80 Jahre Blutmai
Über den Charakter der Kämpfe
Walter Ulbrichts Rede auf dem XII. Parteitag der KPD 9.-16.6.1929

05/09

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Ich möchte zu zwei Fragen sprechen: zur Frage des Charakters der gegenwärtigen Kämpfe und zur Frage der Barrikadenkämpfe in Berlin.

Wir sehen in diesen Kämpfen auf der einen Seite die Formierung der proletarischen Klassenfront unter der Führung der Kommunistischen Partei, die Verbreiterung und Festigung der proletarischen Klassenfront, wie sie in der Bildung von Kampfleitungen zum Ausdruck kommt, auf der anderen Seite die verstärkten Rüstungen der kapitalistischen Staatsgewalt zur Unterdrückung der Arbeiterklasse, das Verwachsen der reformistischen Bürokratie mit dem Staatsapparat, die Faschisierung der Staatsgewalt und des sozialdemokratischen und reformistischen Apparates.

Als Ergebnis dieser Kämpfe sehen wir gegenwärtig im allgemeinen eine Steigerung der Kampfkraft der Arbeiter, selbst in den Fällen, wo keine unmittelbaren Erfolge für die kämpfenden Arbeiter erreicht wurden. Die Arbeiter kämpften für ihre Lohn-und Arbeitszeitforderungen, worauf die Unternehmer mit der Generalaussperrung der Metallarbeiter antworteten. In diesem Kampf formierten die Arbeiter zum erstenmal durch Bildung von Kampfleitungen die proletarische Klassenfront unter kommunistischer Führung. Der Ausgangspunkt des Kampfes waren ökonomische Forderungen. Der Kampf selbst wurde zu einem ausgesprochen politischen Kampf, der sich mittelbar gegen die kapitalistische Staatsgewalt richtete, während in den Berliner Maikämpfen die Arbeiterklasse unmittelbar unter politischen Losungen den Kampf gegen die kapitalistische Staatsgewalt führte. Die Maikämpfe zeigen eine höhere Form des Kampfes als der Ruhrkampf. Das findet seinen Ausdruck darin, daß die Arbeiter das Demonstrationsverbot durchbrachen, daß sie, zum erstenmal seit 1923, zur Anwendung der Waffe des politischen Massenstreik übergingen, zur Abwehr des Polizeiterrors spontan Barrikade11 bauten und eine Solidaritätsbewegung im Reiche durchführten.

Die Kampforgane, die Maikomitees, die Delegiertenkonferen-zeu usw. waren ausgesprochene Organe des revolutionären Kampfes der Arbeiter gegen die kapitalistische Staatsgewalt, pje Anwendung des Selbstschutzes durch die kämpfenden Arbeiter hat breiten Massen zum Bewußtsein gebracht, daß die Schutzpolizei nicht unüberwindlich ist, daß die Arbeiterklasse im Kampf gegen die kapitalistische Staatsgewalt noch lernen wird auch jene Methoden anzuwenden, die sie befähigt, sich gegenüber dem Polizeiterror zu verteidigen. Es ist ganz klar, daß die Auswirkung dieser Kampfmethoden eine Steigerung der moralischen Kraft des Proletariats und eine gewisse Schwächung und Zersetzung in den Reihen des Gegners bedeutet.

Die sozialdemokratische und die bürgerliche Presse sagt: Wenn nur die Polizei gekämpft hat, wie ist es dann möglich, daß in dem Beschluß der Kommunistischen Partei von spontanen Teilaufständen und vom aktiven Widerstand der Arbeiter die Rede ist? Wir wissen, daß in Zeitungen, die mit uns sympathisieren, solche Auffassungen vertreten worden sind. Aber wir erklären ganz klar: Die Regierung, die Polizei, die Sozialdemokratie versuchten, am 1. Mai mit Hilfe des Polizeiterrors die revolutionäre Arbeiterschaft niederzuschlagen, und es war notwendig und richtig, daß die Arbeitermassen gegenüber dem Polizeiterror zu Selbstschutzmaßnahmen übergegangen sind. Wir sind nicht der Meinung, daß sich die Arbeitermassen von den Banden Zörgiebels wie Hunde niederschießen lassen sollten. Wir haben klar und eindeutig in allen unseren Dokumenten erklärt: Wir halten die Situation für die Durchführung des bewaffneten Aufstandes nicht für reif. Aus diesem Grunde haben wir keine Maßnahmen zur Organisierung des bewaffneten Kampfes ergriffen. Aber wir waren der Meinung — und die Entwicklung hat die Richtigkeit unserer Taktik bestätigt —, daß es notwendig war, organisierten Widerstand gegen den Polizeiterror zu leisten, indem die Arbeiter organisiert die Straße behaupteten und organisiert die Straßendemonstrationen durchführten.

Wir haben bei der politischen Beurteilung der Kampfleitungen darauf hingewiesen, daß die Bildung der proletarischen Klassen front, wie sie in der Form der Delegiertenkonferenzen, dei Bildung von Kampfleitungen, Aktionsausschüssen, Selbstschutzorganen usw. zum Ausdruck kommt, den Arbeitern jene Kampferfahrungen übermittelt, die sie befähigen werden, in der Zeit des akuten Machtkampfes die Sowjets zu schaffen. Und ebenso sagen wir, daß der organisierte Kampf um die Straße, die organisierten Straßendemonstrationen, der proletarische Massenwiderstand gegen den Polizeiterror den Arbeitern solche Erfahrungen übermitteln, die sie befähigen werden, in einer anderen politischen Situation den Kampf zur Niederschlagung des kapitalistischen Gegners und seiner Polizeibanden mit Erfolg zu führen.

In diesem Sinne schließe ich mit den Worten von Marx, daß die Kommunistische Partei, ebenso wie es Marx im „Kommunistischen Manifest" verkündet, der Auffassung ist, daß „die Gewalt die Geburtshelferin jeder neuen Gesellschaft ist".

 

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