Wir trugen in
dieser Anfangsphase unserer Arbeit mehr oder weniger diffuse
Vorstellungen von Opposition gegen Lehrer, Protesthaltung und
ausgedehnter Renitenz zusammen und konstruierten daraus die
Perspektive unserer Arbeit. Indem wir eine bestimmte
Schülergruppe organisierten, wollten wir Veränderungen an der
Schule bewirken und die Erkenntnis unter den Schülern
verbreiten, daß sie sich solidarisch zusammentun und agieren
müßten. Dabei würde, so glaubten wir, die von uns im Laden
organisierte Schülergruppe eine Art Kaderfunktion übernehmen,
und den Widerstand von einer Schulklasse ausbreiten auf andere
Klassen und schließlich die ganze Schule. Welche Kampfformen,
welche Inhalte und Konflikte aber konkret die Umsetzung dieses
Ziel bewirken würden, darüber gab es zu Anfang weder
Diskussionen noch genauere Vorstellungen bei den einzelnen
Genossen. Wir hofften vielmehr, solche Fragen im Zuge der
Schülerarbeit und im gemeinsamen Lernen mit unseren
Ladenschülern zu beantworten. Mit einem Wort: unser anfängliches
Konzept von SK war durchweg antiautoritär und im großen und
ganzen nur die Übertragung von mangelhaft analysierten Konzepten
der bisherigen Schülerrevolte.
Konkreter begründet wurden unsere Vorstellungen dann im Laufe
des Herbstes 1969 durch 2 zusammenhängende Entwicklungen
innerhalb der Berliner Linken: 1. durch die
Diskussion über die "revolutionäre Berufsperspektive" der
Lehrer, die Angelpunkt der Gründungen der ROTZEG und ROTZEPH
war, und 2. durch die Aufarbeitung einiger sozialistischer
Pädagogen der 20er Jahre, vor allem von E. Hoernle.
Im Verlaufe der Diskussionen über die Berufspraxis der Lehrer
wurde die Schule zum 1. Mal als Praxisfeld von Genossen
definiert, das von diesen nicht zwangsläufig Resignation und
Aufgabe der während der Studienzeit angeeigneten sozialistischen
Perspektiven erforderte. Die Perspektive revolutionäre oder
antikapitalistische Berufspraxis leistet theoretisch die
Entwicklung einer Kontinuität in der Politisierung
sozialistischer Studenten, die Schule und die Lehrerpraxis
konnten unter der neuen Perspektive als Beiträge zum
Klassenkampf gewertet werden.
Von diesen Diskussionsergebnissen zehrte auch die inhaltliche
Weiterentwicklung unserer Schulkampfperspektive. Sie trat durch
die theoretische Unterstützung der Zellen-Diskussio-nen
sozusagen aus ihrer antiautoritären Phase heraus und wurde in
den Zusammenhang der Linken und schließlich des Klassenkampfes
eingeordnet.
Am greifbarsten wurde diese Transformation unserer
Vorstellungen in der Auseinandersetzung mit einigen
revolutionären Theoretikern des Schulkampfes. Im
Übergangsstadium . der antiautoritären Bewegung zur
sozialistischen griffen wir auf die sozialistischen Traditionen
zurück, um uns einmal der Herkunft unserer Konzeption zu
versichern, aber zum anderen auch und vor allem Anregungen für
die Gestaltung der Praxis zu holen. In diesem Sinne
organisierten wir Schulungstreffen, in denen wir die Strategien
Hoernles und deren Übertragbarkeit auf die gegenwärtigen
Produktionsverhältnisse und Schulungsverhältnisse diskutierten.
Im Laufe der Arbeit und theoretischen Schulung wurde uns
klar, daß die von uns vorgenommene Rekrutierung von Schülern aus
mancherlei Gründen nicht der 1. Schritt zur Realisierung unserer
Ziele war, sondern viel eher deren Gegenteil. Wenn wir die
Absicht verfolgten, mit den Schülern des Ladens als eine Art
hartem Kern in der Schulklasse wirksam zu werden, konnte es für
den Erfolg unserer Arbeit nicht unwichtig sein, welche Lehrer
die Schüler unterrichteten, besonders welche Klassenlehrer zu
den beiden ersten Klassen gehörten, aus denen wir die Schüler
rekrutiert hatten. In einem Falle konnte die Klassenlehrerin als
liberal bezeichnet werden, im anderen Falle als autoritär. Die
Möglichkeiten, in der Klasse der autoritären Lehrerin unsere
Ziele zu verwirklichen mußten wir unsere Theorie entsprechend
größer einschätzen als die der Parallelklasse. Dennoch wähl- .
ten wir zu Anfang Schüler nur aus der Klasse der liberalen
Lehrerin, da sich mit der anderen nur sehr schwer Kontakte
anknüpfen ließen. Erst später gelang es uns auch aus jener
Klasse Schüler zu uns in den Laden zu holen. Wegen dieser
Unstimmigkeiten von Zielen und Rekrutierungsverfahren in der
Frage der Lehrer waren also die Voraussetzungen für einen SK von
Anfang an nicht gerade günstig.
