punkte-Programm von der Wiederherstellung stabiler Wechselkurse über die Einführung der Tobinsteuer bis zum Verbot von Hedgefonds soll die außer Kontrolle geratene zerstörerische Dynamik der um den Erdball jagenden Finanzströme eingefangen und wieder produktiv im besten Sinne gemacht werden. Gleichzeitig soll die "Wirtschaftsdemokratie" neu greifen - und dahinter verbirgt sich, seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Forderung nach der paritätischen Mitbestimmung in Großbetrieben. Auch die wohlbekannte Forderung nach Beteiligung der Beschäftigten am Zuwachs des Produktivkapitals, in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts nicht nur von Gewerkschaften und SPD, sondern auch von CDA und FDP erhoben, findet sich wieder, verkleidet als Eigentumsfrage: "Ebenso wichtig weil systemverändernd, ja systemüberwindend ist eine andere Verteilung des Zuwachses des Betriebsvermögens. Wenn ein Arbeitgeber eine Fabrikhalle errichtet und das dazu gehörende Inventar bezahlt, um eine Produktion aufzunehmen, dann gehört das Betriebsvermögen ihm. Wenn aber aus der laufenden Produktion heraus eine zweite Halle samt Inventar finanziert wird, dann gehört diese zweite Halle nicht allein dem Unternehmer, sondern auch der Belegschaft, ohne deren Arbeit dieses Vermögen niemals entstanden wäre! Daher schlagen wir vor, den Zuwachs des Betriebsvermögens zur Hälfte der Belegschaft zu überlassen."

Diese Vorschläge sind alles andere als antikapitalistisch. Sie sind darauf ausgerichtet, die Produktivkräfte unter dem Paradigma des Kapitalismus neu einzuhegen, die Beschäftigten in die Mitverantwortung einzubeziehen und sie als kleine Miteigentümer an den Betrieben zu beteiligen. Sie mögen, wenn sie denn durchgesetzt werden könnten, einige Verwerfungen mildern, an den Grundübeln des Kapitalismus und seines Entwicklungsstandes verändern sie nichts. Auch ein gezähmtes Finanzkapital wird wieder nach der dann profitabelsten Anlageform suchen und nicht dort angelegt werden, wo menschliche Bedürfnisse am lautesten danach verlangen. Auch ein Betrieb, in dem Kapitaleigner und Beschäftigte gleichberechtigt über Investitionen entscheiden, oder in dem ein kleiner Anteil des Kapitals den Beschäftigten gehört, wird sich den Regeln der Konkurrenzwirtschaft zu unterwerfen haben, so lange diese gelten. Zuletzt wird ein kleiner Besitz am Produktivvermögen bei den Beschäftigten eher das fördern, was die neoliberale Ordnung vom Beschäftigten ununterbrochen einfordert: Das unternehmerische Denken und Handeln.

Mit diesem Begriffsapparat und seinen Vorschlägen offenbart Lafontaine, dass er zwar das abstrakte Prinzip "Die Linke muss sich vom Denken der Herrschenden emanzipieren" verstanden hat, nicht aber die konkrete Umsetzung. Was er anbietet, ist eher das Denken der Herrschenden, von den Beherrschten übernommen, unter den Bedingungen des spezifischen, vergangenen Klassenkompromisses des Fordismus. Diese Zeiten sind mit und entsprechend der Fortentwicklung der Produktivkräfte und der Verschiebung der Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit vorbei. Sie kehren auch nicht durch das Erheben von Forderungen, die schon damals nicht erfüllt wurden, zurück. Die weltweit beobachtbare Verwandlung sozialdemokratischer Parteien in neoliberale Parteien ist kein Zufall, sondern die Folge der Tatsache, dass sozialdemokratische Politik als faktischer Dritter Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus unter Integration weitester Teile der
Lohnabhängigen nicht mehr darstellbar ist. Ein Begriffsapparat und ein Forderungskatalog, der vornehmlich auf die Traditionssicht der Sozialdemokratie zurück greift, wird daher zum Bumerang, zur Quelle des Scheitern, werden. Weder wird er adäquate Lösungen bereit stellen, noch eine Massenbewegung mit Impulsen versorgen, die einzig und ganz anders als eine parlamentarische Partei, die Mittel besitzt das globale Konkurrenzsystem zu überwinden.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir von der AutorIn am 25.5.08 zur Veröffentlichung. Edith Bartelmus-Scholich ist Redakteurin und Herausgeberin von


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