Hinzu kamen dann in 2. Linie Probleme der Auswahl der
Schüler. Das Image, das wir in einer Elternversammlung und bei
den Lehrern von unserem Laden verbreitet hatten, war das eines
kompensatorischen Projektes ohne politische Zwecke. Die dadurch
geweckten Erwartungen bestimmten weitgehend die durch die
Klassenlehrerin gelenkte Auswahl der Kinder für unseren Laden,
d.h. wir bekamen in der Regel Schüler die zum unteren
Leistungsdrittel ihrer Klasse gehörten. Bedenkt man, daß die
Herrschaftsstruktur einer Klasse auch durch Leistungen bestimmt
wird, hatten wir also in unserem Laden Schüler, die von vorn
herein keine entscheidenden Positionen in ihren Klassen
innehatten, von denen her sie unsere Vorstellungen sich zu eigen
hätten machen können. Es waren Schüler, die sich zu exponieren
nicht trauen durften, da sie ja bereits zu den schlechten
gehörten und sich nicht noch zusätzlich
Aufmüpfigkeit gestatten durften, wollten sie nicht von den
Repres-sionen der Lehrerin getroffen werden.
Die Schüler, die wir schließlich nach längeren
Rekrutierungsprozessen und einigen Fluktuationen im Laden
beisammen hatten, und die wir, wie gesagt, nicht in den von uns
gewünschten Bahnen lenken konnten, waren überhaupt nicht dazu
motiviert, sich auch außerhalb der Schule- für die Schule zu
interessieren. Vielmehr brachten sie die Erwartung mit, der
Schule jedenfalls bei uns den Rücken zukehren zu können und
ungehemmt toben zu dürfen. Es schien, als sei die Schule bereits
in den ersten Wochen ihres Schülerseins so negativ besetzt
worden, daß sie unseren Laden nur als totale Antithese brauchten
und dementsprechend handelten. So brachten beispielsweise immer
nur wenige Kinder ihre Schulsachen mit, obgleich wir zu Anfang
unserer Arbeit auf die regelmäßige Erledigung der Schularbeiten
achteten. Schließlich hörte das ganz auf: die Schüler erledigten
ihre Hausaufgaben zu Hause und kamen nur noch zum Spielen in den
Laden. Einerseits befreite uns diese Entwicklung von
Kompensationsaufgaben; andererseits rückte dadurch die Schule
und damit die Perspektive Schulkampf gänzlich außerhalb des
Horizontes unserer Ladenarbeit. Die Zwiespältigkeit unserer
Reaktion auf diese Entwicklung wurde noch dadurch verstärkt, daß
wir einerseits alle von didaktischen und pädagogischen Problemen
der 1. Klasse keine Ahnung hatten (Lese- und Schreiblehrgang
usw.) und froh waren, von der Aufgabenbetreuung befreit zu sein,
andererseits aber überhaupt nicht wußten, was die Schüler
lernten und wo man vielleicht hätte anknüpfen können.
Bei fast allen Anstrengungen, die wir machten, Schulprobleme
im Laden aufzugreifen und den SK vom Laden aus vorzubereiten,
bekamen wir den Widerstand zu spüren. Unser 1. Projekt
"Revolutionäre Heimatkunde", eine Idee, die auf Hoernle
zurückgeht, verlief im Sande. Es war beabsichtigt, durch
Sozialexkursionen und Spiele ein Gegenbild zu den in der Schule
verschleierten Unterschieden von arm und reich in Westberlin zu
entwickeln. Was wir von diesem Plan in die Tat umsetzen konnten
— freilich nicht viel und auch dies wenige nur sehr
unsystematisch — interessierte die Kinder nicht. Auch später
begonnene Projekte, die inhaltlich ähnlich angelegt waren,
insofern sie gleichfalls Gegenbilder zu bestimmten in der Schule
dominierenden Wertvorstellungen und Inhalten erzeugen sollten
(z.B. Kernfamilie — Wohngemeinschaft), blieben in Ansätzen
stecken. Ebenfalls verstanden die Kinder die zudem noch
schlechten antiautoritären Kinderbücher nicht. Bei
gelegentlichem Theaterspiel mit dem Thema "Schule" oder "Der
doofe Lehrer" usw. gefiel den Schülern die Rolle des Paukers
mehr als die in der Masse von uns als stark gepriesenen Schüler.
Mehr Erfolg hatte eine Geschichte über autoritäres
Lehrerverhalten, die die Schüler zur Verbalisierung ihres
Widerstandes aufrufen sollte. Zwar war in Ansätzen der Impuls
zum Widerstand da, aber eben nur verbal. Ob wir damit der
tatsächlichen Aktualisierung eines solchen defensiven Verhaltens
schon näher gekommen waren, ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich
nicht, denn die Wahrnehmung unseres Ladens durch die Kinder hob
ihn aus ihrem Erfahrungsbereich heraus und machte ihn gerade zu
dem, was wir verhindern wollten: zum Freiraum, in dem nicht für
die Schule und den Schulkampf gelernt wird.
Über die Kontinuität des Verhaltens der Kinder, daß sie
außerhalb des Ladens realisieren, etwa zu Hause, auf der Straße,
vermöchten wir überhaupt kaum etwas zu sagen. Vereinzelt konnte
beobachtet werden, daß die Kinder zu Widerstandshandlungen
gegenüber Autoritätspersonen nur dann bereit und in der Lage
waren, wenn sie sich von den Betreuern "beschützt" fühlen. Z.B.
kümmerten sie sich kaum um die Nachbarn, die sich über den Lärm
beklagten, weil sie wußten, daß wir sie unterstützten. Waren sie
dagegen allein auf dem Spielplatz und
bekamen Ärger mit einem Polizisten, so befolgten sie schnell und
angstvoll dessen Anweisungen.
Ins gleiche Wahrnehmungsmuster muß für die Kinder auch die
Radauzeitung gefallen sein. Sie begriffen ihre agitatorische
Bedeutung nicht in Bezug auf ihre eigene Schule und ihre
Lehrerin, sondern solidarisierten sich mit Schülern anderer
Schulen und anderer doofer Lehrer von der Position des
Nichtbetroffenen, obgleich sie selber etwas zur Zeitung
beizutragen gehabt hätten, was dann auch später geschah.
In unserer Konzeption von Schulkampf sollten die Schüler als
deren Träger und Realisatoren füngieren, wir selbst jedoch und
die SAZ-Genossen nur als Initiatoren und Vermittler der
Konzeption. Tatsächlich kehrte sich aber im Laufe der Zeit das
Verhältnis um: an und von den Schülern erfuhren wir einiges über
die Schule, was uns dann zu Gegenreaktionen veranlaßte, die
nicht mehr über die Schüler vermittelt waren, sondern direkt von
uns in die Schule hineingetragen wurden. Wir hatten wohl schon
zu Anfang auf eine solche direkte Wirkung gehofft und darum
häufiger in der Schule hospitiert, um durch unser Erscheinen in
der Schule die Lehrerinnen zu verunsichern und die Schüler zu
bestärken. Aber spürbar wurde diese Wirkung erst, als ein
Genösse des Ladens nach seinem Examen vorübergehend an der
Schule Lehrer wurde. Durch ihn gelangte eine Radau-Zeitung in
die Hände des Kollegiums, in der das autoritäre Verhalten der
einen Klassenlehrerin von unseren Schülern angeprangert wurde.
Die Lektüre dieser wenigen harmlosen Zeilen warf die Betroffene
um, reichte hin, sie einige Wochen krank schreiben zu lassen und
brachte die Idee in Umlauf, eine
'Verleumdungsklage gegen die Herausgeber der Zeitung zu erheben.
Die Schüler selbst erfuhren die Auswirkungen dieses Konflikts
nur in Form einer persönlichen Befragung durch die Rektorin,
d.h. sie erfuhren sie als Objekt, nicht als Subjekt des
Schulkampfes, wodurch sie hätten lernen können.
Ausgehend von diesen Erfahrungen mit der Perspektive
Schulkampf in den 1. Klassen der Kurt-Held-Grundschule ist zu
fragen, was wir als prinzipielle Einwände gegen den SK auf
dieser Klassenstufe betrachten und worin unsere eigenen Fehler
bei der Verwirklichung der Perspektive gesehen werden müssen.
Solange wir uns an der Perspektive SK orientiert haben,
bedurfte es weniger einzelner spektakulärer Anlässe, wie des
gerade geschilderten, um die Frage nach dem Sinn zu stellen,
sondern schon das Ausbleiben solcher Ergebnisse, das
gleichmäßige, in der Schule unveränderte Verhalten unserer
Schüler provozierte ständig die Frage nach dem Erfolg. Dadurch
aber, daß die Frage ständig latent im Räume war, wurde
verhindert, daß wir zu bestimmten strategisch entscheidenden
Momenten in der Entwicklung unserer Arbeit organisatorische
Konsequenzen aus unseren selbstkritischen Überlegungen zogen.
Wir kritisierten, aber die Arbeit lief eigentlich unverändert
unter der nichtrevidierten und nichtpräzisierten Perspektive SK
weiter.
Diese eigenartige konsequenzlose Struktur unseres
Verhältnisses von Theorie und Praxis deutete sich bereits in der
Phase der Hoernle-Rezeption an. Obgleich wir den Grundgedanken
Hoernles problematisch fanden, daß SK sozusagen die
altersspezifische Form des Klassenkampfes sei, zogen wir doch
nicht den Schluß, nach einer anderen Begründung für unsere
Perspektive zu suchen. Genau genommen war
unser Fehler, da wir zur Begründung unserer Arbeit keine
materialistische Analyse der Schule im Spätkapitalismus machten,
sondern an deren Stelle eine mehr oder weniger explizite
Berufung auf die sozialistische Tradition setzen. Dadurch, daß
wir an so entscheidender Stelle auf Hoernle und seine
Vorstellungen vom Schulkampf zurückgriffen, in der die Schule
hauptsächlich als Ideologiefabrik verstanden wird, verdrängten
wir den Aspekt, daß die Schule ein Produktionsfaktor ist, d.h.
daß während der Schulzeit das Arbeiterkind seine notwendige
Existenzvoraussetzung produziert, die Ware Arbeitskraft. Die
Tendenz unserer Konzeption war darum überwiegend defensiv, so
daß wir die Notwendigkeit von Wissen im Klassenkampf verkannten,
das durch die Schule erzeugt oder zumindest potentiell
vorbereitet wird und aus einem Herrschaftswissen in subversives
Wissen verwandelt werden kann.
Die defensive Vorstellung von SK spiegelt sich getreu wieder
in einem Fragebogen, den wir zu selbstkritischen Zwecken
entworfen hatten, Als sich der Bruch zwischen der SK-Theorie und
der Praxis unseres Ladens nicht mehr länger verdrängen ließ,
versuchten wir, die Wirksamkeit und Möglichkeiten des SK
empirisch zu überprüfen. SK wurde in dem Fragebogen bestimmt als
ein Zusammenhang von Aktionen der Schüler zur Leistungs- und
Normenverweigerung. Durch gezielte Gegeninhalte und Aufklärung
über die Praktiken autoritären Unterrichts sollte die kollektive
Verweigerung in den nachmittäglichen Arbeitsstunden der SAZ
Genossen vorbereitet werden.
Es gelang uns nicht, den Angelpunkt der SK-Perspektive
"Konflikt" zu problematisieren, d.h. die Schulkonflikte von
Grundschülern in einem Zusammenhang mit dem Kampf des
Proletariats zu bestimmen. Eine notwendige Trennung zwischen
Konflikten speziellerer Art, die auf eine Schule beschränkt sein
müssen und exemplarischen Konflikten von Arbeiterkindern an
Grundschulen wurde nicht gemacht. Indem wir es versäumten,
Konflikte von klassenspezifischer Bedeutung für Grundschüler von
Konflikten speziellerer Art zu unterscheiden, betrieben wir
unbewußt eine Art Fetischismus von Schulkonflikten als Vehikel
des Schulkampfes. Nur in der Frage des kompensatorischen
Unterrichts waren Ansätze zu einer differenzierteren
Einschätzung der Schule und ihrer Brauchbarkeit im Klassenkampf
vorhanden. Die Alternative: entweder kompensatorische Erziehung
oder aber antikapitalistische Linie wurde wegen des pauschalen
Alles oder Nichts, das sie enthält, zurückgewiesen. An dieser
Stelle operierten wir immerhin — aber wieder theorielos — mit
der Nützlichkeit schulischen Wissens und der in entsprechender
Weise anzusetzenden und auf exemplarische Konflikte zu
konzentrierenden Revolte gegen Lehrer und bürgerliche Werte.
Daß wir uns das aber nie richtig zu Bewußtsein brachten, ließ
unseren Laden letzten Endes scheitern.